Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer und Siebel (SPD) vom 10.11.2015 betreffend studentischen Wohnraum und strukturelle, sozio-ökonomische Regionalentwicklung und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragesteller: Wohnraum wird ein knappes Gut. Die Preise für Immobilien, vor allem in Ballungsgebieten, steigen ebenso rapide wie der Mietzins. Im ländlichen Raum dagegen werden oftmals Leerstände von Häusern und Wohnungen registriert und lokale Strukturdefizite verstärken sich in kleineren Gemeinden. Im Gegensatz dazu verschärft sich gerade in Universitätsstädten die Wohnungssuche durch die gewachsene Zahl an Studierenden. Ein Projekt zur Ansiedlung von Studierenden in Uni-nahen Landgemeinden könnte einer Überalterung und einem Leerstand dort entgegenwirken. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Untersuchungen zeigen, dass die Präferenzen der Studierenden nicht nur auf der Wahl des Hochschul-Standorts liegen, sondern auch bei der Entscheidung für eine konkrete Wohnlage innerhalb der Stadt. So wurde in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass Wohnungen, die weit von der Hochschule entfernt liegen, nur schwer an Studierende vermietet werden können. Bei der Berücksichtigung von Projekten im Förderprogramm der Landesregierung "Studentisches Wohnen" wird daher darauf geachtet, dass zunächst diejenigen zum Zug kommen, die möglichst nahe am Studienort liegen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung und dem Minister für Wissenschaft und Kunst wie folgt: Frage 1. Gibt es Förderprogramme mit dem Schwerpunkt des sozio-ökonomischen Strukturwandels, bei dem Leerstände ermittelt und unter finanziellem Investitionsbedarf bewertet werden? a) Wenn ja, welche Förderprogramme gibt es und welche Ergebnisse sind diesbezüglich zu verzeichnen? b) Wenn nein, gibt es Pläne, solche Förderprogramme aufzusetzen? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 1 a und 1 b werden gemeinsam beantwortet. Das Landesprogramm Dorfentwicklung hat zum Ziel, die Dörfer im ländlichen Raum als attraktiven Lebensraum zu erhalten und zu gestalten, sowie durch eine eigenständige Entwicklung die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Potenziale vor Ort zu mobilisieren. Dabei steht die Innenentwicklung der Orte im Focus. Die notwendigen Anpassungsmaßnahmen aufgrund der demografischen Veränderungen und des sozio-ökonomischen Strukturwandels sollen unterstützt werden. Nach Anerkennung als gesamtkommunaler Förderschwerpunkt der Dorfentwicklung erarbeiten die Kommunen, unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, ein integriertes kommunales Entwicklungskonzept (IKEK), das alle wichtigen kommunalen Themen aufgreift und zu einer ganzheitlichen Gesamtstrategie zusammenführt. Im Zusammenhang mit der städtebaulichen Entwicklung ist der Umgang mit leerstehenden Häusern, Wohnungen und Gewerbeimmobilien von ausschlaggebender Bedeutung. Grundlage dafür ist unter anderem eine obligatorische Bestandsaufnahme der aktuellen Leerstände. Daraus werden Ziele und Projektideen entwickelt, die schließlich in eine Umsetzungsstrategie münden. Eingegangen am 21. Dezember 2015 · Ausgegeben am 23. Dezember 2015 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2570 21. 12. 2015 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2570 Mit dem Förderprogramm Dorfentwicklung können auf der Grundlage des IKEK auch kommunale Maßnahmen wie z.B. Ankauf und Abriss nicht mehr sanierungs- oder umnutzungsfähiger baulicher Anlagen unterstützt werden. Private Antragsteller werden im Kernbereich der Orte bei Sanierungs- und Umnutzungsvorhaben finanziell unterstützt. Beispielsweise versucht die Stadt Marburg, ihre ländlichen Stadtteile verstärkt für junge Familien und auch Studierende attraktiv zu machen. Voraussetzung dafür sind unter anderem verbesserte Mobilitätsangebote und gute Internetverbindungen. Konkrete weitere Projekte zur Ansiedlung von Studierenden in universitätsnahen Landgemeinden sind nicht bekannt. Die Förderschwerpunkte der Dorfentwicklung werden auch nicht unter diesem Gesichtspunkt ausgewählt. Das Land Hessen unterstützt mit Nachdruck die ländliche Regionalentwicklung und hat Anfang dieses Jahres 24 Regionen als LEADER-Fördergebiet anerkannt. Sie wurden mit insgesamt 50 Mio. € an Fördermitteln bis 2020 zur Umsetzung ihres regionalen Entwicklungskonzeptes ausgestattet . Innenentwicklung, Mobilität und Sicherung der Daseinsvorsorge sind dabei wichtige Inhalte. Derzeit erfolgen die ersten Projektbewilligungen. Frage 2. Gibt es Analysen zu den Strukturdefiziten in ländlichen Räumen? a) Wenn nein, warum nicht? b) Wenn ja, wie will die Landesregierung diesen Strukturdefiziten mit welchen Maßnahmen, Programmen und Lösungsstrategien entgegen wirken? Die Fragen 2 a und 2 b werden gemeinsam beantwortet. Als Grundlage für die Erarbeitung der operationellen Programme für den EFRE und den ESF sowie den Entwicklungsplan für den ländlichen Raum des Landes Hessen (ELER-Fonds) wurde eine gemeinsame sozioökonomische Analyse für die EU-Förderperiode 2014 bis 2020 erarbeitet (Hessen Agentur, Report Nr. 847, Wiesbaden 2013). Sie enthält umfangreiche Analysen und Auswertungen auch für den ländlichen Raum. Das Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung haben im August 2015 eine Wohnungsbedarfsprognose als Grundlage für Maßnahmen zur Wohnraumversorgung und zur nachhaltigen Steuerung der Siedlungsflächenentwicklung beauftragt. Im Rahmen dieser Untersuchung wird der Wohnungsbedarf bis 2030 auf Gemeindeebene abgeschätzt. Im Rahmen der Neuaufstellung des Landesentwicklungsplanes Hessen wird das Zentrale-Orte- System in Hessen analysiert und überprüft. Die Analyse unter anderem der Infrastrukturausstattung der zentralen Orte ist eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung des Zentrale- Orte-Systems mit dem Ziel, die flächendeckende Versorgung mit zentralen Einrichtungen der Daseinsvorsorge in zumutbarer Entfernung sicherzustellen. Ein weiterer wichtiger Schritt zur Sicherung der Daseinsvorsorge ist die Erstellung von Daseinsvorsorgestrategien auf regionaler Ebene (Kreis, Teil des Kreises, Leader-Region). Im Rahmen des vom Land Hessen mit unterstützten Modellvorhabens Aktionsprogramm regionale Daseinsvorsorge des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) wurden vielfältige Lösungsansätze in den drei beteiligten hessischen Modellregionen Hersfeld-Rotenburg, SPESSARTregional und Vogelsbergkreis entwickelt, die weiteren Regionen als Anregung dienen sollen (weitere Informationen dazu unter http://vitale-orte.hessen-nachhaltig.de/de/Modellprojekte.html). Die operationellen Programme (ESF, EFRE und ELER) bieten eine Vielzahl von abgestimmten Fördermöglichkeiten. Darüber hinaus gibt es weitere Angebote wie die Städtebauförderung oder die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (Bund/Land-Finanzierung) und weitere reine Landesprogramme. Frage 3. Gibt es Überlegungen, Leerstände in hochschulnahen Regionen für studentischen Wohnraum zu nutzen? Wenn nein, warum nicht? Frage 4. Gibt es (Pilot-)Projekte zur Regionalentwicklung im Umkreis von Hochschulstandorten, die die Ansiedlung von jungen Familien und Studierenden forcieren und die die Mobilität zum Hochschulstandort angemessen berücksichtigen? a) Wenn nein, warum nicht und wie bewertet die Hessische Landesregierung es, solche Potenziale zu nutzen? b) Wird sich die Landesregierung für eine solche Schaffung von studentischem Wohnraum einsetzen ? Wenn nein, warum nicht und welche alternative Strategie verfolgt sie vor dem Hintergrund des knappen Wohnraums und der damit verbundenen Folgen in den Ballungszentren? Die Fragen 3 und 4 werden zusammen beantwortet. Gemäß § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Studentenwerke bei den Hochschulen des Landes Hessen (StWG) ist die wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche, sportliche und kulturelle Förderung der Studierenden Aufgabe der Studentenwerke. Hierzu dient gemäß § 3 Abs. 2 StWG insbeson- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2570 3 dere auch der Bereich studentisches Wohnen. Insofern wurde die Antwort auf die Frage 3 der Kleinen Anfrage mit dem Sprecher der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern der hessischen Studentenwerke abgestimmt. Nach Rücksprache mit den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern der hessischen Studentenwerke zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass Studierende eine zentrale hochschulnahe Unterbringung mit kurzen Wegen zur Hochschule bevorzugen. Nur so können die Studierenden die Infrastruktur der Hochschule (Mensen, Bibliotheken etc.) effektiv nutzen und Zeiten zwischen Vorlesungen, Tutorien, Praktika, Abendveranstaltungen etc. "zu Hause" verbringen. Darüber hinaus ist für die meisten Studierenden auch das Freizeit- und Kulturangebot vor Ort für die Wahl des Wohnortes von großer Bedeutung. Im Rahmen einer erleichterten Integration einer wachsenden Zahl internationaler Studierender in das Hochschul- und Alltagsleben haben diese Aspekte sehr an Bedeutung gewonnen. Selbst Unterkünfte in Landgemeinden mit guter Anbindung an den ÖPNV und relativ kurzer Anfahrtszeit zur Hochschule werden von den Studierenden oftmals nur kurzfristig angenommen und gekündigt, sobald eine hochschulnahe Unterkunft gefunden ist. Die Studentenwerke prüfen ferner auch die Zweckbindung von in der Vergangenheit geförderten privaten Unterkünften für Studierende, so dass auch hierdurch eine Einschätzung möglich ist. Hierbei ergibt sich in Einzelfällen sogar, dass es in hochschulnahen ländlichen Bereichen nachweislich keine Bewerberinnen und Bewerber für diese Unterkünfte gab und diese aus der Zweckbindung genommen werden mussten. Es besteht aber seit vielen Jahren die Möglichkeit, dass Vermieterinnen und Vermieter auch aus ländlichen Umlandgemeinden geeigneten Wohnraum den Wohnraumbörsen der hessischen Studentenwerke (z.B. über die Plattform www.wohnraum-gesucht.de des Studentenwerks Frankfurt am Main) melden. Diese Initiativen werden vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst ausdrücklich unterstützt. Wiesbaden, 14. Dezember 2015 Priska Hinz