Kleine Anfrage des Abg. Grumbach (SPD) vom 27.03.2014 betreffend die zeitweilig an der Universität Kassel verlangte "Erklärung zu Strafen und Disziplinarmaßnahmen sowie zu laufenden Verfahren" und Antwort des Ministers für Wissenschaft und Kunst Vorbemerkung des Fragestellers: Im Oktober 2013 wurden an der Universität Kassel die Verträge für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte (sog. HiWis) u.a. um eine "Erklärung zu Strafen und Disziplinarmaßnahmen sowie zu laufenden Verfahren" ergänzt. In dieser wurden die angehenden Beschäftigten dazu aufgefordert, über sämtliche gegen sie vorliegende nicht getilgte gerichtliche Verurteilungen und nicht getilgte Disziplinarmaßnahmen sowie anhängige Straf-, Ermittlungs- oder Disziplinarverfahren ausführlich Auskunft zu erteilen. Darüber hinaus enthielt die Erklärung eine Verpflichtung, der Universität Kassel von jedem Straf- oder Ermittlungsverfahren und jeder gerichtlichen Verurteilung des bzw. der angehenden Beschäftigten Mitteilung zu machen. Angesichts von Protesten aus der Studierendenschaft gegen diese Erklärung gab der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität Kassel ein Rechtsgutachten in Auftrag, welches das Verlangen einer solchen Erklärung als rechtswidrig einstuft, da diese den Bestimmungen des Hessischen Datenschutzgesetzes zuwiderlaufe. Laut Auskunft des AStA wurde daraufhin durch die Universität Kassel im Januar 2014 erklärt , man werde vorläufig bei HiWi-Einstellungen auf eine solche Erklärung verzichten und sich zur Klärung der Angelegenheit an das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst wenden, da dieses die Universität angewiesen habe, von Bewerberinnen und Bewerbern auf Stellen als Landesangestellte eine entsprechende Erklärung zu verlangen. Vorbemerkung des Ministers für Wissenschaft und Kunst: Das fragliche Erklärungsformular wird seit vielen Jahren im Land Hessen verwendet. Es gilt sowohl für den Arbeitnehmer- als auch für den Beamtenbereich (Gemeinsamer Runderlass vom 10. März 2011, StAnz. S. 534). Mit Rundschreiben vom 07. November 2013 teilte das Hessische Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) mit, dass mit Verweis auf neueste Rechtsprechung der in dem Formular befindliche Satz "Ich verpflichte mich, von jedem gegen mich eingeleiteten Straf- oder Ermittlungsverfahren und jeder gerichtlichen Verurteilung Mitteilung zu machen." nicht mehr zu verwenden sei. Dieses Rundschreiben wurde an alle Dienststellen des Geschäftsbereichs weitergeleitet mit der Bitte um Beachtung. Bezüglich des verbleibenden Teils der Erklärung wurde seitens des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport mit Auskunft vom 19. März 2014 klargestellt, dass dieser jedenfalls rechtmäßig weiter zu verwenden sei. Auch diese Feststellung wurde der Universität Kassel mit der Bitte um Beachtung weitergeleitet. Von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass ein potenzieller Arbeitgeber anlässlich der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses - und damit bereits vor Einstellung - das Recht hat, die Stellenbewerberin/den Stellenbewerber nach Vorstrafen sowie nach anhängigen Straf- und Ermittlungsverfahren zu fragen, wenn und soweit die zu besetzende Stelle oder die zu leistende Arbeit dies erfordern (vgl. z.B. Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 5. Dezember 1957 - 1 AZR 594/56 - AP Nr. 2 zu § 123 BGB - und vom 15. Januar 1970 - 2 AZR 64/69 - AP Nr. 7 zu § 1 Kündigungsschutzgesetz - Verhaltensbedingte Kündigung -). Der Begriff der Erforderlichkeit ist bei Einstellungen im öffentlichen Dienst im Lichte des Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) auszulegen. Nach Art. 33 Abs. 2 GG wird die Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern um ein öffentliches Amt an besondere Anforderungen - nämlich Eignung, Befähigung und fachliche Leistung - geknüpft. Geeignet i.S.v. Art. 33 Abs. 2 GG ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören darüber hinaus die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Eingegangen am 3. Juli 2014 · Ausgegeben am 8. Juli 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/270 03. 07. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/270 Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten. Außerdem ergibt sich aus dem Hinweis in der Erklärung zu Strafen und Disziplinarmaßnahmen sowie zu laufenden Verfahren, dass nicht sämtliche Verurteilungen anzugeben sind. Die nicht der Offenbarungspflicht unterliegenden Verurteilungen ergeben sich aus § 53 Bundeszentralregistergesetz in der jeweils geltenden Fassung. Die Erklärung zu Strafen und Disziplinarmaßnahmen sowie zu laufenden Verfahren enthält hierzu einen entsprechenden Hinweis. Der Personalbogen für die hessische Landesverwaltung nebst der "Erklärung zu Strafen und Disziplinarmaßnahmen sowie zu laufenden Verfahren" wurde schließlich dem Hessischen Datenschutzbeauftragten vorgelegt, der diese Praxis nicht beanstandet hat. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Hessischen Minister des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Inwieweit ist das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst gegenüber den Hoch- schulen hinsichtlich der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen weisungsbefugt? Nach § 60 Abs. 1 Hessisches Hochschulgesetz (HHG) steht das Hochschulpersonal im Dienst des Landes; Personalentscheidungen sind staatliche Angelegenheiten. Der Gesetzgeber hat hier bewusst weiterhin den Begriff der "staatlichen Angelegenheit" verwendet, der früher für alle Aufgabenfelder verwendet wurde, die heute "Auftragsangelegenheiten" nach § 6 HHG sind. Hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, dass der Abschluss von Arbeitsverträgen nicht in das herkömmliche Spektrum von Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten eingeordnet werden kann, da die Hochschulen in diesem Bereich nicht in eigenem Namen, sondern in Vertretung des Landes handeln. Das Land kann insoweit bestimmen, welche Spielräume den Hochschulen bei der Vertretung des Landes beim Abschluss von Arbeitsverträgen offenstehen. Frage 2. Wie lautete die betreffende Weisung des Hessischen Wissenschaftsministeriums? Die Universität Kassel wurde um Beachtung der Rechtsauffassung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport im Schreiben vom 19. März 2014 gebeten, um die Rechtssicherheit und Gleichmäßigkeit der Anwendung dieses Erklärungsformulars zu gewährleisten. Frage 3. Zu welchem Zweck wurde die Weisung ausgegeben? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. Frage 4. Erhielten neben der Universität Kassel noch weitere Hochschulen oder andere öffentliche Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen eine entsprechende Weisung? Wenn ja, welche und wie reagierten diese im Einzelnen auf die Weisung? Im Geschäftsbereich des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (HMWK) haben alle Dienststellen diesbezüglich die gleiche Erlasslage. Es liegen keine Rückläufe zu den diesbezüglichen Erlassen vor bis auf die o.g. Korrespondenz mit der Universität Kassel. Frage 5. Wurden neben den studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften bzw. Bewerberinnen und Bewerbern um eine sog. HiWi-Stelle noch weitere Beschäftigtengruppen oder Gruppen von Bewerberinnen und Bewerbern dazu aufgefordert, eine entsprechende Erklärung zu unterschreiben ? Wenn ja, welche? Entsprechend der Erlasslage ist die entsprechende Erklärung im Rahmen der Einstellungsverfahren zu verwenden. Frage 6. Wie viele Bewerberinnen und Bewerber und wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren insgesamt von der rechtswidrigen Datenerhebung betroffen? (Bitte nach Beschäftigten sowie Bewerberinnen und Bewerbern an der Universität Kassel, Beschäftigten sowie Bewerberinnen und Bewerbern an Hochschulen insgesamt und sonstigen Beschäftigten sowie Bewerberinnen und Bewerbern aufschlüsseln.) Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Daten rechtswidrig erhoben werden. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/270 3 Frage 7. Wurden von Seiten der Universität Kassel oder anderer öffentlicher Arbeitgeber und Arbeitgebe- rinnen Daten an das Ministerium weitergeleitet, die auf der Basis der betreffenden Erklärung erhoben wurden? Wenn ja, was geschah mit diesen Daten und wie wird damit nach der vorläufigen Rücknahme der Verpflichtung zur Erklärung verfahren? Bislang wurden keine Daten aufgrund der genannten Erklärung an das Ministerium weitergeleitet . Frage 8. Wie ist zu erklären, dass eine in datenschutzrechtlicher Hinsicht offensichtlich rechtswidrige Weisung ausgegeben wurde? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. Frage 9. Wurde sich bei der Weisung auf einen Erlass des Innenministeriums bezogen? Wenn ja, gab es hierzu eine besondere Veranlassung? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. Frage 10. Wird das Wissenschaftsministerium die Hochschulen und ggf. weitere betroffene öffentliche Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen auf die Rechtswidrigkeit der Weisung hinweisen? Da keine rechtswidrige Weisung vorliegt, besteht kein Anlass für Hinweise. Wiesbaden, 18. Juni 2014 Boris Rhein