Kleine Anfrage der Abg. Schott (DIE LINKE) vom 01.03.2016 betreffend Lagerung und Wiederverwertung von schwach radioaktiven Abfällen aus dem Rückbau atomtechnischer Anlagen und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragestellerin: Nicht alles Material aus dem nuklearen Bereich von Atomanlagen wird als Atommüll behandelt. Um die Menge der zu lagernden Abfälle zu verringern, wurde 2001 in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) die "Freigabe " von gering radioaktiv belastetem Material geregelt. Mithilfe der sogenannten "Freimessung" - der Begriff suggeriert, dass das Material danach frei von Radioaktivität sei - wird ermöglicht, dass Atommüll wie "normaler" Müll behandelt werden kann. Dieser "freigemessene" schwach radioaktive Müll oder Reststoff unterliegt dann dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz und kann deponiert oder wiederverwendet werden. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Nach § 29 Abs. 1 Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) darf der Inhaber einer Genehmigung nach den §§ 6, 7 und 9 Atomgesetz (AtG), eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 9b AtG oder einer Genehmigung nach § 7 oder § 11 Abs. 2 StrlSchV radioaktive Stoffe sowie bewegliche Gegenstände, Gebäude, Bodenflächen, Anlagen oder Anlagenteile, die aktiviert oder kontaminiert sind und die aus Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a, c oder d stammen, als nicht radioaktive Stoffe verwerten, beseitigen, innehaben oder an einen Dritten weitergeben, wenn die zuständige Behörde die Freigabe nach Abs. 2 erteilt hat und nach Abs. 3 die Übereinstimmung mit den im Freigabebescheid festgelegten Anforderungen festgestellt hat. Diese Regelungen zur Freigabe nach § 29 Abs. 1 StrlSchV gelten sowohl für den Leistungsund Nachbetrieb als auch für den Rückbau der Anlagen, wobei beim Rückbau erfahrungsgemäß die größeren Massen anfallen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche schwach radioaktiven Reststoffe oder Abfälle aus dem Abriss von atomtechnischen Anlagen (z.B. Metallschrott oder Bauschutt) wurden nach der sogenannten Freimessung bisher auf hessischen Deponien gelagert? Ich bitte um Angabe der Deponien, Art, Menge und Herkunft des Deponiegutes sowie des Zeitpunktes der Deponierung. Die Veröffentlichung der Freigabebescheide, wie es das Umweltministerium in Baden-Württemberg macht, dient als Vorbild. In Hessen wurden in der Vergangenheit bereits mehrere kerntechnische Anlagen stillgelegt und zurückgebaut, die die Freigabemöglichkeiten der StrlSchV genutzt haben. Dies waren: - RD Hanau GmbH, früher Nukem-Hanau GmbH, - Siemens Brennelemente-Werk, BT MOX, früher Alkem, - Siemens Brennelemente-Werk, BT Uran, früher RBU, - Frankfurter Forschungsreaktor FRF. Beim Rückbau der Anlagen Siemens Brennelemente-Werk, BT MOX, und des Frankfurter Forschungsreaktors wurden Reststoffe nur uneingeschränkt freigegeben oder als radioaktive Abfälle entsorgt. Über den Verbleib von Material aus einer uneingeschränkten Freigabe kann keine Auskunft gegeben werden, da der Abfallerzeuger nicht verpflichtet ist, der Behörde mitzuteilen, wo das Material verbleibt. Eingegangen am 25. Mai 2016 · Ausgegeben am 31. Mai 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3196 25. 05. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3196 Aus dem Rückbau der Anlage RD Hanau wurden in den Jahren 2001 bis 2005 insgesamt ca. 113 Mg (Tonnen) Material nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 StrlSchV zur Beseitigung auf hessischen Deponien freigegeben. Aus dem Rückbau der Anlage Siemens, BT Uran, wurden in den Jahren 2001 bis 2005 insgesamt ca. 507 Mg (Tonnen) Material nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 StrlSchV zur Beseitigung auf hessischen Deponien freigegeben. Das entsprechende Verfahren hierzu ist in der Beantwortung zur Frage 6 näher erläutert. Der Zeitpunkt der Deponierung kann nicht auf den Tag genau angegeben werden, da es in der Zuständigkeit der Deponie liegt, wann das Material eingebaut wird. Statt Zeitpunkt der Deponierung kann das Datum der Zustimmung zur Freigabe angegeben werden. Die Angaben für die Anlagen RD Hanau und Siemens, BT Uran, sind in der beigefügten Anlage aufgelistet. Frage 2. Auf welchen Deponien in Hessen oder anderen Bundesländern sollen schwach radioaktive Reststoffe oder Abfälle (z.B. Bauschutt) aus dem Rückbau der atomrechtlichen Anlagen in Biblis nach der sogenannten Freimessung gelagert werden? In Hessen stehen geeignete Deponien für eine ortsnahe Entsorgung zur Verfügung. Welche Deponien gewählt werden, ist zunächst Angelegenheit des Abfallerzeugers und noch nicht entschieden. Frage 3. In welche Müllverbrennungsanlagen oder Metallschmelzen (in Hessen oder anderen Bundesländern ) sollen und können die freigemessenen, aber radioaktiven Reststoffe oder Abfälle aus dem Rückbau der atomrechtlichen Anlagen in Biblis gebracht werden? In Hessen kommt als Verbrennungsanlage die HIM GmbH in Biebesheim in Betracht. Welche Verbrennungsanlagen gewählt werden, ist zunächst Angelegenheit des Abfallerzeugers und noch nicht entschieden. Frage 4. Welche Grenzwerte gelten für freigemessenes Material aus dem Rückbau der atomrechtlichen Anlagen in Biblis, welche als "Wert"- oder "Reststoffe" wieder in den Stoffkreislauf zugeführt oder deponiert werden sollen? Es gelten die nuklidspezifischen Freigabewerte der Anlage III der StrlSchV unter Berücksichtigung des Nuklidvektors für das Material. a) Zu welchen Zwecken kann dieses Material wieder verwendet werden? Bei einer uneingeschränkten Freigabe ist der Verwendungszweck nicht festgelegt. Bei einer eingeschränkten Freigabe kommen die Beseitigung in einer Verbrennungsanlage oder auf einer Deponie sowie die Metallrezyklierung in Betracht. b) Hält die Hessische Landesregierung die Grenzwerte für die sogenannte Freimessung für ausreichend , um eine Gefährdung der Bevölkerung sowie der Arbeiterinnen und Arbeiter, die mit den freigemessenen Material umgehen müssen, auszuschließen? Ja. Den Freigabewerten der StrlSchV liegt das sogenannte 10-Mikrosievert-Konzept (10-µSv- Konzept) oder Konzept der trivialen Dosis zugrunde. Entsprechend dem internationalen Stand der Wissenschaft wird in Deutschland eine effektive Dosis in der Größenordnung von einigen 10 µSv im Jahr als trivial, d.h. vernachlässigbar im Sinne des Strahlenschutzes, angesehen. Näheres hierzu ist in der Beantwortung zur Frage 6 erläutert. Frage 5. Gibt es Stellungnahmen von Betreibern von Deponien, Müllverbrennungsanlagen, Metallschmelzen oder anderen Verwertern in Hessen oder anderen Bundesländern, aus denen hervorgeht, dass diese die Annahme von nach dem Freigabeverfahren als nicht radioaktiv deklarierte Abfälle verweigern (wenn ja: Antwort bitte unter Angabe der Anzahl sowie der Standorte der jeweiligen Deponien , Müllverbrennungsanlagen, Metallschmelzen oder Verwertern)? Ja, es gibt solche Stellungnahmen. Die Rhein-Main Abfall GmbH hat am 28. Juni 2000 mitgeteilt, dass keine Materialien aus dem Bereich kerntechnischer Anlagen auf der Deponie Wicker entsorgt werden dürfen. Grundlage war ein Beschluss des Main-Taunus-Kreises als Gesellschafter der Rhein-Main Deponie GmbH vom 23. März 2000. Zu Anlagen außerhalb Hessens kann von hier keine Aussage getroffen werden. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3196 3 Frage 6. Welche Voraussetzungen, Annahmen oder Bedingungen wurden zur Ableitung und Begründung der Grenzwerte zur Freigabe und dem Transfer radioaktiver Stoffe getroffen (Antwort bitte unter Angabe der beteiligten Institutionen sowie unter Nennung der entsprechenden Dokumente (Gutachten , Richtlinien, Verordnungen, Gesetze etc.))? Die Frage zu den Grundlagen der Freigabewerte richtet sich an den Gesetzgeber (Bundestag, Bundesrat). Die Grenzwerte entsprechen dem Stand der Wissenschaft, wie u.a. vom Ökoinstitut beim Infoforum Biblis am 3. November 2015 bestätigt wurde. Vor diesem Hintergrund wird die Frage wie folgt beantwortet: Die Freigabe ist in § 3 Abs. 2 Nr. 15 StrlSchV definiert als Verwaltungsakt, der auf Antrag eines Genehmigungsinhabers oder von Amts wegen die Entlassung von radioaktiven Stoffen sowie von beweglichen Gegenständen, Gebäuden, Bodenflächen, Anlagen oder Anlagenteilen, die mit radioaktiven Stoffen kontaminiert sind, die aus Tätigkeiten stammen, aus dem Regelungsbereich a) des Atomgesetzes und b) darauf beruhender Rechtsverordnungen sowie verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zur Verwertung, Beseitigung, Innehabung oder zu deren Weitergabe an Dritte als nicht radioaktive Stoffe bewirkt. Nach ihrer Freigabe sind die fraglichen Stoffe keine radioaktiven Stoffe im Sinne des Atomgesetzes mehr. Freigegebene Stoffe fallen nicht mehr unter das Überwachungssystem des Atomgesetzes und der hierauf beruhenden Verordnungen, sondern unterliegen den jeweils einschlägigen Regelungssystemen, wie z.B. dem Abfallrecht. Das Freigabeverfahren ist gesetzlich geregelt in § 29 i.V. mit den Anlagen III und IV StrlSchV. Die konkreten Freigabewerte finden sich in Anlage III Tabelle 1 Spalte 4 bis 10a StrlSchV. Diese Werte wurden so bestimmt, dass durch die Freigabe der entsprechenden Stoffe, beweglichen Gegenstände, Gebäude, Bodenflächen, Anlagen oder Anlagenteile für Einzelpersonen der Bevölkerung nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr auftreten kann. Im Hinblick auf eine Vielzahl möglicher Freigabeentscheidungen wurde als zusätzliches Korrektiv eine Begrenzung der Kollektivdosis in Höhe von 1 Personen-Sievert berücksichtigt. Die amtliche Begründung der StrlSchV aus dem Jahr 2001 führt dazu wie folgt aus: "Für alle Radionuklide werden grundsätzlich die in der Richtlinie 96/29/EURATOM neu festgelegten nuklidspezifischen Freigrenzen der Gesamtaktivität und spezifischen Aktivität übernommen . Daneben werden nach Maßgabe des Anhanges I der Richtlinie 96/29/EURATOM in Anlage III der Verordnung Freigabewerte für verschiedene Freigabeverfahren auf der Basis von Berechnungen der Strahlenschutzkommission (SSK) (Empfehlungen der SSK vom 12.02.1998, BAnz. vom 15.10.1998, S. 15022) normiert." a) Erfüllen die zur Deponie, Verbrennung, Metallschmelze oder sonstiger Verwerter von "freigemessenen " Reststoffen oder Abfällen vorgesehenen Anlagen diese Voraussetzungen, Annahmen oder Bedingungen? Ja. Es wird durch Messungen und Berechnungen nachgewiesen, dass die Bedingungen für eine Freigabe nach § 29 StrlSchV in Verbindung mit Anlagen III und IV StrlSchV zu § 29 StrlSchV erfüllt werden. b) Durch wen und wie erfolgt die Prüfung, ob die genannten Voraussetzungen, Annahmen oder Bedingungen bei Deponien, Verbrennungsanlagen, Metallschmelzen oder anderen Verwertern vorliegen? Der Nachweis der Einhaltung der Freigabewerte und der sonstigen Randbedingungen für die Freigabe obliegt generell dem Genehmigungsinhaber respektive Antragsteller. Die atomrechtliche Zulässigkeit wird von der zuständigen Freigabebehörde nach den Maßgaben des § 29 i.V. mit Anlagen III und IV StrlSchV geprüft. Weiterhin ist vor der Erteilung der Freigabe ein Einvernehmen mit der für die Verwertungs- und Beseitigungsanlage nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) zuständigen Behörde hinsichtlich deren Anforderungen herzustellen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sowohl die atomrechtliche wie auch die abfallrechtliche Zulässigkeit der beantragten Freigabe gegeben sind. Wiesbaden, 9. Mai 2016 Priska Hinz Anlage Deponierte Abfälle der RD Hanau GmbH auf Hessischen Deponien Datum Freigabebescheid Art des Materials Menge in Mg Deponie 09.04.2002 Bauschutt, Abbruchabfälle 16,04 Büttelborn 04.06.2002 Welleternit, Asbest 14,9 Büttelborn 09.04.2002 Dämmmaterial 6,84 Büttelborn 11.06.2002, 17.06.2002 Dämmmaterial 2,16 Büttelborn 01.08.2002 Brandschutztüren, Asbest 4,3 Büttelborn 19.08.2002 Isoliermaterial 5,8 Büttelborn 06.01.2003 Brandschutztüren, Asbest 2,04 Büttelborn 22.01.2003 Dämmmaterial 1,08 Büttelborn 22.01.2003 Eternitplatten, Asbest 4,54 Büttelborn 12.02.2003, 10.07.2003, 18.07.2003 Eternitplatten, Asbest, Bauschutt 1,4 Büttelborn 19.08.2003 Kunststoffe Big Bags 4,73 Büttelborn 24.11.2003 Dämmmaterial 1,96 Büttelborn 20.01.2004 Eternitplatten, Asbest 0,34 Büttelborn 10.03.2005 Eternitplatten, Asbest 15,28 Büttelborn 21.04.2005 Eternitplatten, Asbest 13,66 Büttelborn 28.04.2005 Eternitplatten, Asbest 15,88 Büttelborn 13.05.2005 Kunststoffe Big Bags 1,52 Büttelborn 23.10.2005 Kunststoffe Big Bags 0,68 Büttelborn Gesamt 113,15 petri Schreibmaschinentext Anlage Deponierte Abfälle der Siemens Brennelemente-Werk, BT Uran auf Hessischen Deponien Datum Freigabebescheid Art des Materials Menge in Mg Deponie 11.03.2002 Mineralische Stoffe 4,0 Büttelborn 16.04.2002 Mineralische Stoffe 13,3 Büttelborn 07.05.2002 Mineralische Stoffe 11,0 Büttelborn 04.06.2002 Mineralische Stoffe 8,8 Büttelborn 03.07.2002 Mineralische Stoffe 22,0 Büttelborn 22.08.2002 Mineralische Stoffe 22,1 Büttelborn 09.09.2002 Mineralische Stoffe 0,8 Büttelborn 24.10.2002 Mineralische Stoffe 0,9 Büttelborn 12.11.2002 Mineralische Stoffe 5,6 Büttelborn 03.01.2003 Mineralische Stoffe 24,3 Büttelborn 24.01.2003 Mineralische Stoffe 7,9 Büttelborn 27.03.2003 Mineralische Stoffe 32,6 Büttelborn 25.04.2003 Mineralische Stoffe 7,5 Büttelborn 17.07.2003 Mineralische Stoffe 1,1 Büttelborn 18.09.2003 Mineralische Stoffe 0,3 Büttelborn 06.11.2003 Mineralische Stoffe 0,3 Büttelborn 05.03.2004 Mineralische Stoffe 0,3 Büttelborn 26.07.2004 Bauschutt 5,1 Büttelborn 22.02.2005 Metalle 43,1 Büttelborn 04.03.2005 Feste brennbare Stoffe 9,0 Büttelborn 16.03.2005 Feste brennbare Stoffe 1,2 Büttelborn 29.04.2005 Feste brennbare Stoffe 3,7 Büttelborn 19.05.2005 Feste brennbare Stoffe 1,8 Büttelborn 19.05.2005 Feste brennbare Stoffe 0,3 Büttelborn 15.06.2005 Erdreich 3,1 Büttelborn 02.09.2005 Erdreich 132,5 Büttelborn 02.09.2005 Bauschutt 15,1 Büttelborn 02.09.2005 Metalle 1,5 Büttelborn 02.09.2005 Mineralische Stoffe 0,3 Büttelborn 29.09.2005 Mineralische Stoffe 0,1 Büttelborn 29.09.2005 Erdreich 106,3 Büttelborn 13.10.2005 Bauschutt 21,0 Büttelborn Gesamt 506,9