Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer und Löber (SPD) vom 04.07.2016 betreffend FFH-Gebiet "Sackpfeife II" und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragesteller: Die in der Drucksache 19/3018 vorgelegten Daten zur Entwicklung der Altholzbestände und zu den Holznutzungsmengen belegen im Ergebnis eine massive Verringerung der Altholz-Bestandsflächen sowie der dortigen Holzvorräte und bestätigen damit, dass die Holzeinschläge in älteren Buchenwäldern zu einer massiven Ausdünnung der Bestände geführt haben und eine Schutzwirkung faktisch nicht mehr erkennbar ist. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Die in den Vorbemerkungen der Fragesteller getroffenen Feststellungen treffen so nicht zu. Bei den "massiven Ausdünnungen" handelt es tatsächlich um planmäßige, im Rahmen eines behördlich genehmigten Forsteinrichtungswerkes vollzogene Holzerntemaßnahmen. Sowohl die Planung selbst als auch die Maßnahmendurchführung erfolgten unter Beachtung der für das Gebiet erlassenen Erhaltungsziele. Im Rahmen der Maßnahmenplanung wird von der zuständigen Naturschutzbehörde überprüft, ob sich durch die Bewirtschaftung eines Gebietes die Erhaltungsziele bezüglich der Buchenwald- Lebensraumtypen verschlechtern könnten. Dazu werden in Hessen die Instrumente der Lebensraumtyp - und der Laubholzaltbestands-Prognose eingesetzt. Die Lebensraumtyp-Prognose (LRT-Prognose) prüft, wie sich die Flächenanteile der Buchenwald-Lebensraumtypen im FFH- Gebiet innerhalb der nächsten zehn Jahre bei Umsetzung der Planungen der Forsteinrichtung entwickeln werden. Die Laubholzaltbestands-Prognose prüft, wie sich der Anteil der Laubholz- Altbestände im Natura-2000-Gebiet entwickeln wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in Natura-2000-Gebieten, die einen flächenmäßig sehr hohen Anteil von Laubholz-Altbeständen aufweisen, im Zuge der regulären forstwirtschaftlichen Nutzung auch zu einer temporären Verringerung der Laubholz-Altbestandsfläche kommen kann, ohne dass dies zu einer Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Natura-2000-Gebietes führt. Die erwünschte Förderung der natürlichen Verjüngung der wertgebenden Laubholzbestände in den laubholzgeprägten Natura-2000- Gebieten ist notwendigerweise mit dem temporären Verlust der samenspendenden Laubalthölzer verknüpft. Für das hier betrachtete FFH-Gebiet "Sackpfeife" haben die Berechnungen ergeben, dass die LRT-Prognose einen Zuwachs an LRT-Fläche aufweist. Die Laubholzaltbestands- Prognose weist aus, dass trotz des nutzungsbedingten Rückgangs der Laubaltholz-Fläche nach dem Ende des Planungszeitraumes (2021) 25 % der Baumbestandsfläche im FFH-Gebiet Laubaltholz -Bestände sein werden, was ein deutlich überdurchschnittlicher Wert ist. Eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele kann daher nicht unterstellt werden. Die Baumart Buche ist im Bereich des Forstamtes Frankenberg auch außerhalb der FFH- Gebiete keinesfalls "gefährdet". Allein im letzten Jahrzehnt hat die Buchenfläche im Forstamtsbereich um rund 300 Hektar zugenommen. Auf ca. 1.500 Hektar hat sich bereits die nächste Generation der Buche als Naturverjüngung eingestellt. Die Fläche der Fichtenbestände hat im gleichen Zeitraum insgesamt um ca. 640 Hektar abgenommen. Der Anteil an Buchenbeständen mit einem Alter von über 160 Jahren ist mit ca. 1.300 Hektar im Forstamt Frankenberg außergewöhnlich hoch. Es stehen derzeit 45 % der gesamten Buchenfläche im Alter über 160 Jahren im Forstamt Frankenberg unter Prozessschutz. Insgesamt sind im Forstamtsbereich durch die Ausweisung von "Kernflächen Naturschutz" und "Wald außer regelmäßigem Betrieb" 1.120 Hektar der forstlichen Nutzung entzogen und der natürlichen Entwicklung überlassen. Die in vielen Beständen bereits eingeleitete oder etablierte Waldverjüngung wird häufig in ihrer ökologischen Funktion für die Arten der offenen und lichten Wälder übersehen. Diese auch für die Biodiversität des gesamten Ökosystems Wald wichtigen Funktionen des jungen Waldes kommen immer dann zum Tragen, wenn Altbestände genutzt werden, um die natürliche Ver- Eingegangen am 23. September 2016 · Ausgegeben am 28. September 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3559 23. 09. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3559 jüngung einzuleiten. Wo durch planmäßige Nutzung ältere Bestände verjüngt werden, wachsen andere Bestände dafür in höhere Altersstufen hinein. Dieses "Wandern" von jüngeren zu älteren Beständen und umgekehrt innerhalb eines größeren Waldgebietes ist im Natura-2000- Gebietsmanagement ausdrücklich erlaubt. Im FFH-Gebiet "Sackpfeife" ist seit Jahren ein Brutvorkommen von mindestens zwei Schwarzstorchpaaren nachgewiesen, und es hat sich eine stabile , reproduzierende Wildkatzenpopulation etabliert. Das Vorkommen dieser beiden Arten ist ein starker Indikator für ein weitgehend intaktes und störungsarmes Waldökosystem, dessen Schutzwirkung auch für andere an Wald gebundene Arten deshalb außer Frage steht. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie will die Landesregierung die Altbaumbestände zukünftig besser schützen und wie soll in diesem Zusammenhang die Naturschutzleitlinie (die jedoch den wissenschaftlichen Standards nicht entspricht) besser berücksichtigt bzw. besser umgesetzt werden? Wie in der Vorbemerkung ausgeführt, ist die Besorgnis einer Gefährdung von Altbaumbeständen unbegründet. Der an der Dynamik des Waldökosystems orientierte naturgemäße Waldbau gewährleistet eine relative Lebensraumkontinuität. Die Ernte von zielstarken Bäumen schafft regelmäßig Raum, damit sich (Natur-)Verjüngung etabliert und bereits vorhandene Baumbestände wachsen und sich entwickeln können. Eine andere Sichtweise würde eine naturverträgliche Nutzung der Wälder faktisch ausschließen. Ein "Schutz" im Sinne von Stilllegung/Einschlagsstopp oder Prozessschutz in Altbaumbeständen ist in bewirtschafteten Wäldern innerhalb der Natura-2000- Kulisse jedoch ausdrücklich nicht das Ziel, welches durch die Richtlinie verfolgt wird. Im Auslegungsleitfaden der EU-Kommission zu Natura-2000 und Wäldern, der als Technischer Bericht-2015-088 mit den Teilen I-II aktuell veröffentlicht worden ist (zum Download siehe http://www.bmel.de/DE/Wald-Fischerei/Forst-Holzwirtschaft/Forstwirtschaft-node.html) wird dazu dargelegt: "Eine Ausweisung als Natura-2000-Gebiet bedeutet nicht immer, dass eine zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Situation in einem Wald systematisch erhalten werden muss. In manchen halbnatürlichen Wäldern lässt sich eine natürliche Sukzession aber auch nur durch aktive Bewirtschaftung unterdrücken. Die Erhaltungsziele verlangen nicht, dass der Status quo ohne Rücksicht auf die natürliche Entwicklung um jeden Preis erhalten werden muss. Die natürliche Entwicklung muss Bestandteil der ökologischen Faktoren sein, die Grundlage für die Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen sind. Der "Waldbauzyklus" (Regeneration, Auslichtung und Ernte hiebsreifer Bäume oder Bestände) kann mit so einem dynamischen Ansatz durchaus vereinbar sein, wobei einige Anpassungen der gängigen Praxis wünschenswert sein können (z.B. Belassen alter Bäume oder Bestände). Manchmal muss der Status quo aber auch bewahrt werden, wenn ein halbnatürlicher Lebensraum, der von bestimmten Bewirtschaftungsmaßnahmen abhängig ist, langfristig erhalten bleiben soll. Die regelmäßige Überwachung und Bewertung dieser ökologischen Faktoren und des Erhaltungszustands der relevanten Arten und Lebensräume ermöglichen im Bedarfsfall eine Anpassung der für das Gebiet geltenden Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen. In großen Natura-2000-Gebieten lässt sich ein dynamischer Managementansatz leichter umsetzen als in kleinen Gebieten, in denen der Bereich der geschützten Lebensraumtypen meist nur begrenzt ist." Die Landesregierung weist darauf hin, dass die Naturschutzleitlinie (NSLL) für den Staatswald "wissenschaftlichen Standards" genügt. Hierzu sei angemerkt, dass es sich bei der NSLL unbestreitbar um eine wissenschaftsbasierte Veröffentlichung handelt, nicht jedoch um eine wissenschaftliche Abhandlung. Frage 2. Wie bewertet die Landesregierung die Veränderung der Artenvielfalt im FFH-Gebiet Sackpfeife, v.a. in jenen Räumen, in denen der Altbaumbestand entfernt oder ausgedünnt wurde? Es sind keine Beeinträchtigungen zu erwarten, da eine relative Lebensraumkontinuität durch die Waldbaumethodik, die vorhandenen (Wald-)Strukturen, umsichtiges Arbeiten der verantwortlichen Forstleute und bspw. auch ein Netz an Kernflächen und ausgewiesenen Habitatbäumen besteht. Frage 3. Wie bewertet die Landesregierung das Ergebnis der Altholz-Bestandsprognose im FFH-Gebiet Sackpfeife (Drs. 19/3018) bezüglich der hessischen Bio-Diversitätsstrategie? Auf die Antwort zu Frage 1 wird hier verwiesen. Frage 4. Wie bewertet die Landesregierung den Erhaltungszustand von Waldlebensräumen anhand des Beispiels des FFH-Gebietes Sackpfeife und hält sie es für angebracht, das naturschutzfachliche Management sowie die Bewirtschaftungsstandards zu modifizieren und zu optimieren? Wenn nein, weshalb nicht? Die Landesregierung plant derzeit keine Anpassung. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3559 3 Frage 5. Wäre es aus Sicht der Landesregierung grundsätzlich sinnvoll, für alle Wald-FFH-Gebiete Hessens eine entsprechende Schutzverordnung zu erlassen, in denen rechtsverbindlich sowohl gebotene als auch verbotene Nutzungen und Maßnahmen (Eingriffe) gebietsbezogen konkret festgelegt werden, um diese schließlich auch verfolgen und ahnden zu können? Wenn nein, warum nicht? Durch die Novelle des Hessischen Naturschutzgesetzes vom 04.12.2006 (GVBl. I S. 611) wurde in § 32 Abs. 1 die Grundlage für den Erlass einer Verordnung zur Ausweisung der Natura- 2000-Gebiete in Hessen gelegt. Hiermit werden die formalrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus den beiden wichtigen EU-Naturschutzrichtlinien ergeben, erfüllt. Die "Verordnung über die Natura-2000-Gebiete in Hessen" wurde am 16. Januar 2008 unterzeichnet und am 7. März 2008 im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Hessen (GVBl. I S. 30) verkündet. Die konkreten Festlegungen von gebietsbezogenen Maßnahmen erfolgen in den durch die von den Regierungspräsidien erstellten Maßnahmenplänen für das betreffende Gebiet. Die bestehenden Instrumente für den Vollzug (Landschaftsrahmenplan (LRP), Arten- und Biotoppartnerschaft der Forstämter (ABP), Vertragsnaturschutz, Richtlinien zur Bewirtschaftung des Staatswaldes (RiBeS), NSLL) sind hinreichend verlässlich. Frage 6. Hält es die Landesregierung angesichts der Zustände im o.g. FFH-Gebiet für notwendig, ein Monitoring sowie bessere Gebietskontrollen einzuführen? Wenn nein, warum nicht? Ein Monitoring ist in Hessen auf Grundlage des Art. 17 FFH-Richtlinie eingeführt. Eine systematische Einführung von Gebietskontrollen ist geplant. Frage 7. Welche generellen Ziele will die Landesregierung bzgl. der Erhaltung ausreichender Anteile von Altbaumbeständen in den Wirtschaftswäldern verfolgen? Die Landesregierung verfolgt als Waldeigentümer nach der Richtlinie für die Bewirtschaftung des Staatswaldes (RiBeS 2012) das Gesamtziel, den hessischen Staatswald als Ökosystem zu erhalten und zu entwickeln, damit eine optimale Kombination seiner Wirkungen als ein möglichst hoher forstlicher Beitrag zu den Umwelt-, Wirtschafts- und Lebensverhältnissen in Hessen sichergestellt wird. Die zur Bewirtschaftung des Staatswaldes einzusetzenden waldbaulichen Verfahren sollen naturgemäß bzw. naturnah sein, d.h. den natürlichen Dynamiken, Prozessen und Strukturen entsprechen oder ihnen nahekommen. Der naturgemäße Waldbau soll das schlagweise Waldgefüge längerfristig durch dauerwaldartige Strukturen ablösen. In diesen dauerwaldartigen Strukturen sollen alle Altersphasen existieren. Auf dem Weg dorthin sollen in überkommenen Waldbeständen alle Altersphasen und damit auch Altbaumbestände nebeneinander in möglichst ausgeglichenem Flächenumfang bestehen. In Ergänzung mit den Kernflächen und Habitatbäumen ist damit ausreichend Habitatkontinuität für an Altholz gebundene Arten gegeben. Wiesbaden, 13. September 2016 Priska Hinz