Kleine Anfrage der Abg. Cárdenas (DIE LINKE) vom 05.04.2016 betreffend der Situation von Frauen in hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen - Teil I und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und für Sport und der Ministerin der Justiz wie folgt: Frage 1. Wie viele Frauen sind aktuell in Erstaufnahmeeinrichtungen in Hessen untergebracht? Aktuell sind 2.499 Frauen (ab 18 Jahren) an den Standorten der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) und in den Notunterkünften untergebracht. Frage 2. Wie sind diese untergebracht (Großzelte, abschließbare Räumlichkeiten, etc., bitte nach Erstaufnahmeeinrichtungen auflisten)? Alle Bewohnerinnen und Bewohner sind in festen Gebäuden und Leichtbauhallen untergebracht. Die überwiegende Zahl der weiblichen Flüchtlinge erreicht die Unterkünfte in Familienverbänden . Sie werden grundsätzlich nicht voneinander getrennt und wollen auch zusammen bleiben. Allein reisende Frauen werden in besonders überwachten Bereichen oder auf einem separaten Flur untergebracht. Teilweise, z.B. am Standort Niederzwehren, wird ein kompletter Stock ausschließlich für allein reisende Frauen vorbehalten. Darmstadt verfügt für allein reisende Frauen über ein "Frauenhaus". Sontra verfügt über einen Bungalow, der bei Bedarf von allein reisenden Frauen bewohnt werden kann. Frage 3. In welche Nationalitäten schlüsseln sich die Frauen in Hessen auf (die zehn Häufigsten auflisten)? Die häufigsten Nationalitäten sind: 1. Syrisch, 2. Afghanisch, 3. Irakisch, 4. Iranisch, 5. Eritreisch, 6. Somalisch, 7. Albanisch, 8. Serbisch, 9. Pakistanisch, 10. Türkisch. Frage 4. In welchen Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es spezifische Betreuungsangebote für geflüchtete Frauen, die auf der Flucht Opfer sexueller Gewalt geworden sind? Spezielle Beratungsangebote für traumatisierte Frauen gibt es am Standort Darmstadt im sogenannten "Michaelisdorf" (Starkenburg-Kaserne). Das bundesweite Pilotprojekt heißt "Step-by- Step" und wird vom Sigmund-Freud-Institut (SFI) sowie Studierenden der Goethe-Universität Frankfurt durchgeführt. Das Team vor Ort vermittelt den Neuankommenden, wie wichtig für die psychische und psychosoziale Befindlichkeit und die spätere Integration eine aktive Gestal- Eingegangen am 17. Juni 2016 · Bearbeitet am 21. Juni 2016 · Ausgegeben am 24. Juni 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3271 17. 06. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3271 tung des Alltags in der Einrichtung ist, auch wenn die Bewohnerinnen und Bewohner nicht lange in der Ersteinrichtung bleiben. Die Angebote des SFI dienen dazu - in enger Kooperation mit den Fachleuten vor Ort -, den Flüchtlingen eine sichere, stabile und unterstützende Alltagsstruktur zu bieten. Das Konzept beinhaltet den Gedanken, im Standort Darmstadt Alltagsstrukturen anzubieten, die den Flüchtlingen sichere Orientierungen, einen ersten Halt und verlässliche Beziehungserfahrungen bieten, um Gewalt, Desintegration und Re-Traumatisierungen entgegenzuwirken . In der Außenstelle Rödgener Straße in Gießen bietet die Firma European Homecare Sozialbetreuung an. Frauen mit Traumata werden bevorzugt behandelt und gegebenenfalls an den Standort Darmstadt verlegt. In der Außenstelle Neustadt finden psychologische Einzelberatungen sowie Erstbetreuungen durch eine ausgebildete Diplompsychologin statt. ln allen Einrichtungen des Regierungspräsidiums Kassel findet Soziale Arbeit auf der Grundlage des "Rahmenkonzeptes für Soziale Arbeit und Integration in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Regierungspräsidiums Kassel" statt. Dabei werden auch die speziellen Bedürfnisse von Frauen, die Opfer von sexuellen Delikten geworden sind, berücksichtigt. Ein Unterstützungssystem für traumatisierte Frauen besteht in Zusammenarbeit mit dem Alexander-Mitscherlich-Institut. Die Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten des Instituts sind an mehrere Einrichtungen auf dem Stadtgebiet und im Landkreis Kassel angebunden. An diese werden Geflüchtete mit Traumatisierungen weitergeleitet. Zunächst werden die Geflüchteten dann in der Erstaufnahmeeinrichtung von den Psychotherapeuten begleitet. Wird deutlich, dass dringend eine Behandlung erforderlich ist, wird über die HEAE Gießen ein vorzeitiger Transfer in die Sekundärunterbringung ermöglicht, um dort eine dauerhafte Behandlung zu gewährleisten. Wegen des speziellen Betreuungsbedarfs ist es nicht möglich, an jedem Standort entsprechende Fachkräfte dauerhaft vorzuhalten. In allen Einrichtungen arbeiten Dolmetscherinnen und Dolmetscher , Sanitätsdienst und Sozialdienst eng zusammen. Auf diese Weise können psychisch stark belastete und traumatisierte Frauen in der Einrichtung schnell erkannt werden und vom Sozialdienst entsprechende Unterstützung erhalten. Es werden zudem externe Fachkräfte, wie z.B. niedergelassene Psychologen, hinzugezogen. Treten starke psychische Belastungen bei Geflüchteten an den Standorten auf, an die keine Therapeuten angebunden sind, so kann eine Verlegung in eine andere Einrichtung mit Therapeuten-Anbindung veranlasst werden. Im Bedarfsfall werden die betroffenen Personen einer ambulanten oder stationären Behandlung zugeführt. Um die hinreichende Unterstützung für traumatisierte Frauen zu gewährleisten, wird zudem mit folgenden Fachberatungsstellen kooperiert: Weisser Ring Opferhilfe, Unvergesslich weiblich, Deutscher Kinderschutzbund, Pro Familia, FIM - Frauenrecht ist Menschenrecht e.V. u.a. Derzeit führt die Landesregierung Gespräche in Zusammenarbeit mit Fachinstituten, Wohlfahrtsverbänden und Kliniken um auszuloten, wie und in welchem Umfang die Versorgung traumatisierter Flüchtlingen weiter verbessert werden kann. Frage 5. In welchen Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es keine geschlechtergetrennten sanitären Einrichtungen ? An jedem Standort der HEAE sind sanitäre Anlagen nach Geschlechtern getrennt. Frage 6. In welchen Erstaufnahmeeinrichtungen werden die sanitären Anlagen auch nachts überwacht und sind abschließbar, damit keine Übergriffe stattfinden können? Jeder Standort der HEAE wird durch private Sicherheitsdienste überwacht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst bestreifen nachts die Liegenschaften, so dass hiermit auch die sanitären Anlagen überwacht werden. Zudem können Frauen sich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wenden, falls sie sich unsicher fühlen. Sie werden sodann in die sanitären Anlagen begleitet, die von außen überwacht werden. Sämtliche sanitäre Anlagen sind abschließbar. Frage 7. Welche geschlechtsbezogenen Delikte gegen Frauen (getrennt nach Vergewaltigungen, sexuellen Übergriffen, Zwangsprostitution usw.) wurden, wie häufig angezeigt? Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3271 3 Frage 8. Wie häufig konnte der oder die Täter ermittelt werden? Frage 9. Wie wurden die Delikte geahndet? Die Fragen 7 bis 9 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Grundlage für die Beantwortung von Fragestellungen betreffend Straftaten kann polizeilicherseits nur die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) sein. Diese stellt das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen zum Zeitpunkt der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft dar und ist mithin eine belastbare und seriöse Datenquelle, die im Gegensatz zu den polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystemen keinen ermittlungsbedingten und tagesaktuell schwankenden Änderungen mehr unterliegt. Auf der Grundlage der PKS ist keine Aussage zu der expliziten Fragestellung nach der Anzahl der Anzeigen möglich. Mitgeteilt werden können daher nur die Fälle, die über die Anzeigeerstattung und den Anfangsverdacht hinaus abschließend ermittelt und an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden. Die PKS lässt aktuell noch keine Auswertungen mit der Spezifikation "Opfer Flüchtling" zu, da die Notwendigkeit einer derartigen Auswertung erst im Laufe des Jahres 2015 aufkam und die Arbeiten zur Umprogrammierung der zugrunde liegenden Software erst 2016 abgeschlossen sein werden. Darüber hinaus kann die PKS keine Aussage zu der Tatörtlichkeit der "Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen " geben, sondern ermöglicht lediglich eine Zuordnung über die Begrifflichkeit "Asylantenheim", die neben den Erstaufnahmeeinrichtungen auch insbesondere die zahlreichen kommunalen Asylbewerberunterkünfte umfasst. Daher wurde, um annäherungsweise Aussagen zu den Fragestellungen treffen zu können, für die Beantwortung der Frage eine Abfrage in der PKS mit den Kriterien: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Straftaten Beleidigung auf sexueller Grundlage Tatörtlichkeit Asylantenheim und Opfer weiblich durchgeführt. Dies umfasst grundsätzlich auch weibliche Opfer, die nicht Flüchtlinge sind, also beispielsweise weibliche Beschäftigte in den Unterkünften oder Besucherinnen. Dies vorangestellt, erfolgt die Beantwortung der Fragen mittels der nachfolgenden Tabellen für die Jahre 2014 und 2015. Zahlen für das Jahr 2016 können aus der PKS nicht valide vorgelegt werden, da eine unterjährige Auswertung grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Jahr Delikt Erfasste Fälle Aufgeklärte Fälle 2014 Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2, Nr. 1, Abs. 3 und 4 StGB) 4 4 2014 Sonstige sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 1 und 5 StGB) 1 1 2014 Sonstiger schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176 a StGB) 1 0 2014 Sexueller Missbrauch Widerstandsunfähiger (§ 179 StGB) 1 1 Gesamt 7 6 2015 Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2, Nr. 1, Abs. 3 und 4 StGB) 4 3 2015 Vergewaltigung / sexuelle Nötigung durch Gruppen (§ 177 Abs. 2, Nr. 2 StGB) 1 1 2015 Sonstige sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 1 und 5 StGB) 8 8 2015 Sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176 StGB) 2 2 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3271 2015 Sonstiger schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176 a StGB) 4 4 2015 Exhibitionistische Handlungen (§ 183 StGB) 1 1 2015 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 StGB) 1 1 Gesamt 21 20 Quelle: Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Davon abgesehen wird im Bereich der Justiz keine Verlaufsstatistik geführt. Nur diese würde es erlauben, ein Verfahren vom Beginn bis zum Abschluss zu begleiten und statistisch einzuordnen . Ohne eine Verlaufsstatistik sind die Gesamtzahlen eines bestimmten Zeitraumes (etwa angezeigte Delikte eines Jahres und Abschlüsse eines Folgejahres) einander nicht zuordenbar. Frage 10. In welchen Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es Räumlichkeiten, in denen die Frauen sich getrennt von Männern zurückziehen können? Aufgrund der zurückgehenden Flüchtlingszahlen entspannt sich die Situation in den Liegenschaften der HEAE. Dieser Umstand führt dazu, dass Frauen grundsätzlich mehr Gelegenheiten haben, sich zeitweise zurückzuziehen. In vielen Liegenschaften der HEAE werden Räumlichkeiten vorgehalten, die ausschließlich für Frauen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werden in den Einrichtungen abwechslungsreiche Freizeitbetätigungen, wie z.B. Sport (Yoga, Gymnastik), Deutschunterricht, Kunstunterricht oder Workshops speziell für Frauen angeboten. Wiesbaden, 13. Juni 2016 Stefan Grüttner