Kleine Anfrage des Abg. Rock (FDP) vom 13.10.2015 betreffend Mitarbeit von Beamten bei Lobbyverbänden und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Auf die Kleine Anfrage (Drucks. 19/2179) bezüglich der Nebentätigkeit einer beamteten Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums Gießen für Lobbyverbände der Windkraftindustrie erklärte die Landesregierung, dass sie gegen diese Tätigkeiten keine Einwendungen habe. § 79 Hessisches Beamtengesetz legt fest, dass eine Nebentätigkeit zu untersagen ist, wenn dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können. Im Gesetz steht wörtlich: "Ein solcher Versagungsgrund liegt insbesondere vor, wenn die Nebentätigkeit (…) 2. Den Beamten in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten bringen kann, 3. in einer Angelegenheit ausgeübt wird, in der die Behörde, der der Beamte angehört, tätig wird oder tätig werden kann, 4. die Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des Beamten beeinflussen kann". Die Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums Gießen hat an einer mehrtägigen Veranstaltung des "Bundesverbandes WindEnergie e.V." (BWE) teilgenommen und dort gegen Honorar über "Genehmigungsverfahren von Windprojekten" referiert und "Praxistipps" gegeben. Für die Teilnahme an dem zweitägigen Seminar verlangte der Lobbyverband pro Person bis zu 1.190 €. Zur Zielgruppe gehören u.a. "Banker, Finanzdienstleister, Betreiber". Der Verband hat dieses Seminar, an dem die Beamtin im Regierungspräsidium Gießen als Expertin und Referentin teilgenommen hat, u.a. mit den Worten beworben: "Auch die Nebenbestimmungen der Baugenehmigung können die Wirtschaftlichkeit des Windparks oft erheblich einschränken. Profitieren Sie von den Erfahrungen der Referenten und hören Sie, welche Handlungsspielräume Sie haben bzw. wie Sie am besten gegen Nebenbestimmungen vorgehen können". In den "Empfehlungen zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung" des Bundesministerium des Inneren (Stand: 9. Februar 2012) werden als besonders korruptionsgefährdete Arbeitsgebiete Aufgaben benannt , die im Zusammenhang mit der Erteilung von Genehmigungen, Auflagen, Konzessionen stehen. U.a. wird empfohlen, regelmäßig eine Risikoanalyse vorzunehmen, die Verwendungsdauer der Beamten in den korruptionsgefährdeten Bereichen zeitlich zu begrenzen sowie die Ansprechperson für die Korruptionsprävention intensiv zu beteiligen. Außerdem soll die Dienst- und Fachaufsicht besonders intensiv ausgeübt werden. Diese Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration, dem Finanzminister, der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Minister für Wissenschaft und Kunst wie folgt: Frage 1. Warum wurde der Beamtin, trotz der gesetzlichen Bestimmungen, wonach Beamten eine Nebentätigkeit dann zu untersagen ist, wenn Angelegenheiten betroffen sind, mit denen die Behörde betraut ist, die Nebentätigkeit nicht untersagt? Bei einer Vortragstätigkeit handelt es sich grundsätzlich um eine nicht genehmigungspflichtige Nebentätigkeit, sodass der § 74 des Hessischen Beamtengesetzes (HBG) und nicht der § 73 HBG einschlägig ist. Wie bereits in der Antwort zu der Kleinen Anfrage 19/2179 ausgeführt, handelt es sich im konkreten Fall um eine Vortragstätigkeit einer Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums (RP) Gießen im Rahmen einer dort ordnungsgemäß angezeigten Nebentätigkeit. Weiter wird in der Beantwortung der Kleinen Anfrage 19/2179 wie folgt ausgeführt: Rechtsgrundlage für eine als Nebentätigkeit ausgeübte Vortragstätigkeit ist § 74 Abs. 1 Nr. 1 4. Alt. i.V.m. Abs. 2 HBG. Der Beamte/die Beamtin hat, wenn für die Nebentätigkeit ein Entgelt oder ein geldwerter Vorteil geleistet wird, in jedem Einzelfall vor ihrer Aufnahme der Dienstbehörde unter Angabe insbesondere von Art und Umfang der Nebentätigkeit sowie der voraussichtlichen Höhe der Entgelte und geldwerten Vorteile hieraus, diese schriftlich anzuzeigen. Eingegangen am 9. Februar 2016 · Ausgegeben am 12. Februar 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2510 09. 02. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2510 Dieser Anzeigepflicht ist die Mitarbeiterin nachgekommen. Sie hat am 9. Januar 2015 schriftlich ihre Vortragstätigkeit für den Bundesverband WindEngergie e.V. (BWE) - konkret für das Seminar "Genehmigungsverfahren von Windprojekten" vom 17. Februar 2015 bis 19. Februar 2015 in Berlin - angezeigt. Mit Schreiben vom 30. Januar 2015 hat das RP Gießen der Mitarbeiterin mitgeteilt, dass sie damit ihrer Anzeigepflicht für die nicht genehmigungspflichtige Vortragstätigkeit nachgekommen ist und keine Bedenken gegen die Ausübung der Nebentätigkeit bestehen. Dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) war die Teilnahme am Seminar nicht bekannt. Es besteht insoweit auch keine Berichtspflicht, vielmehr entscheidet das Regierungspräsidium Gießen in eigener Zuständigkeit. Gemäß § 74 Abs. 4 HBG ist eine nicht genehmigungspflichtige Nebentätigkeit ganz oder teilweise zu untersagen, wenn die Beamtin oder der Beamte bei ihrer Ausübung dienstliche Pflichten verletzt. Das Regierungspräsidium Gießen ist im Januar 2015 nach dienstrechtlicher Überprüfung u.a. des Inhalts der Nebentätigkeit, des zeitlichen Umfangs und der absehbaren Vergütung zu dem Ergebnis gekommen , dass eine Verletzung dienstlicher Pflichten durch die Vortragstätigkeit der Mitarbeiterin für den BWE nicht zu erwarten ist. Diesen Ausführungen ist nichts weiter hinzuzufügen. Frage 2. An wie vielen Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen hat die Mitarbeiterin in welcher Weise bis heute mitgewirkt? Die Beamtin hat bis heute 31 Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen (inkl. Änderungsgenehmigungsverfahren ) mit einer Genehmigung abgeschlossen. 8 weitere Verfahren wurden durch die Rücknahme des Antrages abgeschlossen. Den Weg der Antragsrücknahme wählen Antragsteller häufig, wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass der Antrag nicht genehmigungsfähig ist und folglich eine Antragsablehnung droht. 8 Genehmigungsverfahren werden momentan von der Beamtin bearbeitet. Frage 3. Seit wann ist die Mitarbeiterin im Bereich der Genehmigung von Windkraftanlagen tätig? Die Beamtin ist seit dem Jahr 2002 in diesem Bereich tätig. Frage 4. Warum sieht die Landesregierung die Unparteilichkeit und Unbefangenheit von Landesbeamten nicht verletzt, wenn diese Beamten in Nebentätigkeit (gegen Honorar) Beratungsdienstleistungen erbringen? Im Ausgangsfall handelt es sich nicht um eine Beratungstätigkeit, sondern um eine Vortragstätigkeit . Frage 5. Haben die Landesbehörden eine Risikoanalyse im Sinne der Empfehlungen zur Korruptionsprävention vorgenommen? Frage 6. Falls ja (siehe 5): Wie sieht die Risikoanalyse aus? Die Fragen 5 und 6 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam wie folgt beantwortet : Die Empfehlungen des Bundes zur Korruptionsbekämpfung sind in Hessen nicht unmittelbar anzuwenden . Für die Hessische Landesverwaltung gelten vielmehr einheitlich die "Verwaltungsvorschriften zur Korruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung" vom 18. Juni 2012 (StAnz. S. 676). Nach diesen Verwaltungsvorschriften ist keine Risikoanalyse vorgeschrieben. Gleichwohl haben die Landesbehörden teilweise Risikoanalysen durchgeführt: Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport hat für seinen Geschäftsbereich im Erlass zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung vom 3. Februar 2014 (StAnz. 453, 482) geregelt, dass zur Festlegung besonders korruptionsgefährdeter Arbeitsgebiete jede Dienststelle in regelmäßigen Abständen (mindestens alle fünf Jahre) oder aus besonderem Anlass eine Untersuchung durchzuführen und die Ergebnisse in einem Kataster besonders gefährdeter Arbeitsgebiete zusammenzufassen und zu dokumentieren sind. Die Risikoanalyse erfolgt danach in einem 2-stufigen Verfahren: 1.Schritt: Risikoabfrage zur Ermittlung korruptionsgefährdeter Bereiche durch Prüfung möglicher korruptionsgefährdeter Aufgaben (z.B. werden Aufträge vergeben oder Verträge geschlossen). Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2510 3 2. Schritt: Risikoanalyse der positiv bewerteten korruptionsgefährdeten Arbeitsbereiche zur Ermittlung des tatsächlichen Gefährdungsgrades. Im Bereich des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration wird bei Entscheidungen über Ausnahmen vom Annahmeverbot von Belohnungen und Geschenken nach den Verwaltungsvorschriften zur Korruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung restriktiv verfahren. Darüber hinaus wird bei der Genehmigung von Nebentätigkeiten darauf geachtet, dass schon der bloße Anschein einer Einflussnahme des Auftraggebers auf die dienstliche Tätigkeit von Beschäftigten , die für diesen eine Nebentätigkeit ausüben wollen, nicht vorliegt. Im Bereich des Hessischen Ministeriums der Finanzen wurde die Risikoanalyse nach den Gegebenheiten (Ist-Zustand) erstellt. Die Anzahl der Beschäftigten in den einzelnen Arbeitsbereichen sowie die statistischen Fallzahlen im Revisionsbereich bilden die Grundlage der Analyse. Im Ergebnis wurde hierdurch ein Ranking der Arbeitsbereiche nach den vorhandenen Risiken ermittelt . Zudem sind in einem Risikoatlas alle Arbeitsbereiche der Dienststellen aufgelistet. Ihnen wurden Risikoparameter nach organisatorischen, personellen und finanziellen Aspekten zugeordnet . Die Revisionsprüfer haben aufgrund ihrer Erfahrungen zusätzlich eine Gefahreneinschätzung (Soll-Betrachtung) für jeden Arbeitsbereich vorgenommen. Das Ergebnis wurde in einem Ranking nach Gefährdungspotenzial der Arbeitsbereiche zusammengefasst. Darüber hinaus wird derzeit unter Federführung des HMdIS eine Regelung zur Korruptionsbekämpfung für die gesamte Landesverwaltung erarbeitet, welche insbesondere die Identifizierung von besonders korruptionsgefährdeten Bereichen und die Entwicklung geeigneter Schutzmechanismen beabsichtigt. Frage 7. Gibt es beim Regierungspräsidium Gießen und den anderen beiden hessischen Regierungspräsidien Ansprechpartner für Korruptionsprävention? Ja, in allen drei Regierungspräsidien gibt es Ansprechpartner für Korruptionsprävention. Frage 8. Falls ja (siehe 7). Wie wird diese Ansprechperson konkret im Zusammenhang mit der Erteilung von Genehmigungen für Windkraftanlagen eingebunden? Die Korruptionsbeauftragten werden in den Genehmigungsprozessen von Windenergieanlagen im Regierungspräsidium Darmstadt, Gießen und Kassel in Form von Stichprobenprüfungen der Internen Revision beteiligt. Frage 9. Wird die Dienst- und Fachaufsicht in besonders korruptionsgefährdeten Bereichen, worunter laut Vorgabe des Bundesministeriums die Erteilung und Kontrolle von Genehmigungen und Auflagen für Windkraftanlagen zu zählen ist, besonders intensiv ausgeübt? Frage 10. Falls ja (siehe 9): Inwieweit unterscheidet sich diese intensivierte Dienst- und Fachaufsicht gegenüber der sonst üblichen Dienst- und Fachaufsicht im Einzelnen? Die Fragen 9 und 10 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam wie folgt beantwortet : Im Rahmen der Genehmigung von Windkraftanlagen obliegt die Dienstaufsicht dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport, während die Fachaufsicht durch das Hessische Umweltministerium ausgeübt wird. Die Dienstaufsicht zielt insbesondere auf persönliche Pflichterfüllung der Beschäftigten, die hiermit in Verbindung stehende innere Ordnung und den Dienstbetrieb der nachgeordneten Organisationseinheit . Wird ein Arbeitsgebiet bei den Regierungspräsidien als besonderes korruptionsgefährdet identifiziert, wird der im "Erlass zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung im Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern und für Sport" (vom 3. Februar 2014; StAnz. S. 453, 483) enthaltene Maßnahmenkatalog in Abhängigkeit vom ermittelten Bedarf derart angewandt, dass die einzelnen Maßnahmen kumuliert greifen. Im Erlass ist insbesondere ein Leitfaden für Behördenleitungen und Vorgesetzte enthalten. Soweit sich die geschilderten Maßnahmen wegen der tatsächlichen Umstände nicht umfassend kombinieren lassen, sind Kontrollen in nicht zu großen zeitlichen Abständen zu organisieren. In besonders korruptionsgefährdeten Arbeitsgebieten ist auch eine erhöhte Fürsorge gefragt. Auch insoweit werden im Leitfaden Handlungsanleitungen gegeben. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2510 Das Umweltministerium überprüft im Rahmen der Fachaufsicht sowohl die Rechtmäßigkeit als auch die Zweckmäßigkeit in der Anwendung des jeweiligen Fachrechts. Dabei kommt der Thematik Windkraftanlagen in den Fachgebieten Immissions- und Naturschutz eine besondere Bedeutung zu, d.h. sie wird im Rahmen der bestehenden Fachaufsichtsaufgaben mit erhöhter Priorität und erhöhtem Mitteleinsatz wahrgenommen. Im Rahmen der Fachaufsicht sind Standards in Form von Vereinbarungen und Regelungen zum Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen implementiert (z.B. Verfahrenshandbücher, Leitfäden, Handlungshilfen), um insbesondere eine rechtsfehlerfreie und einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten. Wiesbaden, 1. Februar 2016 Peter Beuth