Kleine Anfrage der Abg. Gremmels, Hofmeyer und Franz (SPD) vom 01.04.2014 betreffend Umzingelungs- und Übernutzungsverbote als Kriterium zur Ausweisung von Windvorrangflächen und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung der Fragesteller: In den Regionalversammlungen Nord- und Mittelhessen wird vor der zweiten Offenlegung der Teilregio- nalpläne Energie die Einführung von Umzingelungs- und Übernutzungsverboten als weitere Kriterien bei der Festlegung von Windkraftflächen diskutiert. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: In der Planungsregion Mittelhessen sind die Aspekte Umzingelung einer Ortslage durch bestehende und geplante Vorranggebiete zur Nutzung der Windenergie und kumulativen Belastung bereits bei der Ermittlung der potenziellen Windvorranggebiete zum Planentwurf für die 1. Offenlage und Anhörung berücksichtigt worden. Das methodische Vorgehen ist im Umweltbericht zum Planentwurf (S. 50 f.) dokumentiert. So gilt bezüglich der Umzingelung von Ortslagen in Mittelhessen unter anderem, dass in der Summe nach Möglichkeit ein Wert von 120 Grad nicht überschritten werden soll; dabei werden Windparks dann gemeinsam betrachtet, wenn zwischen ihnen ein Sektor von weniger als 20 Grad "frei" bleibt. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wie folgt. Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung grundsätzlich folgende Kriterien zur Ausweisung von Wind- vorrangflächen im Regionalplan: a) sogenanntes Umzingelungsverbot, b) sogenanntes Übernutzungsverbot? Die Begriffe "Umzingelung" oder auch "Umfassung", "Einkreisung" bzw. "visuelle Überlastung " sind gesetzlich nicht normiert. Empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen einer Umzingelung durch Windenergieanlagen auf den Menschen liegen nicht vor. Die Auswirkungen einer Umzingelung eines Ortes durch Windenergieanlagen auf den Menschen zeigen sich vor allem über die sichtbare Wahrnehmung von Windenergieanlagen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dies ein Kriterium für die planerische Abwägung im Wege der Flächennutzungsplanung nach § 1 Abs. 7 Baugesetzbuch (BauGB) bzw. § 7 Abs. 2 Raumordnungsgesetz (ROG) sein kann. Drängt sich im Einzelfall eine visuelle Überlastung durch Windenergieanlagen auf, so ist dieser Belang laut einer im Auftrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Regionalversammlung Nordhessen erstellten rechtsgutachterlichen Stellungnahme zum Kriterium der "Umzingelung" von Ortschaften durch Windenergieanlagen im Zuge der Abwägung angemessen zu würdigen. Eine fehlende argumentative Auseinandersetzung kann einen Abwägungsfehler begründen. Auch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. März 2012 - 2 L 2/11 -, juris, hat ein Kriterium des Regionalen Entwicklungsplans Halle 2010 bestätigt, wonach auf die Ausweisung solcher Gebiete zu verzichten ist, die zu einer Einkreisung von Siedlungsbereichen führen und damit auf die Bewohner bedrohlich wirken und sie belästigen. Dabei wurde eine Einkreisung dann angenommen, wenn ein Windpark in einem Winkel von 120 Grad um das Siedlungsgebiet eine deutlich sichtbar geschlossene, das Siedlungsgebiet umfassende Kulisse darstelle. Eine Übernutzung beschreibt im allgemeinen Sprachgebrauch eine Nutzung über das übliche Eingegangen am 11. Juni 2014 · Ausgegeben am 16. Juni 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/293 11. 06. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/293 Maß hinaus. Auch wenn die Grenzen für das übliche Maß und damit für eine zulässige Nutzung von Windenergieanlagen nicht pauschal und einheitlich für alle örtlichen Gegebenheiten festgelegt werden können, ist eine Übernutzung im Einzelfall anzunehmen, wenn die Auswirkungen der Errichtung einer Windenergieanlage sich in der Gesamtschau für einen in subjektiven Rechten Betroffenen nicht mehr in einem erträglichen Ausmaß halten. Die Bewertung muss sich nach der Leistungsfähigkeit der Windenergieanlage im Einzelfall sowie nach den örtlichen Gegebenheiten richten. So ist beispielsweise hinzunehmen, dass an geeigneten Standorten mehr Anlagen genehmigt werden als an anderen, weniger geeigneten Standorten. Frage 2. Wie müssen aus Sicht des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwick- lung als Genehmigungsbehörde solche Kriterien verfasst werden, damit der Regionalplan genehmigungsfähig und rechtssicher ist? Wie bereits dargelegt, ist die Frage der Umzingelung bzw. der Übernutzung im Einzelfall nach der Leistungsfähigkeit der Windenergieanlage sowie nach den örtlichen Gegebenheiten zu prüfen . Grundsätzlich müssen jedoch die zur Prüfung zugrunde gelegten Kriterien auf nachvollziehbaren , beispielsweise aus der Fachliteratur und/oder der Rechtsprechung abgeleiteten Parametern fußen und in der Anwendung konsistent sein. Frage 3. Wie bewertet die Landesregierung entsprechende Vorgaben des Landes Mecklenburg-Vorpom- mern? Entsprechende Vorgaben des Landes Mecklenburg-Vorpommern sind dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL) nicht bekannt und auch das aktuelle Landesentwicklungsprogramm des Landes Mecklenburg-Vorpommern enthält keine Kriterien zum Thema "Umzingelung". Bekannt ist lediglich ein Gutachten zur Frage der Beurteilung zur "Umfassung von Ortschaften durch Windenergieanlagen", welches durch das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommern im Januar 2013 veröffentlicht wurde. Dieses diskutiert neben den Ergebnissen einer Literaturrecherche die Frage der Nutzung eines Ausschlusskriteriums zur Verhinderung einer Umzingelung seitens der Rechtsprechung und zeigt grundlegende Parameter und Definitionen auf, um einen maximalen Umfassungswinkel darzustellen. Das Gutachten ist den oberen Landesplanungsbehörden bekannt. Es enthält interessante Ansätze, die - u.a. aufgrund unterschiedlicher topografischer Verhältnisse - nicht ohne Weiteres auf die hessischen Verhältnisse übertragbar sind. Frage 4. Welche Auswirkungen hätten solche zusätzlichen Kriterien aus Sicht der Landesregierung? In Einzelfällen ist bei Anwendung der Kriterien eine Reduzierung der Fläche möglich. Angaben , welche potenziellen Vorranggebiete zur Nutzung der Windenergie bzw. in welchem Umfang diese Gebiete betroffen sein können, sind aufgrund der derzeitigen Überarbeitung der Planentwürfe zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Frage 5. Wären diese beiden Kriterien aus Sicht der Landesregierung dafür geeignet, die Aussage des zu- ständigen Ministers Al-Wazir im Wiesbadener Kurier vom 19. März 2014 ("dramatische Landschaftsveränderungen werde es nicht geben") zu untermauern? Diese Kriterien sind geeignet die Aussage von Herrn Minister Al-Wazir zu untermauern. Die Bewertung wird darüber hinaus durch die "Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen 2000 - Vorgaben zur Nutzung der Windenergie" vom Juni 2013 gestützt. So wird durch die Festlegungen des Landesentwicklungsplans (LEP) langfristig sichergestellt, dass 98 v.H. der Fläche des Landes Hessen von Windenergieanlagen freizuhalten und die Anlagen auf 2 v.H. der Fläche des Landes Hessen räumlich zu bündeln sind. Zusätzlich schließt der LEP die aus Sicht des Naturschutzes sowie des Landschaftsbildes besonders sensiblen Bereiche von vornherein dauerhaft und großräumig für eine Windenergienutzung aus. Wiesbaden, 9. Mai 2014 Tarek Al-Wazir