Kleine Anfrage der Abg. Özgüven, Rudolph und Dr. Sommer (SPD) vom 01.08.2016 betreffend neues Messverfahren für Diabetes und Hessische Beihilfeverordnung und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragesteller: Seit etwa einem Jahr gibt es ein neues Verfahren zur Feststellung des aktuellen Gewebezuckers bei Diabetes durch Anbringung eines Sensors am Oberarm. Der Sensor misst dauerhaft, Teststreifen und Blutzuckerlanzetten sind nicht mehr erforderlich, was die Versorgung sehr viel günstiger macht. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Das hessische Beihilferecht ist von einer Vielzahl politischer, rechtlicher und tatsächlicher gesellschaftlicher Entwicklungen abhängig, insbesondere auf dem Gebiet der allgemeinen gesundheitspolitischen Lage, des Fortschritts und der Entwicklung im medizinischen Bereich, insbesondere auch im Bereich des Rechtes der gesetzlichen Krankenversicherungen. Dies gilt auch für neue Therapieformen einschließlich des Einsatzes moderner Hilfsmittel, die herkömmliche Methoden ergänzen oder ersetzen können. Nicht zuletzt sind dabei immer auch die Aspekte der langfristigen Finanzierbarkeit und der Demografiefestigkeit der Beihilfe als einer beamtenrechtlichen Fürsorgeleistung von Bedeutung. Alle diese Faktoren stehen in wechselseitiger Wirkung zueinander. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration wie folgt: Frage 1. Kennt die Landesregierung das oben erwähnte neue Verfahren "Freestyle Libre" zur Blutzuckermessung bei Diabetes? Ja. Das Verfahren wurde von der Firma AbbVie im Rahmen der Sitzungen des hessischen Diabetesbeirats am 28. September 2015 unter dem Top "Neue Wege der Blutzuckermessung" vorgestellt und in der Sitzung vom 6. Juni 2016 nochmals besprochen. Frage 2. Ist der Landesregierung darüber hinaus bekannt, dass viele gesetzliche und private Krankenkassen die Kosten für dieses neue Verfahren übernehmen, zumal es sehr viel günstiger ist als bisherige Testverfahren? Die Behauptung, dass "viele gesetzliche und private Krankenkassen die Kosten für dieses neue Verfahren übernehmen" ist nicht zutreffend. Ein Hilfsmittel, das als Bestandteil einer neuen Untersuchungs - oder Behandlungsmethode eingesetzt wird, fällt erst dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Methode positiv bewertet hat. Der G-BA hat am 16. Juni 2016 zwar die kontinuierliche Glukosemessung im Unterhautfettgewebe in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen, jedoch mit bestimmten qualitätssichernden Vorgaben verbunden. U.a. hat er die Festlegung getroffen , dass die einsetzbaren Messgeräte als rtCGM (real time Continous Glucose Monitoring) zugelassen sein und über eine Alarmfunktion mit individuell einstellbaren Glukosegrenzwerten verfügen müssen. Sofern ein Gerät verordnet wird, dass diesen Bedingungen genügt, werden die Aufwendungen dafür grundsätzlich auch als beihilfefähig anerkannt. Das FreeStyle Libre verfügt jedoch nicht über eine Alarmfunktion und genügt damit den Bedingungen des G-BA nicht. Eingegangen am 12. September 2016 · Bearbeitet am 12. September 2016 · Ausgegeben am 14. September 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3675 12. 09. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3675 Die AOK-Die Gesundheitskasse in Hessen, die als größte landesunmittelbare Krankenkasse vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration um Stellungnahme gebeten worden ist, führt in ihrer Antwort hierzu aus, dass es sich bei dem Messverfahren mit FreeStyle Libre der Firma Abbott (FGM = Flash Glucose Monitoring) um ein Verfahren zur Messung des Gewebezuckerwertes mittels subkutan sitzendem Sensor und Ablesegerät handle, der Messwert müsse regelmäßig aktiv abgelesen werden. Das FreeStyle Libre besitze im Gegensatz zum sogenannten Continous Glucose Monitoring (CGM) jedoch keine Alarmfunktion bei kritischen Zuckerwerten . Dadurch bestehe die Gefahr, dass Unter- oder Überzuckerungen nicht zeitnah erkannt werden könnten. Studien zum Vorgängermodell hätten in der Folge vor möglichen Fehlmessungen gewarnt, aktuelle Studien zur Wirksamkeit des neuesten FreeStyle Libre-Gerätes seien zwar abgeschlossen aber noch nicht vollständig veröffentlicht worden. Das Gerät besitze aktuell keine Zulassung in der vertragsärztlichen Versorgung. Die klassische Blutzuckermessung sei bis heute aus medizinischer Sicht nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung - MDK Hessen - sowie des hessischen Diabetologenverbandes die zuverlässigste Methode zur Überwachung eines Diabetes mellitus. Derzeit erstatten einige gesetzliche Krankenkassen jedoch auch den Aufwand für das FreeStyle Libre-Verfahren als freiwillige Leistung. Die AOK Hessen hat bisher die Kosten für die Nutzung eines FreeStyle Libre grundsätzlich nicht übernommen. Lediglich in medizinischen Einzelfällen, in denen das klassische Blutzucker- Messverfahren nicht oder nur unzureichend anwendbar ist, ist eine Kostenübernahme als mögliche Alternative bzw. Unterstützung der Diabetestherapie erfolgt. Die AOK-Gemeinschaft prüft nach Aussage der AOK Hessen derzeit auf Bundesebene, ob aktuelle valide Erkenntnisse zur Wirksamkeit vorliegen und eine perspektivische Kostenübernahme für bestimmte Indikationen in Frage kommt. Die Darstellung des o.g. Blutzuckermessverfahrens als "sehr viel günstiger als bisherige Testverfahren " ist ebenfalls nicht zutreffend. Eine so allgemein formulierte Aussage zum Kostenvergleich greift deutlich zu kurz. Für einen fundierten und konkreten Kostenvergleich kommt es vielmehr auf das individuelle Krankheitsbild der Patientin oder des Patienten und dem damit verbundenen Verbrauch an Blutzuckerteststreifen an. Mit der herkömmlichen Kontrollmethode der Blutzuckermessung werden Lanzetten und Blutzuckerteststreifen benötigt. Im Gegensatz dazu fallen für das FreeStyle Libre-System neben den Anschaffungskosten für das Messgerät auch regelmäßig Unterhaltskosten für Sensorteststreifen (14-tägig) an. Die Wirtschaftlichkeit dieses Systems kann daher eher nur für Personen gegeben sein, die sonst einen sehr hohen Bedarf an Blutzuckerteststreifen haben, weil sie ihren Blutzuckerspiegel sehr häufig kontrollieren müssen. Frage 3. Plant die Landesregierung die hessische Beihilfeverordnung so zu verändern, damit auch Beihilfeberechtigte in Hessen die Kosten dieses neuen Verfahrens abrechnen können? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt? Wenn nein, warum nicht? Frage 4. Warum ist eine Anpassung der Hessischen Beihilfeverordnung in dieser Hinsicht bisher unterblieben ? Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam wie folgt beantwortet : Eine förmliche Anpassung der Hessischen Beihilfenverordnung (HBeihVO) ist nicht erforderlich . Nach § 5 Abs. 1 S. 1 HBeihVO sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. § 6 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. der Anlage 3 HBeihVO konkretisiert diese Regelung weiter, danach zählen die Aufwendungen für ärztlich schriftlich verordnete Hilfsmittel zu den dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen bei Krankheit. Sofern ein Blutzuckermessgerät verordnet wird, dass den Bedingungen des G-BA genügt, sind die Aufwendungen dafür beihilfefähig. Das FreeStyle Libre genügt diesen Bedingungen jedoch - wie bereits in der Antwort zu Frage 2 ausgeführt - nicht. Soweit ein solches Gerät mit Blutzuckermessung im Unterhautfettgewebe ohne Alarmierungsfunktion verordnet wird, sind die medizinische Notwendigkeit bzw. die wirtschaftliche Angemessenheit im Vergleich zu konventionellen Blutzuckermessgeräten bei der Beurteilung der Beihilfefähigkeit dieser Aufwendungen daher jeweils im Einzelfall nach § 5 Abs. 1 S. 1 HBeih- VO zu prüfen. Wiesbaden, 29. August 2016 Peter Beuth