Kleine Anfrage der Abg. Barth, Frankenberger, Eckert, Faeser, Gremmels, Grüger und Weiß (SPD) vom 20.10.2015 betreffend Einhaltung des Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetzes (HVTG) und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Hessischen Minister der Finanzen wie folgt: Frage 1. Welche Überprüfungsorganisationen (bitte um namentliche Benennung) existieren derzeit beim Land Hessen im Bereich der VOB/A, um Vergaben von öffentlichen Aufträgen sowie die Einhaltung des Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetzes zu kontrollieren, und wo sind diese angesiedelt? Es sind gemäß dem Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz, das am 01.03.2015 in Kraft getreten ist, fünf VOB-Stellen (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) in Hessen eingerichtet worden bei - der Oberfinanzdirektion Frankfurt (OFD), - Hessen Mobil, - den Regierungspräsidien (RPen) Darmstadt, Gießen und Kassel. Dabei handelt es sich um Nachprüfungsstellen nach § 21 VOB/A, Abschnitt 1, an die sich Bewerber oder Bieter zur Nachprüfung behaupteter Vergabeverstöße wenden können. Zudem gibt es zwei Vergabekammern des Landes Hessen, die bei dem Regierungspräsidium (RP) Darmstadt angesiedelt sind. Frage 2. Welche Überprüfungsorganisationen (bitte um namentliche Benennung) existieren derzeit beim Land Hessen im Bereich der VOL/A, um Vergaben von öffentlichen Aufträgen sowie die Einhaltung des Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetzes zu kontrollieren, und wo sind diese angesiedelt? Es gibt keine VOL-Stellen (Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen); eine § 21 VOB/A entsprechende Rechtsgrundlage existiert nicht in der VOL/A. Die Überprüfung von öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen unterhalb des EU-Schwellenwerts (zur Zeit 207.000 €) können die Aufsichtsbehörden des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers vornehmen. Für die Überprüfung öffentlicher Aufträge oberhalb des EU-Schwellenwerts sind die Vergabekammern zuständig. Frage 3. Wie sind die Überprüfungsorganisationen jeweils personell ausgestattet (bitte genaue Angabe zu den Mitarbeiterstellen)? VOB-Stellen: Die Aufgaben der VOB-Stellen nach § 21 VOB/A werden bei den dafür zuständigen Stellen regelmäßig nicht ausschließlich von einer Organisationseinheit oder Person wahrgenommen. Vielmehr sind die Organisationseinheiten bzw. Personen noch für weitere Aufgaben verantwortlich , sodass eine trennscharfe Abgrenzung der einzelnen Tätigkeiten schwierig ist. Daher werden im Folgenden geschätzte prozentuale Anteile in Bezug auf die Aufgaben nach § 21 VOB/A angegeben. - OFD: Die Tätigkeit wird von dem Referat "Vergabe- und Vertragswesen" ausgeführt, das über eine Referatsleiter- und sieben Sachbearbeiterstellen verfügt. Die Aufgaben nach § 21 VOB/A nehmen ca. 5 % der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit in Anspruch. Eingegangen am 22. Dezember 2015 · Ausgegeben am 29. Dezember 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2528 22. 12. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2528 - Hessen Mobil: Für Fragestellungen zu Vergaben nach VOB/A können 6 Mitarbeiter Ansprechpartner sein. Es handelt sich um den Dezernatsleiter und 5 Sachbearbeiter, die sich in zwei Juristinnen und drei Bauingenieure aufteilen. Auf Nachprüfungen entfallen bis zu 5 % der Tätigkeit des Dezernats. - RP Darmstadt: Eine Diplom-Ingenieurin nimmt zu ca. 60 % die Aufgaben nach § 21 VOB/A wahr. - RP Gießen: Ein Diplom-Ingenieur nimmt die Tätigkeit nach § 21 VOB/A zu ca. 50 % wahr, eine weitere vollzeitbeschäftigte Diplomingenieurin zu ca. 20 % und die Referatsleiterin zu ca. 10 %. - RP Kassel: Ein Diplom-Ingenieur erfüllt die Tätigkeit nach § 21 VOB/A zu 100 %. Vergabekammern: Den Vorsitz der beiden Vergabekammern haben jeweils eine Juristin bzw. ein Jurist inne. Als hauptamtliche Beisitzer stehen vier Juristen des RP Darmstadt, als ehrenamtliche Beisitzer zwei Juristen und eine Diplom-Ingenieurin des RP Darmstadt zur Verfügung. Die Geschäftsstelle der beiden Vergabekammern ist mit einer Mitarbeiterin besetzt. Frage 4. Wie viele Vergaben mit welchem Auftragswert wurden von den Überprüfungsorganisationen in den letzten 3 Jahren jeweils kontrolliert (bitte Auflistung nach Jahren getrennt)? Bei der VOB-Stelle bei der OFD wurden in den Jahren 2013 bis 2015 zehn Vergabebeschwerden bezüglich Bau-Auftragsvergaben des Landes Hessen registriert und ausführlich untersucht. Es handelte sich im Einzelnen um: Jahr Anzahl Verfahren Auftragswert 2013 drei Vergabeprüfungen 144.033,48 € 2014 fünf Vergabeprüfungen 721.234,51 € 2015 zwei Vergabeprüfungen 1.335.639,93 € Weder bei den anderen VOB-Stellen noch bei den Vergabekammern werden die Auftragswerte statistisch erfasst. Daher können nur die Fallzahlen genannt werden: VOB-Stellen 2012 2013 2014 (bis Okt.) 2015 RP Darmstadt 88 87 72 70 RP Gießen 45 71 53 67 Vergabekammern 2012 2013 2014 (bis Okt.) 2015 VK Darmstadt 57 56 46 46 Für das RP Kassel sowie Hessen Mobil sind keine Angaben möglich. Laut Mitteilung des RP Kassel ist der Bearbeiter längerfristig erkrankt; die Vertretung wird vom RP Gießen wahrgenommen. Eine Auswertung für den o.g. Zeitraum sei daher nicht möglich. Für Hessen Mobil können keine Fallzahlen genannt werden, da keine Statistik über die Anzahl der Nachprüfungen geführt wird. Frage 5. In wie vielen Fällen kam es in den letzten 3 Jahren (bitte nach Jahren getrennt) zu Beanstandungen ? Zur Stattgabe von Beanstandungen bzw. Beschwerden können keine Zahlen genannt werden, weil die VOB-Stellen keine Statistik darüber führen, ob eine Beanstandung bzw. Beschwerde Erfolg hatte. Nur die VOB Stelle bei der OFD hat mitgeteilt, dass keiner der in der Antwort zu Frage 4 genannten zehn Beschwerden abgeholfen werden konnte und musste. Bei den Vergabekammern gab es folgende Anzahl von stattgegebenen Nachprüfungsanträgen: Vergabekammern 2012 2013 2014 (bis Okt.) 2015 VK Darmstadt 4 5 0 0 Frage 6. Welche Sanktionen erfolgten, wurden z.B. Firmen (und wenn ja, wie viele, wie lange) für öffentliche Aufträge gesperrt? VOB-Stellen und Vergabekammern verhängen keine Sanktionen, wie z.B. die Sperrung bestimmter Unternehmen von öffentlichen Auftragsvergaben. Derartige Sperren sind in der Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2528 3 Rechtsgrundlage für das Tätigwerden der VOB-Stellen, § 21 VOB/A, genauso wenig vorgesehen wie in den §§ 102 ff. GWB, die für die von den Vergabekammern durchzuführenden Nachprüfungsverfahren gelten. Die VOB-Stellen und die Vergabekammern treffen ausschließlich geeignete Maßnahmen zur Beseitigung von Rechtsverletzungen. Vergabesperren werden durch das Referat "Korruptionsschutz" der OFD aufgrund des Gemeinsamen Runderlasses zum Ausschluss von Bewerbern und Bietern wegen schwerer Verfehlungen , die ihre Zuverlässigkeit infrage stellen, vom 03.04.1995 in der Fassung vom 13.12.2010 (StAnz. 2010, S. 2831) verhängt. Künftig werden die Vergabesperren auf der Basis einer Verordnung nach § 18 Abs. 2 HVTG ausgesprochen werden. Die Wiederzulassung eines ausgeschlossenen Unternehmens erfolgt auf dessen Antrag, wenn die Zuverlässigkeit des Unternehmens wieder hergestellt ist, frühestens jedoch nach einer Sperrfrist von mindestens 6 Monaten. Die Zuverlässigkeit ist dann wieder gegeben, wenn das Unternehmen durch geeignete organisatorische und personelle Maßnahmen Vorsorge gegen eine Wiederholung der Verfehlungen getroffen hat und der Schaden ersetzt wurde oder eine verbindliche Anerkennung der Schadensersatzverpflichtung dem Grunde und der Höhe nach, verbunden mit der Vereinbarung eines Zahlungsplans, vorliegt. Es ist aber zu betonen, dass die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles bei der Frage der Wiederzulassung eines gesperrten Bewerbers zu berücksichtigen sind. Ende 2012 waren insgesamt 16 Unternehmen von der Teilnahme am Wettbewerb für öffentliche Aufträge ausgeschlossen. 2013 wurden sieben weitere Unternehmen ausgeschlossen. In den Jahren 2014 und 2015 wurden jeweils zwei Unternehmen ausgeschlossen. 2014 wurden drei und 2015 ein Unternehmen wieder zum Wettbewerb zugelassen. Aktuell (Stand Oktober 2015) sind 23 Unternehmen auf der Sperrliste für öffentliche Aufträge. Frage 7. Nach welchen Kriterien werden die Kontrollen jeweils durchgeführt und in welchem Bereich (bitte Auflistung der Bereiche)? Die VOB-Stellen und Vergabekammern führen keine Kontrollen durch. Sie werden entsprechend den gesetzlichen Grundlagen nur tätig, wenn Bewerber oder Bieter sich an sie wenden, und prüfen dann den Einzelfall. Die VOB-Stellen haben die Aufgabe, insoweit Vergabeverfahren auf die formellen und materiellen Vorgaben der VOB/A, Abschnitt 1, zu überprüfen und die Bewerber oder Bieter zu bescheiden. Ferner haben die VOB-Stellen bei den RPen die zusätzliche Aufgabe, öffentliche Auftraggeber zu beraten. Der Rechtsschutz oberhalb der EU-Schwellenwerte ist als "subjektiver Rechtsschutz" ausgestaltet , d.h. er setzt neben dem Nachprüfungsantrag eines Bewerbers oder Bieters auch die Darlegung voraus, dass in dem konkreten Fall im Einzelnen zu nennende bieterschützende Vorschriften verletzt wurden. Frage 8. Wie viele Anfragen von Gemeinden oder anderen öffentlichen Auftraggebern werden jährlich an die Nachprüfungsstellen herangetragen (bitte Angabe und Beschreibung/Ausführung zu den Anfragen )? Wie in der Antwort zu Frage 1 dargelegt, beraten die VOB-Stellen bei den RPen auch öffentliche Auftraggeber. In der Praxis wünschen überwiegend kleinere Kommunen und deren Erfüllungsgehilfen , z.B. Architekten, Beratung in allen Fragen, die ein Vergabeverfahren betreffen. Die Themen sind breit gefächert und variieren in Abhängigkeit zu neuen Gesetzen, Erlassen und Gerichtsentscheidungen. Ergänzend dazu bieten die VOB-Stellen auch Informationsveranstaltungen an. Bezüglich der Anzahl der Anfragen hat das RP Darmstadt mitgeteilt, dass durchschnittlich zehn pro Arbeitstag eingehen. Das RP Kassel kann keine konkreten Angaben machen. Das RP Gießen hat ausschließlich für Beratungen, die ggf. Auswirkungen auf Entscheidungen in Vergabeverfahren haben können, folgende Statistik aufgestellt: 2012 2013 2014 (bis Okt.) 2015 RP Gießen 247 525 394 398 Frage 9. Welches Meldesystem zwischen öffentlichen Auftraggebern und den Überprüfungsorganisationen wurde eingerichtet, um deren Arbeit zu ermöglichen und Prüfungsresultate an die öffentlichen Auftraggeber zu kommunizieren? Bei der OFD ist eine Melde- und Informationsstelle (MIS) für Vergabesperren eingerichtet. Diese ist im Referat "Korruptionsschutz" angesiedelt. Das Verfahren der MIS ist im bereits zitierten Gemeinsamen Runderlass zum Ausschluss von Bewerbern und Bietern wegen schwerer Verfehlungen, die ihre Zuverlässigkeit infrage stellen, künftig in der Verordnung nach § 18 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2528 Abs. 2 HVTG geregelt. Danach soll der öffentliche Auftraggeber den Ausschluss vom Wettbewerb (Vergabesperre) eines Unternehmens der MIS mitteilen. Die öffentlichen Auftraggeber sind bei geplanten Vergaben mit einem Wert von über 15.000 € bei Dienstleistungsaufträgen, einem Wert von über 25.000 € bei Lieferaufträgen bzw. einem Wert von über 50.000 € bei Bauaufträgen (Nettowerte) verpflichtet, bei der MIS anzufragen, ob das für die Vergabe in Aussicht genommene Unternehmen vom Wettbewerb ausgeschlossen ist. Frage 10. Besteht innerhalb der Bundesrepublik eine mit allen öffentlichen Auftraggebern kommunizierende Datenbank, in der Firmen aufgeführt sind, die aufgrund von Verstößen gegen Vergabegesetze für öffentliche Aufträge (auch in anderen Bundesländern) gesperrt sind bzw. die diesbezüglich in Überprüfung sind? Für ein solches bundesweites Melde- und Sperrregister bedürfte es einer bundesgesetzlichen Rechtsgrundlage. Eine solche existiert nicht. Daher gibt es kein solches länderübergreifendes Melde- und Sperrregister. Wiesbaden, 14. Dezember 2015 Tarek Al-Wazir