Kleine Anfrage des Abg. Grumbach (SPD) vom 15.02.2016 betreffend Erhalt der Forschung und Lehre zur NS-Pädagogik an hessischen Hochschulen und Antwort des Ministers für Wissenschaft und Kunst Vorbemerkung des Fragestellers: Die Auseinandersetzung um die Zeit des Nationalsozialismus spielt in der deutschen akademischen Forschung und Lehre eine besonders wichtige Rolle. Aus der Erforschung der unmenschlichen Erziehungspraxis während der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft ergeben sich nicht zuletzt zentrale Einsichten für ein eingehendes Verständnis faschistoider Menschenbilder und Umgangsformen. Zur Erforschung und Lehre der NS- Pädagogik hat die Goethe-Universität Frankfurt am Main beispielsweise 2012 eigens eine Forschungsstelle eingerichtet. Pressemeldungen, u.a. in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Jüdischen Allgemeinen", war nun zu entnehmen, dass die Frage nach einer "Erziehung nach Ausschwitz" als anerkannter Teil der Ausbildung von Lehramtsstudierenden eingeschränkt wurde. Vorbemerkung des Ministers für Wissenschaft und Kunst: Soweit einzelne Fragestellungen intendieren, dass die Landesregierung keine Maßnahmen zu inhaltlicher Einflussnahme auf Forschung und Lehre ergreift, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen , dass die angesprochenen Lehr- und Forschungstätigkeiten insbesondere außerhalb der Lehramtsausbildung originärer Bestandteil einer Hochschulautonomie, wie sie in Hessen geregelt ist, sind. Die Hessische Landesregierung hat sich bewusst in einem nunmehr über 15 Jahre andauernden Prozess in einem immer stärkeren Maße aus der früher obligatorischen Detailsteuerung zurückgezogen. Gesteuert werden die hessischen Hochschulen heute strategisch über Hochschulpakt, Zielvereinbarungen und eine leistungsorientierte Mittelzuweisung. Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Lehrkräftebildung werden von Landesregierung und Hochschulen selbstverständlich berücksichtigt. Zentrales Forschungsförderungsinstrument (neben der Grundbudgetierung) in Hessen ist das sog. LOEWE-Programm, das keine thematische oder fachbezogene Festlegung vornimmt und sich im Wettbewerb ausschließlich an Qualitätsgesichtspunkten orientiert. Dies vorangestellt sei an dieser Stelle betont, dass die Landesregierung der vielschichtigen Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus in der hessischen Hochschullandschaft, Forschung und Lehre nach wie vor einen besonders hohen Stellenwert beimisst. In diesem Kontext hat das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst im Jahr 2015 eine Finanzierungsvereinbarung mit der Goethe-Universität und dem Fritz-Bauer-Institut für die Einrichtung der deutschlandweit ersten Professur zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust unterzeichnet, die das Land Hessen mit zusätzlichen 150.000 Euro jährlich unterstützen wird. Des Weiteren wird die Arbeitsstelle Holocaustliteratur der Justus-Liebig-Universität Gießen aus dem Innovationsbudget ab 2016 für fünf Jahre mit jährlich rund 190.000 Euro gefördert. Im Übrigen beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Kultusminister wie folgt: Eingegangen am 6. April 2016 · Ausgegeben am 8. April 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3135 06. 04. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3135 Frage 1. Welche hessischen Hochschulen bieten Veranstaltungen (Seminare, Vorlesungen) oder Publikationen zur Forschung und Lehre der NS-Pädagogik für (Lehramts)Studierende an und welche sind das im Einzelnen? An der Technischen Universität Darmstadt ist "NS-Pädagogik" in Forschung und Lehre aktuell kein einschlägiges Thema. Am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik wird allerdings das Thema "Erziehung nach Ausschwitz" im Rahmen von Veranstaltungen zu einer kritischen Pädagogik und Bildungstheorie regelmäßig aufgegriffen. Hinsichtlich der Goethe-Universität Frankfurt am Main (GU) wird auf die Umstrukturierung der Curricula 2013 (s. Frage 2) verwiesen. Folgende Veranstaltungen wurden angeboten: Wintersemester 2015/16 BW-C1/EW-BA32: Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit (Teil II) [Vorlesung ] Sommersemester 2015 BW-C/EW-BA3: Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit (Teil I) [Vorlesung] Wintersemester 2014/15 BW-C: Demokratische Werte und Normen/ NS-Propagandafiguren gegen Arbeiterbewegung und Gewerkschaften in pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Zeitschriften [Seminar ] Sommersemester 2014 BW-C/GW-A3: Rassistische NS-Ideologien im Spiegel erziehungswissenschaftlicher und pädagogischer Zeitschriften [Seminar] EW-BA3: Rassistische NS-Ideologie am Beispiel erziehungswissenschaftlicher und pädagogischer Zeitschriften für Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter [Übung/Seminar] Wintersemester 2013/14 GW-G14/EW-BA3: Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit (Teil I) [Vorlesung ] GW-A/EW-MA55: Rassistische NS-Ideologien im Spiegel erziehungswissenschaftlicher und pädagogischer Zeitschriften am Beispiel der Zeitschrift "Die Erziehung" und der NSLB- Schülerzeitschrift "Hilf mit" [Übung/Seminar] EW-BA3: Pädagogik der Erinnerung und Menschenrechtsbildung nach Ausschwitz [Seminar ] Sommersemester 2013 GW-G1/EW-BA3: Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit (Teil II) [Vorlesung ] GW-A/EW-MA5: Rassistische NS-Ideologien im Spiegel erziehungswissenschaftlicher und pädagogischer Zeitschriften am Beispiel der Zeitschrift "Die Erziehung" und der NSLB- Schülerzeitschrift "Hilf mit" [Übung/Seminar] Die Publikationen der Forschungsstelle NS-Pädagogik sind unter dem Link https://forschungsstelle.wordpress.com veröffentlicht, die Vorlesungen unter https://paedagogik undns.wordpress.com. An der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) wurden in den letzten beiden Semestern keine spezifischen Veranstaltungen zur NS-Pädagogik angeboten. Grundsätzlich nimmt die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus in den erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Studiengängen an der JLU jedoch breiten Raum ein: a) Im Bereich der Lehramtsstudiengänge fand eine Reform des Studiums statt: Mit der Neuorientierung des damaligen Fachs "Sozialkunde" hin zum aktuellen Fach "Politik und Wirtschaft " in den Curricula wurde auf eine sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Faschismus weitgehend verzichtet. Dieser Bereich sollte fortan vorrangig im Rahmen des Fachs Geschichte unterrichtet werden. Das Thema wird daher in den folgenden Modulen behandelt: Modul 1: Das politische, rechtliche und soziale System der BRD, Modul 2: Insti- 1 BW-C = Erziehen (Lehramt) 2 EW-BA3 = Theorien der Bildung und Erziehung (Bachelor Erziehungswissenschaft) 3 GW-A = Bildung und Erziehung im gesellschaftlichen Kontext (Lehramt) 4 GW-G1 = Erziehungswissenschaftliche und psychologische Grundlagen von Bildung, Unterricht und Erziehung (Lehramt) 5 EW-MA5 = Forschungsbezogene Studien (Master Erziehungswissenschaften) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3135 3 tutionen, Konfliktfelder und soziale Bewegungen, Modul 5: Vergleich politischer, gesellschaftlicher und kultureller Systeme. b) Am Fachbereich 04 - Geschichts- und Kulturwissenschaften gehört diese Auseinandersetzung in der Geschichtswissenschaft, speziell der Zeitgeschichte, zu ihren prägenden Gründungsthemen in der Nachkriegszeit. In Lehre und Forschung gehört die NS-Geschichte zu den zentralen Themen und zu den am meisten nachgefragten in der Lehre und bei Abschlussarbeiten . Eine umfassende Abfrage/Recherche von Publikationen einzelner Lehrender zum Thema war der JLU innerhalb der Frist der GOHLT nicht möglich. An der Universität Kassel wird die nationalsozialistische Pädagogik in Vorlesungen zur Schulgeschichte sowie in begleitenden Seminaren des Fachbereichs Humanwissenschaften behandelt. Die geschichtliche Aufarbeitung der Erziehungspraxis und Bildung während der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft sowie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der "NS- Pädagogik" ist am Fachbereich Erziehungswissenschaften (FB 21) der Philipps-Universität Marburg (UMR) ein essenzieller und wichtiger Bestandteil von Lehre und Forschung: a) NS-Pädagogik in der Lehre: Das Thema der nationalsozialistischen Erziehungspraxis wird und wurde in Lehrveranstaltungen regelmäßig aufgegriffen. Sowohl in einschlägigen Seminaren als auch als Bestandteil der Aufarbeitung deutscher Erziehungsgeschichte im Rahmen von Einführungsvorlesungen und Überblicksveranstaltungen wird/wurde sich in der Lehre mit der nationalsozialistischen Weltsicht und der daraus resultierenden Erziehungs- /Bildungspraxis im Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Folgende Lehrveranstaltungen sowohl aus dem Bereich der Lehrerbildung (EGL/LEA) als auch der erziehungswissenschaftlichen Studiengänge haben das Thema "NS-Pädagogik" in den letzten Semestern aufgegriffen bzw. werden es im kommenden Semester aufgreifen: Sommersemester 2016 1.1 Lehramt Sport 21 161 20201 - VL "Grundlagen der Sport- und Bewegungspädagogik" 21 161 10600 - SE "Forschungsorientierte Studienprojekte" 1.2 EGL/LEA 21 051 91026 - SE "Identität und Erinnerungskulturen - Bildungsarbeit in der Schule" 21 051 05002 - SE "Erziehung nach Auschwitz" 1.3 B.A. Erziehungs- und Bildungswissenschaft 21 050 02101 - PS "Pädagogische Welten in Bildern" Im Rahmen des Seminars "Pädagogische Welten in Bildern" wird das Thema des Aufwachsens im Nationalsozialismus, insbesondere die 'Eliteerziehung von Jungen und Mädchen im Nationalsozialismus', behandelt. 21 050 03103 - PS "Nationalsozialismus, deutsches Familiengedächtnis und Geschlecht" Wintersemester 15/16 2.1 Lehramt Sport 21 161 30801 - SE "Forschungsorientierte Studienprojekte" 2.2 B.A. Erziehungs- und Bildungswissenschaft 21 050 02001 - VL "Grundfragen der Erziehungs- und Bildungswissenschaft" Im Kontext einer einführenden Vorlesung in die Grundlagen und Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft werden im Bereich der Jugendkulturen und des jugendlichen Widerstandes im Nationalsozialismus die so genannten "Wilden Cliquen" (insbesondere Edelweißpiraten ) vorgestellt. 21 050 02103 - PS "Pädagogische Welten in Bildern" (s.o.) Lehrveranstaltungen Sommersemester 2015 3.1 Lehramt Sport 21 161 10600 - SE "Forschungsorientierte Studienprojekte" 3.2 EGL/LEA 21 051 05002 - SE "Erziehung nach Auschwitz" 03 141 00000 - "Antidemokratisches Denken in Wissenschaft und Hochschule" - Ring- Vorlesung des FB03, die auch im Modul EGL 1/LEA 2 angeboten wurde. Im Rahmen der Vorlesung wurde in einem Block zur Wissenschaftsgeschichte u.a. die NS-Zeit an der Uni Marburg aufgegriffen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3135 3.3 B.A. Erziehungs- und Bildungswissenschaft 21 050 02101 - PS "Pädagogische Welten in Bildern" 21 050 07103 - PS "Theorien und Geschichte des Behindertenbildungs- und Betreuungswesens " 21 052 04003 - SE "Wer Anderen anders erscheint, muss deshalb nicht anders sein. Über soziale Konstruktionen in Geschichte und Gegenwart" b) Gemäß des am FB 21 angesiedelten Forschungsschwerpunkts "Bildung im Wandel" wird das Thema der Erziehung und Bildung im Nationalsozialismus in zahlreichen Publikationen und Forschungsprojekten behandelt. Aus der Forschung des Fachbereichs erwachsen wiederum zahlreiche Veröffentlichungen und Forschungsergebnisse, welche in den Lehrinhalten der Seminare und Vorlesungen des Fachbereichs nutzbar gemacht werden: Meseth, Wolfgang (2015): Erziehung nach Auschwitz 2.0. Erziehungswissenschaftliche Beobachtungen, empirische Befunde und bildungstheoretische Implikationen. In: Widmaier , B./Steffens, G. (Hg.): Politische Bildung nach Auschwitz. Schwalbach/Ts., S. 15-26. Meseth; Wolfgang (2015): Gedenkstättenpädagogisches Handeln. Zur Etablierung eines Arbeitsfeldes zwischen Professionalisierung und Standardisierung. In: Elke Gryglewski, Verena Haug, Gottfried Kößler, Thomas Lutz und Christa Schikorra (Hg.): Gedenkstättenpädagogik . Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen. Berlin : Metropol. S. 98-110. Meseth, Wolfgang (2013): "Holocaust Education" als Gegenstand internationalvergleichender Erziehungswissenschaft. Tertium Comparationis. Journal für Internationale und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft (gemeinsam mit Matthias Proske). Meseth, Wolfgang (2013): Der pädagogische Umgang mit dem Nationalsozialismus zwischen nationalen und transnationalen Erinnerungsdiskursen. In: Tertium Comparationis. Journal für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft, 19, 1 (2013), S. 1-13. Haug, Verena; Meseth, Wolfgang (2013): Schulklassen in Gedenkstätten. Routinen des Unterrichts als Herausforderung der Gedenkstättenpädagogik - Empirische Erkundungen. In: Linda Erker, Klaus Kienesberger, Erich Vogel & Fritz Hausjell (Hg.): Gedächtnisverlust ?. Wien: Herbert von Halem, S. 41-60. Meseth, Wolfgang (2012): Education after Auschwitz” in a United Germany. A Comparative Analysis of the Teaching of the History of National Socialism in East and West Germany. In: European Education 44 (2012) 3, S. 13-38. Meseth, Wolfgang; Proske, Matthias (2010): Mind the Gap: Holocaust Education in Germany between pedagogical intentions and classroom interaction. In: Prospects - Quarterly Review of Comparative Education. Special Issue on Policies and Practices of Holocaust Education: International Perspectives, S. 201-222. Meseth, Wolfgang; Proske, Matthias (2009): Was geht Petra und Cem der Holocaust an. NS-Geschichte unterrichten in ethnisch heterogenen Lerngruppen. In: Schüler 2009, S. 16-18. Priebe, A. et al (2014). Die Deutsche Turnerschaft und die Turnwettbewerbe bei den Olympischen Spielen 1936. In: Krüger, M./ Steins, G. (Hrsg.): Turnen ist mehr - Patriotismus als Lebensform. (Geschichte der Körperkultur in Studien und Materialien Band 1). Hildesheim: Arete Verlag 2014, S. 187-191. Priebe, A. et al (2013). Korbball und Basketball im Dritten Reich und in der Bundesrepublik Deutschland. In: Sportzeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft. 13 (2013) 1, S. 69-88. Rohrmann, E. (2011) Mythen und Realitäten des Anders-Seins. Gesellschaftliche Konstruktionen seit der frühen Neuzeit. 2. Auflage. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften 323 Seiten. Rohrmann, E. (2010): Bildungsinstitutionen und ihre Geschichte - Das Behindertenbildungswesen . In: Böttcher, W. & Dicke, J. N. (Hrsg.): Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online Fachgebiet: Bildungsorganisation - Bildungsplanung - Bildungsrecht, Bildungsorganisation . Weinheim und München: Juventa Verlag 2010. DOI 10.3262/ EEO08100138, 57 Seiten. Seitter, Wolfgang (2011): Verdrängung, Eingliederung, Aufwertung - Erwachsenenbildung im Nationalsozialismus. In: Horn, Klaus-Peter/Link, Jörg-W. (Hrsg.): Erziehungsverhältnisse im Nationalsozialismus - Totaler Anspruch und Erziehungswirklichkeit. Bad Heilbrunn 2011, S. 275-293. Über das am FB 21 angesiedelte beratungsNetzwerk Hessen werden zusammen mit dem "International Tracing Service" Bad Arolsen gemeinsame Projekte/Fortbildungen durchgeführt, bei denen die 'Pädagogik im Nationalsozialismus' als Transferthema zu aktuellen Themen wie jugendlichem Rechtsextremismus oder Flucht und Asyl genutzt wird. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3135 5 Am Institut für Erziehungswissenschaft wird aktuell der wissenschaftliche Nachlass von Wolfram Schäfer zur "Aufarbeitung der Kinder- und Jugendpsychiatrie/der Heimerziehung in der NS-Zeit" sowie zur "Verfolgung von Sinti und Roma" (Schwerpunkt: Marburg und Hessen) durch eine studentische und eine wissenschaftliche Hilfskraft aufgearbeitet. Die Ergebnisse dieser Archivarbeit werden interessierten Forschenden/Studierenden zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Bachelors Soziale Arbeit der Frankfurt University of Applied Sciences erfolgt ein Umgang mit der Thematik insbesondere in Modulen auf dem Themenfeld der Ausgrenzung /Diskriminierung. Auch in dem Bachelor Pflegestudiengang finden modulspezifische Vertiefungen zum Themenkomplex Geschichte der Pflege statt, in dem die jüdische Pflege eine besondere Rolle spielt. An der Hochschule Fulda befassen sich Studierende im Rahmen des Seminars "Politische Bildung und historisch-politisches Lernen (am Beispiel des ‚Zug der Erinnerung‘)" [Studiengang "Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt interkulturelle Beziehungen" (B.A.) am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften], mit den angesprochenen Themen (s. z.B. Gudrun Hentges: Historisch-politisches Lernen am Beispiel des Projekts "Zug der Erinnerung", in: Gudrun Hentges /Bettina Lösch (Hg.), Die Vermessung der sozialen Welt. Neoliberalismus - extreme Rechte - Migration im Fokus der Debatte, Wiesbaden 2011, S. 159-173.). Frage 2. Ist der Landesregierung bekannt und trifft es ihrer Kenntnis nach zu, dass Lehramtsstudierende für den Besuch der viele Jahre durchgeführten zweisemestrigen Einführungsvorlesung über die Pädagogik im NS-Staat durch die Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung der Goethe -Universität keine Credit Points mehr erhalten? a) Wenn ja, hält sie angesichts der eingangs erwähnten Bedeutung der Forschung und Lehre zur NS-Zeit diese Entscheidung für richtig und warum? b) Wie beurteilt sie die Einschätzung der Unterzeichner des Appells "Erziehung nach Ausschwitz ", die in diesem Zusammenhang von einer "Degradierung" sprechen? Die GU hat hierzu folgendes mitgeteilt: 2013 erfolgte eine an den KMK-Vereinbarungen zur Lehrkräftebildung orientierte Überarbeitung der Studien- und Prüfungsordnung Bildungswissenschaften innerhalb der Lehramtsausbildung an der GU. Diese enthält nun nur noch zwei Grundlagen - bzw. Einführungsvorlesungen (BW-A Sb-1 "Unterrichten und Beurteilen" und BW-A Sb- 2 "Erziehen und Innovieren"). Es blieben nur diese Vorlesungen bestehen, um den Studierenden die Grundkompetenzen des Lehramtsberufs in kohärenter Form (im Sinne einer Einführung in erziehungswissenschaftliche Grundkonzepte) vermitteln zu können. Danach folgen die Inhaltsseminare , die über 80 % des bildungswissenschaftlichen Lehramtsstudiums ausmachen. Vorlesungen der früheren Grundwissenschaften wurden in (Pro-) Seminare überführt, was aus didaktischer Sicht einen erheblichen Fortschritt darstellt und im Interesse der Studierenden ist. Auf diese Art und Weise werden Verstehen, Reflexion und nachhaltiges aktives Wissen, wie es gerade künftige Lehrerinnen und Lehrer benötigen, in ganz anderer Form gefördert. Insofern ermöglicht die Seminarform einen kritischen Dialog der Studierenden untereinander. Die Vorlesung "Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit" wurde seitens des verantwortlichen Dozenten nicht in ein studierendenfreundlicheres Seminarangebot umgewandelt. Der Besuch der Vorlesung "Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit (Teil I)" ist im Modul BW-C (Erziehen) nach wie vor möglich. Formal wird diese Veranstaltung als Seminar anerkannt, in dem auch eine Modulprüfung erbracht werden kann. Die im früheren Modul GW-G1 angebotene Vorlesung zur NS-Pädagogik war nie die einzige und für alle Lehramtsstudierenden verpflichtende Einführungsvorlesung in erziehungswissenschaftliche Grundlagen. Mit der neuen Einführungsvorlesung ist gewährleistet, dass die NS-Pädagogik - neben anderen historischen und systematischen Grundfragen - in einem Umfang behandelt wird, der eine vertiefende Beschäftigung im Modul BW-C vorbereitet. Der Begriff der "Degradierung" ist in diesem Kontext unangemessen. Ein detailliertes und curricular fest verankertes Angebot zur Auseinandersetzung mit der NS-Pädagogik in den Pflichtmodulen B ("Unterrichten") und C ("Erziehen ") des Studiums der Bildungswissenschaften wird seitens der GU auch für unverzichtbar gehalten . Seminare, wie sie die umstrukturierten Lehramtscurricula vorsehen, bieten dafür einen adäquaten Rahmen. Insofern sie eine vertiefte und aktive Verarbeitung der Lerninhalte ermöglichen , sind sie in besonderem Maße geeignet, eine gelingende Auseinandersetzung mit der NS- Pädagogik zu sichern. Eine Abwertung der Relevanz des Unterrichtsgegenstands "NS- Pädagogik" ist mit der Umwandlung der Lehrformate mithin in keiner Weise verbunden. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 6 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3135 Frage 3. Gibt es von Seiten der Landesregierung Empfehlungen für die Hochschulen, in welcher Form das Thema der NS-Pädagogik sinnvoll erforscht und gelehrt werden kann? Welchen Stellenwert erkennt die Landesregierung im Studium der NS-Pädagogik für die Erziehungswissenschaften als auch für das Lehramt? Die Ausbildung der Lehrämter in Hessen richtet sich nach den "Standards für die Lehrerbildung : Bildungswissenschaften" der KMK. Einen speziellen Kompetenzbereich "Pädagogik im NS-Staat" gibt es in den KMK-Standards nicht. Für eine allgemein zweisemestrige Einführungsvorlesung ist dieses Thema daher zu speziell. In den KMK-Standards werden Kompetenzbereiche und Kompetenzen benannt. Die Kompetenzbereiche werden in "Inhaltliche Schwerpunkte der Ausbildung" und "Didaktisch-methodische Ansätze der Bildungswissenschaften in der Lehrerbildung" unterschieden. Zu diesem Themenkomplex soll die Einführungsvorlesung einen Grundstein legen. Davon unberührt können Wahlmodule/Seminare zu diesem Thema angeboten werden. Die Ausführungen der hessischen Hochschulen zu Frage 1 zeigen jedoch, dass die Aufarbeitung deutscher Erziehungsgeschichte und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Zeit als wichtiger Bestandteil ihrer erziehungswissenschaftlicher Lehrinhalte angesehen werden. Frage 4. Ist ihr bekannt, dass auch für das Hauptfach Erziehungswissenschaft Studierende künftig nur noch für eine statt wie bisher für zwei Vorlesungen, ebenso wie für zwei begleitende Seminare, zur NS-Pädagogik Credit Points erhalten können und wie beurteilt sie dies? Im Rahmen der Reakkreditierung des BA-Studiengangs Erziehungswissenschaft an der GU im Sommer 2015 wurde die Modulstruktur in der Studieneingangsphase verändert, um das Profil des Studiengangs "Pädagogik der Lebensalter" für die Studierenden deutlicher hervortreten zu lassen. Aus den Modulen "Theorie" und "Geschichte" wurde ein gemeinsames Modul gebildet. Es entfällt daher eine Vorlesung ("Theorien der Erziehung") in diesem Modul, während die Zahl der Seminare zu Theorie und Geschichte der Erziehung konstant bleibt. Das Thema "NS- Pädagogik" kann im Modul BA2 nach wie vor mit zwei Seminaren, aber nur noch mit einer Vorlesung belegt werden. Auch für den Hauptfachstudiengang Erziehungswissenschaft gilt, dass die vermittelnden theoretischen und historischen Grundlagen der Erziehungswissenschaft über die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Pädagogik hinausreichen. Zudem werden auch in anderen Modulen und Lehrveranstaltungen (z.B. dem Modul "Erziehung und Differenz") explizite Bezüge zur NS-Pädagogik hergestellt. Frage 5. Welche Vorstellungen hat die Landesregierung zur Finanzierung der Forschung zur NS- Pädagogik an hessischen Hochschulen und wie wird die Forschung derzeit von den Hochschulen und vom Land Hessen finanziert? Die Landesregierung betreibt keine thematische oder fachbezogene Forschungsförderung (außerhalb zweier hochschulartenspezifischer Geschlechterforschungsprogramme im Gesamtumfang von 478.000 €/Jahr). Um die hohe Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen , der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der forschenden Wirtschaft in Hessen zu sichern, investiert das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst seit 2008 mit dem LOEWE-Programm konsequent in Ausbildung, Forschung und Entwicklung. LOEWE ist ein unbefristetes Landesprogramm außerhalb des Hochschulpakts und außerhalb der institutionellen Förderung von außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Hessen. Aufgrund seiner Konzeption und seines Finanzvolumens ist LOEWE bundesweit im Ländervergleich einzigartig. 2008 bis 2015 stellte Hessen insgesamt rd. 607 Mio. € für LOEWE und damit für die Förderung herausragender wissenschaftlicher Verbundvorhaben bereit. Im Jahr 2016 beträgt das bedarfsgerecht zur Verfügung gestellte LOEWE-Budget rd. 64 Mio. €. Das rein qualitätsgeleitete LOEWE-Programm ist themenoffen, wettbewerblich organisiert und auf die Weiterentwicklung von Strukturen ausgerichtet. Seit 2008 wurden bereits insgesamt 11 Zentren, 38 Schwerpunkte und 218 KMU-Verbundvorhaben zur Förderung ausgewählt. Außerdem wurden insgesamt rd. 58 Mio. € für 5 Baumaßnahmen im Zusammenhang mit Zentren zur Verfügung gestellt. Der Wissenschaftsrat evaluierte 2012 das LOEWE-Programm und kam zu dem Ergebnis, dass LOEWE ein sinnvolles Instrument zur Förderung von Profilbildung, Schwerpunktsetzungen und Vernetzungen sowie zur Förderung von Transferprozessen darstellt. Darüber hinaus unterstützt die Landesregierung die Forschung der hessischen Hochschulen selbstverständlich auch im Rahmen des leistungsorientierten Budgetierungsverfahrens. Die Mittel sind aufgeteilt in Grund- und Erfolgsbudgets sowie Innovations- und Strukturentwicklungsbudget . Im Rahmen der Hochschulgrundfinanzierung des Landes gibt es im Erfolgsbudget ein Teilbudget Forschung, das jedoch ausschließlich nach Leistungsparametern verteilt wird. Der bei weitem wichtigste ist der Betrag der eingeworbenen Drittmittel (die i. W. aus der staatlichen Forschungsförderung von DFG, BMBF und EU stammen). Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3135 7 Im Rahmen der alle 5 Jahre neu zu verhandelnden Zielvereinbarungen können die Hochschulen zum Auf-/Ausbau ihrer Forschungsprofile Anträge auf Anschubfinanzierung neuer, besonders innovativer Forschungsschwerpunktbereiche stellen. Die Förderung erfolgt als Anschubfinanzierung im Rahmen des Innovations- und Strukturentwicklungsbudgets. Die Forschungsstelle "NS-Pädagogik" an der GU ist drittmittelfinanziert. Die GU unterstützt die Lehre und Forschung der Forschungsstelle finanziell (Förderfonds Lehre, Unterstützung von Tagungen und Vortragsreihen) und hat sich erfolgreich für die dauerhafte Abordnung des Forschungsstellenleiters an den Fachbereich Erziehungswissenschaften eingesetzt. Diese Unterstützung wie auch die übrigen in Antwort zu Frage 1 aufgeführten Forschungen (einschließlich Publikationen , Sachmittel), die durch Professoren/-innen und Mitarbeiter/-innen der Hochschulen erfolgen, werden weit überwiegend aus dem regulären Hochschulhaushalt, d.h. Landesmitteln, finanziert. Das beratungsNetzwerk Hessen an der UMR ist ein Drittmittelprojekt. Frage 6. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über einen Beschluss der Goethe-Universität Frankfurt im Fachbereich 04 (Erziehungswissenschaften) vor, demzufolge Forschung zur nationalsozialistischen Pädagogik nicht grundständig vom zuständigen Fachbereich, sondern die diesbezüglichen Forschungsvorhaben lediglich aus Drittmitteln finanziert werden sollen? Wenn ja, entspricht der Beschluss den Vorstellungen der Landesregierung von der Finanzierung der hessischen Forschung zum Gegenstand der NS-Pädagogik? Die Nutzung von Drittmitteln zur Finanzierung von Forschungsvorhaben ist in allen Forschungsfeldern üblich, nicht nur in der Forschung zur NS-Pädagogik. Die erfolgreiche Drittmitteleinwerbung ist der Forschungsstelle NS-Pädagogik in den vergangenen Jahren auch in hervorragender Weise gelungen. Der Fachbereich Erziehungswissenschaften hat im Jahr 2015 eine Evaluation der Forschungsstelle NS-Pädagogik vornehmen lassen. Der Evaluationsbericht liegt mittlerweile vor, ist aber noch nicht im Fachbereichsrat diskutiert worden. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung und die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Wiesbaden, 21. März 2016 Boris Rhein