Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer (SPD) vom 10.02.2016 betreffend regionale Verteilung der Mittel aus dem Gesundheitsfonds und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Seit 2009 werden unterschiedliche Risikostrukturen im jeweiligen Versichertenbestand der gesetzlichen Krankenkassen durch den sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) ausgeglichen. Dabei werden die vom Gesundheitsfonds vereinnahmten Mittel in erheblichem Maß anhand des Versorgungsbedarfs für 80 ausgewählte schwere und chronische Erkrankungen auf die gesetzlichen Krankenkassen verteilt . Zurzeit werden auf diesem Wege etwa 200 Mrd. € im Jahr an die noch gut 120 gesetzlichen Krankenkassen ausgeschüttet. Regionale Faktoren spielen bislang bei der Verteilung der Mittel durch den Gesundheitsfonds keine Rolle. Das hat nach dem Gutachten zur Berücksichtigung einer regionalen Komponente im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) für das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege von Prof. Dr. Volker Ulrich und Prof. Dr. Eberhard Wille aus dem Jahr 2014 dazu geführt, dass in einigen Ländern die Fondszuweisungen nicht nur die dort erhobenen Beiträge unterschreiten, sondern darüber hinaus nicht einmal ausreichen, um die Leistungsausgaben zu decken. Zu diesen Ländern gehört auch Hessen. Die Höhe der Gesundheitsausgaben in den Regionen wird von einer Reihe von Faktoren beeinflusst. Dazu gehören insbesondere die Versorgungs- und Kostenstrukturen. So können regionale Differenzen in den Verdienst - und Preisniveaus ebenso zu einer unterschiedlichen Höhe der Gesundheitsausgaben beitragen, wie eine hohe Dichte an Leistungserbringern (z.B. Krankenhäuser oder Fachärzten). Beides kann weder vom Land noch von den Krankenkassen aktiv gesteuert werden. Beides findet auch keine Berücksichtigung bei den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Dadurch kommt es zu Verwerfungen zwischen den Ländern und gleichermaßen in der Finanzierung der Krankenkassen. So können einige Krankenkassen trotz überdurchschnittlich hoher Verwaltungskosten einen weit unterdurchschnittlichen kassenindividuellen Zusatzbeitrag anbieten, da sie für ihre Versicherten in den strukturschwachen Regionen Mitteldeutschlands höhere Zuweisungen erhalten als sie für deren Versorgung tatsächlich benötigen. Daraus resultieren insbesondere gegenüber überregional agierenden Krankenkassen erhebliche Wettbewerbsverzerrungen, die letztlich auch die Versorgung in den Regionen gefährden. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Gegenstand der Frage ist der Endbericht für das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege von Herrn Prof. Dr. V. Ulrich und Herrn Prof. Dr. E. Wille zur Berücksichtigung einer regionalen Komponente im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) aus dem Jahr 2014. Dieses Gutachten stellt sicherlich eine interessante Basis für die Diskussionen über eine Weiterentwicklung des Morbi-RSA dar, ist in einigen Punkten aber auch grundsätzlich zu hinterfragen. Es ist jedoch zugleich darauf hinzuweisen, dass zwischenzeitlich weitere Morbi-RSA-Änderungen erfolgten, deren Auswirkungen in den Diskussionen über eine Weiterentwicklung des Morbi-RSA berücksichtigt werden müssen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie schätzt die Hessische Landesregierung das Verhältnis zwischen dem Beitragsaufkommen der hessischen GKV-Mitglieder, den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für Versicherte in Hessen und die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung dieser Versicherten ein? (Bitte konkret beziffern ) Frage 2. Wie bewertet die Hessische Landesregierung die regionale Verteilungswirkung des Morbi-RSA allgemein? Die Fragen 1 und 2 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Zur regionalen Verteilungswirkung des Morbi-RSA gibt es keine aktuellen Auswertungen, da ein Regionalkennzeichen in den RSA-Daten nach Auslaufen der sog. Konvergenzregelung im Eingegangen am 24. März 2016 · Ausgegeben am 31. März 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3119 24. 03. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3119 Jahr 2010 nicht mehr gemeldet wurde. Insofern ist es nicht möglich, gesondert für Hessen das Beitragsaufkommen oder die Zuweisungen zu beziffern. Auch die im Gutachten von Prof. Ulrich und Prof. Wille getroffenen Aussagen resultieren (nur) aus einer Hochrechnung basierend auf einer Stichprobe bayerischer Versicherter. Über die Regelungen des Morbi-RSA werden Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen ausgeschüttet. Die zurzeit angewandten Ausgleichskriterien berücksichtigen im Wesentlichen das Alter, Geschlecht und die Morbidität, nicht aber die regionale Herkunft der einzelnen Versicherten. Frage 3. Hat die Hessische Landesregierung Kenntnis von der angekündigten Initiative der bayerischen Landesregierung bzgl. einer neuen Regelung zur Verteilung der Mittel aus dem Gesundheitsfonds und wie bewertet die Hessische Landesregierung diese? Frage 4. Sind der Hessischen Landesregierung Bestrebungen bekannt, eine Studie bzw. ein Gutachten zur regionalen Verteilungswirkung des Morbi-RSA umzusetzen? Wenn ja, inwiefern und wie wird sich die Hessische Landesregierung hieran beteiligen? Wenn nein, hält sie die Beauftragung eines eigenen Gutachtens für angezeigt, um zu einer Objektivierung der vielseits beklagten Unzulänglichkeiten des Morbi-RSA zu kommen? Frage 6. Welche Verbesserungspotenziale sieht die Hessische Landesregierung bei der Umsetzung des Morbi-RSA darüber hinaus, um einerseits eine angemessene und auskömmliche Finanzierung der Versorgung der hessischen Versicherten sicher zu stellen und andererseits ein hinreichendes Maß an Wirtschaftlichkeitsanreizen beizubehalten? Die Fragen 3, 4 und 6 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Frau Staatsministerin Huml hat im März 2015 die Länder Hessen und Baden-Württemberg unter Bezugnahme auf das o.g. Gutachten um Unterstützung zur Erstellung eines Folgegutachtens mit dem Ziel der Einführung eines Regionalfaktors in den Morbi-RSA gebeten. Eine transparente und nachvollziehbare Mittelzuweisung aus dem Gesundheitsfonds an die gesetzlichen Krankenkassen muss das Anliegen sowohl des Bundes als auch der Länder sein. Daher hat Hessen der Absicht der bayerischen Landesregierung grundsätzlich zugestimmt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Jahr 2014 mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitätsweiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG) zahlreiche Änderungen an Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich vorgenommen. Die Änderungen betreffen den Einkommensausgleich, die Zuweisungen für Krankengeld und Auslandsversicherte, aber auch unabhängig hiervon die verbesserte Berücksichtigung unvollständiger Versichertenzeiten. Die finanziellen Auswirkungen dieser Änderungen - besonders auf regionaler Ebene - sind unbekannt. Für die Umstellungen bei Auslandversicherten und Krankengeld hat die Bundesregierung explizit Gutachteraufträge vorgesehen. Es erscheint daher nicht sinnvoll, hierzu Parallelarbeiten zu leisten, noch bevor die gerade erst von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Schritte Wirkung entfalten können. Für ein mögliches Folgegutachten muss zudem erst eine angemessene Datenbasis geschaffen werden. Die letzten regional verfügbaren Daten stammen aus den Jahren 2009 und 2010. Damals wurden Länderkennzeichen im Zuge der Konvergenzregelung zur Einführung des Gesundheitsfonds benötigt. Mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitätsweiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG) wurde eine versichertenbezogene Erhebung eines Regionalkennzeichens (Postleitzahlen ) geregelt. Die Krankenkassen melden die regionalen Daten erstmals wieder für 2015. Diese Daten stehen nach dem Schlussausgleich für 2015 zur Verfügung. Sobald entsprechend aktualisierte Daten für ein Folgegutachten zur Verfügung stehen, kann sich das Land Hessen vorstellen, sich hieran zu beteiligen. Des Weiteren ist anzumerken, dass eine nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und eine wirtschaftliche, qualitativ hochwertige und an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientierte Versorgung nur mit einer wettbewerblichen Ausrichtung der gesetzlichen Krankenversicherung und einer umsichtigen Ausgabenpolitik gewährleistet werden kann. Darüber ist eine beschäftigungsfreundliche Ausgestaltung der Finanzierungsgrundlagen sicherzustellen, um negative Effekte steigender Gesundheitsausgaben auf Beschäftigung und Wachstum zu vermeiden. Frage 5. Erachtet die Hessische Landesregierung eine Veränderung der Mittelverteilung aus dem Gesundheitsfonds , wie zum Beispiel durch die Einführung eines Regionalfaktors, für zielführend? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche eigenen Initiativen beabsichtigt sie diesbezüglich zu ergreifen? Verfechter einer regionalen Differenzierung des Morbi-RSA begründen dessen Notwendigkeit mit den differierenden regionalen Preisniveaus, unterschiedlichem Nachfrageverhalten der Ver- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3119 3 sicherten und regional variierenden Strukturen der Leistungserbringung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil zum Morbi-RSA aus dem Jahre 2005 (BVerfG 2005, 2 BvF 2/01) festgestellt, dass lediglich regional differierende Krankheitshäufigkeiten und Grundlohnunterschiede zum Zwecke des Solidarausgleichs ausgleichsrelevant sind. Ausgabenunterschieden , die aus anderen Umständen resultieren, müsse der Gesetzgeber nicht Rechnung tragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem - bereits zuvor genannten - Grundsatzurteil aber auch unmissverständlich klargestellt, dass die gesetzliche Krankenversicherung als bundesweite Sozialversicherung organisiert und finanziert ist und eine Regionalisierung nicht geboten ist. Neben diesen grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Diskussion über eine Berücksichtigung eines Regionalfaktors im Morbi-RSA aber auch darauf zu achten , "dass auf diesem Wege nicht unerwünschte regionale Über- oder Unterversorgungssituationen "zementiert" werden. Es muss verhindert werden, dass finanzielle Mittel aus unterversorgten Regionen in überversorgte Regionen transferiert werden. Wiesbaden, 15. März 2016 Stefan Grüttner