Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 26.01.2016 betreffend Abhörmaßnahmen nach dem G-10-Gesetz in Hessen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen darf auf Grundlage des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) Beschränkungsmaßnahmen durchführen. Nach § 3 Abs. 1 G 10 ist das LfV Hessen unter den dort genannten Voraussetzungen berechtigt, Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen und dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegende Sendungen zu öffnen und einzusehen. Diese Beschränkungsmaßnahmen können sich sowohl gegen Haupt- als auch Nebenbetroffene richten, d.h. einerseits gegen die Zielpersonen der jeweiligen Maßnahmen und andererseits gegen die Anschlussinhaber der genutzten Anschlüsse der jeweiligen Hauptbetroffenen (z.B. Anschlüsse der Eltern oder auf andere Personen oder Fiktivpersonalien gemeldete Telefonanschlüsse). Zu Beginn einer G-10-Maßnahme wird ein Neuantrag durch die G-10-Kommission für maximal drei Monate genehmigt (§ 10 Abs. 5 Satz 1 G 10). Verlängerungen um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen (§ 10 Abs. 5 Satz 2 G 10). Während des Beschränkungszeitraums der Maßnahme ist es möglich, diese - etwa durch zusätzliche Betroffene oder neu bekannt gewordene Telefonnummern - auf Antrag zu erweitern. Gelegentlich werden Verlängerungs- und Erweiterungsanträge kombiniert. Diese Vorbemerkung vorangestellt, wird die Kleine Anfrage wie folgt beantwortet: Frage 1. In welchem Umfang wurden in den Jahren 2010 bis 2015 Abhörmaßnahmen nach dem G-10- Gesetz in Hessen beantragt, genehmigt und durchgeführt? Bitte die Fallzahlen nach Fallgruppen gemäß § 3 Abs. 1 G-10-Gesetz und Antragsteller gemäß § 9 G-10-Gesetz aufschlüsseln. In den Jahren 2010 bis 2015 gab es 28 Neuanträge. Aus diesen resultierten 29 Verlängerungsanträge , 54 Erweiterungsanträge und zusätzlich zehn Anträge, bei denen Verlängerung und Erweiterung für G-10-Beschränkungsmaßnahmen kombiniert wurden. Es gab insgesamt 72 Hauptbetroffene sowie weitere 86 Nebenbetroffene. Die G-10-Beschränkungsmaßnahmen stellen sich aufgeteilt nach Fallgruppen gemäß § 3 Abs. 1 G 10 wie folgt dar: Nr. Gesetzliche Grundlage Anzahl der G-10- Neuanträge 2010 bis 2015 1 §§ 80-83 des Strafgesetzbuchs (StGB) 0 2 §§ 84-86, 87-89b, 89c Abs. 1-4 StGB, § 20 Abs. 1 Nr. 1-4 des Vereinsgesetzes (VereinsG) 4 3 §§ 94-96, 97a-100a StGB 0 4 §§ 109e-109g StGB 0 5 §§ 87, 89, 94-96, 98-100, 109e-109g StGB in Verbindung mit § 1 des NATO-Truppen-Schutzgesetzes 0 Eingegangen am 7. April 2016 · Ausgegeben am 13. April 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3078 07. 04. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3078 6 1 a) §§ 129a-130 StGB b) §§ 211, 212, 239a, 239b, 306-306c, 308 Abs. 1-3, 315 Abs. 3, 316 Abs. 3, 316c Abs. 1, 3 StGB 21 2 7 § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) 0 8 §§ 202a, 202b, 303a, 303b StGB 0 - § 3 Abs. 1 Satz 2 G 10 1 Antragsteller war in allen Fällen nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 G 10 das LfV Hessen. Frage 2. In wie vielen Fällen wurde eine Genehmigung für eine Maßnahme nach dem G-10-Gesetz durch die zuständige oberste Landesbehörde versagt? Beschränkungsmaßnahmen nach G 10 dürfen nur auf schriftlich begründeten Antrag des LfV angeordnet werden, § 9 G 10. Nach § 10 Abs. 1 G 10 ist für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen bei Anträgen der Verfassungsschutzbehörden der Länder die zuständige oberste Landesbehörde, in Hessen mithin das Hessische Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS), zuständig (§ 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes (AG) zum G 10). Gemäß § 2 Abs. 1 AG G 10 unterrichtet der Innenminister die aus Mitgliedern des Landtags bestehende G-10-Kommission unverzüglich über jede angeordnete Beschränkungsmaßnahme. Die angeordneten Beschränkungsmaßnahmen sind dabei vollziehbar, nachdem die G-10-Kommission festgestellt hat, dass sie zulässig und nötig sind, § 3 Abs. 1 AG G 10. Im genannten Zeitraum wurde kein geplanter Neuantrag für G-10-Beschränkungsmaßnahmen durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) versagt. Eine Versagung erfolgte bei zwei geplanten Erweiterungsanträgen und einem geplanten Verlängerungs- und Erweiterungsantrag im Zuge bereits genehmigter G-10-Beschränkungsmaßnahmen. Frage 3. In wie vielen Fällen wurden Abhörmaßnahmen durch das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen beantragt bzw. durchgeführt, die der Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität dienten? Die im G 10 aufgeführten Tatbestände liefern keine Rechtsgrundlage für G-10-Maßnahmen auf dem Gebiet der Organisierten Kriminalität. Der einschlägige § 1 G 10 lautet: "(1) Es sind 1. die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages, 2. der Bundesnachrichtendienst im Rahmen seiner Aufgaben nach § 1 Abs. 2 des BND- Gesetzes auch zu den in § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 bis 8 und § 8 Abs. 1 Satz 1 bestimmten Zwecken berechtigt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen, in den Fällen der Nummer 1 auch die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen ." Insofern wurden solche Maßnahmen weder beantragt noch durchgeführt. Frage 4. In wie vielen Fällen erfolgte bzw. unterblieb die Mitteilung an Betroffene im Sinne des § 12 G- 10-Gesetz nach Abschluss der Maßnahme? Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 G 10 sind Beschränkungsmaßnahmen nach § 3 G 10 dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Die Mitteilung unterbleibt nach Satz 2 der Vorschrift, solange eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. 1 In 15 Fällen davon gab es eine Kombination von § 129a StGB und/oder § 129b StGB mit § 89a StGB. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3078 3 Der Zweck der Beschränkung ist dabei immer gefährdet, wenn die Person noch in extremistischen Bestrebungen tätig ist und eine Mitteilung den extremistischen Bestrebungen Anhaltspunkte für die Arbeitsweise und das konkrete Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes gibt oder zur Identifizierung unbekannter Quellen beiträgt und dadurch die Wirksamkeit des Verfassungsschutzes in hohem Maße beeinträchtigt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE 100, 313, 397 f.) ist ein Absehen von der Mitteilung an den Betroffenen auch dann zulässig, wenn "mit der Offenlegung von Erkenntnissen oder auch von eingesetzten Methoden , die im konkreten Fall (noch) geheim gehalten werden müssen, die Aufgabenwahrnehmung gefährdet würde (Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes)." Einer Mitteilung bedarf es nach § 12 Abs. 1 Satz 5 G 10 nicht, wenn die G-10-Kommission einstimmig festgestellt hat, dass eine der Voraussetzungen in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch vorliegt, sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft vorliegt und die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. Bezogen auf die in Frage 1 genannten 28 Neuanträge fanden in vier Fällen Mitteilungen an alle Haupt- und Nebenbetroffenen statt. In einem weiteren (fünften) Fall wurde differenziert entschieden , zwei der fünf Hauptbetroffenen Mitteilungen zukommen zu lassen. Da beide Hauptbetroffene zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben waren, erfolgte die Mitteilung gegenüber einer zugeordneten Nebenbetroffenen. Bei den anderen drei Hauptbetroffenen der G-10- Maßnahme lagen die Voraussetzungen für eine Mitteilung nach § 12 G 10 nicht vor. Darüber hinaus hat die G10-Kommission bei zwei Beschränkungsmaßnahmen einstimmig festgestellt, von einer Mitteilung nach § 12 Abs. 1 Satz 5 G 10 an alle Betroffenen abzusehen. Bei den übrigen Maßnahmen ist eine Mitteilung noch nicht erfolgt; hier hat die G-10-Kommission zu den jeweiligen Fristen über eine Mitteilung oder weitere Nichtmitteilung bis hin zu einer dauerhaften Nichtmitteilung bei Vorliegen der Voraussetzungen zu entscheiden. Frage 5. Wie viele Straftaten wegen Verstößen gegen Mitteilungsverbote nach § 17 G-10-Gesetz gab es im Zeitraum von 2010 bis 2015 in Hessen? Es sind im Zeitraum 2010 bis 2015 keine Straftaten nach § 17 G 10 bekannt geworden. Frage 6. Wie viele Ordnungswidrigkeiten nach § 19 G-10-Gesetz waren im Zeitraum von 2010 bis 2015 in Hessen zu verzeichnen? Es sind im Zeitraum 2010 bis 2015 keine Ordnungswidrigkeiten nach § 19 G 10 bekannt geworden . Frage 7. Wie hoch waren im Zeitraum 2010 bis 2015 die Entschädigungen im Sinne des § 20 G-10-Gesetz, die das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen jeweils zu entrichten hatte? Nach § 20 Satz 1 G 10 haben die nach § 1 Abs. 1 G 10 berechtigten Stellen für die Leistungen nach § 2 Abs. 1 G 10 eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach § 23 des Justizvergütungs - und -entschädigungsgesetzes bemisst. In den Jahren 2010 bis 2015 hatte das LfV Hessen für die Leistungen nach § 2 Abs. 1 G 10 insgesamt Entschädigungszahlungen in Höhe von 273.764 € zu entrichten, die sich wie folgt auf die einzelnen Jahren aufschlüsseln: 2010 ............... 24.240 € 2011 ............... 56.495 € 2012 ............... 61.044 € 2013 ............... 48.954 € 2014 ............... 60.074 € 2015 ............... 22.957 € Frage 8. Wie bewertet die Landesregierung die nach dem G-10-Gesetz bestehenden Möglichkeiten zu entsprechenden Abhörmaßnahmen zur Verfolgung Organisierter Kriminalität durch das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen? Siehe hierzu die Ausführungen in der Antwort auf Frage 3. Wiesbaden, 24. März 2016 Peter Beuth