Kleine Anfrage der Abg. Schott (DIE LINKE) vom 14.01.2016 betreffend Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen in Hessen und Antwort der Ministerin der Justiz Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration und dem Minister des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Wie viele Anzeigen gab es in den Jahren 2005 bis 2015 in Hessen aufgrund von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen? In den Jahren 2005 bis 2015 wurden in Hessen laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) insgesamt 12.951 Fälle gegen die sexuelle Selbstbestimmung von weiblichen Personen (ohne Straftaten gegen Kinder und Jugendliche) erfasst. Davon wurden 9.119 Fälle aufgeklärt. Kalenderjahr Erfasste Fälle Aufgeklärte Fälle 2005 1.318 920 2006 1.323 941 2007 1.259 835 2008 1.189 839 2009 1.122 737 2010 1.159 815 2011 1.130 819 2012 1.145 850 2013 1.088 777 2014 1.150 827 2015 1.068 759 Frage 2. Welchen Delikten wurden diese Anzeigen zugeordnet? Eine detaillierte Darstellung der einzelnen Delikte ist der Anlage zu entnehmen. Frage 3. Wie viele Anklagen wurden in den genannten Jahren aufgrund welcher Delikte erhoben? Zur Beantwortung der Fragen 3. bis 5. hat die IT-Stelle der hessischen Justiz eine Auswertung des staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters MESTA vorgenommen. Die Antworten beziehen sich lediglich auf den Zeitraum von 2010 bis 2015, weil aufgrund zwingender datenschutzrechtlicher Vorgaben Daten für die Vorjahre teilweise bereits gelöscht wurden und daher mittels der noch gespeicherten Daten keine aussagekräftige Statistik erstellt werden kann. Da keine Verlaufsstatistik geführt wird, können die in den Antworten zu den Fragen 1. und 2. mitgeteilten statistischen Daten nicht in Beziehung zu den nachfolgend genannten Zahlen gesetzt werden. Soweit nach einzelnen Delikten gefragt ist, wurden für die Beantwortung folgende Deliktsgruppen gebildet: a) Straftaten unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses, (§§ 174, 174a, 174b, 174c StGB) b) Straftaten der sexuellen Nötigung (inklusive Vergewaltigung) und ihrer Qualifikationen, (§§ 177, 178, 179, 240, 241 StGB) Eingegangen am 29. Februar 2016 · Ausgegeben am 4. März 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3046 29. 02. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3046 c) prostitutionsbezogene Straftaten (§§ 180, 180a, 181a StGB), d) exhibitionistische Straftaten (§§ 183, 183a StGB), e) Beleidigungsdelikte (§§ 185, 186, 187 StGB). In den Jahren 2010 bis 2015 wurden 1.214 Verfahren folgender Deliktsgruppen durch Anklageerhebung bzw. Beantragung eines Strafbefehls abgeschlossen: a) Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses: 48 Ermittlungsverfahren, b) sexuelle Nötigung: 875 Ermittlungsverfahren, c) Prostitutionsbezug: 12 Ermittlungsverfahren, d) Exhibitionismus: 244 Ermittlungsverfahren, e) Beleidigung: 35 Ermittlungsverfahren. Frage 4. Wenn keine Anklage erhoben wurde, dann aus welchen Gründen (bitte nach Delikten aufschlüsseln )? In den Jahren 2010 bis 2015 erfolgten 2.415 Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts, infolge ausgeräumten Tatverdachts oder weil keine Straftat vorlag. Dies betraf im Einzelnen folgende Deliktsgruppen: a) Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses: 101 Ermittlungsverfahren, b) sexuelle Nötigung: 2.043 Ermittlungsverfahren, c) Prostitutionsbezug: 38 Ermittlungsverfahren, d) Exhibitionismus: 169 Ermittlungsverfahren, e) Beleidigung: 64 Ermittlungsverfahren. Weitere 2.177 Ermittlungsverfahren wurden nach den §§ 153, 153a, 154, 154f StPO eingestellt oder auf andere, nicht mit der Frage des Tatverdachts zusammenhängende Weise abgeschlossen (Abgabe, Verbindung, Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO aus sonstigen Gründen). Frage 5. Wie viele Verurteilungen gab es diesbezüglich in den genannten Jahren in Hessen (bitte nach Jahren und Delikten aufschlüsseln)? Die Anzahl der Verurteilungen in den Jahren 2010 bis 2015 stellt sich - gegliedert nach den in der Antwort zu Frage 3 genannten Deliktsgruppen - wie folgt dar: Jahr Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses Sexuelle Nötigung Prostitutionsbezug Exhibitionismus Beleidigung Gesamt 2010 3 96 - 37 4 140 2011 7 106 3 31 3 150 2012 5 76 2 29 4 116 2013 11 62 - 46 2 121 2014 4 71 2 47 5 129 2015 9 68 1 43 2 123 Folgende Arten von gerichtlichen Entscheidungen wurden dabei erfasst: Freiheitsstrafen mit und ohne Bewährung, Anordnungen von Maßregeln der Besserung und Sicherung, Jugendstrafen, Jugendarreste, Verhängung von Zuchtmitteln nach § 13 JGG, Geldstrafen, Verwarnungen mit Strafvorbehalt. Frage 6. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung bezüglich der Dunkelziffer in Bezug auf Delikte, die nicht angezeigt werden? In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) und in den von der Justiz geführten Verfahrensregistern bzw. Statistiken wird lediglich das sogenannte Hellfeld - also die der Polizei und der Justiz bekannt gewordene Kriminalität - erfasst. Da der Polizei und der Justiz naturgemäß keine statistischen Daten über das sogenannte Dunkelfeld - also die den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt gewordene Kriminalität - vorliegen, können hierzu keine Aussagen getroffen werden. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3046 3 Frage 7. Inwiefern sieht die hessische Landesregierung Handlungsbedarf bezüglich des Artikel 36 des Europaratsübereinkommens zu Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, alle nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen und eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten? Das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wurde von Deutschland bisher noch nicht ratifiziert, allerdings beabsichtigt die Bundesregierung eine entsprechende Ratifizierung. Artikel 36 des Übereinkommens sieht u.a. vor, dass jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen ist. Ausweislich des erläuternden Berichtes des Übereinkommens ist es den Vertragsparteien aber überlassen, in der Gesetzgebung über die genaue Formulierung sowie über die Faktoren zu entscheiden, die eine freie Zustimmung ausschließen. Das deutsche Sexualstrafrecht sieht mit § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Sexuelle Nötigung unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage) bereits eine Strafbarkeit für Fälle nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen vor, ohne dass die Strafbarkeit von einer Gegenwehr des Opfers abhängig gemacht würde. Es hat sich allerdings in der justiziellen Praxis gezeigt, dass hierdurch nicht alle strafwürdigen Fälle nicht einverständlicher sexueller Handlungen erfasst werden. Die Landesregierung hat im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Reform des Sexualstrafrechts bereits seit längerem eine Umsetzung von Artikel 36 des Übereinkommens gefordert und einen entsprechenden Beschluss der 85. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 6. November 2014 unterstützt. Eine Umsetzung des Übereinkommens müsste allerdings durch eine Änderung des Strafgesetzbuches erfolgen, welche in die alleinige Gesetzgebungskompetenz des Bundes fällt. Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hat nunmehr den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung - vorgelegt, mit welchem einige Strafbarkeitslücken bei Fällen von nicht einverständlichen sexuellen Handlungen geschlossen werden sollen. Die Intention des Referentenentwurfs wird von der Landesregierung begrüßt. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens ein noch weitergehender Reformbedarf ergibt. Frage 8. Welche flächendeckenden Maßnahmen gibt es in Hessen, um das Bewusstsein bezüglich des sexuellen Selbstbestimmungsrechts von Frauen gesellschaftlich weiterzuentwickeln? Damit die Unverletzlichkeit des sexuellen Selbstbestimmungsrechts von Frauen, und zwar von Kindheit an, zum Selbstverständnis wird, bildet die Gewaltprävention einen roten Faden in vielfältigen Vorhaben der Landesregierung. Die Landesregierung vertritt die Auffassung, dass dieses Anliegen bereits in der frühkindlichen Bildung berücksichtigt werden muss. Mit dem Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von null bis zehn Jahren und den damit verbundenen flächendeckend angebotenen Fortbildungen verfolgt Hessen auch einen präventiven Ansatz. Kinder mit all ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen , Wünschen und Kompetenzen sollen im Mittelpunkt des pädagogischen Handelns stehen und müssen in allen Bildungsinstitutionen ganzheitlich wahrgenommen werden. Kindliche Sexualität ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Gesamtentwicklung. Aspekte einer Sexualerziehung bei Kindern sind in ein ganzheitliches Konzept einzubinden. Ziel ist dabei vor allem, Kinder in ihrer gesamten Entwicklung zu stärken und ihnen dabei auch zu helfen, ein positives Körper- und Selbstkonzept auszubilden. Dabei entdecken sie auch ihre Sexualität und die Geschlechterunterschiede und müssen dabei Behutsamkeit, Respekt, Schutz ihrer Intimsphäre und Gleichwertigkeit im sozialen Miteinander von Jungen und Mädchen erleben. Kinder sollen in den Einrichtungen u.a. ihren Handlungs- und Erfahrungsraum erweitern und Wissen über ihren Körper erwerben. Dazu gehört, dass sie ein Gespür für die eigenen körperlichen Fähigkeiten und Grenzen sowie die der anderen entwickeln lernen und diese auch annehmen können. Kinder in ihrem Selbstkonzept und in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, stellt nach Ansicht der Landesregierung auch eine der wichtigsten Präventionsstrategien im Umgang mit sexuellen Übergriffen dar. Desgleichen bilden die Maßnahmen der Landesregierung zur Stärkung der Elternkompetenz zum respektvollen Umgang mit kindlichen Bedürfnissen etwa im Rahmen der Frühen Hilfen wie auch innovative, spielerische Ideen, die landesweit in der Kinderbetreuung, im Schulwesen bis hin zum Sport die Befähigung zur Empathie bereits im frühesten Kindesalter und in der Gruppe fördern, eine Grundlage für ein gesundes Heranwachsen von starken Kindern und Jugendlichen. Die Landesregierung übernimmt Verantwortung für die Kompetenzerweiterung von Fachkräften in verschiedenen Berufsfeldern, die hier nicht erschöpfend aufgezählt werden können. Die Wei- 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3046 terqualifikation von sozialen Fachkräften zu ihrer besonderen Verantwortung für Kinder und Jugendliche sowie gegenüber Frauen, die durch Gewalt belastet sind, bildet ein Schwerpunktthema des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration seit Jahren, so auch in dieser Legislaturperiode. Gleiches gilt für den Behindertenbereich, für den das Sozialministerium mit Erfolg eine solide Orientierung für Präventionskonzepte zur Vorbeugung von sexualisierten Grenzüberschreitungen und Gewalt in stationären Einrichtungen sowie Behindertenwerkstätten bereitstellt, die rege in der Praxis umgesetzt wird. Seit August 2012 existiert in Hessen eine Muster-Handlungsempfehlung und eine Muster- Dienstvereinbarung (Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer/Betriebsrat) zum Umgang mit Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen in voll- und teilstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe (vgl. Beck, Bretländer, Flügge, FH Frankfurt, Kooperation mit dem HMSI und dem Hessischen Netzwerk behinderter Frauen; erste Fassung vom 30. August 2012, überarbeitete Fassung vom 29. Juli 2013; veröffentlicht unter www.brk.hessen.de oder www.frankfurt-university.de, dort auch in leichter Sprache herunterladbar). Die Handlungsempfehlung enthält zwei Teile: (a) Bausteine für eine Intervention im Falle von sexueller Gewalt inklusive exemplarischer Handlungsabläufe für ein Vorgehen bei dem Verdacht oder dem Vorliegen sexueller Gewalt und (b) Bausteine für ein Gewaltpräventionskonzept. Die Empfehlungen werden auch bei der Prüftätigkeit der Betreuungs - und Pflegeaufsichtsbehörden (Heimaufsicht) berücksichtigt. Überdies sind auch Regelungen zum Schutz der körperlichen und seelischen Gesundheit, zur Gewährleistung des Rechts auf gewaltfreie und menschenwürdige Pflege, die Gewährleistung zur Wahrung der Intimsphäre sowie zum Vorhalten eines Angebots lokaler und regionaler Beratungsstellen sowie Beschwerdestellen im Hessischen Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen (HGBP) vom 7. März 2012, GVBl., S. 34, enthalten. Im März 2016 findet unter der Schirmherrschaft von Herrn Staatssekretär Dr. Dippel erstmals eine Veranstaltung für Fachkräfte aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und des Gewaltschutzes in Hessen "Qualifiziert. Vernetzt." mit besonderem Augenmerk auf die Prävention und den Schutz bei sexualisierter Gewalt statt. Dieser Qualifizierungs- und Vernetzungskongress ist unmittelbar aus einer wissenschaftlichen Bestandsaufnahme des Bedarfs an Weiterentwicklung der hessischen Einrichtungen entstanden und ist ein Meilenstein zur Umsetzung von gleich zwei Landesaktionsplänen, nämlich des Hessischen Aktionsplans zur Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention wie auch des Hessischen Aktionsplans zur Bekämpfung der Gewalt im häuslichen Bereich. Im Gesundheitsbereich zählt Hessen zu den führenden Ländern in Deutschland, die die in medizinischen Berufen tätigen Personen durch Wissenstransfer, praxisbewährte und wissenschaftlich basierte Untersuchungs- und Dokumentationsinstrumente wie auch neue Strukturen in Krankenhäusern und anderen Kompetenzzentren befähigen, ihre Rolle in der Gewaltprävention und für einen sensiblen Umgang mit Gewaltopfern wahrzunehmen. Eine Bewusstseinswandlung in Bezug auf sexualisierte Gewalt ist hier ein zentrales Anliegen seit der ersten Veröffentlichung des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration zur Befunderhebung, Spurensicherung und Versorgung bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt 2007, die in der Folge als Grundlage für bundesweit geltende Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gedient hat und in das Qualitätsmanual der Bundesärztekammer und Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgenommen wurde. Auch eine flächendeckende Professionalisierung der Gesundheitsberufe bleibt Ziel der Landesregierung. Frage 9. Welche flächendeckenden Hilfen erhalten Frauen, wenn sie eine Anzeige erstatten wollen? Frage 10. Welche Hilfen erhalten Frauen, nachdem sie eine Anzeige erstattet haben, während des Verfahrens ? Die Fragen 9. und 10. werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Frauenberatungsstellen, vor allen Dingen die Frauennotrufe aber auch die Frauenhäuser, sind mit der psychosozialen Begleitung von Frauen nach Vergewaltigung befasst, unabhängig davon, ob die Betroffene eine Anzeige erstatten möchte oder nicht. Desgleichen haben sich mehrere Frauenkliniken, angefangen zunächst im Rhein-Main-Gebiet und inzwischen auch in Ost-Hessen, zu Kompetenzzentren für die medizinische Akutversorgung nach Vergewaltigung entwickelt. Neben der medizinischen Akutversorgung stellen sie auch auf Wunsch der Betroffenen eine rechtsmedizinisch geschulte, juristisch verwertbare Spurensicherung und Befundung und, in Kooperation mit den Frauennotrufen, eine individuelle Begleitung sicher. Weitere Kliniken bereiten sich hierauf vor. Einen Überblick über die beteiligten Krankenhäuser und das Angebot bietet die zentrale Seite www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de, die alle Modellstandorte sichtbar macht und allen am Modell interessierten Kommunen und Landkreisen zur Verfügung steht. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3046 5 Das 2015 abgeschlossene Modellprojekt Schutzambulanz Fulda (www.schutzambulanz-fulda.de) bleibt als Kompetenzzentrum im Landkreis Fulda und angrenzenden Landkreisen tätig. Das Forensische Konsil Gießen, das am Institut für Rechtsmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Universitätsklinikums Gießen und Marburg GmbH 2013 eingerichtet wurde, bietet hessenweit über ein gesichertes Portal Zugang zur Expertise der Rechtsmedizin. In der dort eingerichteten Ambulanz und ggf. vor Ort kann eine vertrauliche körperliche Untersuchung und entsprechende Dokumentation mit Spurensicherung erfolgen. Der Wissenstransfer durch das Gießener Institut für Rechtsmedizin wird voraussichtlich über Kooperationen mit Frauenkliniken überregional ausgebaut werden, die derzeit in Planung sind. Der Bundesgesetzgeber hat mit der Verabschiedung des 3. Opferrechtsreformgesetzes vom 21. Dezember 2015 nicht nur die EU-Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU umgesetzt, sondern dies außerdem zum Anlass genommen, die psychosoziale Prozessbegleitung in § 406g der Strafprozessordnung (StPO) sowie dem Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG) einer detaillierten gesetzlichen Regelung zuzuführen. Die diesbezüglichen Bestimmungen treten am 1. Januar 2017 in Kraft. Im PsychPbG wird die psychosoziale Prozessbegleitung als eine besondere Form der nicht rechtlichen Begleitung für besonders schutzbedürftige Verletzte von Straftaten vor, während und nach der Hauptverhandlung definiert. Sie umfasst die Informationsvermittlung sowie die qualifizierte Betreuung und Unterstützung im gesamten Strafverfahren mit dem Ziel, die individuelle Belastung der Verletzten zu reduzieren und eine Sekundärviktimisierung zu vermeiden. Nach § 406g StPO besteht ein Rechtsanspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung im Wege der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters auf Antrag für Kinder und Jugendliche sowie für vergleichbar schutzbedürftige Personen als Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten. Sonstigen Opfern schwerer Gewaltund Sexualstraftaten kann das Gericht auf Antrag einen psychosozialen Prozessbegleiter beiordnen , wenn die besondere Schutzbedürftigkeit des Verletzten dies erfordert. Bereits jetzt wird der Opferschutz in Hessen im Bereich der strafrechtlichen Verfahren vor allem auf zwei Ebenen gewährleistet. Zum einen gilt es, die Position der Opfer im Strafverfahren selbst zu verbessern, zum anderen, die Betreuung von Opfern auch auf der Ebene der Opferberatung und Opferbetreuung außerhalb des Strafprozesses sicherzustellen. Die in der Regel völlig unvermittelt von der Straftat betroffenen Opfer fühlen sich nach der Tat oftmals hilflos und allein gelassen. Sie benötigen Hilfe bei der Verarbeitung der für sie schrecklichen Geschehnisse und Informationen darüber, welche Hilfsmöglichkeiten es für sie gibt. Aufgabe der Opferhilfevereine ist die sozialarbeiterische Beratung und Betreuung der Opfer und Zeugen von Straftaten sowie deren Angehöriger und Vertrauenspersonen. Das Angebot bezieht sich auch auf Frauen, die eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung erlitten haben. Die Beratung orientiert sich an den realen Bedürfnissen der Betroffenen. Ziel ist es, bei der Bewältigung der Folgen einer erlittenen Straftat Unterstützung zu geben. Dabei ist es unerheblich, um welches Verbrechen oder Vergehen es sich genau handelt und ob bereits Strafanzeige erstattet worden ist oder nicht. Das Hilfsangebot der Opferhilfevereine ist vertraulich, kostenlos und auf Wunsch anonym . Neben praktischen Hilfestellungen (Behördengänge und Begleitung zum Gericht) und psychologischer Beratung geht es vor allem auch darum, den Opfern das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein gelassen werden. In Hessen wurde bereits 1984 die erste Beratungsstelle für Opfer von Straftaten begründet. In der Folge wurden weitere Beratungsstellen eingerichtet. Hessen verfügt über ein - bundesweit vorbildliches - flächendeckend ausgebautes Netz von Opferberatungsstellen, durch welche Opfer und Zeugen von Straftaten sowie mittelbar Betroffene kostenlos durch hierfür speziell geschulte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter beraten werden. Hanauer Hilfe Opfer- und Zeugenhilfe Hanau e.V. Salzstr. 11 63450 Hanau www.Hanauer-Hilfe.de 06181/24871 Giessener Hilfe Opfer- und Zeugenhilfe Gießen e.V. Ostanlage 21 35390 Gießen www.giessener-hilfe.de 0641/97 22 50 Kasseler Hilfe Opfer- und Zeugenhilfe Kassel e.V. Wilhelmshöher Allee 101 34121 Kassel www.kasseler-hilfe.de 0561/28 20 70 Wiesbadener Hilfe Opfer- und Zeugenhilfe Wiesbaden e.V. Marktstraße 32 65183 Wiesbaden www.wiesbadener-hilfe.de 0611/308 2324 Trauma- und Opferzentrum Frankfurt am Main e.V. Zeil 81 60313 Frankfurt/Main www.trauma-undopferzentrum.de 069/21655828 Opferhilfe Limburg-Weilburg e.V. Postfach 1414 65534 Limburg 06431/45045 Opferhilfe im LG-Bezirk Darmstadt In der Neugründung begriffen 6 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3046 Um eine gute Einbindung in das bestehende Hilfsangebot vor Ort sicherzustellen, wurden die Opferhilfen als Verbandsvereine gegründet. Die Vorstandsmitglieder der Vereine sind ehrenamtlich tätig. Die Beratungsstellen werden teilweise durch Zuwendungen des Hessischen Ministeriums der Justiz und ergänzend durch Geldbußen und Spenden finanziert. Wie auch in den vergangenen Jahren stehen 2016 dafür Zuwendungsmittel in Höhe von 660.200 € zur Verfügung . Betrachtet man die Anzahl der Fälle, die durch die Hessischen Opferhilfen in den vergangenen fünf Jahren bearbeitet wurden, so zeigt sich eine unverändert hohe Nachfrage der Betroffenen nach Unterstützung. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt auf der Betreuung von zum Teil erheblich traumatisierten und körperlich verletzten Opfern. In nahezu einem Fünftel aller Beratungsfälle der Jahre 2010 bis 2014 handelte es sich um Sexualstraftaten (18,8 %). Mit diesem Angebot werden auch Frauen, die Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden sind, erreicht. Fallzahlen nach Deliktsgruppen der Hessischen Opferhilfen 2010 bis 2014 Jahr Fälle Davon Gewaltstraftaten Sexualstraftaten Straften gegen die persönl. Freiheit Vermögensdelikte Sonstige 2010 2.165 879 449 378 159 300 2011 2.261 829 458 457 177 340 2012 2.433 850 427 449 201 506 2013 2.371 801 431 434 219 486 2014 2.346 872 410 456 205 403 Summe 11.758 4.231 (36,5 % ) 2.175 (18,8 %) 2.174 (18,8 %) 961 (8,3 %) 2.035 (17,6%) Die genannten Opferberatungsstellen arbeiten vor Ort eng mit spezialisierten Opferberatungsstellen zusammen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Verbesserung der Zeugensituation in den Gerichtsgebäuden mit der Schaffung von speziellen Einrichtungen für Zeugen und Gerichtsbesucher. Als erstes Bundesland hat Hessen bereits 1987 auf diese Problemstellungen reagiert. Zunächst wurde eine Zeugenbetreuung beim Landgericht in Limburg eingerichtet, 1993 kam die Zeugenbetreuung beim Landgericht Frankfurt am Main dazu, ausgestattet mit Fachberaterstellen. Die Zeugenbetreuer stehen den Betroffenen in der Zeugensituation zur Seite, indem sie beruhigen , informieren und als Ansprechpartner vor, während und nach der Verhandlung zur Verfügung stehen. Außerdem vermittelt der Zeugenbetreuer gegebenenfalls Kontakte zu anderen Hilfseinrichtungen. Seither wird das erfolgreiche Programm der betreuten Zeugenzimmer - mit finanzieller Unterstützung durch das Hessische Ministerium der Justiz - stetig ausgeweitet. So ist z.B. im Justizzentrum Wiesbaden in Zusammenarbeit mit der Wiesbadener Hilfe ein betreutes Zeugenzimmer eingerichtet, desgleichen in Gießen in Zusammenarbeit mit der Gießener Hilfe sowie in Offenbach und Hanau in Zusammenarbeit mit der Hanauer Hilfe und - als eines der ersten und architektonisch beispielhaften - das Zeugenzimmer im Justizzentrum in Kassel in Zusammenarbeit mit der Kasseler Hilfe. Wiesbaden, 16. Februar 2016 Eva Kühne-Hörmann Anlagen