Kleine Anfrage des Abg. van Ooyen (DIE LINKE) vom 06.10.2015 betreffend Erhaltung der Gräber von Angehörigen der SS und anderen Kriegsverbrechern und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Gräber von Militärangehörigen, die während des Zweiten Weltkrieges ums Leben gekommen sind, genießen ein sogenanntes ewiges Ruherecht. Ihre Gräber bleiben dauernd bestehen und werden ohne zeitliche Befristung instand gesetzt und gepflegt. Für die Erhaltung der Gräber und die Entschädigung der Eigentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken , die mit einem solchen Ruherecht belastet sind, ist das Land zuständig, wofür es vom Bund pauschale Erstattungen erhält. Diese öffentlich finanzierte Gräberpflege umfasst neben den Gräbern von Wehrmachtsangehörigen offensichtlich auch solche von Angehörigen der Schutzstaffel der NSDAP, kurz SS. Entsprechende Hinweise auf seiner Internetpräsenz bestätigte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf telefonische Nachfrage. Die Verbrechen der SS sind hinlänglich bekannt. Im sogenannten Dritten Reich war sie maßgeblich an der Planung und Durchführung von Kriegsverbrechen und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecherinnen und Hauptkriegsverbrecher wurde die SS zutreffend als "verbrecherische Organisation" eingestuft. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Das Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz ) soll nach dessen § 1 Abs. 1 dazu dienen, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in besonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wach zu halten, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben. Unter den Schutz dieses Gesetzes fallen nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Gräbergesetz u.a. die Gräber von Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 31. März 1952 während ihres militärischen oder militärähnlichen Dienstes gefallen oder tödlich verunglückt oder an den Folgen der in diesen Diensten erlittenen Gesundheitsschädigungen gestorben sind; für diese Gräber ordnet § 2 Abs. 1 Gräbergesetz an, dass sie dauernd bestehen bleiben. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, wird die Kleine Anfrage wie folgt beantwortet: Frage 1. Wie viele SS-Angehörige sind in Hessen bestattet, deren Gräber - Einzel- oder Sammelgräber - mit öffentlichen Mitteln erhalten werden (bitte ggf. beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge oder der Deutschen Dienststelle WASt erfragen)? Der Bund trägt die Kosten für die Anlegung, Instandsetzung und Pflege für 56.419 Einzelgräber und Sammelgrabflächen von insgesamt 17.395,90 qm, die sich auf den Friedhöfen der Städte und Gemeinden sowie in besonderen Kriegsgräberanlagen für Opfer des ersten und zweiten Weltkriegs befinden. Wie viele Personen insgesamt dort bestattet sind, kann aufgrund des größtenteils veralteten Datenbestands nicht festgestellt werden. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., der in den 1950er Jahren zahlreiche Kriegsgräberstätten angelegt und später in die Obhut der Kommunen übergeben hat, hat mitgeteilt, dass nach seiner Kenntnis aus diesen Jahren in Hessen 1.052 Kriegsgräberstätten/örtliche Friedhöfe mit Kriegsgräbern existieren, auf denen über 70.100 registrierte Tote ruhen. Die Informationen aus den diesen Daten zugrunde liegenden Gräberlisten seien allerdings häufig nicht aussagekräftig; es würden insbesondere häufig die Angaben zu Dienstgrad und Truppenzugehörigkeit der Toten fehlen. Eine nachträgliche Ermittlung der Gräberanzahl von SS-Angehörigen ist aufgrund der oftmals fehlenden Angaben daher nicht möglich. Eingegangen am 30. November 2015 · Ausgegeben am 3. Dezember 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2499 30. 11. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2499 Frage 2. Wie hoch waren die jährlichen Aufwendungen für Ruherechtsentschädigungen und Erhaltungsmaßnahmen der SS-Gräber von 2010 bis 2014 jeweils? Der Bund erstattet den Ländern die Kosten für die Anlegung, Instandsetzung und Pflege der Kriegsgräber sowie die Kosten der Ruherechtsentschädigung jeweils in Form einer Pauschale, § 10 Abs. 4 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 Gräbergesetz. Die Pauschale für Anlegung, Instandsetzung und Pflege betrug für die Jahre 2010 bis 2014 für die Kriegsgräber auf den Friedhöfen in Hessen jeweils 1.347.784,00 € pro Jahr; die Pauschale für die Ruherechtsentschädigung beläuft sich in diesem Zeitraum auf jeweils 79.409,25 €. Wie viel von diesen Beträgen für Gräber von ehemaligen SS-Angehörigen aufgewendet wird, kann nicht festgestellt werden (s. Antwort zu Frage 1). Frage 3. Werden die Gräber von SS-Angehörigen als solche kenntlich gemacht? Wenn nicht, was ist der Grund? Zur Gestaltung der Kriegsgräberanlagen in den einzelnen Städten und Gemeinden gibt es keine verbindlichen Vorgaben. Die Anlagen sind immer individuell geplant und versuchen, in ihrer Gestaltung stilistische Merkmale der Umgebung aufzugreifen. Nach Auskunft des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. werden aufgrund der vorliegenden Lebensdaten und Informationen aus den Gräberlisten zum Teil der Name, der Dienstgrad (soweit der Tote einer militärischen Organisation angehörte) wie auch die Lebensdaten auf dem Grabstein angegeben. Sofern der Dienstgrad angegeben ist, ist die Zugehörigkeit zur Waffen -SS aus dem Dienstgrad ersichtlich. Auf anderen Kriegsgräberstätten werden nur die Namen und Lebensdaten angegeben. Der Volksbund ist auf den von ihm betreuten Kriegsgräberstätten zusätzlich dazu übergegangen, u.a. Biografien ausgewählter Kriegstoter, auch von Kriegsverbrechern , auf den Kriegsgräberstätten zu dokumentieren. Im Eingangsbereich der deutschen Kriegsgräberstätte Costermano/Italien sei z.B. eingehend dokumentiert, dass auf der Anlage auch Hauptverantwortliche des Holocausts ruhen. Frage 4. Welchen SS-Verbänden gehörten die in Hessen bestatteten SS-Angehörigen an (Sicherheitsdienst, SS-Einsatzgruppen, Waffen-SS, SS-Totenkopfverbände, "allgemeine SS")? Sowohl aufgrund der Gräberlisten als auch nach den Erkenntnissen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Frage 5. Hierzu konkret: Befinden sich unter den in Hessen bestatteten SS-Angehörigen, deren Gräber mit öffentlichen Mitteln erhalten werden, Angehörige von Wachmannschaften der Konzentrationslager ? Es wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Frage 6. Sind unter den in Hessen bestatteten SS-Angehörigen, deren Gräber mit öffentlichen Mitteln erhalten werden, auch Angehörige der oberen Dienstränge (etwa Offiziere oder Generäle)? Es liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Frage 7. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Beteiligung von in Hessen bestatteten SSund Wehrmachtsangehörigen, deren Gräber mit öffentlichen Mitteln erhalten werden, an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Es liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Sind Grabanlagen von Kriegsverbrechern bekannt, werde auf diese Gräber nach Auskunft des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. mit gesonderten Informationen aufmerksam gemacht und die Art des Kriegsverbrechens erläutert . Frage 8. Welche Anstrengungen hat die Landesregierung unternommen, um auszuschließen, dass keine Gräber von Personen mit öffentlichen Mitteln erhalten werden, die unmittelbar an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren? Die Landesregierung kann keine dementsprechenden Anstrengungen unternehmen, da Gräber bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Gräbergesetzes dem Schutz des Gräbergesetzes unterfallen und nach § 2 Abs. 1 Gräbergesetz dauerhaft erhalten werden müssen . Da § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Gräbergesetzes keine weiteren Differenzierungen, insbesondere nach der Truppenzugehörigkeit oder danach erlaubt, ob Straftaten gegen das Völkerrecht oder Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen wurden, Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2499 3 sollen unter Berücksichtigung des mit dem Gräbergesetz verfolgten Zwecks offensichtlich auch die Gräber von Personen, die an Kriegsverbrechen o.ä. beteiligt waren, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Gräbergesetz dazu dienen, bei zukünftigen Generationen die Erinnerung daran wachzuhalten, welche schreckliche Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben. Frage 9. Welche Konsequenzen für die Erhaltung der Gräber von deutschen Militärangehörigen hat es, wenn bekannt wird, dass diese an Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder sonstigen Gräueltaten beteiligt waren? Sofern es sich um Gräber nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Gräbergesetz handelt, genießen sie kraft Gesetzes ein dauerhaftes Ruherecht. Ob bei Erkenntnissen auf Straftaten gegen das Völkerrecht, Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit o.ä. auf das jeweilige Grab in besonderer Form aufmerksam gemacht wird, obliegt dem jeweiligen Friedhofsträger. Frage 10. Wie beurteilt die Landesregierung das dem Gräbergesetz zugrunde liegende Verständnis, wonach es sich selbst bei SS-Angehörigen, die im Krieg ums Leben gekommen sind, um "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" handelt? Die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Gräbergesetz und bereits ihre Vorgängerregelung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Sorge für die Kriegsgräber vom 27. Mai 1952 (BGBl. I S. 320)) erlauben bzw. erlaubten keine Differenzierungen nach der Truppenzugehörigkeit oder die Berücksichtigung von Straftaten gegen das Völkerrecht oder Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit o.ä.. Die damalige Entscheidung des Bundesgesetzgebers , dass unter Berücksichtigung des mit dem Gräbergesetz verfolgten Zwecks offensichtlich auch die Gräber von SS-Angehörigen dazu dienen sollen, bei zukünftigen Generationen die Erinnerung daran wachzuhalten, welche schreckliche Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben, wird mit Blick auf die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet der Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 Grundgesetz von der Landesregierung nicht bewertet. Wiesbaden, 20. November 2015 Peter Beuth