Kleine Anfrage der Abg. Löber, Spies und Rudolph (SPD) vom 06.10.2015 betreffend Maßnahmen bei Amoklagen an Schulen in Hessen und Antwort des Kultusministers Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Welche speziellen Schulungen zum Thema Amoklagen oder Amokläufe werden in Hessen für Polizisten und Polizistinnen sowie Lehrkräfte im Rahmen der Ausbildung bzw. des Studiums oder im Rahmen von Weiterbildungen durchgeführt? Im Rahmen der Ausbildung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung wird das Thema "Amoklage" im Studienabschnitt 4.1 behandelt . Das taktische Vorgehen ersteingesetzter Kräfte bei solchen Lagen ist nicht ohne Mindestkenntnisse hinsichtlich der Täterphänomenologie und des daher zu prognostizierenden Tatverlaufs zu vermitteln. Daher finden sich in der Einsatzlehre bei diesem Thema zwangsläufig starke Verbindungen zur Kriminalistik (Kasuistik) und Kriminologie (Erklärungsansätze) sowie zur Psychologie (täterpsychologische Erkenntnisse), zur Berufsethik und zum Dienstrecht. Diese werden fachübergreifend diskutiert und intensiv besprochen. Nach der Ausbildung werden die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durch das Einsatztraining dezentral in den Behörden betreut. Hierbei wird unter anderem das Interventionstraining zur Bewältigung von "Amoklagen" in einem dreitägigen Modul vermittelt. Zur Verfestigung und Vertiefung finden sich die geschulten Inhalte in der Folge in Wiederholungstrainings wieder . Im Rahmen der ersten Phase des Lehramtsstudiums existieren keine Module zum Thema Amokläufe an den Universitäten. In den Studienseminaren werden Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst im Rahmen ihrer fachlichen und pädagogischen Ausbildung angeleitet, ein angstfreies, auf gegenseitigem Respekt beruhendes Unterrichtsklima herzustellen und durch individualisierende und kooperative Lernformen für die individuelle Förderung und soziale Integration der Schülerinnen und Schüler Sorge zu tragen. Darüber hinaus werden sie mit Methoden professioneller Gesprächsführung vertraut gemacht und darin geschult, Schülerinnen und Schüler und deren Eltern förderlich zu beraten. Des Weiteren werden in den Ausbildungsveranstaltungen zur Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Rolle als Lehrkraft auch Verhaltensweisen im Fall von Amoklagen thematisiert. In den Ausbildungsschulen werden Maßnahmen und Verhaltensweisen bei Amoklagen sowie schulische Präventionsmaßnahmen thematisiert, um schulspezifische Konzepte und Verfahren konkret abzusprechen und einheitlich umzusetzen. Von Anfang 2015 bis Mitte 2016 werden 20 akkreditierte Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte zum Thema Amoklagen oder Amokläufe vorwiegend durch die Staatlichen Schulämter angeboten. Darüber hinaus werden für die schulischen Krisenteams seit vielen Jahren regelmäßig durch die Mitglieder des Schulpsychologischen Kriseninterventionsteams (SKIT) der Staatlichen Schulämter Fortbildungen zu dem Themenfeld "Aufgaben und Arbeit schulischer Krisenteams in der Prävention und Intervention" angeboten. Außerdem wurde im Sommer 2015 als Pilotprojekt im Staatlichen Schulamt am Standort Hanau das Konzept "KomPass" für Lehrkräfte umgesetzt. Dies ist ein webbasiertes Lernportal zur Prävention von schulischen Krisen, das in einem Blended Learning-Konzept umgesetzt wird. Eingegangen am 14. Dezember 2015 · Ausgegeben am 15. Dezember 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2506 14. 12. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2506 Frage 2. Inwiefern wurden Lehrkräfte direkt nach den Amokläufen an Schulen in Erfurt (2002) und Winnenden (2009) speziell geschult oder fortgebildet? Beginnend unmittelbar nach dem Amoklauf in Winnenden wurden in den Jahren 2009 und 2010 von unterschiedlichen Anbietern (z.B. Staatliche Schulämter, Kirchen, Universitäten) 30 akkreditierte Fortbildungen zum Thema "Amok" durchgeführt. An diesen Veranstaltungen nahmen 907 hessische Lehrkräfte und Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger teil. Frage 3. Welche Präventionsmaßnahmen sind in Hessen nach den beiden Amokläufen beschlossen und umgesetzt worden? Zur Prävention von zielgerichteten Gewalttaten und Intervention im Krisenfall wurde das schulpsychologische Kriseninterventionsteam SKIT eingerichtet sowie der Leitfaden "Handeln in Krisensituationen " allen hessischen Schulen zur Verfügung gestellt. Damit sind die Schulen u.a. aufgefordert, schulische Krisenteams zu bilden und sich aktiv mit der Prävention und Intervention in Krisenfällen auseinanderzusetzen. Von allgemeinen Präventionsbemühungen über Krisenmanagement , Umgang mit Bedrohungen und der psychosozialen Nachsorge wird die gesamte Thematik umfassend dargestellt. Der Leitfaden enthält im Anhang auch Empfehlungen zu baulich -technischen Maßnahmen zur Sicherung des Schulgebäudes sowie weitere Informationen zum konkreten Handeln in Krisensituationen (z.B. Verweise auf die Kriminalpolizeilichen Beratungsstellen ). Frage 4. Welche Präventionsprojekte und Maßnahmen haben sich nach Erkenntnissen der Landesregierung bewährt? Die Frage nach der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen im Bereich schwerer zielgerichteter Gewalt ist schwierig zu beantworten, da man abschließend nicht sagen kann, ob eine Amoktat durch die präventiven Maßnahmen verhindert worden wäre oder ob es auch ohne diese Maßnahmen keine Tat gegeben hätte. Für die Krisenintervention zeigt sich in Krisen kleineren Ausmaßes (z.B. Todesfälle in der Schule), dass die schulischen Krisenteams erheblich dazu beitragen , in einer schwierigen Situation für ein angemessenes und besonnenes Vorgehen zu sorgen. Die schnelle Einsatzbereitschaft und professionelle Unterstützung der Schulen durch das schulpsychologische Kriseninterventionsteam SKIT trägt hierzu ebenfalls bei. Von besonderer Bedeutung im Krisenfall ist eine enge Kooperation von Schulleitung, schulischem Krisenteam, Staatlichem Schulamt und der Polizei bzw. den Rettungsdiensten. Frage 5. Gibt es spezielles Informationsmaterial für Schulen und für die Polizei, das zur Prävention sowie zur Bewältigung von Einsätzen im Zusammenhang mit Amoklagen erstellt wurde? Das polizeiliche Vorgehen im Fall einer Amoktat bzw. der Gefahr einer Amoktat ist in der Polizeidienstvorschrift 100 "Führung und Einsatz der Polizei" geregelt. Darüber hinaus gibt es in Hessen eine "Handlungskonzeption für die Gefahr von Amoktaten, Amoktaten und sonstige Lagen, die eine sofortige Intervention erfordern", die per Erlass verbindliche Regelungen trifft. Beide Vorschriften stehen jeder Polizeivollzugsbeamtin und jedem Polizeivollzugsbeamten zur Verfügung und werden im Rahmen der Aus- und Fortbildung vermittelt. Für die hessischen Schulen ist der unter der Antwort zu Frage 3 genannte und vom Hessischen Kultusministerium in Kooperation mit dem Hessischen Ministerium des Inneren und für Sport herausgegebene umfangreiche und regelmäßig überarbeitete Leitfaden "Handeln in Krisensituationen " maßgeblich für den Umgang mit schweren zielgerichteten Gewalttaten und Amoklagen. Zusätzliche Informationen für Lehrkräfte zum Thema "Trauma - Was tun in der Schule?" gibt es in Form einer Broschüre, die das schulpsychologische Kriseninterventionsteam entwickelt hat. Frage 6. Ist im Falle einer Amoklage die psychologische Nachsorge von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern gewährleistet und wenn ja, wie? Bereits seit 2006 gibt es in Hessen das schulpsychologische Kriseninterventionsteam SKIT mit inzwischen ca. 80 speziell in der Notfallpsychologie geschulten Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, von denen neun durch den Einsatz in Winnenden über konkrete Einsatzerfahrungen nach Amoklagen verfügen. Damit kann auch bei einer hohen Anzahl von betroffenen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften und anderen Personen nach einer Krisensituation, wie das in einer Amoklage zu erwarten wäre, eine professionelle psychologische Nachsorge gewährleistet werden. Darüber hinaus besteht eine vertrauensvolle Kooperation mit der Unfallkasse Hessen (UKH), die als Unfallversicherungsträger auch eine angemessene psychologische Versorgung nach einer Amoklage sicherstellen will. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2506 3 Frage 7. Existieren in allen Schulen Notfallpläne? Gemäß dem Leitfaden "Handeln in Krisensituationen" sind aktuell gehaltene Notfallpläne in allen öffentlichen Schulen des Landes Hessen erforderlich. Frage 8. Sieht die Landesregierung die Notwendigkeit, die Sicherheit in Schulen zu verbessern oder spezielle Sicherheitskonzepte zu erarbeiten? Für die baulich-technische Sicherheit der Schulen ist der jeweilige Schulträger zuständig. Durch die in Kürze erscheinende DIN Notfall- und Gefahrenreaktionssysteme (DIN VDE V 0827) wird es hierzu neue Standards geben. Um die schulische Prävention und Krisenintervention noch besser zu unterstützen und weiter zu entwickeln, wird der Leitfaden "Handeln in Krisensituationen " gerade überarbeitet und als Teil eines schulischen Krisenordners voraussichtlich Anfang 2016 an alle hessischen Schulen verschickt. Frage 9. Wurde die im Juli 2009 vom Landtag beschlossene Evaluierung, die der Frage nachgehen sollte, ob die Staatlichen Schulämter mit Schulpsychologen einschließlich speziell ausgebildeter Schulpsychologen für Krisensituationen hinreichend ausgestattet sind, um mittelbar und unmittelbar schulpsychologische Beratung in allen Gegenden Hessens gewährleisten zu können, durchgeführt und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wie hat Hessen beim Vergleich mit den anderen Bundesländern abgeschnitten? Auf der Grundlage des Landtagsbeschlusses vom 6. Juli 2009 (Drucksache 18/932) wurde Herr Prof. Dr. Siegfried Preiser, Psychologische Hochschule Berlin und ehemals Goethe-Universität Frankfurt, vom Hessischen Kultusministerium beauftragt, eine Evaluation des SKIT (zum Befragungszeitraum ca. 45 Personen) durchzuführen, die Ende 2012 abgeschlossen wurde. Herr Prof. Preiser führt über das organisatorische Konzept in Hessen aus, dass die auf schriftlichen Unterlagen basierenden sowie in verschiedenen Gesprächen erläuterten Konzepte und Rahmenbedingungen "von hoher Professionalität und Aktualität" zeugen und "den aktuellen Stand der Wissenschaft und der evaluierten Praxis ("best practice") auf internationaler Ebene berücksichtigen". Zum inhaltlichen Konzept stellt Prof. Preiser fest, dass die "Broschüre "Handeln in Krisensituationen" voll dem derzeitigen Kenntnisstand entspricht". Schließlich wird resümiert, dass "die Ausstattung der Staatlichen Schulämter mit Schulpsychologen einschließlich speziell ausgebildeter Schulpsychologen für Kriseninterventionen im bundesdeutschen Durchschnitt liegt und ausreichend erscheint, um mittelbar und unmittelbar schulpsychologische Beratung in allen Gegenden unseres Bundeslandes gewährleisten zu können - zumal eine laufende Ausweitung des speziell für Kriseninterventionen ausgebildeten Personenkreises vorgesehen ist." Wiesbaden, 4. Dezember 2015 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz