Kleine Anfrage des Abg. Degen (SPD) vom 08.12.2015 betreffend Verweise für streikende Lehrkräfte und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: Am 16. Juni 2015 waren zahlreiche beamtete Lehrkräfte in Hessen in einen eintägigen Warnstreik getreten, um für angemessene Löhne sowie gegen die 42-Stunden-Woche zu demonstrieren. Nun soll Berichten zufolge ein förmliches Disziplinarverfahren gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Streiks eingeleitet werden , um ihnen einen Verweis in ihrer Personalakte zu erteilen. Vorbemerkung des Kultusministers: Die Teilnahme verbeamteter Lehrkräfte an einer gegen den Dienstherrn gerichteten Arbeitsniederlegung stellt eine Verletzung ihrer sich aus §§ 34, 35 Satz 1 Beamtenstatusgesetz ergebenden Dienstpflichten dar und ist als Dienstvergehen i.S.d. § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz - BeamtStG - zu ahnden. Die Unzulässigkeit eines Beamtenstreiks ist als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums durch Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich bestimmt. Die darin zum Ausdruck kommenden hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums verbieten es, zur Förderung gemeinsamer Berufsinteressen kollektive wirtschaftliche Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Dies gilt auch in Ansehung der vom Bundesverwaltungsgericht konstatierten Kollisionslage mit Art. 11 Europäische Menschenrechtskonvention, solange nicht der parlamentarische Gesetzgeber die dortigen Vorgaben in dem rechtlich dafür vorgesehenen Rahmen umgesetzt hat (BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 2 C 1/13). Dies ist bislang nicht erfolgt. Auf die Rechtslage und mögliche dienstrechtliche Konsequenzen einer Streikteilnahme wurden die verbeamteten Lehrkräfte mit Erlass des Hessischen Kultusministeriums vom 11. Juni 2015 - und damit rechtzeitig vor dem Streik - hingewiesen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt. Frage 1. In welcher Form wurden Verweise für streikende beamtete Lehrkräfte in früheren Fällen ausgesprochen ? Nach den Vorgaben des Hessischen Disziplinargesetzes ist eine zu verhängende Disziplinarmaßnahme u.a. nach der Schwere des Dienstvergehens sowie dem Umfang, in dem die Beamtin oder der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat, zu bemessen. Den gesetzlichen Vorgaben entsprechend, kann die Frage daher nicht pauschal für alle Teilnehmerkreise früherer Streikmaßnahmen beantwortet werden. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass bereits im Nachgang früherer Streikmaßnahmen verbeamteter Lehrkräfte mit der Einleitung von Disziplinarverfahren und der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen reagiert wurde. Frage 2. Falls die vorherige Vorgehensweise von der jetzigen abweicht, wird diese Abweichung womit begründet? Die Teilnahme verbeamteter Lehrkräfte an gegen den Dienstherrn gerichteten kollektiven Kampfmaßnahmen (Streiks) ist mit dem verfassungsrechtlich verankerten Treueverhältnis als Kernpflicht und Teil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums unvereinbar und stellt daher ein Dienstvergehen dar. Mit Urteil vom 27.02.2014 und 26.02.2015 hat das Bundesverwaltungsgericht dies trotz Feststellung einer völkerrechtlichen Kollisionslage, zu deren Eingegangen am 26. Januar 2016 · Ausgegeben am 28. Januar 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/2907 26. 01. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2907 Auflösung allein der Bundesgesetzgeber berufen ist, ausdrücklich bestätigt. In Verkennung der höchstrichterlich bestätigten Rechtslage wurde von den Initiatoren des Streiks unter dem plakativen Schlagwort "Streikrecht ist Menschenrecht" und dem ausdrücklichen Hinweis, eine möglichst große Zahl von Streikenden schütze vor möglichen Sanktionen, aufgerufen. Frage 3. Wie viele Disziplinarverfahren wurden im Zusammenhang mit dem genannten Warnstreik für Lehrkräfte eingeleitet? (Bitte nach Schulämtern aufschlüsseln) Die Beantwortung der Frage wäre nur mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand möglich und bedürfte daher eines erheblich längeren Bearbeitungszeitraums. Es wird jedoch darauf hingewiesen , dass grundsätzlich jeder Fall von Streikteilnahme verbeamteter Lehrkräfte am 16.06.2015 disziplinarrechtlich verfolgt wird. Frage 4. Wie viele Disziplinarverfahren stehen noch aus? (Bitte nach Schulämtern aufschlüsseln) Auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Frage 5. Mit welchem Verwaltungsaufwand wird dabei für Schriftverkehr, Stellungnahmen und Anhörungen pro Fall zu rechnen sein? Die Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Neben den teilweise erheblich divergierenden Teilnehmerzahlen in den einzelnen Amtsbereichen spielt in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage eine Rolle, ob und ggf. in welcher Form die betroffene Beamtin bzw. der betroffene Beamte von den ihr bzw. ihm durch das Hessische Disziplinargesetz eingeräumten Äußerungsrechten Gebrauch macht. Frage 6. Agieren die Schulämter einheitlich oder steht es diesen frei, ob, wie und in welcher Geschwindigkeit sie die Verfahren einleiten und die Fälle abarbeiten? Mit Erlass vom 8. September 2015 wurde den Ämtern gegenüber die Freigabe für die Einleitung der Disziplinarverfahren nach Maßgabe der in dem genannten Erlass niedergelegten Hinweise erklärt. Die Ermittlungszuständigkeit und damit auch die einzelfallbezogene Planung und Durchführung der Verfahren unterliegt jedoch der Organisationshoheit der Ämter, die hierbei den im Disziplinarverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz zu beachten haben. Frage 7. In welchem Umfang erhalten staatliche Schulämter Unterstützung bei der Bewältigung des entstehenden Verwaltungsaufwands? Schulämtern mit besonders hohen Teilnehmerzahlen wurde temporär eine zusätzliche Ressource zur disziplinarrechtlichen Aufarbeitung des Warnstreiks zur Verfügung gestellt. Nicht zuletzt wird seitens des Hessischen Kultusministeriums von den im Hessischen Disziplinargesetz (HDG) vorgesehenen Möglichkeiten, den Verfahrensaufwand so gering wie möglich zu halten, in erschöpfendem Umfang Gebrauch gemacht. Frage 8. Wie viele Unterrichtsstunden konnten zum 01.12.2015 nicht gehalten werden, weil betroffene Lehrkräfte während der Unterrichtszeit im Rahmen einer Anhörung in das Staatliche Schulamt einbestellt wurden? Die Beantwortung der Frage wäre nur mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand durch einzelne Auswertung aller Stunden- und Vertretungspläne möglich und bedürfte daher eines erheblich längeren Bearbeitungszeitraums. Seitens der Schulämter wird dafür Sorge getragen, dass es - soweit organisatorisch und rechtlich in Hinblick auf die im Disziplinarverfahren geltenden Fristen möglich –grundsätzlich nicht zu Unterrichtsausfall infolge der Anhörungen kommt. Frage 9. Entspricht es den Tatsachen, dass Lehrkräfte, die sich am Streik beteiligt haben, für einen bestimmten Zeitraum von Beförderungen ausgeschlossen werden sollen? Gesetzliche Beförderungsverbote sieht das HDG lediglich im Falle der Kürzung der Dienstbezüge (§ 11 Abs. 4 Satz 1 HDG) sowie der Zurückstufung (§ 12 Abs. 3 HDG) vor. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung begegnet der Ausschluss einer Beamtin bzw. eines Beamten aus einem Auswahlverfahren während eines noch laufenden disziplinarrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Regelfall gleichwohl keinen rechtlichen Bedenken. Im Ergebnis handelt es sich bei der Frage des Beförderungsausschlusses jedoch um eine Einzelfallentscheidung. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/2907 3 Frage 10. Trifft es zu, dass der Erlass des Kultusministeriums vom 8. September 2015, mit dem die Staatlichen Schulämter zur Einleitung von Disziplinarverfahren gegen streikende Lehrkräfte verpflichtet wurden, bei den Staatlichen Schulämtern auf Widerspruch stieß und wenn ja, aus welchen Gründen ? Die Durchführung mehrerer tausend Disziplinarverfahren landesweit stellt zweifelsohne eine erhebliche Arbeitsbelastung für die Staatlichen Schulämter dar. Dessen ungeachtet werden die Hinweise gemäß dem genannten Erlass mit großer Tatkraft umgesetzt. Wiesbaden, 12. Januar 2016 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz