Kleine Anfrage des Abg. Lenders (FDP) vom 14.07.2016 betreffend Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinien und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung des Fragestellers: Zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen (ABl. L 326 vom 11.12.2015, S. 1) in deutsches Recht wurde am 16.06.2016 ein Referentenentwurf durch das Bundesjustizministerium vorgelegt. Dabei geht es darum, den Reiseschutz auch im Bereich der Vermarktung von Paulschalreisen und Einzelleistungen von Pauschalreisen via Internet sicherzustellen und insbesondere Haftungsfragen für Vermittler und Reiseveranstalter diesbezüglich zu klären. Aufgrund des Entwurfs des Bundesjustizministeriums befürchten Reisebüros und Reisevermittler, dass sie - wenn sie mehrere Einzelleistungen einem Kunden vermitteln - wie ein Reiseveranstalter angesehen werden und im gleichen Umfang wie Reiseveranstalter haftungsrechtlich herangezogen werden (Veranstalterhaftung). Die Veranstalter-Haftung können Reisevermittler dann vermeiden, wenn sie jede Einzelleistung mit dem Kunden separat abrechnen, weil es sich dann nicht mehr um eine Paulschalreise, sondern um "verbundene Reiseleistungen" handelt. Vorbemerkung der Ministerin der Justiz: Die Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen (ABl. L 326 vom 11.12.2015, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) verfolgt - anders als ihre Vorläuferrichtlinie - einen Vollharmonisierungsansatz , der es den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht erlaubt, von ihren Bestimmungen abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrechtzuerhalten oder einzuführen. Lediglich in einigen Artikeln erhalten die Mitgliedstaaten in Form von Öffnungsklauseln die Option, Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die ein abweichendes Schutzniveau für Reisende gewährleisten ; zudem wird die Möglichkeit eröffnet, Bestimmungen für Bereiche zu normieren, die an sich nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterfallen. Mit dem in der Vorbemerkung des Fragestellers erwähnten Referentenentwurf sollen vor allem die zwingenden Vorgaben des europäischen Sekundärrechts in nationales Recht überführt werden . Zudem sollen unter Inanspruchnahme der zur Verfügung stehenden Optionen die neu zu schaffenden Regelungen - wie teilweise bereits nach geltendem Recht - auch künftig auf Tagesreisen , einzelne Reiseleistungen oder Gastschulaufenthalte anwendbar sein. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung wie folgt: Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung den Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie hinsichtlich der praktischen Auswirkungen für den Reiseschutz der Kunden? Vor dem Hintergrund der entsprechenden Richtlinienvorgaben (vgl. z.B. Art. 3 Nr. 2) ist es Ziel des Referentenentwurfs, die Rechte von Reisenden an die Entwicklung des Marktes anzupassen und Regelungslücken zu schließen. Mit den darin enthaltenen Vorschlägen soll insbesondere dem Umstand Rechnung getragen werden, dass zusätzlich zu den traditionellen Vertriebswegen das Internet als Medium zum Angebot von Reiseleistungen erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Soweit daher künftig neben einer Neudefinition der Pauschalreise in § 651a BGB-E unter Einbeziehung von durch den Kunden ausgewählten Elementen mit § 651c BGB-E auch ein Anbieter von verbundenen Online-Buchungsverfahren als Reiseveranstalter mit den hieraus resultierenden Eingegangen am 29. August 2016 · Ausgegeben am 6. September 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3643 29. 08. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3643 Verpflichtungen (und Rechten) gegenüber dem Reisenden anzusehen ist, liegt hierin eine klare und nach den EU-rechtlichen Vorgaben auch intendierte Erweiterung des Kundenschutzes auf normgebender Ebene. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass mit der vorgeschlagenen Regelung nunmehr auch eine eindeutige Kodifizierung der Rechtsprechung zu den Fällen des sogenannten "dynamic packaging" (=Bündelung tagesaktueller Pakete in Echtzeit, vgl. § 651a Abs. 2 Nr. 1 BGB-E) oder auch der "click-through-Buchungen", d.h. Buchungen, die der Reisende nacheinander z.B. auf miteinander verbundenen Webseiten tätigt, erfolgt (vgl. § 651c Abs. 1 BGB-E). Mit § 651x BGB-E soll neben der Pauschalreise erstmals auch die durch die Richtlinie neu eingeführte Kategorie der "verbundenen Reiseleistungen" geregelt werden. Es handelt sich hierbei um Sachverhalte, bei denen zwar keine Pauschalreise zustande kommt, dessen ungeachtet aber ein verbindendes Element, etwa in Form eines engen zeitlichen Zusammenhangs, zwischen den gebuchten Reiseleistungen besteht, das es nach den Vorgaben der Richtlinie rechtfertigt, dem Vermittler zusätzliche Informationspflichten bzw. auch die Pflicht zur Insolvenzsicherung aufzuerlegen (§ 651x Abs. 2 und 3 BGB-E). Auch hierdurch wird eine Ausweitung des Schutzes der Reisenden bewirkt. Dies gilt auch mit Blick auf das Erfordernis der künftigen Verwendung von Formblättern zur Aufklärung über die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte, da hierdurch für sämtliche Beteiligte ein Mehr an Klarheit und Transparenz geschaffen wird. Demgegenüber ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass der Reisende künftig bei einer vorbehaltenen Preiserhöhung erst ab einem Prozentsatz von 8 % das Recht zum Rücktritt vom Vertrag erhalten soll (§ 651g BGB-E), während dies nach geltender Rechtslage bereits ab einer Preiserhöhung von 5 % möglich ist. Soweit - quasi als Kompensation hierzu - mit § 651f Abs. 4 BGB-E dem Kunden auch ein Recht auf Preissenkung in den Fällen einer relevanten Preisänderung zu seinen Gunsten zur Verfügung gestellt wird, muss allerdings abgewartet werden, ob sich ein derartiger Anspruch in der Praxis auch in signifikantem Umfang wird realisieren lassen. Frage 2. Wie bewertet die Landesregierung den Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie hinsichtlich der praktischen Auswirkungen für Reisebüros und Reisevermittler? Die künftige neue Gesetzeslage wird auf Reisebüros und Reisevermittler fraglos Auswirkungen haben, wobei zu erwarten ist, dass für die vorwiegend mittelständisch aufgestellten Reisebüros künftig weitergehende Pflichten entstehen, die mit einem signifikant höheren Aufwand sowie zusätzlichen Kosten verbunden sein können. Das künftige Pauschalreiserecht ist jedoch, wie in der Vorbemerkung der Ministerin der Justiz dargestellt, im Wesentlichen durch zwingende Vorgaben des neuen EU-Sekundärrechts bedingt. Entsprechend den Richtlinienvorgaben werden stationären Reisebüros sowie sonstigen Reisevermittlern , hier insbesondere Online-Vermittlerportalen, künftig vor allem auf dem Sektor der sogenannten "verbundenen Reiseleistungen" zusätzliche Verpflichtungen auferlegt. Auf die Antwort zur Frage 1 wird insoweit Bezug genommen. In diesen Fällen haben sie eine Reihe von Informationspflichten, unterstützt allerdings durch entsprechend vorgegebene Formblätter, zu erfüllen (§ 651x Abs. 2 BGB-E; sie müssen zudem eine Absicherung für ihre eigene Insolvenz vornehmen, die sich u.a. auf Zahlungen, die sie vom Reisenden erhalten haben, oder ggf. auch auf eine von ihnen als Vermittler selbst geschuldete Rückbeförderung des Kunden erstrecken muss; vgl. § 651x Abs. 3 BGB-E). Hierzu ist allerdings darauf hinzuweisen, dass in den meisten Fällen die eigentlichen Leistungserbringer ein Direktinkasso betreiben, ein Inkasso durch das Reisebüro somit eher die Ausnahme sein dürfte. Daher dürfte jedenfalls die Befürchtung, dass Reisebüros aus dem Markt ausscheiden müssen, weil sie wegen fehlender Bonität den erforderlichen Insolvenzschutz nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erreichen können, zu relativieren sein. Darüber hinaus hat neben dem Reiseveranstalter und -vermittler auch der Vermittler verbundener Reiseleistungen künftig ausdrücklich für Schadensersatzforderungen zu haften, die aus Buchungsfehlern entstehen können (§ 651y BGB-E). Vermittelt insbesondere ein stationäres Reisebüro verbundene Reiseleistungen, kann zudem die Gefahr bestehen, dass sich dessen Tätigkeit - unbeabsichtigt - in die eines originären Reiseveranstalters mit allen rechtlichen Konsequenzen umwandelt: Bei der Buchung im Reisebüro wird es künftig entscheidend darauf ankommen, ob zunächst sämtliche einzelne Reiseleistungen ausgewählt werden und der Reisende erst anschließend seine Zustimmung hierzu erteilt, mit der Folge, dass das Reisebüro in diesem Fall wie ein Veranstalter für eine Pauschalreise und damit auch für deren ordnungsgemäße Durchführung einschließlich der Verpflichtung zur Abhilfe sowie zur Leistung von Schadensersatz (§§ 651k, 651n BGB-E) einzustehen hat. Demgegenüber würde lediglich eine verbundene Reiseleistung im Sinne von § 651x BGB-E vorliegen, wenn der Kunde die einzelnen Reiseleistungen im Reisebüro anlässlich desselben Besuchs nacheinander auswählt und bezahlt (§ 651x Abs. 1 Nr. 1 BGB-E) oder mit verschiedenen Leistungserbringern innerhalb von 24 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3643 3 Stunden einen Vertrag über mindestens zwei Reiseleistungen abschließt (§ 651x Abs. 1 Nr. 2 BGB-E). Vor diesem Hintergrund werden Reisebüros künftig bereits im eigenen Interesse dafür Sorge zu tragen haben, ihre Vermittlungstätigkeit unter Beachtung dieser - allerdings nicht einfachen - Grenzziehung neu zu organisieren. Hier gilt es vor allem, die Reiseveranstalter sowie vor allem die häufig mittelständisch strukturierten Vermittler ausreichend nach Maßgabe der künftigen Gesetzeslage fortzubilden und zu schulen, damit sie den Reisenden eine kompetente, umfassende Beratung und Information zukommen lassen können. In diesem Kontext ist zu befürchten, dass durch die zu erwartende neue Rechtslage die Vielgestaltigkeit der angebotenen Produkte deutlich eingeschränkt werden könnte. Sofern die Angebotsvielfalt erhalten bleiben soll, müsste für jeden (Reise-)Baustein ein einzelner Vertrag geschlossen werden, was einen hohen verwaltungstechnischen Aufwand nach sich ziehen würde. Erst wenn das Reisebüro die Bausteine verschiedener Leistungserbringer nacheinander im Abstand von mehr als 24 Stunden verkaufen würde, würde es sich nicht mehr um eine Pauschalreise /verbundene Reiseleistung im Sinne der EU-Richtlinie handeln. Auch ein derartiges Vorgehen wäre aber insbesondere für ein kleineres Reisebüro unverhältnismäßig aufwendig; es dürfte für die Kunden zudem nur schwer nachvollziehbar sein und insbesondere hinsichtlich seiner ggf. entstehenden Mehrkosten für den Reisenden kaum Akzeptanz erfahren. Frage 3. Sieht die Landesregierung in der Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie eine übermäßige Belastung für Reisevermittler? Gerade für die kleinen und mittelständischen Reisebüros und Reisevermittler sind, wie in der Antwort zu Frage 2 ausgeführt, erhöhte finanzielle und organisatorische Belastungen durch die Übertragung von Pflichten der Reiseveranstalter zu erwarten. Dies gilt unabhängig davon, welche konkrete endgültige Fassung das neue Pauschalreiserecht ab dem Jahr 2018 aufweisen wird. Derzeit ist noch nicht abzusehen, in welchem Umfang diese Mehraufwendungen entstehen werden bzw. wie sie insbesondere durch die stationär arbeitenden Reisebüros abgefedert werden können. Die Option, insoweit die Provisionen für Reisebüros und Reisevermittler anzuheben, dürfte bei den Reiseveranstaltern tendenziell zur Erhöhung der Reisepreise für die Kunden als Endabnehmer führen, was diese Möglichkeit - auch unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes - als wenig realistisch erscheinen lässt. Es ist daher davon auszugehen, dass die in Deutschland größtenteils mittelständisch aufgestellten Reisebüros durch die zu erwartenden Mehrbelastungen letztlich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt werden können. Ob und ggf. inwieweit den künftigen zusätzlichen Belastungen auch durch organisatorische Maßnahmen insbesondere seitens der stationär tätigen Reisebüros begegnet werden kann, ist gegenwärtig allerdings nicht absehbar. Frage 4. Ist es nach Ansicht der Landesregierung sinnvoll, die Haftung für Pauschalreisen von Reiseveranstaltern auf Reisebüros zu übertragen? Zu dieser Frage hatte bereits der Bundesrat - insoweit mit den Stimmen Hessens - zu dem damaligen Richtlinienvorschlag Stellung genommen und die Ausweitung des Begriffs der Pauschalreise , wie sie in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie vorgenommen wird, vor allem mit Blick auf die entstehenden Mehrbelastungen für touristische Vermittler als zu weitgehend bezeichnet (BR- Drs. 577/13, Beschluss vom 08.11.13, dort Nr. 14). Die bisher als Vermittler von Reiseleistungen agierenden Reisebüros würden nach Umsetzung der jetzt verabschiedeten EU-Richtlinie in nationales Recht Gefahr laufen, Risiken für Leistungen Dritter (z.B. Reiseunternehmen, Airlines, Hoteliers pp.) übernehmen zu müssen, die an sich nicht von ihnen zu vertreten sind, sondern nach geltendem Recht im Verantwortungsbereich der eigentlichen Reiseveranstalter liegen. Unter diesem Gesichtspunkt ist daher die nach den neuen Definitionen in der EU-Richtlinie mögliche Übertragung der Haftung für Pauschalreisen von Reiseveranstaltern auch auf Reisebüros zu hinterfragen. Besonders an dieser Stelle sollte daher die Legislative im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens unter vollständiger Ausnutzung der durch die eine Vollharmonisierung anstrebenden Richtlinie noch verbleibenden restlichen Spielräume dafür Sorge tragen, dass insbesondere die stationär tätigen mittelständischen Reisebüros künftig nicht mehr als europarechtlich zwingend notwendig mit zusätzlichen Verpflichtungen belastet werden. Wiesbaden, 17. August 2016 In Vertretung: Thomas Metz