Kleine Anfrage des Abg. Gremmels (SPD) vom 01.04.2014 betreffend Stand der Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraft in Hessen und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung des Fragestellers: Im Rahmen des Hessischen Energiegipfels und im Landesentwicklungsplan wurde die Ausweisung von 2 % der Landesfläche für die Windenergieerzeugung von bis zu 28 TWh/a festgelegt. Die in den drei Regierungsbezirken verfolgte Regionalplanung zum Thema Energie hat bisher noch nicht zu Ergebnissen geführt. Gleichzeitig sind seit dem Energiegipfel Neuerrichtungen von Windparks im Land Hessen nicht in dem Umfang erfolgt, um die Ziele des Gipfels zu erreichen. Gegenüber den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist in Hessen nur ein Bruchteil des Zuwachses im Windenergiebereich zu verzeichnen. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Die nachfolgend angegebenen Verfahrenszahlen wurden auf der Grundlage des Fachinformationssystems (FIS) für Anlagen in Hessen zusammengestellt. Die Datenqualität ist abhängig von einer zeitnahen Eintragung der Angaben durch die Mitarbeiter der Regierungspräsidien (RP). Daher können sich geringfügige Abweichungen im Vergleich zu anderen Erhebungen ergeben. Aufgrund der Vielzahl der Verfahren ist es jedoch nicht möglich, einen exakteren Stand zu beschreiben . Diese Vorbemerkungen vorangestellt beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wie folgt: Frage 1. Wie viele stattgebende Genehmigungsbescheide für jeweils wie viele Windenergieanlagen sind seit 2010 für die drei Regierungsbezirke jeweils erteilt worden? Im Zeitraum vom 01.01.2010 bis 01.04.2014 wurden insgesamt 149 Genehmigungsbescheide für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen erteilt. Dabei stammen 54 Bescheide vom RP Kassel, 73 Bescheide vom RP Gießen und 22 Bescheide vom RP Darmstadt (11 Frankfurt, 4 Wiesbaden, 7 Darmstadt). Frage 2. Wie viele ablehnende Bescheide sind in dem Zeitraum ergangen? In 21 Verfahren wurde das Vorhaben von den Genehmigungsbehörden abgelehnt (5 RP Kassel, 13 RP Gießen, 3 RP Darmstadt). Frage 3. Wie viele Windenergieanlagen sind in dem Zeitraum in den drei Regierungsbezirken in Betrieb und wie viele außer Betrieb gegangen? Seit Januar 2010 in Betrieb gegangen sind bzw. kurz vor einer Inbetriebnahme befinden sich derzeit 158 Anlagen, davon 55 im Regierungsbezirk Kassel, 76 im Regierungsbezirk Gießen und 27 im Regierungsbezirk Darmstadt. Keine Windenergieanlage wurde offiziell stillgelegt. Entweder ist die Genehmigung erloschen weil der Antragsteller das Vorhaben - aus welchen Gründen auch immer - nicht realisiert hat, ober die Anlagen wurden mittels Änderungsgenehmigung repowert. Eingegangen am 19. Mai 2014 · Ausgegeben am 22. Mai 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/295 19. 05. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/295 Frage 4. Wie viele Verfahren sind je Regierungspräsidium von den Antragstellern vor Abschluss zurück- gezogen worden? Von den seit Januar 2010 beantragten Vorhaben wurden vor Abschluss des Verfahrens insgesamt 31 Vorhaben wieder zurückgezogen (11 RP Kassel, 18 RP Gießen, 2 RP Darmstadt). Frage 5. Wie viele Verfahren befinden sich derzeit im Genehmigungsverfahren und in der Vollständig- keitsprüfung jeweils bei den Genehmigungsbehörden der Regierungspräsidien und wann wurden sie eingereicht? Derzeit befinden sich 76 Anträge auf Genehmigung von Windenergieanlagen im Verfahren (17 RP Kassel, 32 RP Gießen, 27 RP Darmstadt). Frage 6. Aus den Daten der zentralen Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, die bis zum Jahr 1989 zurückreicht, ergibt sich, dass an jeder Windenergieanlagen in der Größenordnung alle 100 Jahre eine Kollision mit einem Rotmilan stattfindet. Für den Schwarzstorch ergibt sich pro Windenergieanlage eine Kollision in der Größenordnung alle 25.000 Jahre. a) Kennt die Landesregierung diese Kollisionswahrscheinlichkeiten oder liegen der Landesregierung andere Zahlen vor? Ja, die Landesregierung kennt die in der zentralen Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg aufgeführten Angaben zu den Schlagopferzahlen der windkraftsensiblen Vogelarten. Die genannten hochgerechneten Kollisionswahrscheinlichkeiten sind bezogen auf den Rotmilan aus einem Urteil des VG Minden (Urteil vom 10.03.2010, Az. 11 K 53/09) bekannt. Andere Zahlen liegen nicht vor. Die in dieser Fundkartei genannten Zahlen zu den Kollisionen sind in dem im Zuge der "Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen 2000 - Vorgaben zur Nutzung der Windenergie " erstellten Gutachten zur "Abgrenzung relevanter Räume für windkraftempfindliche Vogelarten in Hessen" (PNL, 2012) aufgeführt und verwendet worden. Die Totfunde betrugen gemäß den Vorgaben im genannten Avifauna-Gutachten 2010 beim Rotmilan insgesamt in Deutschland 138, nach Datenstand vom 04.04.2014 sind sie auf 232 angestiegen. Beim Schwarzstorch liegt bisher eine Todmeldung von 1998 aus Hessen vor. Das Gutachten ist in den hessischen "Leitfaden - Berücksichtigung der Naturschutzbelange bei der Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen (WKA) in Hessen" (HMUELV, HMWVL 2012) eingegangen, der eine relevante naturschutzfachliche und –rechtliche Grundlage für die hessischen Windenergieplanungen darstellt . Auch wenn die Schlagopfer-Angaben eine Grundlage für die Einschätzung des unterschiedlich hohen Kollisionsrisikos von Vogelarten bildet, ist zu berücksichtigen, dass sie weitgehend unsystematisch erfasst werden. Allein auf Brandenburg entfallen 39 % aller Totfunde bei Vögeln; bei Rotmilanen entfallen 26 % der Totfunde auf Brandenburg. Auf Hessen entfallen nur 2 % aller dokumentierten Totfunde, allerdings 7 % aller dokumentierten toten Rotmilane. Die Verteilung der tatsächlichen Todesfälle an Windenergieanlagen bei einzelnen Arten in einzelnen Ländern kann aus einer Datenbank, die in einem hohen Maße aus nicht systematisch erfassten Funden besteht, statistisch nicht abgeleitet werden. Die Staatliche Vogelschutzwarte des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg weist aus diesem Grund auf ihrer Homepage (http://www.lugv.brandenburg.de/cms/detail.phb/bb1.c.312579.de, aufgerufen am 10.04.2014) darauf hin, dass es auch nicht empfehlenswert ist, mit den Zahlen aus der Vogelschlagkartei Hochrechnungen zu erstellen. Bezüglich der Aussagekraft der Statistik aus Brandenburg verweise ich insofern auf die Kleine Anfrage der Abg. Caspar, Dietz, Peuser (CDU) vom 22.11.2011 betreffend Erhöhung der Akzeptanz bei Windenergieanlagen durch Vogelschutz und Antwort der Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drs. 18/4808. Frage 6. b) Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den von der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg veröffentlichten Daten? Die Daten der Todfundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg bilden eine wertvolle Information, um das artspezifische Kollisionsrisiko unterschiedlicher Vogelarten fortzuschreiben. Sofern sich hiernach neue Erkenntnisse zur Windkraftsensibilität der Arten ergeben, wird geprüft werden, ob eine Anpassung der artspezifischen Bewertungen der Kollisionsempfindlichkeit im hessischen "Leitfaden - Berücksichtigung der Naturschutzbelange bei der Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen (WKA) in Hessen" erforderlich ist. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/295 3 Frage 7. Wie viele potenzielle Windparkstandorte mit welcher Fläche sind von den sogenannten Natura 2000-Verträglichkeitsprüfungen im Vogelschutzgebiet Hoher Westerwald und Vogelsberg negativ betroffen? Bitte separat Flächen aufführen, die bereits in der Ersten Offenlegung des Teilregionalplans Energie Mittelhessen vorgesehen waren und Flächen, für die Genehmigungsanträge vorliegen. Natura 2000-Gebiete können für die regionalplanerische Festlegung von "Vorranggebieten zur Nutzung der Windenergie" (VRG Windenergie) herangezogen werden, wenn die Windenergienutzung mit den Erhaltungszielen oder den für den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen eines Natura 2000-Gebietes vereinbar ist oder die Voraussetzungen für eine FFH-rechtliche Ausnahme vorliegen. Darüber hinaus sind Natura 2000-Gebiete nach § 21 des Bundesnaturschutzgesetzes Bestandteile des Biotopverbunds und auch in dieser Funktion u.a. durch planungsrechtliche Festlegungen zu sichern, um den Biotopverbund dauerhaft zu gewährleisten. Im Sinne einer größtmöglichen Konfliktvermeidung und -minimierung ist im Planentwurf des Teilregionalplans Energie Mittelhessen fast vollständig auf eine Überlagerung von VRG Windenergie mit Natura 2000-Gebieten verzichtet worden (1. Anhörung und Offenlage: 21.1. bis 20.3.2013). Im Planentwurf für die 1. Anhörung und Offenlage wurden lediglich in den Vogelschutzgebieten "Hoher Westerwald" und "Vogelsberg" ausschließlich Flächen bestehender Windfarmen als VRG Windenergie festgelegt. Diese potenziellen "Vorranggebiete zur Nutzung der Windenergie", für die aufgrund einer im Rahmen der Erstellung des Planentwurfs durchgeführten Prüfung von einer Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen der Vogelschutzgebiete ausgegangen wird, sind im Umweltbericht zum Planentwurf (1. Offenlage) dokumentiert (S. 97, Tabelle 13). Mit Beschluss vom 18.12.2012 hat die Regionalversammlung Mittelhessen das Regierungspräsidium Gießen als Obere Landesplanungsbehörde beauftragt, umfassende Untersuchungen über die mögliche Ausweisung von Vorranggebieten zur Windenergienutzung insbesondere in den EU-Vogelschutzgebieten "Vogelsberg" und "Hoher Westerwald" zu veranlassen. Die Gutachten (Stand Februar 2014) sowie die Ergebniskarten können auf den Internetseiten des RP Gießen eingesehen werden (Planung & Verkehr > Regionalplanung > Teilregionalplan Energie Mittelhessen > Avifauna-Gutachten). Sie dokumentieren für jedes VRG Windenergie in den beiden o.g. EU-Vogelschutzgebieten, unter Angaben der Flächengröße, das Ergebnis der FFHVerträglichkeitsprüfung . Frage 8. Bitte Frage sieben analog für die Planungsregionen Nord- und Südhessen beantworten. Das EU-Vogelschutzgebiet (VSG) "Hoher Westerwald" liegt vollständig, das VSG "Vogelsberg " liegt zu überwiegenden Teilen in der Planungsregion Mittelhessen. In den in den Planungsregionen Süd- und Nordhessen liegenden Flächen des Vogelschutzgebietes Vogelsberg sind im Rahmen der Erarbeitung der Planentwürfe der sachlichen Teilpläne Energie keine potenziellen VRG Windenergie festgelegt worden. Nach dem Kriterienrahmen für die Ermittlung potentieller "Vorranggebiete zur Nutzung der Windenergie" wurden in der Planungsregion Nordhessen alle kleinräumigen FFH- und Vogelschutzgebiete als "weiches" Ausschlusskriterium definiert und entsprechende Gebiete aus der Suchraumkulisse ausgeschieden. Lediglich die 6 großflächigen Vogelschutzgebiete Hessisches Rothaargebirge, Burgwald, Kellerwald, Riedforst, Knüll und Hessische Rhön sowie das FFHGebiet Werra- und Wehretal sind im Rahmen einer Einzelfallprüfung in Bezug auf eine mögliche Verträglichkeit einzelner Standorte für die Windenergienutzung überprüft worden. Als Ergebnis der durchgeführten Prüfung wurden nur für die Vogelschutzgebiete Hessisches Rothaargebirge und Knüll Flächen in den Planentwurf zur 1. Anhörung und Offenlage aufgenommen. Nach Auswertung der Stellungnahmen werden einige dieser potenziellen Vorranggebiete voraussichtlich nicht weiter verfolgt werden bzw. im Flächenumfang reduziert. Immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren in der Natura 2000-Gebietskulisse laufen in Nordhessen derzeit nicht. In der Planungsregion Südhessen wurden im Rahmen der regionalplanerischen Ermittlung der "Vorranggebiete zur Nutzung der Windenergie" zum Planentwurf des Sachlichen Teilplans Erneuerbare Energien (1. Offenlage) im Regierungsbezirk Darmstadt - außerhalb des Gebietes des Regionalverbandes FrankfurtRheinMain - alle Natura 2000-Gebiete ausgeschlossen. Hingegen wurden im Gebiet des Regionalverbands die Suchräume für die Windenergienutzung bei Überlagerung mit Vogelschutzgebieten (inklusive einem 1.000 m Puffer) und FFH-Gebieten einer Prognose unterzogen. Konnten erhebliche Beeinträchtigungen des jeweiligen Natura 2000- Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen nicht ausgeschlossen werden, wurden die Flächen aus der Suchraumkulisse herausgenommen (methodisches Vorgehen, siehe detailliert Text und Umweltbericht - Entwurf 2013, Sachlicher Teilplan Erneuerbare Energien Regionalplan Südhessen, S. 27). 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/295 Frage 9. Wie wird seitens des zuständigen Ministeriums die Qualität der im Rahmen des Landesentwicklungsplans - wie auch der Regionalplanung zu Grunde gelegenen Windkarten des TÜV-Süd beurteilt ? Die Belastbarkeit der Windpotenzialberechnung wurde bei der Beauftragung des TÜV Süd im Jahre 2011 unter Hinzuziehung externer Sachverständiger geprüft, so dass die Berechnung ein möglichst genaues Abbild der Windgeschwindigkeiten auf der Basis der seinerzeit vorliegenden Eingangsparameter lieferte. Die nach der Fertigstellung der Windkarte eingebundenen namhaften Windenergieanlagenplanungsfirmen haben attestiert, dass diese Berechnungs- und Darstellungsmethodik den "Stand der Technik" darstellt. Die Richtigkeit des Ansatzes und das weitere Vorgehen wurden auch vom Fraunhofer Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES bestätigt, welches dem Hessischen Umweltministerium (Auftraggeber) beratend zur Seite stand. Es liegt in der Natur von Berechnungsmodellen, dass mit jeder weiteren Windkraftanlage die Datengrundlage zur Modellierung und zur Evaluierung einer Windgeschwindigkeitskarte verbessert wird. Das zentrale Ziel ist, dass Windvorrangflächen hinsichtlich ihrer Eignung so treffsicher wie möglich ausgewiesen werden. Abweichungen vom Windatlas können bei Einzelgutachten auf der Basis einer Methode, die die örtlichen Bedingungen eines speziellen Standortes optimal abbilden, an einzelnen Standorten oder räumlichen Umgebungen auftreten. Solche Einzelgutachten sind für konkrete Standort- und Investitionsentscheidungen unerlässlich. Daher kann eine Windpotenzialkarte niemals ein Einzelgutachten ersetzen. Hierauf weist TÜV Süd in seinem Bericht zur Windpotenzialkarte hin ("Der Windatlas ist allerdings kein Ersatz für ein akkreditiertes Windgutachten, das für einen spezifischen Standort erstellt wird."). Aus diesem Grund wurde bei der Identifizierung von potentiellen Vorrangflächen mit den Regierungspräsidien vereinbart, dass einem fachlich belastbaren Windeinzelgutachten gegenüber der Windkarte des TÜV SÜD der Vorzug zu geben ist. Die Anforderungen an standortspezifische Wind- bzw. Ertragsgutachten fasst eine Darstellung auf den Internetseiten des RP Darmstadt sowie des Regionalverbandes FrankfurtRheinMain (u.a. http://www.region-frankfurt.de/media/custom/2033_720_1.PDF?1387367111) zusammen. Die Qualität der Windpotenzialkarte des TÜV Süd ist unter Berücksichtigung der vorstehenden Argumente für die Landesentwicklungsplanung und die Regionalplanung ausreichend hoch für die regionalplanerische Ermittlung von Vorrangflächen für die Windenergienutzung. Wiesbaden, 5. Mai 2014 Tarek Al-Wazir