Kleine Anfrage der Abg. Beer (FDP) vom 06.05.2014 betreffend Belastungen hessischer Bürgerinnen und Bürger durch die Rentenreform 2014 - II und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Das Rentenpaket der Bundesregierung, das am 1. Juli 2014 in Kraft treten soll, wird bis zum Jahr 2020 etwa 60 Mrd. €, bis 2030 etwa 160 Mrd. an Kosten verursachen und dabei nur wenige besser stellen. Eine Bertelsmann Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die geplante Rentenreform insbesondere Mütter, Väter und Kinder massiv belastet (Autor der Studie, Martin Werding, Bochumer Ökonom und Berater der Bundesregierung , "Wirtschaftswoche", 17.01.2014). Finanziert wird das Rentenpaket zum einen von den Rentnern selbst, indem ihre künftigen jährlichen Rentenerhöhungen niedriger ausfallen werden und damit das Sicherungsniveau von derzeit 44,4 % unter das gesetzlich garantierte Niveau von 43 % im Jahr 2030 sinken wird (Max-Planck-Institut für Sozialrecht). Die abschlagsfreie Rente mit 63 betrifft aber nur die Jahrgänge vor 1953. Für die Jahrgänge ab 1953 steigt die Altersgrenze wieder pro Jahr um zwei Monate, so dass die Jahrgänge ab 1964 davon überhaupt nicht mehr betroffen sind und wie bisher auch mit 65 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen können. Zum anderen wird das Rentenpaket von den Arbeitnehmern über künftige Rentenbeitragserhöhungen finanziert und darüber hinaus voraussichtlich auch durch die Bundesagentur für Arbeit über Mitnahmeeffekte, da Arbeitslosigkeit vor Renteneintritt unschädlich bleiben soll. Die Mütterrente, die den größten finanziellen Anteil am Rentenpaket beansprucht, erhöht die Rente um einen Prozentpunkt für jedes vor 1992 geborenen Kind um 28 € in Westdeutschland und 26 € in Ostdeutschland . Da die Grundsicherung grundsätzlich mit den Renteneinnahmen verrechnet wird, werden lediglich Frauen mit Renten oberhalb des Grundsicherungsniveaus davon profitieren. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden gab an, dass 293.000 Frauen in Deutschland im Alter von über 65 Jahren auf staatliche Leistungen ergänzend angewiesen sind. Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. In welcher Höhe wird sich voraussichtlich die Erhöhung der Mütterrente auf die Reduzierung der Grundsicherungsleistungen hessenweit auswirken? Frage 2. Wie viele Rentenbezieher werden mit dem Stichtag 1. Juli 2014 aufgrund der Rentenreform frei von ergänzenden Grundsicherungsleistungen? Die Fragen 1 und 2 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Daten zu den neben der Rente bezogenen ergänzenden Grundsicherungsleistungen liegen nicht vor. Aus einer "niedrigen" gesetzlichen Rente kann nicht abgeleitet werden, ob ein Anspruch auf einen ergänzenden Grundsicherungsbezug vorliegt, da weitere Alterseinkommen - auch im Haushaltszusammenhang - nicht bekannt sind. Frage 3. Wie schätzt die Landesregierung die Gefahr einer Frühverrentungswelle in den nächsten Jahren ein? Mit den Änderungen der Rentenreform wird eine Möglichkeit geschaffen, dass bestimmte Personenkreise nicht früher, sondern nur zu besseren Konditionen - nämlich abschlagsfrei - die Rente in Anspruch nehmen können. Arbeitsmarktpolitisch betrachtet ist die Frage des abschlagfreien Rentenbeginns von zwei Standpunkten zu bewerten. Einerseits gilt es durchaus, die Lebensleistung der betroffenen Personen, die 45 Beitragsjahre erwirtschaftet haben, zu würdigen. Andererseits darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels aufgrund des demografischen Wandels alles unternommen werden muss, Mitarbeiter so lange als möglich in Arbeit zu halten. Eingegangen am 16. Juli 2014 · Ausgegeben am 18. Juli 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/368 16. 07. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/368 In Hessen sind zum Stichtag 30. Juni 2013 130.971 Personen im Alter ab 60 Jahren erwerbstätig gewesen (Quelle: Statistisches Landesamt), im gleichen Zeitraum waren 56.573 über 50 Jahre arbeitslos gemeldet. 2.291.732 Personen waren in Hessen sozialversicherungspflichtig beschäftigt (Quelle: Statistik der BA). Nach fachlicher Bewertung dieser Zahlen wird die Gefahr einer Frühverrentungswelle in Hessen als nur gering eingeschätzt, zumal zu bedenken ist, dass nicht zwingend alle der über 60 Jahre alten Beschäftigten die Anspruchsvoraussetzungen für einen abschlagsfreien Rentenbeginn ab 63 erfüllen. Auch werden, anders als im ursprünglichen Gesetzesentwurf vorgesehen, die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I nicht berücksichtigt, die unmittelbar in den zwei Jahren vor dem Renteneintritt liegen (rollierender Stichtag). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Grund der Arbeitslosigkeit eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers ist. Frage 4. Wie schätzt die Landesregierung die Auswirkungen der Rentenreform auf den hessischen Arbeitsmarkt im Hinblick auf den Fachkräftemangel ein? Zu vermeiden ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die die Anspruchsvoraussetzungen auf die Rente mit 63 grundsätzlich erfüllen, nicht in die Frühverrentung gedrängt werden. Vielmehr ist durch gute Rahmenbedingungen Sorge dafür zu tragen, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so lange als möglich in den Betrieben verbleiben. Das Gesamtkonzept Fachkräftesicherung der Hessischen Landesregierung bietet im Handlungsfeld 2 hier sehr gute Ansätze, die sich bereits in der Umsetzung befinden. Des Weiteren wird durch die Einführung des rollierenden Stichtags (siehe Frage 3) die Wahrscheinlichkeit einer Frühverrentungswelle deutlich reduziert. Frage 5. Wie beurteilt die Landesregierung das Ergebnis der Studie der Bertelsmann-Stiftung, nach der auch die Mütterrente nichts daran ändert, dass die Belastung von Familien in der Rentensystematik immer noch zu wenig berücksichtigt wird? In der gesetzlichen Rentenversicherung gab es in den letzten Jahren erhebliche Verbesserungen auf der Leistungsseite, u.a. die verbesserte Anrechnung der Kinderberücksichtigungszeiten sowie die Bewertung der Kindererziehungszeiten. Dennoch ist die Belastung von Familien ein gesamtgesellschaftliches Problem und sollte nicht alleine zu Lasten der Beitragszahlenden in der gesetzlichen Rentenversicherung gehen. Wiesbaden, 16. Juni 2014 Stefan Grüttner