Kleine Anfrage des Abg. van Ooyen (DIE LINKE) vom 22.04.2016 betreffend "CETA: Wie die Hessische Landesregierung das Handelsabkommen mit Kanada verhindert." und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung des Fragestellers: Nach mehrmonatiger Rechtsförmlichkeitsprüfung liegt seit Ende Februar 2016 der finale CETA-Vertragstext vor. Die EU-Kommission beabsichtigt, dem Rat der Europäischen Union voraussichtlich bereits im Juni 2016 einen Vorschlag zur Unterzeichnung des CETA-Abkommens vorzulegen. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) steht für ein umfassendes Wirtschaftsund Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es wurde auf Grundlage eines Mandates des Rates der Europäischen Union an die Europäische Kommission verhandelt. Dieses Mandat wurde am 15.12.2015 veröffentlicht. Es ist auf der Webseite des Rates der Europäischen Union abrufbar. Die gemeinsame Handelspolitik ist in Art. 206 und 207 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegt. "Durch die Schaffung einer Zollunion nach den Artikeln 28 bis 32 trägt die Union im gemeinsamen Interesse zur harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und bei den ausländischen Direktinvestitionen sowie zum Abbau der Zollschranken und anderer Schranken bei" (Artikel 206 EGV). Zu diesen Grundsätzen steht die Hessische Landesregierung. Die bislang veröffentlichte englische konsolidierte Fassung von CETA inklusive Anhängen und Erklärungen umfasst rund 1.600 Seiten. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen. Ob die Landesregierung im Rahmen des Bundesrates beteiligt wird, hängt von der Klassifizierung des Abkommens ab. Zum einen gibt es reine EU-Abkommen (EU-only), die vom Rat und dem Europäischen Parlament beschlossen werden. Zum anderen gibt es, sofern die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten betroffen ist, für die die EU keine Kompetenz besitzt, gemischte Abkommen. Bei gemischten Abkommen werden die EU-Mitgliedstaaten als Vertragsparteien durch ein Ratifikationsverfahren entsprechend ihren nationalen Vorgaben beteiligt. Zu dem Sachverhalt reines EU- oder gemischtes Abkommen berät die Europäische Kommission und wird dem Rat einen Beschlussvorschlag vorlegen. Dieser trifft die Entscheidung bzgl. der Einordnung des CETA-Abkommens. Nach der Ratsentscheidung kann der Vertragstext dem Europäischen Parlament zur Zustimmung vorgelegt werden. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Hessischen Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes Hessen beim Bund wie folgt: Frage 1. Hält die Hessische Landesregierung den CETA-Vertrag vom 29.02.2016 für zustimmungsfähig (Antwort bitte mit Begründung)? Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Frage 2. Hält die Hessische Landesregierung das Handelsabkommen CETA mit den EU-Verträgen vereinbar (Antwort bitte mit Begründung)? Die Verhandlungen zu Freihandelsabkommen durch die Europäische Kommission werden durch den in der Vorbemerkung genannten Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union geregelt . Eingegangen am 22. Juli 2016 · Ausgegeben am 29. Juli 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3321 22. 07. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3321 Darüber hinaus hat neben der Europäischen Kommission der Rat der Europäischen Union, deren Mitglied die deutsche Bundesregierung ist, die Aufgabe, das ausgehandelte Vertragswerk zu prüfen. "[…] Der Rat und die Kommission haben dafür Sorge zu tragen, dass die ausgehandelten Abkommen mit der internen Politik und den internen Vorschriften der Union vereinbar sind" (Artikel 207 (3) EGV). Der Hessischen Landesregierung liegen keine Hinweise vor, dass das Handelsabkommen nicht mit EU-Verträgen vereinbar sei. Frage 3. Bis Mitte 2016 hat das Land Hessen den Vorsitz der Europaministerkonferenz inne. "Dies nutzt die Hessische Landesregierung, um europapolitische Belange der deutschen Länder geltend zu machen", schreibt sie in der europapolitischen Strategie der Hessischen Landesregierung (Hessische Staatskanzlei 2015, S. 5). Teilt die Hessische Landesregierung die Auffassung, dass das Handelsabkommen CETA aufgrund seiner Auswirkungen auf die Bundesländer auch im Bundesrat abgestimmt werden muss? a) Wenn ja: Welche Initiativen hat oder wird die Hessische Landesregierung im Rahmen ihres Vorsitzes der Europaministerkonferenz ergreifen, um auch den Bundesrat an dem Zustimmungsverfahren zu den Handeslabkommen CETA zu beteiligt (Antwort bitte unter Angabe der entsprechenden Dokumente)? b) Wenn nein: Warum hält die Hessische Landesregierung eine Beteiligung des Bundesrates für überflüssig? Im Rahmen der Beschlüsse, die Hessen einstimmig mit allen anderen Ländern auf den Wirtschaftsministerkonferenzen am 4./5. Juni 2014 und am 17./18. Juni 2015 zum Thema TTIP gefasst hat, wird ein gemischtes Abkommen gefordert. Diese Beschlüsse sind teilweise auch auf CETA übertragbar. Das Handelsabkommen CETA war bis dato nicht Befassungsgegenstand der Europaministerkonferenz unter hessischem Vorsitz. Auf der 69. EMK am 11./12. November 2015 fand eine Diskussion zum Thema TTIP statt. CETA wurde hierbei nicht thematisiert. Frage 4. Das für TTIP vorgeschlagene Sonderklagerecht (Investitionsschutzabkommen) für ausländische Investoren und die Gründung eines Investment Court Systems (ICS) wurden in den Vertragstext von CETA übernommen. In ihrer europapolitischen Strategie hält die Hessische Landesregierung "Bestimmungen zum Investitionsschutz einschließlich Investor-Staat-Schiedsverfahren in Abkommen mit OECD-Staaten aufgrund der dort bestehenenden Rechtsschutzmöglichkeiten grundsätzlich als nicht erforderlich" (Hessische Staatskanzlei 2015, S. 18). Die Landesregierung wollte sich dafür einsetzen, dass die Notwendigkeit der Investitionsschutzabkommen "kritisch überprüft" wird (ebd.). Welche Initiativen hat die Hessische Landesregierung ergriffen, um das Investitionsschutzabkommen in CETA gemäß ihrer europapolitischen Strategie zu verhindern (Antwort bitte unter Anlage der entsprechenden Dokumente der Hessischen Europaministerin bzw. der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union)? Die in der europapolitischen Strategie der Hessischen Landesregierung formulierte Position gilt - wie zitiert - nach wie vor. Diese gleicht der Position der Bundesregierung. In diesem Zusammenhang begrüßt die Hessische Landesregierung den im vergangenen Herbst im Rahmen der TTIP-Verhandlungen den amerikanischen Verhandlungspartnern vorgelegten Reformvorschlag für Schiedsgerichtsverfahren bzw. Investitionsstreitigkeiten. Insbesondere wird begrüßt, dass auch für das bereits fertig verhandelte Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada dieser reformierte, neue Ansatz noch nachträglich aufgenommen wurde. Der Schritt hin zu einer stärkeren Institutionalisierung von Investitionsstreitigkeiten in Anlehnung an staatliche Gerichtsstrukturen ist vom Grundsatz her als positiv zu bewerten. Im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung haben sich die EU und Kanada demnach auf einen neuen Ansatz beim Investitionsschutz und der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten geeinigt, der den bisherigen aus dem ursprünglichen CETA-Verhandlungstext nochmals deutlich modifiziert . Grundlage dieses neuen Ansatzes war der Vorschlag von Handelskommissarin Malmström vom 12.11.2015 zu TTIP, der inhaltsgleich in den Verhandlungstext des CETA-Abkommens aufgenommen wurde. Der überarbeitete CETA-Text enthält einen neuen Artikel zum Investitionsschutz, der gewährleistet , dass das Recht, im Interesse des Gemeinwohls Regelungen zu erlassen, vollumfänglich gewahrt bleibt. Zudem wird in diesem Artikel präzisiert, dass die Bestimmungen zum Investitionsschutz nicht so auszulegen sind, dass sich die Regierungen verpflichten würden, von Änderungen ihres Rechtsrahmens abzusehen. Die EU-Kommission argumentiert, damit werde klargestellt , dass Maßnahmen, die sich negativ auf eine Investition auswirken oder die Gewinnerwartungen eines Investors schmälern könnten, nicht allein aus diesem Grund mit dem Abkommen unvereinbar seien. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3321 3 Die Hessische Landesregierung hat sich in konstruktiven Gesprächen in Berlin und in Brüssel auch für eine Reform der Schiedsgerichtsverfahren eingesetzt. Frage 5. Laut Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 29. Februar 2016 würde mit dem CETA ein aus 15 Mitgliedern bestehendes ständiges Gericht (ICS) geschaffen, das bei Klagen wegen Verletzung der im Abkommen festgelegten Investitionsschutzstandards angerufen werden wird. a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Deutschen Richterbundes, dass das ICS kein internationales Gericht, sondern der Organisation und Struktur nach nur ein ständiges Schiedsgericht sei (Antwort bitte mit Begründung)? Der Hessischen Landesregierung ist die Einschätzung der Bundesregierung nicht bekannt. Im Übrigen wird auf die Ausführung in der Vorbemerkung verwiesen, dass die Auswertung von CETA noch andauert. b) Wie lange, schätzt die Hessische Landesregierung, würde die Einrichtung eines solchen "ständigen Schiedsgericht" dauern? Der Hessischen Landesregierung liegen hierzu keine Erfahrungswerte vor. c) Wie würden Fälle behandelt, die vor Einsetzung eines solchen Gerichtes der EU-Kommission angezeigt werden? Der Hessischen Landesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. d) Nach welchem Verfahren werden die Richterinnen/Richter eines solchen ständigen Schiedsgerichtes ernannt? Der Gerichtshof soll aus 15 Richterinnen und Richtern bestehen, die für einen Zeitraum von fünf Jahren von dem CETA Joint Committee ernannt werden (Artikel 8.27 CETA-Vertragsentwurf ). Das CETA Joint Committee soll sich aus Vertretern der Europäischen Union und Kanada zusammensetzen (Artikel 26.1 CETA-Vertragsentwurf). e) Wie würde sich die "Rechtssprechung" eines solchen Gerichtes von dem elitären Parallelrecht des alten Systems der Investor-Staat-Streitbeilegung (Investor to State Dispute Settlement - ISDS) unterscheiden? Nach der Pressemitteilung der EU-Kommission vom 29.02.2016 sollen die Richterinnen und Richter von den Verhandlungspartnern des Abkommens ernannt und langfristig eingesetzt werden . Zudem soll eine Berufungsinstanz eingerichtet werden (Artikel 8.28 CETA- Vertragsentwurf). Darüber hinaus sollen die festen Richterinnen und Richter des Gerichtshofs und des Berufungsgerichts weder als Rechtsanwälte noch als Sachverständige in anderen Investitionsstreitfragen tätig sein dürfen. Wiesbaden, 15. Juli 2016 Tarek Al-Wazir