Kleine Anfrage der Abg. Martina Feldmayer, Angela Dorn, Sigrid Erfurth und Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 10.02.2016 betreffend Kohlekraftwerke und Quecksilber-Emissionen und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragesteller: Kohlekraftwerke emittieren neben andern Luftschadstoffen gesundheitsschädliches Quecksilber. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Ökologie und Politik, die im Auftrag der Grünen Bundestagsfraktion erstellt wurde, sind Deutschlands Kohlekraftwerke traurige Spitzenreiter bei der Quecksilberemission. Die Studie macht deutlich, dass die seit April 2015 in den USA für 1100 Kohlekraftwerke geltenden Quecksilber- Grenzwerte von umgerechnet etwa 1,5 µg/m³ für Steinkohlekraftwerke und 4,4 µg/m³ für Braunkohlekraftwerke im Monatsmittel in Deutschland von allen Kraftwerken übertroffen werden. Auch mit der ab 2019 vorgesehenen EU-weiten Grenzwertsenkung wird Deutschland dann eine 2,5- bis 6,7- fach höhere Quecksilberemission erlauben. Das Umweltbundesamt empfiehlt seit mehreren Jahren die Absenkung des Grenzwertes für Quecksilber im Abgas von Kohlekraftwerken auf 3 µg/m³ im Tagesmittel und 1 µg/m³ im Jahresmittel. Auf der Expertenanhörung im Umweltausschuss des Bundestags am 15. Oktober 2012 war eine Angleichung an die US-amerikanischen Grenzwerte empfohlen worden. Im Juni 2015 hat eine von der Europäischen Kommission geleitete Arbeitsgruppe festgestellt, dass in Kohlekraftwerken mit quecksilberspezifischen Techniken Quecksilber -Emissionswerte unter 1 µg/m3 im Jahresmittel erreichbar sind. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz : Der in der Vorbemerkung der Fragestellerinnen dargestellte Sachverhalt ist derzeit Gegenstand der Erörterung in den Bund-/Länderfachgremien. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr in Antworten zu den Kleinen Anfragen 18/4311 und 18/5038 des Deutschen Bundestages insbesondere zur Heranziehung US-amerikanischer Grenzwerte als Stand der Technik für die Abgasreinigung bei Kohlekraftwerken Stellung genommen. Grundlage der weiteren normativen Entwicklung bei Kohlekraftwerken in der EU und in Deutschland ist die Revision des BVT Merkblattes Großfeuerungsanlagen , die 2011 begonnen wurde und voraussichtlich Anfang 2017 abgeschlossen wird. Die Landesregierung hat mit weiteren zehn Bundesländern in einer Protokollerklärung zu TOP 38/39 der 85. Umweltministerkonferenz den Bund gebeten, sich bei der schnellstmöglichen Umsetzung an den unteren Werten der bei der Überarbeitung des Großfeuerungsanlagen-BREF vereinbarten Emissionsbandbreiten zu orientieren. Zudem ist bekannt, dass die EU Ende dieses oder zu Beginn des kommenden Jahres die Minamata -Konvention, die 2013 von über 90 Staaten unterzeichnet wurde, ratifizieren will. Ziel dieser Konvention ist es, den Ausstoß und damit den Eintrag von Quecksilber in die Umwelt bei der industriellen Produktion oder z.B. der Lagerung von Abfällen weltweit einzudämmen. In Bezug auf Kohlekraftwerke gilt darin der Grundsatz, die beste verfügbare Technik zum Schutz vor Quecksilberemissionen einzusetzen. Die Bundesregierung hat angekündigt, die Grenzwerte für die Quecksilberemissionen aus Kohlekraftwerken spätestens nach dieser Ratifizierung neu zu regeln. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie stellt sich die Situation der Quecksilberemissionen in Hessen im bundesweiten Vergleich dar? Angaben zu Emissionen von Quecksilber und deren Verbindungen angegeben als Hg (Quecksilber , elementar) mit Emissionsangabe in kg/a (Jahresfracht): Eingegangen am 6. April 2016 · Ausgegeben am 8. April 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3134 06. 04. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3134 Jahr Hessen* Deutschland** Emissionskataster Industrie nach 11. BImSchV (ab 0,25 kg/a Quecksilber pro Anlagen) 2012 165,1 nicht vorhanden PRTR – nur Freisetzung in die Luft >10 kg/Jahr für alle PRTR-Anlagen einer Betriebsstätte 2013 132,4 6.943 PRTR – nur Freisetzung in die Luft >10 kg/Jahr für alle PRTR-Anlagen einer Betriebsstätte 2014 77,9 noch nicht veröffentlicht * Quelle: Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie, Dez. 11 ** Quelle: http://www.thru.de/thrude/ Die Daten stammen aus der Auswertung von Berichten nach der Verordnung über Emissionserklärungen (11. BImSchV) und dem Schadstoffemissionsregister der Europäischen Union (Pollutant Release and Transfer Register - PRTR) entsprechend der dort vorgeschriebenen Berichtspflichten . Sie beziehen sich auf sämtliche quecksilberrelevanten Anlagen (nicht nur Kohlekraftwerke ) in Hessen bzw. Deutschland. Nach dem europäischen PRTR müssen alle Betreiber ab bestimmten Mengenschwellen ihre Emissionen jährlich berichten. Die Angaben werden im Schadstoffemissions- und Verbringungsregister der europäischen Union veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgt jedoch zeitverzögert, so dass am 1. April eines Jahres die Emissionen des Vor-Vorjahres zur Verfügung stehen. Derzeit sind also als aktuellste Informationen die Emissionen des Jahres 2013 für das PRTR im Internet veröffentlicht. Da somit auch für Deutschland die aktuellsten Informationen aus dem Jahr 2013 stammen, kann ein echter Vergleich zu Emissionen in Hessen nur für das Jahr 2013 dargestellt werden. Seinerzeit betrug die Jahresfracht der Quecksilberemissionen in Hessen noch 132,4 kg/a und damit ca. 1,9 % der gesamten bundesweiten Emissionsfracht von Quecksilber. Inzwischen hat jedoch der bisher größte hessische Emittent von Quecksilberemissionen in die Luft, die Firma Akzo Nobel Industrial Chemicals GmbH, seit 2014 schrittweise bis Juli 2015 ihre Chloralkali-Elektrolyseanlage im Industriepark Höchst vom Amalgamverfahren auf das quecksilberfreie Membranverfahren umgestellt, so dass die Gesamtjahresfracht in Hessen seit 2014 drastisch gesunken ist. Bis zum Abschluss der Rückbau- und Sanierungsarbeiten bis Ende 2017 sind aus der Chloralkalielektrolyse noch geringe Quecksilberemissionen vorhanden. Da außerdem seit 2013 der Kohleblock 1 des Kraftwerks Staudinger stillgelegt ist und seitdem nur noch Block 5 mit Einsatz von Kohle betrieben wird, ist davon auszugehen, dass der Anteil der berichtspflichtigen Quecksilberemissionen in Hessen im Vergleich zu den Gesamtemissionen in Deutschland inzwischen nur noch ca. 1 % beträgt. Frage 2. Wie hoch sind die Quecksilberemissionen aus den hessischen Kohlekraftwerken insgesamt und wie verteilen sich die Quecksilberemissionen in Hessen auf die bestehenden Kohlekraftwerke (bitte unter Angabe des jeweiligen Standortes)? Die in der als Anlage angegebenen Quecksilberemissionen aus hessischen Kohlekraftwerken beziehen sich auf Anlagen nach Nr. 1.1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV (Kraftwerke >50 MW Feuerungswärmeleistung), die hinsichtlich der Quecksilberemissionen nach PRTR und nach der 11. BImSchV berichtspflichtig sind und auf die sich auch die in der Vorbemerkung der Fragestellerinnen genannte Studie des Instituts für Ökologie und Politik bezieht. Dabei ist zu beachten, dass nach der national geltenden Emissionserklärung der 11. BImSchV (EEK) und dem europäisch geltenden PRTR unterschiedliche Erklärungszeiträume vorgeschrieben sind. Während die Betreiber nach PRTR jährlich berichten müssen, haben die Betreiber gemäß der 11. BImSchV alle 4 Jahre ihre emittierten Luftverunreinigungen zu berichten. Somit liegen nach EEK die aktuellsten Werte aus 2012 vor, während nach PRTR teilweise aktuellere Daten vorliegen. Frage 3. An welchen Standorten sind zukünftige Kohlekraftwerke in Hessen in Planung bzw. im Bau und welche Quecksilberemissionen werden bei den geplanten oder im Bau befindlichen Kohlekraftwerken derzeit jeweils angenommen? In Hessen sind derzeit keine neu in Planung oder im Bau befindlichen Kohlekraftwerke nach Nr. 1.1 der 4. BImSchV (Kraftwerke > 50 MW Feuerungswärmeleistung) entsprechend der in der Vorbemerkung genannten Studie bekannt. Nur für diese Anlagen sind Emissionsbegrenzungen für Quecksilberemissionen nach dem Bundes -Immissionsschutzgesetz und der Verordnung über Großfeuerungs-, Gasturbinen- und Verbrennungsmotoranlagen - 13. BImSchV vorgeschrieben. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3134 3 Derzeit läuft ein Genehmigungsverfahren für eine Braunkohlestaubfeuerungsanlage mit einer Feuerungswärmeleistung unter 20 MW im Industriepark Griesheim. Die prognostizierten Emissionen dieser Anlage sind mit den Emissionen der im Jahr 2011 genehmigten Braunkohlestaubfeuerungsanlage in Fechenheim vergleichbar (unter 1 kg/a Hg). Insgesamt gibt es mindestens sechs reine Braunkohlenstaub- oder Steinkohlefeuerungsanlagen in Hessen mit einer Leistung zwischen 7,3 und 19,99 MW Feuerungswärmeleistung, die nicht der Nr. 1.1 sondern der Nr. 1.2 der 4. BImSchV (< 50 MW Feuerungswärmeleistung) unterliegen. Für solche Anlagen sind keine Anforderungen hinsichtlich der Begrenzung für Quecksilberemissionen vorgeschrieben . Frage 4. Welche technischen Möglichkeiten gibt es, die Quecksilberemissionen in den Kraftwerken zu senken und welche Minderungsziele könnten in Hessischen Kohlekraftwerken mittels technologischer Maßnahmen erreicht werden? Der Quecksilbergehalt der eingesetzten Kohlen variiert in Abhängigkeit von der Herkunft, kann aber auch innerhalb eines Kohlevorkommens starken Schwankungen unterliegen. Wie viel Quecksilber davon in Folge eines Verbrennungsprozesses in das Rauchgas freigesetzt wird, hängt von einer Vielzahl von Randbedingungen ab. Neben der Brennstoffzusammensetzung (z.B. Halogengehalt) hat die Anlagenkonfiguration (Rauchgasbehandlung) erheblichen Einfluss auf die konkret ablaufenden Reaktionen und die Aufteilung der Quecksilberfracht auf Luft-, Asche- und (soweit vorhanden) Abwasseraustrag. Es gibt eine Reihe von technischen Möglichkeiten, die Quecksilberemissionen in Kraftwerken zu senken. Wie in der Antwort zur Frage 5 ausgeführt, hängt dies jedoch von vielen Faktoren ab. Eine konkrete Aussage zu den Minderungszielen in hessischen Kohlekraftwerken ist daher derzeit nicht möglich. Im Kraftwerk Staudinger ist neben dem TRAC-Katalysator (in Betrieb seit 2010 zur Aufoxidierung des Quecksilbers in der Entstickung) seit Mai 2015 eine Dosierstation in Betrieb, mit der Fällungsmittel für Quecksilber in den Wäscherkreislauf der Rauchgasentschwefelungsanlage eingebracht werden, um restliches Quecksilber dem Rauchgas zu entziehen. Dabei werden unterschiedliche Fällungsmittel zur Optimierung getestet. Uniper Kraftwerke GmbH (früher E.ON Kraftwerke GmbH) muss hierzu der Überwachsungsbehörde bis 2018 einen Bericht mit Darstellung der Untersuchungsergebnisse vorlegen. Frage 5. Plant die Bundesregierung Initiativen, um die Quecksilberemissionen insgesamt zu senken? Wie bereits in der Vorbemerkung vorangestellt, hat die Bundesregierung in den Antworten zu zwei Kleinen Anfragen des Deutschen Bundestages zur Übertragbarkeit der US-amerikanischen Grenzwerte auf deutsche Kohlekraftwerke Stellung genommen. Dabei wird deutlich, dass zur dauerhaften Absenkung von Jahresmittelwerten auf Werte < 1µg/m³ insbesondere bei bestehenden Kohlekraftwerken je nach Anlagentechnik, Feuerungstechnik, vorhandener Abgasreinigungstechnik und Kohlequalität anlagenspezifisch ausgeprägte Kombinationen von Techniken und Maßnahmen in den Bereichen Brennstoffaufbereitung, Stickstoffminderung, Entstaubung, Nasswäscher (Entschwefelung) und dessen Abwasserreinigung identifiziert und in Anwendung gebracht werden müssten. Erst dann kann sachgerecht beurteilt werden, ob bestehende deutsche Kohlekraftwerke, die sich in der Prozesstechnik und Abgasreinigungstechnik teilweise deutlich von US-amerikanischen Kohlekraftwerken unterscheiden, soweit ertüchtigt werden können, dass entsprechend ambitionierte Jahresmittelwerte bei bestehenden Anlagen erreicht werden können. Aktuell hat der Bund in den betroffenen Bund-/Länderfachgremien ein Forschungsvorhaben in Abstimmung mit dem Umweltbundesamt angekündigt, in dem konkrete technische Möglichkeiten der Nachrüstung deutscher Kohlekraftwerke zur Erreichung entsprechend niedriger Emissionsgrenzwerte identifiziert werden und die Stoffströme des Quecksilbers auch nach Abscheidung im Rauchgas ermittelt werden sollen. Derartige Ermittlungen fehlen bisher, auch in den USA. Sie sind aber erforderlich, um die Übertragung des Quecksilberproblems von einem Medium (z.B. Luft) in ein anderes Medium (z.B. in Wasser durch Regeneration der in der Abgasreinigung verwendeten Adsorbentien) besser bewerten und minimieren zu können. Wiesbaden, 23. März 2016 Priska Hinz Anlage Anlage zur Frage 2 – Drucksache 19/3134 Hg-Emissionen (Luftpfad) Kohlekraftwerke Hessen Kraftwerk Standort Jahr EEK (kg/a) PRTR (kg/a) Berechnung Messung Berechnung Messung Kraftwerk Staudinger in Großkrotzenburg 2012 35,13 35,13 2013 29,8 2014 8,765 HKW West in Frankfurt 2012 27,8391 281 2013 26,41 2014 142 HKW Offenbach 2012 0,183 2013 12,321 2014 k.A.4 HKW D 580 im Industriepark Höchst 2012 0,2322 k.A.4 2013 k.A.4 2014 k.A.4 Fernwärmekraftwerk Kassel 2012 0,7823 k.A.4 2013 k.A.4 2014 k.A.4 1) Berechnung aus Hg-Kohle-Input bei 100% Emission 2) Berechnung mit max. Wert aus Emissionsmessung 3) Jahresfracht aus kontinuierlicher Messung (bezogen auf Hg-Jahresmittelwert) 4) Berechnung mit max. Wert aus Emissionsmessung, Hg-Jahresemission, nach PRTR keine Angaben (k.A.) erforderlich soweit < 10 kg/a (PRTR-Schwellenwert) 5) Werte wegen Schadensfall 2014 nicht repräsentativ für den Jahresmittelwert, da in 2014 Block 5 ca. 6 Monate stillstand