Kleine Anfrage des Abg. Irmer (CDU) vom 03.12.2015 betreffend Windenergie im Gleiberger Land/Landkreis Gießen/Altkreis Wetzlar und Antwort des Ministers für Wissenschaft und Kunst Vorbemerkung der Fragesteller: In diesem Gesamtbereich sind nach dem Regionalen Raumordnungsplan sieben Windräder am Standort "Helfholz" vorgesehen. Am Standort "Bleidenberg" sind drei WEA geplant. Ein dritter geplanter Standort liegt mit voraussichtlich fünf WEA auf dem "Eisenkopf", dem nördlichsten Waldzipfel der Gemeinde Lahnau im Bereich der Gemarkung Waldgirmes, unweit einer Ferienhaussiedlung, die nur wenige 100 Meter von den geplanten WEA entfernt ist. Die Ferienhaussiedlung ist mit offizieller Baugenehmigung gebaut und wird mit amtlicher Duldung auch als ganzjähriger Wohnsitz genutzt. Vorbemerkung des Ministers für Wissenschaft und Kunst: Grundsätzlich ist vorab zu bemerken, dass in allen drei genannten Vorranggebieten Bodendenkmäler , d.h. Kulturdenkmäler im Sinne § 2 Abs. 2 Satz 2 und § 19 Hessisches Denkmalschutzgesetz (HDSchG ) von regionaler und/oder überregionaler Bedeutung bekannt sind, ebenso sind baudenkmalpflegerische Belange, d.h. Kulturdenkmäler im Sinne § 2 Abs. 1 HDSchG betroffen. Vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der anzunehmenden Fernwirkung die außerhalb der eigentlichen Vorranggebiete liegende, landschaftsbestimmende Gesamtanlage (Gruppe A) mit regionaler Bedeutung und erheblicher Fernwirkung Hohenahr/GA Hohensolms W, N beeinflusst wird. Darauf wurde in der Stellungnahme zum Entwurf des Teilregionalplans Energie 2015 des Regierungspräsidiums Gießen bereits hingewiesen . Auch wurde dargelegt, dass in Bezug auf die Vorranggebiete Nr. 2130, 2136, 2138 und 4104 die Fernwirkung der noch erhaltenen mittelalterlichen Ortsbefestigung und des sich unter der alles überragenden Burg gruppierenden ältesten Siedlungskerns beachtlich ist. Im Zuge entsprechender Planungen ist daher eine detaillierte Sichtbezugsanalyse mit einem Radius von mindestens 10 km vorzunehmen. Diese Sichtbezugsanalyse ist letztlich auch im Zuge der bereits erfolgten Abwägung im Zusammenhang mit dem Regionalplan 2010 anerkannt. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung fachlich die Bodendenkmäler im Bereich "Bleidenberg": a) Die Grabanlagen "Kleiner Bleidenberg" mit 15 Grabhügeln und zwei Rechteckanlagen, die noch nicht untersucht wurden; b) die Bombentrichter aus dem zweiten Weltkrieg, in deren Umgebung kleine Flugzeugteile und Übungsmunition gefunden wurden? c) die dort vorhandenen Bergwerksstollen aus der Neuzeit; d) Eisenverhüttungsstellen im Bereich "Bleidenberg"; e) antike Funde im Nachbarfeld "Das schlimme Stück", da das gesamte Gebiet mit alten Fernhandelswegen durchzogen ist, die früher in Form von Hohlwegen nutzbar waren und heute noch sichtbar sind; Zu Frage 1 a: In der Gemarkung Königsberg, heute Gemeinde Biebertal, Landkreis Gießen, liegt am südlichen Abhang des Bleidenbergs eine bronzezeitliche Hügelgräbergruppe. Zu dieser gehören nach derzeitigem Kenntnisstand 15 Grabhügel (PGis-Fundstellen Königsberg 1 und Königsberg 15), die in unterschiedlichem Erhaltungszustand im Wald und in der nach Süden anschließenden landwirtschaftlichen Nutzfläche (Ackerland) lokalisiert sind. Von diesen sind mindestens zwei anthropogen bzw. durch Tierbauten gestört. Weiterhin befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zwei Rechteckanlagen (PGis-Fundstellen Königsberg 15 und Königsberg 19), Eingegangen am 29. Januar 2016 · Ausgegeben am 4. Februar 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2820 29. 01. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2820 die nach jetzigem Kenntnisstand als sogenannte Grabgärten angesprochen werden müssen. Alle vorgenannten Fundstellen sind nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von regionaler Bedeutung. Zu Frage 1 b: Die im Bereich des Flurstücks "Das schlimme Stück" und auch an anderen Stellen erhaltenen historischen Wegeführungen sind wesentliche Bestandteile der historisch gewachsenen Kulturlandschaft und können durchaus auch über einen Denkmalcharakter verfügen. Die deutlich spätere Zeitstellung dieser Kulturlandschaftselemente/Bodendenkmäler ist als Beleg für die kontinuierliche Nutzung des Raums durch die Jahrtausende hindurch zu sehen. Die vorgenannten Relikte sind nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von regionaler Bedeutung . Zu Frage 1 c: Im vorgenannten Bereich sind ausgeprägte Schlackenhalden bekannt (PGis- Fundstelle Königsberg 13), die Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Nutzung des Raumes zulassen . In diesem speziellen Fall handelt es sich um Relikte einer vorgeschichtlichen Eisenverhüttung . Die vorgenannte Fundstelle ist nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von regionaler Bedeutung. Zu Frage 1 d: Neuzeitlicher Bergbau bzw. die Relikte eines solchen sind im hiesigen Fall ebenfalls als Bodendenkmäler anzusprechen. Als Spuren wirtschaftlichen Handelns des Menschen tragen sie zum Verständnis der Ressourcennutzung im beschriebenen Raum in der Neuzeit bei. Alle vorgenannten Relikte sind nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von regionaler Bedeutung. Zu Frage 1 e: Relikte des II. Weltkriegs sind nicht grundsätzlich als Bodendenkmäler im Sinne von § 19 HDSchG anzusprechen. Dennoch können auch diese Relikte der jüngsten Geschichte unseres Landes von Fall zu Fall einen Denkmalcharakter aufweisen. Dies ist in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Die vorgenannten Relikte können nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege somit von regionaler Bedeutung sein. Frage 2. Wie beurteilt die Landesregierung die archäologischen Bodendenkmäler im Bereich "Helfholz": a) die mittelalterliche Wüstung "Helfholzhausen"; b) Die keltischen Grabanlagen, die hier zwischen 500 vor Christus bis annähernd zum Jahre 0 als Bestattungsstätten genutzt wurden; c) die keltische Siedlung unterhalb der Grabanlage? Zu Frage 2 a: Es gibt in Hessen zahlreiche Relikte der verschiedenen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wüstungsphasen. Das Vorkommen solcher Wüstungen ist lokal und regional sehr unterschiedlich und korrespondiert vorwiegend mit der historischen Nutzung der Räume auf der Grundlage der naturräumlichen Gliederung. Die Wüstung "Helfholzhausen" stellt ein Bodendenkmal mit lokaler und regionaler Bedeutung dar. Die Relikte der Wüstung sind nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von lokaler wie auch regionaler Bedeutung. Die Fragen 2 b und 2 c werden im Zusammenhang beantwortet: Die eisenzeitlichen Anlagen im Bereich des Oppidums Dünsberg und seines Vorlandes sind von überregionaler Bedeutung. Der Dünsberg und sein Vorland sind ganz wesentliche Bestandteile der eisenzeitlichen /keltischen Aufsiedlung des heutigen Bundeslandes Hessen. In Deutschland und Europa gibt es nur wenige vergleichbare Fundstellen, die von einer derart herausragenden wissenschaftlichen Bedeutung sind. Das Gräberfeld im Helfholz ist aufgrund seines Erhaltungszustands (Erosion) in seinem Bestand gefährdet, insofern hier nicht höchste Sorgfalt an den Tag gelegt wird. Die bisher bekannt gewordenen Fundzusammenhänge zeugen von einer durchweg qualitativ sehr hochwertigen Ausstattung der Gräber, u.a. auch mit Goldschmuck. Vollflächig erhaltene Siedlungen aus dieser Zeit sind durchaus bekannt, die hiesige stellt aber im Zusammenhang mit dem gesamten Dünsbergareal durchaus eine Besonderheit dar. Die vorgenannten Fundstellen sind nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von landes-, bundes- und europaweiter Bedeutung. Frage 3. Wie beurteilt die Landesregierung die archäologischen Begebenheiten im Bereich Hofgut Bubenrod , da dort an der Grenze zu Lahnau 2009 bei Erdarbeiten vorgeschichtliche Keramikscherben gefunden wurden, und zwar auf dem Grundstück "Der rauhe Strauch" (Flur Nr. 8, Flurstück 33), so dass die begründete Vermutung besteht, dass hier in vorgeschichtlicher Zeit eine Besiedlung stattgefunden hat? Das Auftreten vorgeschichtlicher Keramik im Bereich des Flurstücks "Der rauhe Strauch" ist in jedem Fall als Hinweis auf das Vorhandensein einer zeitgleichen Siedlung, d.h. eines Bodendenkmals im Sinne des § 19 HDSchG, zu verstehen. Die in der Anfrage vorgenommene Lokalisierung bleibt allerdings ungenau. Die vorgenannte Flurbezeichnung bezieht sich auf mindestens drei Flurstücke der Flur 8. Dies sind die Flurstücke 33, 35/8 und 28. Für diese liegen bereits seit 2008 Erkenntnisse hinsichtlich einer Besiedlung (PGis-Fundstelle Königsberg 20) dieses Raumes vor. Eine weitere, weiter westlich lokalisierte Fundstelle (PGis-Fundstelle Königsberg Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2820 3 12), lässt die offensichtlich großflächigere vorgeschichtliche Besiedlung des Raumes vermuten. Alle vorgenannten Relikte sind nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von eher lokaler Bedeutung. Frage 4. Stehen diese Bodendenkmäler und Bodenschätze im Widerspruch zu den geplanten Windenergieanlagen ? Insofern sich diese Frage auf alle vorgenannten Fundorte (siehe Fragen 1 bis 3) bezieht, so ist dies differenziert zu betrachten. Die Fundstellen im Bereich des Bleidenbergs (siehe Frage 1) und des Dünsbergs bzw. seines Vorlands (siehe Frage 2) sind nach Einschätzung des Landesamtes für Denkmalpflege von sehr großer Bedeutung für die Landesarchäologie und die (Vor-)Geschichte unseres Landes. Sollte aus Sicht der Denkmalfachbehörde aus Gründen des Denkmalschutzes einer Überbauung dieser Anlagen und damit ihrer Zerstörung nicht zugestimmt werden können, heißt das nicht unbedingt , dass das Landesamt für Denkmalpflege Hessen WEA in den entsprechenden Vorranggebieten grundsätzlich ablehnt. Auf der Grundlage einer sorgfältigen Planung, die die Bodendenkmäler und die sie umgebenden historisch gewachsenen Kulturlandschaften berücksichtigt, lässt sich ein Konsens prinzipiell ermöglichen. Solche Planungen können nach vorheriger Abstimmung und Prüfung durchaus denkmalrechtlich genehmigt werden. Die unter Frage 3 thematisierten Fundstellen sind möglichst nicht zu zerstören. In den Fällen, in denen eine Alternativplanung jedoch nicht möglich ist, sind grundsätzlich im Vorfeld jeglicher Bodeneingriffe flächige archäologische Untersuchungen durchzuführen. Wiesbaden, 18. Januar 2016 Boris Rhein