Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 26.07.2016 betreffend türkisch-nationalistische Gruppierungen in Hessen und Verbindungen in die Rockerszene und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Wie viele und welche Gruppierungen gibt es in Hessen, die der türkisch-nationalistischen Szene zuzuordnen sind (bspw. so genannte "Graue Wölfe")? Bitte auch Ausweisung der Mitgliederbzw . Unterstützerzahlen. Vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen wird die Anfang der 1960er Jahre entstandene sogenannte "Ülkücü-Bewegung" beobachtet. Die Ülkücü-Ideologie ist nationalistisch, rassistisch sowie zum Teil islamistisch geprägt und hat auf das Führerprinzip ausgerichtete Strukturen. Sie vertritt einen übersteigerten Nationalismus (bezogen auf das Türkentum) und spricht den Türken einen höheren Wert als anderen Volksgruppen zu, die sie damit abwertet. Aufgrund des von den Anhängern der "Ülkücü-Bewegung" verwendeten Symbols ist die Bewegung auch unter der Bezeichnung "Graue Wölfe" bekannt. Neben einer Jugendbewegung ist die "Ülkücü-Bewegung" in Hessen mit den folgenden Dachverbänden vertreten: ADÜTDF ATB ATIB Bezeichnung deutsch Föderation der Türkisch- Deutschen Idealistenvereine in Deutschland Verband der Türkischen Kulturvereine in Europa e.V. Union der Türkisch- Islamischen Kulturvereine e.V. Bezeichnung türkisch Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu Avrupa Türk Birliği Avrupa Türk İslam Birliği Sitz Frankfurt am Main mit Vereinen in Dietzenbach (Landkreis Offenbach), Wiesbaden, Hanau, Kassel, Herborn und Wetzlar (beide Lahn-Dill-Kreis) und Darmstadt Mörfelden-Walldorf (Landkreis Groß-Gerau) Köln (Nordrhein- Westfalen) mit Vereinen in Hessen in Frankfurt am Main, Darmstadt und Kassel Funktion Auslandsvertretung der türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetçi Hareket Partisi, MHP) Europaorganisation der türkischen Partei der großen Einheit (Büyük Birlik Partisi, BBP) In den diesen drei Dachverbänden angegliederten Vereinen wird die Ideologie der "Ülkücü- Bewegung"/Grauen Wölfe auf lokaler Ebene gepflegt und vermittelt. Grundsätzlich verherrlichen nicht alle Vereinsmitglieder Gewalt oder agitieren rassistisch. Allerdings müssen sie sich die Förderung und Verbreitung einer Ideologie zurechnen lassen, deren Handlungsmotivation letztlich auf die Abwertung ethnisch Anderer bzw. auf Gewalt gegen Andersdenkende hinausläuft . In Hessen sind der "Ülkücü-Bewegung" rund 2.500 Anhänger zuzurechnen (bundesweit etwa 10.000 Personen). Eingegangen am 10. Oktober 2016 · Bearbeitet am 11. Oktober 2016 · Ausgegeben am 14. Oktober 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3662 10. 10. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3662 Daneben weist das Auftreten des "Deutschen Neuen Türkischen Komitees" (Almanya Yeni Turk Komitesi, AYTK) auf eine nationalistische Ausrichtung hin; bislang können der AYTK jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen im Sinne des LfV- Gesetzes zugerechnet werden. Die AYTK betreibt eine Facebook-Präsenz, aus der kein Verantwortlicher zu erkennen ist. Im Zusammenhang mit Demonstrationsplanungen der AYTK im April wurden mehrere Gruppierungen benannt (u.a. UETD, DITIB, ATIB, Osmanen, Turcos, Turan), die zumindest auch eine Nähe zur "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung /Entwicklung" (Adalet ve Kalkınma Partisi, AKP) des türkischen Präsidenten möglich erscheinen lassen. Frage 2. a) Wie viele türkisch-nationalistische Aufzüge, Demonstrationen, Kundgebungen oder sonstige öffentliche wie nicht-öffentliche Veranstaltungen waren in den Jahren 2014 bis 2016 in Hessen zu verzeichnen? Bitte detaillierte Aufstellung von Ort, Datum, Teilnehmerzahl, ggf. Motto . b) Inwieweit wurden hierbei rassistische, volksverhetzende, juden-, oder deutschenfeindliche Beiträge, Parolen, Spruchbänder etc. registriert? c) Kam es im Zusammenhang mit diesen zu Straftaten der Teilnehmer bzw. Festnahmen? Falls ja, bitte detaillierte Darstellung der Fälle. Die Beantwortung der Fragen 2 a bis c erfolgt in der nachfolgenden tabellarischen Darstellung: Ort Datum Veranstaltung Motto Teilnehmerzahl Feststellungen gem. Frage 2b) Feststellungen gem. Frage 2c) Frankfurt am Main 12.09.2015 Kundgebung "Gegen Terroranschläge der PKK" 200, darunter augenscheinlich 20 Osmanen Keine Keine Frankfurt am Main 10.04.2016 Kundgebung "Türkische, Deutsche und kurdische Mütter für den Frieden" 350, darunter augenscheinlich 25 türkische Türsteher. Keine Keine Frage 3. Sind der Landesregierung in den Jahren Auseinandersetzungen zwischen der türkischnationalistischen Szene und anderen Gruppierungen, bspw. Kurdischer Herkunft, bekannt geworden ? Falls ja, bitte detaillierte Aufstellung insbesondere von Ort, Datum, Zahl der Betroffenen. In Hessen sind bislang noch keine gezielt gesteuerten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der türkisch-nationalistischen Szene und anderen Gruppierungen festgestellt worden. Vereinzelt kam es in den letzten Jahren - insbesondere im Rahmen von angemeldeten kurdischen Demonstrationen - zu wechselseitigen Provokationen und Handgreiflichkeiten der Demonstrationsteilnehmer und türkischen Passanten, die jedoch durch rasches polizeiliches Eingreifen unterbunden werden konnten. Frage 4. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Aktivitäten des so genannten "Boxclub Osmanen Germania" in Hessen, insbesondere dessen Organisationsgrad, Untergliederungen, Kooperationen bzw. Konflikte mit anderen Rockergruppen (bspw. den kurdischen "Bahoz" oder den "Hells Angels")? Den hessischen Sicherheitsbehörden sind das sogenannte World-Chapter des Osmanen Germania Boxclub (BC), derzeit mit Sitz in Dietzenbach, sowie die Chapter Frankfurt am Main, Hanau und Dillenburg bekannt. Die Sicherheitsbehörden gehen von etwa 80 Mitgliedern aus, wobei zu den Mitgliederzahlen der einzelnen Chapter abschließend keine Aussage getroffen werden kann. Die Rockerszene in Hessen unterliegt einer dynamischen Entwicklung. In Hessen wurden bereits mehrere Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanen Germania BC und der Gruppierung Bahoz durch den Einsatz von starken Polizeikräften verhindert. Weitergehende Auskünfte können im Rahmen einer Kleinen Anfrage nicht gegeben werden. Frage 5. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung bezüglich der Zusammenarbeit von türkischen Nationalisten und der Rockerszene, insbesondere hinsichtlich Verbindungen zu dem BC Osmanen Germania oder den Turkos MC, etwa bei den oben genannten Aufzügen? Die hessischen Sicherheitsbehörden bewerten die Aktivitäten der Osmanen Germania BC in Hessen derzeit dahin gehend, dass sie eher autark agieren. Hinweise auf Unterstützer oder eine strukturelle Zusammenarbeit von türkischen Nationalisten und der hessischen Rockerszene liegen dagegen nicht vor. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3662 3 Es ist allerdings, wie bei den meisten türkischen Vereinigungen und Gruppierungen, davon auszugehen , dass türkisch-nationalistisch geprägte Personen auch im Osmanen Germania BC Mitglied sind beziehungsweise Kennverhältnisse bestehen. Erkenntnisse zu einem in Hessen ansässigen Turkos MC liegen den hessischen Sicherheitsbehörden nicht vor. Frage 6. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Reaktionen der türkisch-nationalistischen Szene in Hessen in Folge des gescheiterten Putsches in der Türkei? Als unmittelbare Reaktion auf den Putschversuch in der Türkei kam es auch in Hessen zu demonstrativen Aktionen sowohl von Befürwortern der türkischen Regierung als auch von Regierungsgegnern , die jedoch durchweg friedlich verliefen. Eine punktuelle, unorganisierte Teilnahme türkischer Nationalisten der "Ülkücü-Bewegung" an einzelnen Kundgebungen kann nicht ausgeschlossen werden. Ab dem 19.07.2016 wurde seitens türkischer User auf Facebook zum Boykott gegen Geschäfte aufgerufen, deren Inhaber angeblich der Fethullah-Gülen-Bewegung zuzurechnen seien. Eine Liste entsprechender Geschäfte/Institutionen wurde veröffentlicht. Für Hessen war eine Supermarktkette mit Filialen in Darmstadt, Wiesbaden und Offenbach benannt. Ebenfalls ab dem 19.07.2016 wurden verschiedene Vorfälle in Hessen angezeigt, bei denen - zumeist über Internet-Chats - zu Aktionen gegen "Gülen-Anhänger" oder "Gülen-Vereine" aufgerufen wurde. Bislang kam es in Hessen allerdings in diesen Begründungszusammenhängen nicht zu schädigenden Ereignissen zum Nachteil von Personen oder Objekten. Wiesbaden, 29. September 2016 Peter Beuth