Kleine Anfrage der Abg. Cárdenas (DIE LINKE) vom 04.01.2016 betreffend Umsetzung der Europäischen Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) in Hessen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Welche Verfahren kommen in Hessen zur Anwendung, um schutzbedürftige Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu identifizieren? Sowohl im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in der HEAE als auch im Rahmen der medizinischen Erstuntersuchung werden Flüchtlinge mit besonderen Bedürfnissen, die eine erhöhte Schutzbedürftigkeit begründen, festgestellt und im Bedarfsfall geeignete Maßnahmen sichergestellt . Frage 2. Inwieweit ist das Personal, das die verpflichtende ärztliche Erstuntersuchung nach § 62 AsylG durchführt, geschult, um besondere Schutzbedürftigkeit zu erkennen? Der Umgang mit und die Feststellung von besonders schutzbedürftigen Menschen aufgrund von Behinderungen, Alter, Schwangerschaft und psychischen Störungen oder Traumatisierungen gehören regelmäßig zum Ausbildungsumfang und zum täglichen Patientenklientel von medizinischem Fachpersonal. Die medizinische Erstuntersuchung wird von Ärzten, zumeist mit Facharztausbildung , durchgeführt. Frage 3. Wie wird erkannte Schutzbedürftigkeit dokumentiert? Sowohl das Aufnahmeverfahren als auch die ärztliche Erstuntersuchung werden dokumentiert. Notwendige weitere Diagnostik und Therapie werden geplant, erforderlichenfalls werden weitere Fachabteilungen (Sozialdienste, Pflegedienste etc.) eingebunden. Frage 4. Welche speziellen Unterstützungsleitungen erhalten Flüchtlinge, die als schutzbedürftig im Sinne der Aufnahmerichtlinie identifiziert werden (bitte nach den einzelnen Gruppen besonders schutzbedürftiger Personen aufschlüsseln)? Sobald festgestellt wurde, dass es sich bei einem Flüchtling um eine besonders schutzwürdige Person handelt, wird versucht, der besonderen Schutzwürdigkeit Rechnung zu tragen und spezifische Unterstützung entsprechend den Bedürfnissen zu gewähren. Die besondere Schutzbedürftigkeit dieser Personen wird regelmäßig bereits bei der Unterbringung berücksichtigt. Grundsätzlich erfolgt bei der Belegung der Unterkünfte eine Berücksichtigung von Geschlecht, Familienzusammenhängen , Nationalitäten, Ethnien und Religionen. Besonders schutzbedürftige Personen werden in geeignete und speziell den besonderen Bedarfen gerecht werdenden Unterkünften untergebracht. Insbesondere sind einzelne Einrichtungen ausschließlich für Flüchtlinge mit besonderer Schutzbedürftigkeit vorgesehen. Am Standort Darmstadt wird eine Einrichtung der HEAE ausschließlich für allein reisende Frauen mit und ohne Kinder sowie Schwangere, Wöchnerinnen und Mütter mit Kleinkindern vorgehalten. Das Pilotprojekt "Step by Step" besteht aus Angeboten, die gemeinsam mit dem Sigmund-Freud-Institut (SFI) und der Stiftungsuniversität Frankfurt erarbeitet wurden und die auf die spezifischen Bedürfnisse der untergebrachten Frauen und Kinder infolge von Migration und Flucht eingehen. Eingegangen am 11. Februar 2016 · Ausgegeben am 12. Februar 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3021 11. 02. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3021 Darüber hinaus ist die Herrichtung einer weiteren Einrichtung der HEAE geplant, deren Schwerpunkt sich speziell an der besonderen Schutzbedürftigkeit von Menschen mit einer akuten Erkrankung oder Behinderung orientieren wird. Im Rahmen der Sozialbetreuung vor Ort wird in jeder Einrichtung der HEAE die besondere Schutzbedürftigkeit der untergebrachten Flüchtlinge berücksichtigt. Erforderliche ambulante oder stationäre ärztliche Behandlung, auch bei Fachärzten oder in Krankenhäusern, ist jederzeit entsprechend den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes sichergestellt. Frage 5. Wie lässt sich die Unterbringung von schutzbedürftigen Personen in Containerlagern, Turn- und anderen Hallen mit dieser Richtlinie vereinbaren? In den vergangenen Wochen und Monaten haben die Zugangszahlen der Flüchtlinge Steigerungen in einem solch massiven Umfang erfahren, die nicht zu erwarten und vorauszusehen waren. Dies machte es in kürzester Zeit erforderlich, zusätzlich zu festen Gebäuden Turnhallen zu belegen und eine Zeltunterbringung zu organisieren, um für die ankommenden Flüchtlinge eine Unterbringung sicherzustellen und Obdachlosigkeit zu vermeiden. Hierbei wurde versucht, die Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen bestmöglich zu berücksichtigen und diese Personen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten vorrangig in geeignete feste Liegenschaften unterzubringen. Die Belegung von Turnhallen stellt eine Übergangslösung dar, die bis Ende Januar 2016 aufgegeben wurde. Die Zeltunterbringung wurde mit dem 20.12.2015 beendet. Frage 6. Welche weiteren Schritte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht sind nach Ansicht der Landesregierung für die Umsetzung der Aufnahmerichtlinie erforderlich? Die Landesregierung arbeitet kontinuierlich an der Qualitätssicherung und Verbesserung des Erstaufnahmeprozesses insbesondere im Hinblick auf schutzbedürftige Personen. Frage 7. Welche weiteren Projekte oder Verfahren zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie sind bereits konkret in Planung? Hier wird eine Unterscheidung zwischen Level 1 und Level 2 Standorten vorgenommen. Level 1 "Standort für besonders Fürsorgebedürftige": Hierbei handelt es sich um einen Standort, der einen höheren Level an medizinischer /pflegerischer Versorgung für schutzbedürftige Personen mit besonderem Fürsorgebedarf gemäß EU-Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EU vorhält (Dekubitus-Patienten, Tracheostoma- Patienten u.ä.). Die Vorbereitungen zur Einrichtung eines solchen Standorts in Rotenburg laufen . Level 2 "Standort für schutzbedürftige Personen": Standort mit besonderen Räumlichkeiten / Ausstattungen / Konzepten für schutzbedürftige Personen , die keine besondere medizinisch-pflegerische Versorgung benötigen. Ein solcher Standort befindet sich in der HEAE Darmstadt ("Michaelis Dorf"). Hier wird seit Januar 2016 das bereits angesprochene Pilotprojekt "Step-by-Step" durchgeführt. Mitarbeiter des Sigmund-Freud-Instituts und der Stiftungsuniversität Frankfurt führen im Rahmen wissenschaftlicher Begleitung ein niedrigschwelliges, psychologisches und psychosomatisches Screening in der HEAE durch, um jene Flüchtlinge zu erkennen, die akute psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe brauchen. Im Übrigen verweise ich auf die Beantwortung der Frage 4. Frage 8. Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den Ergebnissen des Pilotprojekts der Universität Gießen für die Etablierung eines Screeningverfahrens für Traumafolgen bei Flüchtlingen? Ein Evaluierungsgespräch zwischen dem Regierungspräsidium Gießen und der Universität Gießen hat ergeben, dass weitere Untersuchungen im Rahmen einer Folgestudie notwendig sind, um gesicherte Ergebnisse ableiten zu können. Der Universität wurde die erforderliche Unterstützung in Aussicht gestellt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3021 3 Frage 9. Warum wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieses Pilotprojekts der Zutritt zu dem Gelände der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (HEAE) verwehrt? Sowohl aus Gründen der Zugangssicherung der HEAE als auch aus Kontrollerfordernissen von verteiltem Informationsmaterial innerhalb der HEAE sowie aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten war die Durchführung der Studie auf dem Gelände der HEAE nicht geboten. Dieses Verfahren war zwischen der HEAE und der Universität Gießen abgesprochen. Darüber hinaus standen zum Zeitpunkt der Durchführung der Studie auf dem Gelände der HEAE keine räumlichen Kapazitäten zur Nutzung für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Verfügung. Zudem war sicherzustellen , dass bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der HEAE nicht der Eindruck entsteht , sie seien zur Teilnahme an der Studie verpflichtet. Frage 10. Welche weiteren Screeningverfahren bei Traumafolgen - auch außerhalb Hessens - in Zusammenhang mit der Aufnahme Asylsuchender gibt es? Weitere Screeningverfahren bei Traumafolgen sind nicht bekannt. Wiesbaden, 3. Februar 2016 Stefan Grüttner