Kleine Anfrage der Abg. Warnecke, Gremmels, Löber, Lotz, Müller (Schwalmstadt), Schmitt, Siebel (SPD) vom 15.10.2015 betreffend Entsorgung von Styropor/Polystyrol und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragesteller: Neben der aktuellen Diskussion um die Entflammbarkeit des in der Wärmedämmung verbauten Fassadenmaterials "Styropor" (Polystyrol) stellt sich künftig die Entsorgungs- oder Recyclingfrage für dieses Material. Diese Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wie folgt: Frage 1. Um welches geschätzte Volumen handelt es sich in Hessen bei dem verbauten wärmedämmenden Polystyrol? Es liegen keine länderspezifischen Erhebungen vor, um welches Volumen es sich bei dem als Dämmstoff verbauten Polystyrol handelt. Gemäß einer Kurzzusammenfassung eines Berichts des Fraunhofer IBP und des Forschungsinstituts für Wärmedämmung e.V. München "Rückbau, Recycling und Verwertung von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS)" kann davon ausgegangen werden, dass bundesweit zwischen 1960 bis 2012 insgesamt 900.000.000 m² Wärmedämmverbundsysteme verbaut wurden, davon entfallen etwa 720.000.000 m² auf Systeme mit einer Dämmung aus expandiertem Polystyrol (EPS). Abhängig von der Dicke des Dämmstoffs ergibt sich daraus eine Gesamtmasse zwischen 646 und 1570 Kilotonnen. Eine verlässliche Zahlenbasis für das zu erwartende Rückbauvolumen in den kommenden Jahren gibt es bislang nicht, die Autoren der Studie gehen jedoch davon aus, dass die zu erwartende Rückbaumenge deutschlandweit bis zum Jahr 2050 eine Größenordnung von bis zu 50 Kilotonnen pro Jahr erreichen könnte. Ein Forschungsbericht der BiPRO GmbH im Auftrag des Umweltbundesamts "Ermittlung von potenziell POP-haltigen (persistent organic pollutants - Persistente organische Schadstoffe) Abfällen und Recyclingstoffen - Ableitung von Grenzwerten" aus dem Jahr 2015 geht ebenfalls davon aus, dass infolge der sehr langen Produktlebenszeiten der Wärmedämmverbundsysteme die größten Jahresmengen im Jahre 2050 zu erwarten sein werden. Allerdings geht diese Prognose von einer Jahresmenge von etwa 34 Kilotonnen in 2015 aus, die langsam bis zum Jahr 2050 auf 168 Kilotonnen ansteigt und danach wieder rückläufig ist. Frage 2. Welche Recyclingtechnologien sind erprobt? Technologien zum Recycling, also zur stofflichen Verwertung von Polystyrol aus WDVS, sind aktuell nicht verfügbar. Allerdings laufen derzeit Forschungsarbeiten am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV, die das Ziel haben, das ebenfalls vom Fraunhofer- Institut entwickelte CreaSolv-Verfahren zur Umsetzung in Kleinanlagen zu optimieren. Dies würde eine Abtrennung der im Polystyrol der WDVS enthaltenen bromierten Flammschutzmittel , insbesondere des Hexabromcyclododecan (HBCD), mit einbeziehen. Informationen , ob und bis wann eine derartige Erstanlage realisiert werden könnte, liegen dem Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz aktuell nicht vor. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einer solchen Anlage bedarf es eines damit verknüpften opti- Eingegangen am 1. Dezember 2015 · Ausgegeben am 3. Dezember 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2523 01. 12. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2523 mierten Logistikkonzeptes, da der Transport der Polystyrol-Abfälle aufgrund deren geringen Dichte mit hohen Transportkosten verbunden wäre. Frage 3. Ist bei Entsorgungstechnologien in Verbrennungsanlagen mit besonderen Schadstoffen zu rechnen ? Frage 4. Um welche Schadstoffe handelt es sich dabei im Wesentlichen? Wegen des Sachzusammenhangs werden die Fragen 3 und 4 gemeinsam beantwortet. Das Polystyrol enthielt seit den 1960er Jahren bis August 2015 Hexabromcyclododecan (HBCD) als - aufgrund von Bauvorschriften erforderliches - Flammschutzmittel. HBCD ist 2011 als sogenannter PBT-Stoff (persistent, bioverfügbar, toxisch) in Anhang XIV der europäischen Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (REACH)-Verordnung 1907/2006 aufgenommen worden. Daraus resultiert ein Verwendungsverbot für HBCD ab dem 21. August 2015. Laut den Herstellern von Dämmstoffen in Deutschland erfolgte beginnend im Januar 2013 bis August 2015 eine Umstellung von HBCD auf andere , nicht problematische Flammschutzmittel. HBCD wurde außerdem im Mai 2013 durch die 6. Vertragsstaatenkonferenz des Stockholmer Übereinkommens in die Liste der POP (persistent organic pollutants - Persistente organische Schadstoffe) aufgenommen. Dies sieht nach einer Übergangsfrist bis November 2014 ein weltweites Verwendungsverbot vor. In der EU bedarf es zur rechtlich bindenden Umsetzung des Verwendungsverbots einer Änderung der EG-POP-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 850/2004), deren Veröffentlichung in Kürze erwartet wird. Der EG-POP-Verordnung unterliegende Schadstoffe ab den dort im Anhang IV genannten Konzentrationsgrenzen sind aus dem Stoffkreislauf auszuschließen. Abfälle, die POP ab diesen Konzentrationen enthalten, dürfen nur so beseitigt oder verwertet werden, dass die POP, hier das HBCD, zerstört oder unumkehrbar umgewandelt werden. Im Jahre 2013 wurde in Deutschland ein Großversuch zur Verbrennung von HBCD-haltigen Dämmplatten in einer dem Stand der Technik entsprechenden kommunalen Abfallverbrennungsanlage , der Müllverbrennungsanlage Würzburg, durchgeführt. Danach können HBCD-haltige Dämmplatten in solchen Hausmüllverbrennungsanlagen bis zu einem Anteil von 2 % des Gesamtabfalls in geeigneter Weise zusammen mit anderen Abfällen behandelt werden. HBCD wird dabei fast vollständig zerstört; die Zerstörungsrate wird mit mindestens 99,99 % angegeben. Die Verbrennung trägt auch nicht zur Entstehung anderer POP oder sonstiger unerwünschter Stoffe bei. Frage 5. Sind bei den Verbrennungsanlagen besondere Filtertechnologien erforderlich, um Grenzwerte einzuhalten? Die heute betriebenen Abfallverbrennungsanlagen verfügen über eine sehr aufwändige Rauchgasreinigungstechnik , um die strengen Grenzwerte der Verordnung über die Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen - 17. BImSchV - einhalten zu können. Zusätzliche Filtertechnologien sind nicht erforderlich. Frage 6. Entstehen beispielsweise aus Flammschutzmitteln in Polystyrol besondere weitere Probleme bei der Verbrennung? Nein. Wie in der Antwort zu Fragen 3 und 4 bereits ausgeführt, trägt die Verbrennung in Abfallverbrennungsanlagen nach dem Stand der Technik nicht zur Entstehung anderer POP oder sonstiger relevanter Schadstoffe bei. Frage 7. Welche Verbrennungsanlagen in Hessen sind derzeit für die Verbrennung von Polystyrol zugelassen ? Die vier in Hessen betriebenen Müllheizkraftwerke sind für die Verbrennung HBCD-haltiger Dämmstoffe zugelassen. Solche Abfälle werden in diesen Anlagen auch entsorgt. Allerdings werden HBCD-haltige Dämmstoffe nach Inkrafttreten der in Kürze zu erwartenden Änderung der EG-POP-Verordnung in den Abfallschlüssel 17 06 03* als gefährlicher Abfall einzustufen sein. Dies macht formal eine Anpassung der Anlagengenehmigungen erforderlich; materiell ändert sich nichts. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2523 3 Frage 8. Ist bei der Verbrennung eine Vermischung des Polystyrols mit weiteren zur Verbrennung vorgesehenen Stoffen erforderlich? Ja, insbesondere wegen des hohen Heizwertes des Polystyrols ist für eine fachgerechte Verbrennung die Mischung mit anderen Abfällen im Bunker der Müllheizkraftwerke wesentlich. Frage 9. Ist als Entsorgung für Polystyrol auch die Deponierung vorgesehen? Nein. Eine Ablagerung auf einer oberirdischen Deponie ist nach den Vorgaben der EG-POP- Verordnung nicht zulässig. Unabhängig von der EG-POP-Verordnung würden auch die Beschränkungen des Glühverlusts für abzulagernde Abfälle aufgrund der Deponieverordnung einer oberirdischen Ablagerung entgegenstehen. Frage 10. Wenn ja, welche Deponien in Hessen nehmen Polystyrol an? Wie in Antwort zu Frage 9 ausgeführt, ist eine Deponierung nicht zulässig. Wiesbaden, 17. November 2015 Priska Hinz