Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 26.07.2016 betreffend Straftaten und terroristische Aktivitäten hessischer Islamisten im In- und Ausland und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Den hessischen Sicherheitsbehörden liegen derzeit Erkenntnisse zu ca. 130 Islamisten aus Hessen vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten des Islamischen Staates und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise unterstützen. Insgesamt zeichnet sich eine verringerte Ausreisedynamik ab. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Etwa ein Viertel dieser gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Hessen. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien/Irak beteiligt haben. Als Ergebnis der kontinuierlichen Aus- und Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu ca. 20 Personen Informationen vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben sollen. Ferner liegen zu ca. 25 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Zudem wurden weitere Ausreiseplanungen bekannt. Die hessischen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst viele dieser Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Diese Vorbemerkung vorangestellt, wird die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Justizministerin wie folgt beantwortet: Frage 1. a) Wann und wie viele Personen sind nach Kenntnis der Landesregierung aus Hessen nach Syrien oder in den Irak gereist, um sich dort salafistischen oder islamistischen Gruppierungen anzuschließen? Soweit möglich, bitte detaillierte Aufschlüsselung bzgl. Zeitpunkt, Ziel der Ausreise, Staatsangehörigkeit, Geschlecht und aus welcher Region Hessens die Betreffenden stammten. b) Wann und wie viele Personen sind nach Kenntnis der Landesregierung, nachdem sie nach Syrien oder in den Irak zum Zwecke der Beteiligung an Kampfhandlungen oder sonstiger Unterstützung islamistischer Gruppierungen ausgereist sind, zwischenzeitlich wieder nach Hessen zurückgekehrt? c) Gegen wie viele dieser Personen laufen derzeit Ermittlungs- oder Strafverfahren und/oder wie viele dieser Personen befinden sich in Untersuchungshaft? Bitte Ausweisung auch unter Nennung des jeweiligen Tatvorwurfs. d) Wie viele dieser Personen sind zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilt bzw. befinden sich derzeit in Strafhaft? Bitte Ausweisung auch unter Nennung der begangenen Straftat(en). e) Wie viele dieser Personen sind seit 2011 bis heute in den kriegerischen Konflikten im Irak und in Syrien zu Tode gekommen? Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst auf die Vorbemerkung verwiesen. Eingegangen am 17. Oktober 2016 · Bearbeitet am 17. Oktober 2016 · Ausgegeben am 20. Oktober 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3663 17. 10. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3663 Zu Frage 1 a: Ergänzend ist auszuführen, dass zwei Drittel der ausgereisten Personen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen; davon ein Drittel sog. Doppelstaater. Etwa ein Fünftel der Personen hat die türkische Staatsangehörigkeit; die restlichen Staatsangehörigkeiten setzen sich hauptsächlich aus nicht-europäischen Staaten zusammen. Etwa die Hälfte der ausgereisten Personen kommt aus dem Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main. Knapp 25 % der ausgereisten Personen hielt sich zuvor im Bereich des Polizeipräsidiums Südosthessens auf. Gut 12% sind in der Befassung des Polizeipräsidiums Nordhessen. Die übrigen ausgereisten Personen verteilen sich auf die weiteren vier Polizeipräsidien . Zu Frage 1 b: Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu Frage 1 c: Besteht der Verdacht einer Ausreise nach Syrien oder in den Irak zum Zwecke der Beteiligung an Kampfhandlungen oder sonstiger Unterstützung islamistischer Gruppierungen wird auf die Einleitung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens hingewirkt. In einer Vielzahl der Fälle lassen sich - auch nach umfänglichen Ermittlungen - die Tatvorwürfe nicht erhärten . Dies vorangestellt ist derzeit gegen weniger als die Hälfte der zurückgekehrten Personen ein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig. Vorgeworfen werden den Tatverdächtigen hauptsächlich Straftaten gemäß § 89a, b StGB bzw. § 129a, b StGB. In Untersuchungshaft befinden sich derzeit (Stand: 30.08.2016) zwei Personen. Vorgeworfen werden diesen Personen Straftaten gemäß § 89a StGB, § 308, 22, 23 StGB; VStGB, § 129a StGB sowie Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Zu Frage 1 d: Im Sachzusammenhang sind fünf Personen rechtskräftig verurteilt bzw. befinden sich derzeit in Strafhaft (Stand: 30.08.2016): Rechtskräftige Verurteilung Straftat Strafhaft 2014 Jugendstrafe: 3 Jahre und 9 Monate §§ 129a, b StGB; §§ 17, 74, 105, 109 JGG Nein (2016 aus der Strafhaft entlassen) 2015 3 Jahre und 6 Monate §§ 129a, b, § 263, §§ 52,53 StGB Ja 2016 5 Jahre § 89a StGB i.V.m. § 129a, b StGB Ja 2016 2 Jahre auf Bewährung §§ 89a Abs. 1, 2a, 52, 56 Abs. 2 StGB, § 24 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 10, § 8 PassG Nein 2016 1 Jahr und 6 Monate auf Bewährung § 89 a Abs. 1, 2a und 5 StGB Nein Zu Frage 1 e: Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Frage 2. a) Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Ausreise- sowie (Wieder-) Einreiserouten der (potenziellen) Dschihadisten? b) Gibt es Hinweise darauf, dass Personen nach Syrien oder in den Irak unter dem Vorwand ausreisen, sie besuchten ihre Familien in anderen Staaten der Region? Zu Frage 2 a: Ein Großteil der aus Hessen ausgereisten Personen reiste über die Türkei aus, um von dort weiter in das angestrebte Konfliktgebiet (zumeist Syrien) zu gelangen. Die Wiedereinreise erfolgte dementsprechend zumeist aus dem Konfliktgebiet über die Türkei nach Deutschland. Zu Frage 2 b: Ja. Frage 3. Wie viele Ausreisen, die (vermutlich) zum Zwecke der Teilnahme an Kampfhandlungen oder Unterstützung von islamistischen Gruppierungen geplant waren, konnten in Hessen in den Jahren 2012 bis 2016 verhindert werden? Bitte auch Ausweisung der jeweiligen Stelle, die die Ausreise verhindert hat sowie die rechtliche Grundlage der ausreiseverhindernden Maßnahme. Bei Anhaltspunkten für beabsichtige Ausreisen zum Zweck der Beteiligung an Kampfhandlungen oder sonstiger Unterstützung islamistischer Gruppierungen ergeht durch die Sicherheitsbehörden eine Anregung auf Erteilung einer Ausreiseverbotsverfügung an die jeweils örtlich zu- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3663 3 ständigen Ordnungsbehörde (Pass- und Personalausweis- oder Ausländerbehörde). Diese kann die Verfügung der ausreiseverhindernden Maßnahmen nach § 6 Abs. 7 und § 6a Personalausweisgesetz , §§ 7 ff. Passgesetz sowie bei ausländischen Staatsangehörigen nach § 46 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz erlassen. Sofern in einem Verdachtsfall noch keine Ausreiseverbotsverfügung der Pass-, Personalausweisoder Ausländerbehörde vorliegt, kann die Bundespolizei Personen zum Zwecke der grenzpolizeilichen Überprüfung ausschreiben (§ 30 Abs. 2 Nr. 2 Bundespolizeigesetz). Bei Antreffen der Person an der Grenze kann die Bundespolizei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 Passgesetz nach Durchführung der grenzpolizeilichen Überprüfung die Ausreise nach eigenem Ermessen untersagen und den Pass und Personalausweis sicherstellen; bei ausländischen Staatsangehörigen kann die Ausreise nach § 46 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 Passgesetz untersagt werden. Dies vorangestellt wird zur Beantwortung der Fragestellung auf die Vorbemerkung verwiesen. Frage 4. Wie viele Ausreisen konnten in den Jahren 2012 bis 2016 von den Sicherheitsbehörden nicht verhindert werden, obwohl bereits Hinweise auf eine islamistische bzw. salafistische Radikalisierung und/oder eine Ausreisewilligkeit der Betreffenden vorgelegen haben? Eine abschließende Antwort hierzu ist nicht möglich. Sowohl im Hinblick auf Radikalisierungsprozesse als auch bezüglich festgestellter Ausreisen können ausschließlich Fälle betrachtet werden , die den Sicherheitsbehörden zur Kenntnis gelangen. Es ist in diesem Zusammenhang von einem nicht unerheblichen Dunkelfeld auszugehen. Hinsichtlich der o.a. sicherheitsbehördlich registrierten und ordnungsbehördlich mit Ausreiseverbot belegten Fällen in Hessen ist festzustellen, dass zwischen 2012 und 2016 - trotz bestehender Ausreiseverbotsverfügung oder nach Ablauf der Ausreiseverbotsverfügung - eine Personenanzahl im mittleren einstelligen Bereich ausreiste. Frage 5. Hat die Landesregierung Erkenntnisse, dass sich aus Hessen stammende oder sich zeitweise in Hessen aufhaltende Islamisten an Straftaten mit islamistischem Hintergrund, insbesondere an Terrorakten in Deutschland oder dem europäischen Ausland beteiligt haben oder an der Planung solcher Taten beteiligt sind oder waren? Falls ja, bitte detaillierte Darstellung der Fälle. Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die nachfolgende Tabelle verwiesen: 2007 Am 04.09.2007 nahmen Beamte des BKA, der Bundespolizei und der Länderpolizeien in einer gemeinsamen Polizeiaktion drei mutmaßliche Mitglieder einer islamistischen terroristischen Vereinigung in Medebach-Oberschledorn/Nordrhein-Westfalen fest. Die mutmaßlichen Mitglieder der islamistischen terroristischen Vereinigung “Islamische Jihad Union“ (IJU) hatten geplant, zeitgleich Sprengstoffanschläge in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Die Tatvorbereitung war bereits weit fortgeschritten. Einer der Angeschuldigten, Adem Y., lebte zur Tatzeit in Hessen. 2011 Der zur Tatzeit in Hessen lebende Keramat G. zog sich am 13.02.2011 in seiner Wohnung bei einer selbst verursachten Explosion - er versuchte Sprengstoff herzustellen - erhebliche Brandverletzungen zu. 2011 Der zur Tatzeit in Hessen lebende Arid U. tötete am 02.03.2011 zwei US-amerikanische Soldaten am Flughafen Frankfurt am Main. Darüber hinaus soll er versucht haben, drei weitere Angehörige der US-Streitkräfte zu ermorden. Zwei Soldaten verletzte er dabei lebensgefährlich , einer der beiden verlor auf einem Auge das Sehvermögen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen wollte der Angeschuldigte die Soldaten ausschließlich deshalb töten, weil sie Angehörige der US-Streitkräfte im Rahmen des ISAF-Mandats in Afghanistan waren. Die Taten waren Ausdruck einer durch jihadistische Propaganda hervorgerufenen radikal-islamistischen Einstellung, die willkürliche Tötungen von US-Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland einschließt. 2012 Der zur Tatzeit in Hessen lebende Murat K. verletzte bei einer gewalttätigen Salafisten- Demonstration gegen die Bürgerbewegung PRO-NRW (Kontext Mohamed-Karikaturen) am 05.05.2012 zwei Polizeibeamte gezielt mit einem Messer. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3663 2015 Nach Mitteilung über den Kauf einer größeren Menge einer Chemikalie in einem Frankfurter Baumarkt, die zur Herstellung von Sprengstoff geeignet ist, wurden im Rahmen von Ermittlungen der zur Tatzeit in Hessen lebende Halil Ibrahim D. und dessen Ehefrau als Käufer identifiziert. Weitere Ermittlungen ergaben, dass D. sich im April 2015 mehrfach auffällig an einem Streckenabschnitt des Traditions-Radrennens "Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt", das jährlich am 1. Mai stattfindet, aufhielt. Es ergab sich eine Gefährdungslage (geplanter Sprengstoffanschlag) für das o.a. Radrennen , in deren Folge am 29.04.2015 D. und seine Ehefrau festgenommen wurden. Es kam zur Absage des Radrennens. Wiesbaden, 4. September 2016 Peter Beuth