Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 05.10.2015 betreffend islamistische Rekrutierungsversuche in und im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften - Teil I und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragesteller: In diversen Presseorganen gab es in den vergangenen Wochen Berichterstattungen über Rekrutierungsversuche islamistischer bzw. salafistischer Gruppierungen im unmittelbaren Umfeld von Flüchtlingsunterkünften in Hessen. So soll es unter anderem Anwerbeversuche durch Mitglieder der Lies-Kampagne vor der Hauptstelle der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen, durch Mitglieder der durch den Verfassungsschutz überwachten Sunnah-Moschee in der Außenstelle Fulda sowie durch Mitglieder der durch den Staatsschutz beobachteten Aktion "weiße Flügel e.V." in Hanau gegeben haben. Entsprechende Aktivitäten seien auch in der ehemaligen Starkenburg-Kaserne in Darmstadt beobachtet worden. Unter anderem in Darmstadt und Hanau seien infolgedessen Hausverbote gegen mutmaßliche Islamisten erteilt worden, weil diese bspw. als Mitglieder von Hilfsorganisation getarnt, Radikalisierungsversuche unternommen haben sollen (Bericht der "Frankfurter Rundschau" vom 25. September 2015, "Helfer unter Verdacht" sowie "Hessenschau.de" vom 28. September 2015 "Flüchtlingshilfe mit Hintergedanken"). Insbesondere Rekrutierungsversuche gegenüber minderjährigen Flüchtlingen, die laut Bericht der "Frankfurter Neuen Presse" vom 29. August 2015 ("Radikale Muslime versuchen zu missionieren") ebenfalls erst durch Einschreiten der Mitarbeiter unterbunden werden konnten, haben in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt und bedürfen der besonderen Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Bei den in Hessen festgestellten Ereignissen handelt es sich um solche, bei denen über Hilfeleistungen und Zuwendungen möglicherweise der Versuch unternommen wurde, die Notsituation der Flüchtlinge für extremistische Interessen auszunutzen. Allerdings haben sich die Meldungen und Verdachtslagen in Bezug auf den in der Vorbemerkung der Fragesteller dargestellten Sachverhalt in Darmstadt entgegen der Presseberichterstattung trotz umfangreicher polizeilicher Ermittlungen bisher nicht bestätigt. Darüber hinaus rufen u.a. salafistische Akteure in sozialen Netzwerken gezielt zur Missionierung von Flüchtlingen auf und erteilen konkrete Handlungsempfehlungen. Die hessischen Sicherheitsbehörden beobachten diese Entwicklung aufmerksam. Hinweisen auf salafistische Missionierungsaktivitäten wird konsequent nachgegangen. Bei Antreffen salafistischer Akteure vor oder im Umfeld von Flüchtlingseinrichtungen agiert die Polizei lageangemessen, unmittelbar und konsequent, um mögliche Gefahren abzuwehren. Des Weiteren sind die Experten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) als Berater und Präventionspartner für Kommunen, soziale Einrichtungen und aktuell insbesondere für die hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen (HEAE) tätig. Bereits im September 2015 wurde beispielsweise eine gezielte Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der HEAE unter Federführung des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus (HKE) gestartet. Dabei wurden in einer Auftaktveranstaltung in Fulda durch das LfV unter Beteiligung der örtlichen Staatsschutzdienststelle und des dortigen polizeilichen Migrationsbeauftragten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschult und im Hinblick auf extremistische Einflussnahmen in Flüchtlingsunterkünften sensibilisiert. In einer weiteren Veranstaltung wurden unter Beteiligung von Mitarbeitern des Violence Prevention Network (VPN) auch die Flüchtlinge über die Gefahren durch salafistische Rekrutierungsversuche informiert. Diese Bemühungen sind nunmehr weiter vorangeschritten. Das LfV bietet den Leiterinnen und Leitern der Flüchtlingsunterkünfte spezifische Angebote zur Information und Beratung, um dort Eingegangen am 19. Januar 2016 · Ausgegeben am 22. Januar 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2493 19. 01. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2493 die Sensibilität für mögliche Gefahren durch extremistische Agitation zu wecken. So fand am 23. November 2015 in Zusammenarbeit zwischen LfV Hessen und HKE die erste Informationsveranstaltung mit den Standortleitern der HEAE und der Notunterkünfte in Gießen statt, in der eine zentrale Ansprechpartnerin des Landesamtes für Verfassungsschutz vorgestellt und verschiedene Hilfsangebote unterbreitet wurden. Weitere Informationsveranstaltungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften (Erst-und Zweitaufnahme sowie Notunterkünfte ) folgten bislang in Kassel und in Eschwege. Das unterbreitete Beratungsangebot wird sehr gut angenommen und genutzt. Wichtig in diesem Kontext ist jedoch die Feststellung, dass Unterstützungshandlungen hier lebender muslimischer Personen und Organisationen nicht pauschal als Missionierungs-, Anwerbungs - oder Radikalisierungsabsichten stigmatisiert werden dürfen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, wird die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration und der Justizministerin wie folgt beantwortet: Frage 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über salafistische Anwerbeversuche, Kontaktaufnahmen oder sonstige Aktivitäten in hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, in den Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Frankfurt und Gießen und in Einrichtungen in hessischen Städten und Kommunen für bereits zugewiesene Asylanten und Flüchtlinge, insbesondere hinsichtlich der in der Vorbemerkung genannten Fälle? Bitte nach Möglichkeit nach Zeit, Ort, Personenzahl und konkreter Aktivität aufschlüsseln. Die den hessischen Sicherheitsbehörden bekannt gewordenen Ereignisse sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt: Zeit Ort Anzahl Personen Konkrete Aktivität 08.08.2015 Frankfurt am Main, Hotel Arosa 3 Am 19.08.2015 wurde durch einen Hinweis des Hotel Arosa bekannt, dass sich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Personen im Empfangsbereich aufgehalten haben, die das für das salafistische Spektrum typische Erscheinungsbild aufwiesen und versucht haben sollen , unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu rekrutieren . Hierzu habe eine Person das Empfangspersonal "abgelenkt" und zwei weitere Personen vor Ort angetroffene Jugendliche verbal "zum Beten in die Moschee eingeladen". 14.08.2015 Sontra, Asylunterkunft mehrere An der Unterkunft haben sich Personen aufgehalten, die aufgrund ihrer Kleidung sowie polizeilichen Ermittlungen der örtlichen salafistischen Szene zuzuordnen sind. 22.08.2015 Frankfurt am Main, Unterliederbach 3 Es haben sich Personen an der Einrichtung aufgehalten , die das für das salafistische Spektrum typische Erscheinungsbild aufwiesen und mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sprachen (gleiches Vorgehen , wie bei dem o.g. Sachverhalt vom 08.08.2015). 30.08.2015 Fulda, Zeltstadt 30 bis 40 Durch Anhänger der Sunnah-Moschee Fulda kam es aufgrund privater Abgaben von Geschenken an die Bewohner der Zeltstadt Fulda mit dem vor Ort eingesetzten Sicherheitsdienst zu massiven verbalen Streitigkeiten . Sowohl der Vorsitzende als auch der stellvertretende Vorsitzende des Vereins stehen im Verdacht , junge Muslime mit salafistischen Gedankengut zu indoktrinieren und letztlich zu einer Ausreise in den bewaffneten Jihad zu bewegen. Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins ist Anmelder sämtlicher "LIES!" Stände in Fulda. Beide Personen sollen ebenfalls vor Ort gewesen sein. 02.09.2015 Fulda, Zeltstadt nicht bekannt Der Polizei wurde ein Flyer übergeben, welcher im Bereich der Unterkunft aufgefunden worden war. Auf dem Flyer befinden sich unter der Überschrift "Oh ihr Menschen" verschiedene Suren. Im unteren Bereich des Flyers ist die Adresse der "Sunnah-Moschee" angegeben und auf der Rückseite sind die telefonischen Erreichbarkeiten zweier Vorstandsmitglieder der "Sunnah-Moschee" handschriftlich notiert. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2493 3 06.09.2015 Gießen, HEAE 6 Der Sicherheitsdienst teilte mit, dass Personen im Zufahrtsbereich , außerhalb der Liegenschaft, kostenlos Korane an vorbeigehende Asylsuchende verteilen würden. Die Personen handelten im Sinne des "Afghanischen Kulturvereins FFM" - dieser ist einem seit Jahren in Hessen bekannten Hassprediger zuzuordnen . 09.09.2015 Sontra, Asylunterkunft 1 Eine der Personen, die bereits am 14.08.2015 die vorgenannte Unterkunft aufgesucht hat und der salafistischen Szene zugeordnet wird, hat mit anwesenden Flüchtlingen Fladenbrot gebacken. 16.09.2015 17.09.2015 Hanau mehrere Bei der Ankunft erster Flüchtlinge am Hauptbahnhof in Hanau warteten auch mehrere männliche Personen des Vereins "Weiße Flügel e.V." als "Empfangskomitee " auf die ankommenden Flüchtlinge. Mehrere der vor Ort befindlichen Personen versuchten , mit dem Bus zur Unterkunft mitzufahren; dies wurde ihnen allerdings untersagt. Nachdem seitens des Ordnungsamtsleiters bemerkt worden war, dass diese Personen doch vor Ort gelangt waren und mit dort befindlichen Dolmetschern kommunizierten, wurde letztgenannten die Akkreditierung entzogen und ein Hausverbot erteilt. 20.09.2015 Kassel, Lüttichkaserne 4 Personen verteilten im öffentlichen Raum kostenlos Korane, Gebetsteppiche, Gebetskappen und Gebetsketten an die Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung . 21.09.2015 Frankfurt am Main, Ginnheimer Landstraße mehrere Augenscheinlich Salafisten, sollen vor einer Flüchtlingsunterkunft Speisen und Getränke verteilt haben. 21.09.2015 Neu-Isenburg nicht bekannt Der Polizei wurde bekannt, dass von der an die HEAE Neu-Isenburg grenzenden "BADR-Moschee" Spenden (Lebensmittel und Kleidung) an die Flüchtlinge verteilt wurden. Ebenso wurde über die Stadt Neu-Isenburg der Plan zur Einrichtung eines Hauses der Begegnung bekannt, um dort hilfsbereiten Bürgern die Möglichkeit zu eröffnen, mit Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen und kleinere Projekte z.B. für Kinder durchzuführen . Das Projekt sollte in den Räumlichkeiten der "BADR-Moschee" verwirklicht und von dieser, der türkischen DITIB-Gemeinde sowie der "Flüchtlingshilfe Neu-Isenburg e.V." getragen werden. Frage 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung hinsichtlich der personellen Zusammensetzung und Struktur sowie der Organisation dieser Gruppierungen? Der Verein "Weiße Flügel e.V." ist den Sicherheitsbehörden bekannt. Er wurde am 16.06.2014 in Hanau gegründet. Der Verein soll in diversen Entwicklungsländern in den Bereichen Gesundheit , Ernährung, Bildung helfen und in Notsituationen humanitäre Hilfe leisten. Aus dem Internetauftritt des Vereins geht hervor, dass wiederholt zu Spendenaktionen mit Syrienbezug aufgerufen wird. Ähnliche Spendenaktionen anderer Akteure werden zuweilen auch für extremistische Zwecke genutzt. In diesem Fall liegen jedoch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verein "Weiße Flügel e.V." eine extremistische Zielrichtung verfolgt. Für die bekannt gewordenen Aktivitäten an der Zeltstadt Fulda ist das Personenumfeld der ortsansässigen "Sunnah-Moschee" als verantwortlich anzusehen. Der Moschee ist der Verein "Muslime Fulda e.V." angegliedert und ist den Sicherheitsbehörden aufgrund seiner salafistischen Beeinflussung bekannt, da er in der Vergangenheit mehrfach salafistische Vortragsveranstaltungen und "LIES!"-Koranverteilaktionen durchgeführt hat. Die BADR-Moschee ist den Sicherheitsbehörden bekannt. Islamistische Missionierungsversuche werden durch die hessischen Sicherheitsbehörden aufmerksam beobachtet. Hinweisen auf islamistische Missionierungsversuche wird konsequent nachgegangen. Bislang hat sich noch kein Verdacht erhärtet, dass es in der BADR-Moschee zu Kontakten zwischen Islamisten und Flüchtlingen kommen könnte. Die Sicherheitsbehörden stehen hierzu in engem Austausch. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2493 Frage 3. Gibt es nach den Informationen der Landesregierung Hinweise auf ein gesteuertes, strukturiertes Vorgehen salafistischer bzw. islamistischer Gruppierungen zur Ansprache von Flüchtlingen? Diesbezüglich liegen bislang keine Erkenntnisse vor. Frage 4. Was unternimmt die Landesregierung, um die Kontaktaufnahme und insbesondere Rekrutierungsversuche von Islamisten zu unterbinden? Frage 5. Ist das Violence-Prevention-Network in die Prävention vor islamistischer Radikalisierung in der hessischen Erstaufnahme eingebunden und wenn ja, in welcher Weise? Die Fragen 4 und 5 werden im Sachzusammenhang gemeinsam beantwortet. Sobald Hinweise auf verfassungsfeindliche Personen oder Tätigkeiten vorliegen, erfolgt eine sofortige Kommunikation mit dem LfV und den zuständigen Ermittlungsbeamten bei den Polizeipräsidien . Die Leitungen der Erstaufnahmeeinrichtungen und die jeweils eingesetzten Sicherheitsdienste sind bezüglich dieses Themas sensibilisiert. Der Eintritt in die Erstaufnahmeeinrichtungen ist für Unbefugte untersagt, sodass Rekrutierungsversuche durch Außenstehende in den Einrichtungen unterbunden werden. Allerdings sind die in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünften untergebrachten Menschen berechtigt, die Unterkunft zu verlassen, sodass eine Kontaktaufnahme außerhalb der Einrichtung durch das Personal der Einrichtungen nicht verhindert werden kann. Des Weiteren wurde unter Federführung des HKE und unter Beteiligung von VPN das "Landesprogramm Extremismusprävention Flüchtlinge" konzipiert und mit der Umsetzung begonnen . Wesentliche Inhalte dieses Programms sind die Beschulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die direkte Ansprache der Flüchtlinge in der jeweiligen Muttersprache im Rahmen von Informationsveranstaltungen sowie die Unterstützung der Kommunen und der kommunalen Verantwortungsträger, in deren Bereich Erstaufnahmeeinrichtungen vorhanden sind, um das Entstehen einer fremdenfeindlichen Stimmung zu verhindern. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Frage 6. Gibt es bereits entsprechende Strafverfahren gegen Personen - bspw. wegen Landfriedensbruch - die sich in entsprechender Absicht widerrechtlich auf Gelände der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung oder deren Außenstellen begeben haben? Derzeit sind keine Sachverhalte im Sinne der Fragestellung bekannt. Frage 7. Wie bewertet die Landesregierung die Aktivitäten der Islamisten in unmittelbarer Nähe zu staatlichen Einrichtungen vor dem Hintergrund, dass ein nicht unerheblicher Teil der Flüchtlinge vor dem Terrorregime des sogenannten Islamischen Staat geflohen sind und nunmehr im vermeintlich sicheren Deutschland mit islamistischen Bestrebungen konfrontiert werden? Der gegenwärtige Zugang von Flüchtlingen nach Deutschland und Hessen stellt unser Gemeinwesen vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Eine der wichtigsten Aufgaben dabei ist es, den nach Hessen kommenden Menschen eine sichere Unterkunft zur Verfügung zu stellen, in welcher sie ohne Angst leben können. Gleichwohl kann es bei der großen Zahl an Flüchtlingen passieren, dass Opfer jihadistischer Gewalt oder vom IS Vertriebene auf Islamisten oder Salafisten treffen. Das kann in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht ausgeschlossen werden. Sobald den hessischen Sicherheitsbehörden allerdings Sachverhalte bekannt werden, die ein Einschreiten rechtfertigen, werden alle erforderlichen Maßnahmen getroffen. Wiesbaden, 12. Januar 2016 Peter Beuth