Kleine Anfrage des Abg. Degen (SDP) vom 01.03.2016 betreffend Tandem-Unterricht in Klassen mit Seiteneinsteigern ohne Deutschkenntnisse und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: In den Medien wird berichtet, dass die Möglichkeit und die Bereitschaft von Flüchtlingen und ihren Kindern, sich auf die Bedingungen und das Leben in unserer Gesellschaft einzustellen, dann besonders positiv entwickelt sind, wenn Helferinnen und Helfer tätig werden können, die die Sprache der Zuwanderer verstehen und insbesondere auch die Kultur des jeweiligen Herkunftslandes kennen. Offenbar gelingt so ein pragmatischer Zugang zur Akzeptanz unserer gesellschaftlichen Normen und Werte. Werden die kaum bestrittenen Erfahrungen auf den Schulunterricht übertragen, so erscheint es sinnvoll, im Unterricht in Klassen mit Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern zusätzlich zur fachlich zuständigen Lehrkraft eine weitere Person einzusetzen, die aufgrund ihrer sprachlichen und kulturellen Kompetenz dazu beitragen kann, dass die Schülerinnen und Schüler dem Unterrichtsgeschehen besser folgen und die Inhalte eher akzeptieren können. Für eine derartige Parallelbetreuung bzw. Tandem-Unterricht kommen insbesondere Dolmetscherinnen und Dolmetscher, in den relevanten Kulturvereinen tätige Personen, Dozentinnen und Dozenten mit entsprechender (Unterrichts-) Erfahrung an Volkshochschulen und auch Flüchtlinge, die in ihren Herkunftsländern bereits als Lehrkräfte tätig waren, in Betracht. Für die zuletzt genannte Personengruppe könnte dies grundsätzlich auch einen Einstieg in den Arbeitsmarkt bedeuten. Vorbemerkung des Kultusministers: Grundlegendes Ziel der hessischen Schulpolitik ist es, den zugewanderten Schülerinnen und Schülern deutscher und ausländischer Herkunft so früh und intensiv wie möglich umfassende Kenntnisse in der deutschen Sprache zu vermitteln. Damit sollen sie in die Lage versetzt werden , dem Regelunterricht folgen zu können und einen qualifizierten Schulabschluss zu erreichen . In der Verordnung des Hessischen Kultusministeriums zur Gestaltung des Schulverhältnisses (VOGSV) vom 19. August 2011 (ABl. S. 546), zuletzt geändert durch Verordnung vom 29. April 2014 (ABl. S. 234), werden nicht zuletzt vielfältige Maßnahmen und Regelungen für den Schulbereich beschrieben, die der Förderung und Integration von Migrantinnen und Migranten sowie von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern dienen. Dem aktuell sehr hohen und stetig ansteigenden Sprachförderbedarf von Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunftssprache begegnet das Hessische Kultusministerium gemeinsam mit den Staatlichen Schulämtern mit einem umfangreichen und bereits seit vielen Jahren etablierten Gesamtsprachförderkonzept zur Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse, das auf die jeweiligen Bedürfnisse der altersunterschiedlichen Zielgruppe zugeschnitten ist und deren sozial-emotionalen Voraussetzungen und ihre kulturelle Vorbildung ebenso berücksichtigt wie ihre sehr heterogenen sprachlichen Voraussetzungen. Kinder und Jugendliche, deren Sprache nicht Deutsch ist, sollen dabei so gefördert werden, dass sie die deutsche Sprache in Wort und Schrift so beherrschen, dass sie entsprechend ihrer Eignung gerechte Bildungs- und Ausbildungschancen erhalten. Hierfür stellt die Landesregierung in steigendem Maße erhebliche Personal- und Sachmittel zur Verfügung. Eingegangen am 18. April 2016 · Ausgegeben am 20. April 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3189 18. 04. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3189 Frage 1. Teilt die Landesregierung grundsätzlich die positive Einschätzung der Möglichkeiten eines Tandem -Unterrichts in Klassen mit Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern unter Einsatz der in der Vorbemerkung aufgeführten Personengruppen und wenn ja, über welche Kenntnisse verfügt sie darüber? Wenn nein, warum nicht? Die Landesregierung teilt aus fachlicher Perspektive die in der Vorbemerkung des Fragestellers formulierte These, dass Helferinnen und Helfer, die die Sprache der Zuwanderer verstehen und die jeweilige Kultur des Herkunftslandes kennen, eine wichtige Mittlerfunktion einnehmen können bei der Akzeptanz unserer gesellschaftlichen Normen und Werte und im gesamten Integrationsprozess . Eine einfache Übertragung auf den Schulunterricht ist allerdings aus fachlicher Sicht nicht sinnvoll und empfehlenswert. Der Unterricht in Intensivklassen für Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger ist inhaltlich-didaktisch und pädagogisch-psychologisch eine sehr anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe, insbesondere weil es sich um einen Unterricht in extrem heterogenen Lerngruppen handelt. Soweit dies möglich ist, sollen primär qualifizierte Lehrkräfte in den Intensivklassen eingesetzt werden, um diesen vielfältigen Herausforderungen Rechnung zu tragen. Tandem-Unterricht ist - wie Erfahrungen aus anderen Förderbereichen zeigen - eine weitere Herausforderung, die entsprechende Unterstützung und Beratung, z.B. im Bereich der Teambildung, erfordert. Aus fachlicher Sicht erscheint dies als eine Überfrachtung an Herausforderungen im Hinblick auf die unterrichtliche Tätigkeit der Lehrkräfte, die sich für den Einsatz in Intensivklassen qualifiziert und bereit erklärt haben. Zudem zeichnen sich Intensivklassen dadurch aus, dass hier Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger verschiedener Herkunftssprachen in "Deutsch als Zweitsprache" gefördert werden. Diese Zusammensetzung ist aus Sprachfördersicht ausdrücklich fachlich zu begrüßen, macht aber eine Unterrichtsorganisation eines Tandemunterrichts im Sinne des Fragestellers sehr schwierig. Frage 2. Fördert die Landesregierung gegenwärtig bereits schulische Projekte mit der beschriebenen oder einer vergleichbaren Ausrichtung und wenn ja, an welchen Standorten? Die Landesregierung befürwortet und unterstützt in hohem Maße schulische Projekte mit der beschriebenen bzw. vergleichbaren Ausrichtung in Form der Fortbildung und des Einsatzes sogenannter Bildungslotsen. Solche Projekte sind bereits seit vielen Jahren in Hessen wie auch bundesweit eingeführt und umgesetzt. Bildungslotsen unterstützen dabei in vorbildhafter Weise die Arbeit unserer Schulen, Schülerinnen und Schüler in unser Bildungssystem zu integrieren. Beispielsweise informieren Bildungslotsen Eltern von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache über das deutsche Erziehungs- und Bildungssystem, damit diese Eltern ihre Kinder und Jugendlichen auf ihrem Bildungsweg gut unterstützen können. Frage 3. Wenn nein, ab welchem Zeitpunkt und unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen ist die Landesregierung bereit, Projekte eines Tandem-Unterrichts zukünftig zu fördern? Die Landesregierung favorisiert in diesem Zusammenhang alle Bestrebungen und Projekte, zunehmend Lehrkräfte mit Migrationshintergrund für den Schuldienst und insbesondere für den Unterricht von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache zu gewinnen sowie entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildungen zu ermöglichen. Dies erscheint als der fachlich geeignete Weg, da sich bei solchen Personen Sprachkompetenz, Kulturkenntnisse und fachliche Expertise vereinigen. Frage 4. Liegen der Landesregierung Interessensbekundungen aus dem Kreis der in der Vorbemerkung aufgeführten Personengruppen vor, im Unterricht in Klassen mit Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern tätig werden zu können und wenn ja, an welchen Standorten? Der Hessischen Landesregierung liegen derzeit keine Interessensbekundungen aus dem Kreis der in der Vorbemerkung des Fragestellers aufgeführten Personengruppen vor, im Unterricht in Klassen mit Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern tätig zu werden. Frage 5. Wenn nein, wäre sie bereit, entsprechende Interessensbekundungen zu prüfen und in ein Integrationskonzept aufzunehmen? Auf die Vorbemerkung sowie die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 wird verwiesen. Wiesbaden, 6. April 2016 In Vertretung: Dr. Manuel Lösel