Kleine Anfrage der Abg. Gremmels und Kummer (SPD) vom 14.07.2016 betreffend Befangenheit bei der Regionalplanung nach § 25 HGO und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Wie kommt es zu einer unterschiedlichen Bewertung der Befangenheit von Mitgliedern der Regionalversammlung nach § 25 HGO in Nord- und Mittelhessen und Südhessen? Zur Frage der Befangenheit bei einem Regionalplan mit Windkraft-Vorranggebieten mit Ausschlusswirkung gibt es noch keine Rechtsprechung, die diese Frage eindeutig beantwortet. Es gab daher in der Vergangenheit hierzu verschiedene Rechtsauffassungen. Mittlerweile gibt es jedoch eine landeseinheitlich abgestimmte Auslegung des § 25 HGO, die den Mitgliedern der Regionalversammlungen für die Beratung und Beschlussfassung der Teilpläne Erneuerbare Energien an die Hand gegeben wird (s. Anlage und vgl. Antwort zu Frage 4). Nach § 25 HGO muss aber letztendlich jedes Mitglied der Regionalversammlung für sich prüfen, ob ein Befangenheitsgrund vorliegen könnte. Die Entscheidung hierüber obliegt dann in Zweifelsfällen der Regionalversammlung bzw. deren Ausschüssen. Frage 2. Wie kann es, nach mehrjähriger Planung, so kurzfristig zu so einer juristischen Einschätzung kommen, die den Beschluss zur 2. Offenlage des Regionalplans verzögert? Frage 3. Wieso hat es bezüglich der Befangenheit keine sachlichen und fachlichen Abstimmungen zwischen den Regierungspräsidien und der Kommunalaufsicht im Vorfeld gegeben? Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Bereits Mitte 2015 hat es in Südhessen Gespräche mit Vertretern der Regionalversammlungsfraktionen zu dieser Frage gegeben. Vom Vorsitzenden der Regionalversammlung Südhessen wurde dann entschieden, dass keine Ausarbeitung zur Auslegung des § 25 HGO, wie dies das Regierungspräsidium Gießen gemacht hatte, erstellt werden soll, da eine solche nicht alle fraglichen Fälle regeln könne und die Regionalversammlung daher immer im Einzelfall entscheiden müsse. Auf Wunsch von Vertretern der Regionalversammlungsfraktionen hat das Regierungspräsidium Darmstadt im Vorfeld der Ausschusssitzungen im Juni 2016 eine aktuelle Bewertung der Befangenheitsfrage an die Fraktionen verschickt, die den § 25 HGO vorsorglich sehr weitgehend interpretiert hat. Frage 4. Wie bewertet die Landesregierung die Befangenheit von Mitgliedern der Regionalversammlung? In folgenden Konstellationen ist regelmäßig von einem Interessenwiderstreit auszugehen: 1. Gremiumsmitglieder oder Angehörige sind selbst Eigentümer oder dinglich Berechtigte (z.B. Erbbauberechtigte, Nießbrauchberechtigte) bzw. schuldrechtlich Berechtigte (z.B. Mieter oder Pächter) eines Grundstücks innerhalb eines vorgesehenen Vorranggebiets zur Nutzung der Windenergie (VRG WE) ("Konzentrationsflächen"). 2. Gremiumsmitglieder oder Angehörige sind Eigentümer oder dinglich bzw. schuldrechtlich Berechtigte eines Grundstückes, das auf Flächen liegt, die nach Abzug der sog. harten und weichen raumordnerischen Ausschlussflächen als VRG WE grundsätzlich geeig- Eingegangen am 31. August 2016 · Bearbeitet am 2. September 2016 · Ausgegeben am 5. September 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3624 31. 08. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3624 net sind, die aber im Rahmen der einzelfallbezogenen Abwägung aus anderweitigen Gründen nicht als VRG WE ausgewiesen werden ("Potenzialflächen"). 3. Gremiumsmitglieder oder Angehörige sind selbst Eigentümer oder dinglich bzw. schuldrechtlich Berechtigte eines Grundstücks, das innerhalb einer Pufferzone von 100 m an die Konzentrations- oder Potenzialflächen angrenzt ("Pufferzone"). Frage 5. Wie lange wird sich der Windkraftausbau dadurch in Südhessen verlangsamen? Der Windkraftausbau wird sich hierdurch nicht verlangsamen. Da der Teilplan Erneuerbare Energien in Südhessen noch nicht das Stadium von "in Aufstellung befindlichen Zielen" erreicht hat, können Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ungehindert fortgesetzt werden. Auch die Aufstellung des Teilplans Erneuerbare Energien wird sich durch die Befangenheitsfrage nicht wesentlich verzögern, da die landeseinheitliche Auslegung bereits vorliegt (vgl. Antwort zu Frage 4). Frage 6. a) Gibt es bezüglich des Ausbaus von erneuerbaren Energien, im Besonderen Windkraftausbau, Abstimmungen zwischen den Regierungspräsidien? b) Wenn ja, wie sehen diese Abstimmungen aus? c) Wie wird sich abgestimmt? Bezüglich des Ausbaus von erneuerbaren Energien, im Besonderen Windkraftausbau, finden regelmäßig Abstimmungen zwischen den Regierungspräsidien statt. Das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL) als für die Genehmigung der Regionalpläne zuständige Oberste Landesplanungsbehörde führt Dienstbesprechungen mit den Regierungspräsidien als Oberen Landesplanungsbehörden durch. In diesem Rahmen werden die Sachstände der in Aufstellung befindlichen Teilregionalpläne Energie in den einzelnen Planungsregionen abgeglichen und Fragestellungen, die die landesweit einheitliche Anwendung von Planungskriterien betreffen, erörtert. Zudem finden regelmäßig Besprechungen der Abteilungsleiter und der Leiter der für die Regionalplanung zuständigen Fachdezernate untereinander statt. Neben diesen regelmäßigen Zusammenkünften finden im Einzelfall, unter anderem bei grenzüberschreitenden Planungen oder Genehmigungsverfahren, Abstimmungsgespräche statt. Schließlich sind die Regierungspräsidien im Verhältnis untereinander als Träger öffentlicher Belange im Sinne des Verwaltungsrechts anzusehen. Daher findet sowohl im Rahmen der Aufstellung der Teilregionalpläne Energie als auch in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren eine förmliche Beteiligung statt, im Zuge derer jeweils ausführliche Stellungnahmen der betroffenen angrenzenden Regierungspräsidien eingeholt werden. Wiesbaden, 19. August 2016 Tarek Al-Wazir Anlagen August 2016 Informationsblatt der obersten Landesplanungsbehörde und der oberen Landesplanungsbehörden (zugleich Geschäftsstellen der Regionalversammlungen) im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport zu der in § 15 Abs. 4 Satz 3 HLPG angeordneten entsprechenden Anwendung des § 25 der Hessischen Gemeindeordnung (Widerstreit der Interessen) in den Regionalversammlungen Nordhessen, Mittelhessen, Südhessen und deren Ausschüssen im Zusammenhang mit der Ausweisung von Vorranggebieten zur Nutzung der Windenergie mit Ausschlusswirkung Allgemeines I. Die Hessische Gemeindeordnung (HGO) regelt in § 25 HGO, in welchen Fällen eine Person in haupt- und ehrenamtlicher Tätigkeit nicht beratend oder entscheidend mitwirken darf. Gemäß § 15 Absatz 4 Satz 3 des Hessischen Landesplanungsgesetzes (HLPG) gilt § 25 HGO entsprechend für die Tätigkeit der Mitglieder der Regionalversammlung . II. Ein Mitwirkungsverbot ist insbesondere anzunehmen, wenn durch die Entscheidung in einer Angelegenheit ein unmittelbarer Vor- oder Nachteil erlangt werden kann. Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes zum Widerstreit der Interessen (HessVGH, Urt. v. 28.11.2013; Az. 8 A 865/12) ist dies der Fall, wenn bei einem Gremiumsmitglied aufgrund besonderer persönlicher Beziehungen zu dem Gegenstand der Beschlussfassung ein individuelles Sonderinteresse an der Beratung und der Entscheidung besteht, das zu einer Interessenkollision führen kann und die Besorgnis einer beeinflussten Stimmabgabe rechtfertigt. Es kommt dabei auf eine wertende Betrachtungsweise an. Ausschlaggebend ist, wie eng die Entscheidung mit den persönlichen Belangen des Mitgliedes der Regionalversammlung zusammenhängt . III. Ein, einen Interessenwiderstreit begründendes, individuelles Sonderinteresse kann auch wegen Nähebeziehungen zu natürlichen oder juristischen Personen vorliegen, die durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil erlangen können (§ 25 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 HGO). Umfasst sind dabei neben Beziehungen zu Angehörigen auch Fälle einer anderweitigen Nähebeziehung, wie Vertretungsmacht oder entgeltliche Beschäftigung. Auch ein vorausgegangenes Tätigwerden in einer Angelegenheit in anderer als in öffentlicher Eigenschaft kann einen Interessenwiderstreit begründen (§ 25 Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 HGO). Anlage KA 19/3624 Beratungen der Regionalversammlung IV. Bei grundlegenden bspw. konzeptionellen Beratungen im Zuge der Aufstellung eines Regionalplans wird ein individuelles Sonderinteresse einzelner RV-Mitglieder in der Regel nicht anzunehmen sein. V. Bei der Beratung und Beschlussfassung über die Ausweisung von konkreten Vorranggebieten zur Nutzung der Windenergie (VRG WE) im Rahmen einer Regionalplanaufstellung kann jedoch ein Interessenwiderstreit vorliegen. Ziele der Raumordnung sind im Außenbereich unmittelbar zu beachten, raumbedeutsame Windenergievorhaben im Außenbereich dürfen Zielen der Raumordnung also nicht widersprechen (§ 35 Absatz 3 Satz 2 HS 1 BauGB). Nach Inkrafttreten des jeweiligen Teilregionalplans Energie ist auf Flächen, die regionalplanerisch nicht als VRG WE ausgewiesen werden, die Errichtung von Windkraftanlagen grundsätzlich ausgeschlossen (§ 35 Absatz 3 Satz 3 BauGB). In folgenden Konstellationen ist regelmäßig von einem Interessenwiderstreit auszugehen : 1. Gremiumsmitglieder oder Angehörige sind selbst Eigentümer oder dinglich Berechtigte (z.B. Erbbauberechtigte, Nießbrauchberechtigte) bzw. schuldrechtlich Berechtigte (z.B. Mieter oder Pächter) eines Grundstücks innerhalb eines vorgesehenen VRG WE („Konzentrationsflächen“). 2. Gremiumsmitglieder oder Angehörige sind Eigentümer oder dinglich bzw. schuldrechtlich Berechtigte eines Grundstückes, das auf Flächen liegt, die nach Abzug der sog. harten und weichen raumordnerischen Ausschlussflächen als VRG WE grundsätzlich geeignet sind, die aber im Rahmen der einzelfallbezogenen Abwägung aus anderweitigen Gründen nicht als VRG WE ausgewiesen werden („Potenzialflächen“). 3. Gremiumsmitglieder oder Angehörige sind selbst Eigentümer oder dinglich bzw. schuldrechtlich Berechtigte eines Grundstücks, das innerhalb einer Pufferzone von 100 m an die Konzentrations- oder Potenzialflächen angrenzt („Pufferzone“). VI. Liegen Grundstücke einer in der Regionalversammlung vertretenen Gemeinde oder eines Landkreises in einem der in Nr. V Nr. 1 bis 3 bezeichneten Gebiete, sind die Vertreter dieser Gemeinde oder dieses Landkreises nicht in Anwendung des § 25 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3, 4 oder 5 HGO wegen Befangenheit auszuschließen. VII. Im Übrigen obliegt es stets den Mitgliedern der Regionalversammlung, sich bezüglich des jeweiligen Beratungsgegenstandes im Einzelfall zu vergegenwärtigen, ob ein individuelles Sonderinteresse vorliegen könnte. Vorgehensweise bei Mitwirkungsverboten VIII. Die HGO nimmt die einzelnen Mitglieder eines Gremiums in eine besondere Verantwortung , indem in § 25 Absatz 4 bestimmt wird, dass ein Mitglied, das annehmen muss, weder beratend noch entscheidend mitwirken zu dürfen, dies vorher dem Vorsitzenden des Organs, dem es angehört, mitzuteilen hat. Insoweit wird nochmals auf die besondere Eigenverantwortung jedes einzelnen RV-Mitglieds hingewiesen. IX. Um den Mitgliedern der Regionalversammlung diese Entscheidung zu erleichtern, wird ihnen Kartenmaterial zur Verfügung gestellt, aus dem sie die in Nr. V bezeichneten Flächen entnehmen können, bei denen eine Befangenheit nicht von vornherein auszuschließen ist. Anlage KA 19/3624 X. Um Antragstellern, allen RV-Mitgliedern und den Oberen Landesplanungsbehörden, die regelmäßig die Beschlüsse in Form von Verwaltungsakten umzusetzen und auch in Gerichtsverfahren zu vertreten hat, ein Höchstmaß an Rechtssicherheit zu gewährleisten, wird folgende Verfahrensweise vorgeschlagen: In der kommunalen Praxis hat es sich bewährt, dass im Einzelfall auf freiwilliger Basis und ohne förmliche Entscheidung auf eine Mitwirkung verzichtet wird. In der RV kann der Stellvertreter und in Ausschüssen ein anderes Fraktionsmitglied die Vertretung übernehmen. So bleiben auch die politischen Mehrheitsverhältnisse unberührt . Die unter XI. genannten Rechtsfolgen bei einer Verletzung der Vorschriften über den Widerstreit der Interessen treten nicht ein, wenn freiwillig auf eine Mitwirkung und eine förmliche Entscheidung verzichtet wird. Wird eine einvernehmliche Lösung auf freiwilliger Basis nicht erzielt, trifft das Organ, dem der Betreffende angehört, eine förmliche Entscheidung (§ 25 Absatz 3 HGO). An dieser Beratung und Entscheidung darf die betroffene Person nicht mitwirken. Falls ein Mitglied eines Gremiums freiwillig verzichtet oder durch förmlichen Beschluss nicht an der Beratung und Entscheidung mitwirken darf, muss dieses Mitglied den Beratungsraum bereits bei Aufruf des Tagesordnungspunktes verlassen. Beratungen in Fraktionen sind von den Regelungen des § 25 HGO nicht betroffen. Rechtsfolgen bei unzulässiger Mitwirkung XI. Beschlüsse, an denen ein Mitglied der Regionalversammlung trotz Bestehens eines Interessenwiderstreites mitgewirkt hat, sind unwirksam gemäß § 25 Absatz 6 Satz 1 HGO. Allerdings gilt der Beschluss sechs Monate nach der Beschlussfassung als wirksam , wenn der Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot nicht zuvor geltend gemacht wurde . Anlage KA 19/3624