Kleine Anfrage der Abg. Schott (DIE LINKE) vom 11.05.2016 betreffend wissenschaftliche Begleitung der geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Sinntal und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Die durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration geförderte wissenschaftliche Begleitung der geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in einer Einrichtung der Salesianer in Sinntal durch das Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) lief zum 30.09.2015 aus. Den Aussagen des Einrichtungsleiters zufolge wurde die wissenschaftliche Begleitung verlängert. Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Ergebnisse können bisher aus der wissenschaftlichen Begleitung gezogen werden? Die bisherigen Ergebnisse der bis September 2017 verlängerten wissenschaftlichen Begleitung zeichnen nach Auskunft der Einrichtung und des mit der Evaluation beauftragten Instituts für Kinder- und Jugendhilfe ein differenziertes Bild: Während es in der ersten Phase nach der Eröffnung zu einigen anderen Einrichtungen dieser Art vergleichbaren Startschwierigkeiten kam (zum Beispiel personelle Veränderungen und vorzeitige Hilfeabbrüche), stellt sich die Gesamtsituation der Gruppe mittlerweile positiv dar. Die Entwicklungen der aktuell betreuten Jungen weisen deutliche Erfolge in zahlreichen Bereichen auf. Sowohl beim Aufbau individueller Ressourcen als auch beim Abbau vorhandener Problemlagen sind - mit individuellen Unterschieden - klare positive Tendenzen nachweisbar. Zudem liegen die Effektstärken der Hilfen in überdurchschnittlich hohen Bereichen. Fast alle Hilfen konnten zuletzt bis zu ihrer Beendigung plangemäß durchgeführt werden und Abbrüche vermieden werden. Insgesamt ist nach Einschätzung der Einrichtung und des Instituts auf Basis der aktuellen Erkenntnisse davon auszugehen, dass sich die Effektivität der pädagogischen Arbeit in der Gruppe Murialdo auch zukünftig weiterhin positiv gestalten wird. Frage 2. Welche Erkenntnisse konnten bezüglich der Notwendigkeit und Nachhaltigkeit geschlossener Heimerziehung gewonnen werden? Die wissenschaftliche Begleitung der Gruppe Murialdo zielt allein darauf ab, die Effektivität dieser intensivpädagogischen Gruppe mit ihren spezifischen Rahmenbedingungen vor Ort und der konkret angewandten pädagogischen Konzeption zu analysieren. Aussagen zur Nachhaltigkeit der pädagogischen Arbeit der Gruppe Murialdo werden dabei erst am Ende des Projekts (3. Quartal 2017) möglich sein. Weitergehende verallgemeinernde Schlussfolgerungen auf die Effektivität und Nachhaltigkeit von Heimerziehung mit freiheitseinschränkenden Anteilen insgesamt sind im Rahmen des Projekts nicht geplant, da hierfür aufgrund der relativ geringen Stichprobe in der Gruppe Murialdo (acht Plätze) nur eine unzureichende wissenschaftliche Basis besteht . Frage 3. Wurden aufgrund bestimmter Ergebnisse die Betreuungskonzeption und pädagogische Methoden der Einrichtung verändert? Die Konzeption wird seit Eröffnung der Gruppe kontinuierlich weiterentwickelt. Zentrale Inhalte sind dabei ein noch stärker auf die individuelle Situation der einzelnen Kindern bezogenes Eingegangen am 15. Juni 2016 · Bearbeitet am 15. Juni 2016 · Ausgegeben am 17. Juni 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3387 15. 06. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3387 pädagogisches Vorgehen und deutlich früher beginnende freie Elemente (z.B. Reittherapie außerhalb des Gruppengebäudes bereits eine Woche nach Aufnahme oder gemeinsame Freizeitaktionen mit der gesamten Gruppe). Kinder und Jugendlichen sollen durch frühzeitigere offene Elemente der Betreuung schrittweise lernen, sich im offenen Kontext adäquat zu bewegen und zurechtzukommen. Daneben wurden auf Grundlage von Praxiserfahrungen und von Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung folgende Veränderungen vorgenommen: Die ersten Zwischenauswertungen zeigten, dass es sich bei den aufgenommenen Jungen um eine besonders schwierige Klientel mit extrem hohem Störungsgrad (auch in der Soziabilität) und komplexer Problembelastung bei gleichzeitig extrem gering ausgeprägten Ressourcen handelt. Hieraus leitete sich u.a. die Empfehlung zur Optimierung des praktizierten Aufnahmeverfahrens ab, um so weit wie möglich sicherzustellen, dass neue Bewohner in die bestehende Gruppenstruktur integriert werden können. Auch wurde auf Grundlage der Praxiserfahrungen der Betreuungsschlüssel der Wohngruppe erhöht. Frage 4. Wie viele Kinder und Jugendliche aus welchen Bundesländern wurden seit 2014 in Sinntal geschlossen untergebracht? Seit 2014 wurden 13 Kinder in der Wohngruppe untergebracht, davon fünf aus Hessen, vier aus Rheinland-Pfalz, zwei aus Niedersachsen und je eines aus Baden-Württemberg und Bayern. Frage 5. Wie viele dieser Kinder und Jugendlichen haben einen Migrationshintergrund? Von den 13 seit 2014 in der Wohngruppe untergebrachten Kindern hatten drei einen Migrationshintergrund . Frage 6. Wie viele Kinder und Jugendliche konnten seit 2014 die geschlossene Gruppe mit einer positiven Prognose verlassen? Frage 7. Bei wie vielen Kindern und Jugendlichen ist das Unterbringungsziel nicht erreicht worden? Die Fragen 6 und 7 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Von den 13 Kindern leben derzeit noch acht in der Wohngruppe. Von den fünf ehemaligen Bewohnern haben zwei die Gruppe mit einer positiven Prognose verlassen. Drei hatten keine positive Prognose, wobei nur einer davon länger in der Gruppe lebte und zwei bereits nach weniger als drei Monaten die Gruppe wieder verließen. Frage 8. Welche besonderen Vorkommnisse (z.B. Fluchtversuche oder gewalttätige Übergriffe) hat es in den letzten zwei Jahren gegeben? In der Wohngruppe kommt es ebenso wie in anderen Jugendhilfeeinrichtungen zu besonderen Vorkommnissen. Das schwerwiegendste Vorkommnis war ein von einem Bewohner verursachter Zimmerbrand. Gerade in der Anfangszeit des Aufenthalts gab es gelegentlich auch kurzzeitige Entweichungen - die Bewohner ließen sich dann aber auf die Maßnahme ein. Weiterhin trat aggressives Verhalten mit gewalttätigen Übergriffen auf Kinder oder Betreuer auf. Dieses Verhalten zeigten die Kinder nach Auskunft der Einrichtung phasenweise, je nach Störungsbild. Dies zu mildern bzw. pädagogisch zu bearbeiten, ist eine der Hauptaufgaben der Arbeit in der Wohngruppe und ist oftmals Grund für die Unterbringung in einem geschützten Setting, dessen Ziel es ist, Kinder vor Fremd- und Selbstgefährdung zu schützen. Frage 9. Welche Änderungen hinsichtlich der personellen Ausstattung der Einrichtung gab es in den letzten zwei Jahren? Die Personalausstattung von zehn Mitarbeitern für den Gruppendienst wurde auf zwölf erhöht. Frage 10. Welche Erfahrungen gibt es mit dem Beteiligungs- und Beschwerdekonzept im Einrichtungsalltag ? Die Wohngruppe verfügt entsprechend der gesetzlichen Vorgaben über ein Beteiligungs- und Beschwerdekonzept. Dieses sieht unter anderem vor, dass der Ombudsmann der Einrichtung regelmäßig die Wohngruppe besucht (etwa einmal im Monat). Die Möglichkeit, sich an den Ombudsmann zu wenden, wird von den Kindern sporadisch genutzt (ca. ein Anruf pro Monat). Daneben verfügt die Gruppe über einen Gruppensprecher. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3387 3 Die Einrichtung macht die Erfahrung, dass der Heimrat und die jeweiligen Gruppensprecher eine wichtige Funktion für die betreuten Kinder und Jugendlichen einnehmen. Teils üben sie gleichsam "anwaltliche" Funktionen für die Interessen der Kinder und Jugendliche oder der Gruppen aus. Daneben ist das im Präventions- und Schutzkonzept der Einrichtung vorgesehene Dreierteam der Schutzbeauftragten der Einrichtung ein wichtiger Ansprechpartner für die Kinder und Jugendlichen . Die Schutzbeauftragten, die ursprünglich zur Missbrauchsprävention bestellt wurden , sind mittlerweile in vielen strittigen Situationen zu ersten Ansprechpartnern geworden. Sie werden zum Beispiel bei körperlichen Auseinandersetzungen oder Beschwerden sowohl von Jugendlichen als auch von Mitarbeitern und der Einrichtungsleitung regelmäßig hinzugezogen und als neutrales Gremium von allen Beteiligten geschätzt. Sie ermöglichen es, dass Kinder und Jugendliche über Vorfälle und Probleme mit erwachsenen Betreuern sprechen können und auf diese Weise solche Probleme aufgedeckt, verhindert und bearbeitet werden können. Ein häufiges Thema ist dabei der verbale und körperliche Druck von Jugendlichen auf andere Jugendliche. Auf diese Weise konnten nach Auskunft der Einrichtung bislang sämtliche Konflikte gut bearbeitet und geklärt werden. Wiesbaden, 8. Juni 2016 Stefan Grüttner