Kleine Anfrage des Abg. Lenders (FDP) vom 08.08.2016 betreffend rechtliche Grundlagen zur Beseitigung von Ambrosia und anderen Neophyten und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung des Fragestellers: Hessische Städte und Gemeinden sind zunehmend mit der Problematik konfrontiert, die durch invasive Pflanzen entstehen. Gerade wenn die Pflanzen auf privaten Grundstücken stehen, lässt sich eine Beseitigung oft nur sehr schwer erreichen, wenn der Grundstückeigentümer nicht kooperiert. Eine Ersatzvornahme durch die Kommune birgt dabei die Unsicherheit, dass die Stadt auf den Kosten sitzen bleibt, weil die Gefährdung nicht immer direkt nachweisbar ist. Zumal bei Ambrosiavorkommen, die im Verdacht steht, heftige Allergien bis hin zu Asthma auszulösen. Die Ministerin hatte im Rahmen der Fragestunde im November 2014 angekündigt, dass die Bekämpfung zur Gesundheits- und Gefahrenabwehr in einer Strategie zusammengeführt werden soll. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Der Fragesteller bezieht sich auf die Beantwortung der mündlichen Frage 146 der Abgeordneten Löber in der 27. Sitzung durch die Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 25. November 2014. Am 1. Januar 2015 ist die Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten (nachfolgend "EU-VO") in Kraft getreten. Im Mittelpunkt der EU-VO steht eine Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung (Unionsliste), für die Maßnahmen zum zukünftigen Umgang (Prävention, Früherkennung und rasche Reaktion, Kontrolle) festgelegt werden. Die EU-Kommission hat am 14. Juli 2016 die erste Unionsliste veröffentlicht, sie ist am 3. August 2016 in Kraft treten. Die Liste umfasst 37 Tier- und Pflanzenarten , die die europäische Artenvielfalt und Biodiversität bedrohen ("gelistete Arten"). Die EU-VO ist - anders als z.B. eine Richtlinie - mit Bekanntgabe der Artenliste unmittelbar vollziehbar . Die Bundesregierung beabsichtigt, hierzu ein Komplementärgesetz zu erarbeiten, das den Vollzug nach nationalem Recht konkretisiert und insbesondere Rechte und Pflichten der Betroffenen und die Befugnisse der Behörden klarstellt. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz (HAGBNatSchG) ist in Hessen auch ohne eine solche Regelung die jeweilige obere Naturschutzbehörde zuständig für den Vollzug des Artenschutzrechts, soweit Maßnahmen und Handlungen nach Rechtsakten des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder nach internationalen Verträgen erforderlich sind und in die Zuständigkeit des Landes fallen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration wie folgt: Frage 1. Wie weit ist die von der Landesregierung angekündigte Strategie gediehen? Die Arbeiten auf Landesebene für eine Strategie zur Behandlung invasiver Arten in Hessen wurden zurückgestellt aufgrund der oben geschilderten Aktivitäten auf EU- und Bundesebene. Der Vollzug der umzusetzenden EU-Verordnung hat Vorrang gegenüber weiteren Landeskonzepten zur Behandlung invasiver Arten. Nach Art. 13 der EU-VO führen die Mitgliedstaaten innerhalb von 18 Monaten nach der Annahme der Unionsliste eine umfassende Untersuchung der Pfade der nicht vorsätzlichen Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten durch und ermitteln diejenigen Pfade, die aufgrund des Artenvolumens oder aufgrund des Eingegangen am 23. September 2016 · Ausgegeben am 28. September 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3690 23. 09. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3690 potenziellen Schadens, den die über diese Pfade in die Union gelangenden Arten verursachen, prioritäre Maßnahmen erfordern (im Folgenden "prioritäre Pfade"). Jeder Mitgliedstaat erstellt und implementiert ferner innerhalb von drei Jahren nach der Annahme der Unionsliste Aktionspläne für die von ihm ermittelten prioritären Pfade. Die Aktionspläne enthalten Zeitpläne für die Maßnahmen und eine Beschreibung der zu treffenden Maßnahmen. Zwischen Bund und Ländern werden derzeit geeignete Maßnahmen abgestimmt. Eine Weiterführung der geplanten landesweiten Strategie ohne Berücksichtigung der EU- Regelungen wäre nicht zielführend. Die konkreten Bedingungen der EU-VO, nämlich die Unionsliste der betroffenen Arten, waren lange umstritten und wurden erst im August 2016 in Kraft gesetzt. Rechtsrahmen, Zuständigkeiten und Maßnahmen können jetzt entwickelt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass hierfür grundsätzlich eine Bundeszuständigkeit im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 Abs.1 GG gegeben ist. Wann der Bund einen entsprechenden Vorschlag vorlegen wird, bleibt abzuwarten. Zu der Art "Ambrosia" (Beifußblättriges Traubenkraut, Ambrosia artemisiifolia) ist festzustellen , dass sie auf der aktuellen Unionsliste nicht enthalten ist. Sie stellt auch weiterhin kein grundsätzliches Problem für die biologische Vielfalt im naturschutzrechtlichen Sinne dar. Die Pollen der Ambrosia stellen eine erhöhte Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung dar. Obwohl in Zusammenhang mit der Verbreitung der Ambrosia in Hessen keine abschließenden Aussagen über das sich daraus ergebende gesundheitliche Risiko gesichert getroffen werden können, muss bei einer zunehmenden Verbreitung der Pflanze auch ein zunehmendes Gesundheitsrisiko befürchtet werden. Aus gesundheitlichen Vorsorgegründen muss eine weitere Ausbreitung der Pflanze sowie der Samen unterbunden werden. Bislang ist in Hessen eine rechtliche Regelung zur nachhaltigen Bekämpfung aus gesundheitlichen Vorsorgegründen dieser invasiven Pflanzenart nicht vorhanden. Zukünftig sind Maßnahmen der Primärprävention zu ergreifen, d.h. im Wesentlichen solche, die zum Ziel haben, durch geeignete und im Aufwand vertretbare Bekämpfungsmaßnahmen eine weitere Ausbreitung der Pflanze, eine Verschleppung der Samen zu unterbinden sowie bestehende Pflanzenbestände zu beseitigen Frage 2. Was rät die Landesregierung einer Kommune, die mit Ambrosiavorkommen auf privaten Flächen konfrontiert ist? Sofern im konkreten Einzelfall eine ausreichend konkrete Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vorläge, hätte die jeweilige Stadt oder Gemeinde Handlungsoptionen über die Befugnisse zur allgemeinen Gefahrenabwehr. Ein allgemeines Gefährdungspotenzial für die Öffentlichkeit reicht jedoch ggf. nicht aus, Beseitigungspflichten privater Dritter abzuleiten. Es gibt auch andere gefährliche Pflanzen, wie z.B. Tollkirsche oder Eibe, oder andere, potenziell allergieauslösende Pflanzen (z.B. Roggen), bei denen sich eine Behandlung im Rahmen der Gefahrenabwehr nicht aufdrängt. Allein die Existenz einer Art mit einer der Eigenschaften "invasiv", "gebietsfremd ", "gefährlich" oder "schädlich" reicht also noch nicht aus, um eine Beseitigung von Arten auf Privatgrundstücken zu rechtfertigen. Bei Arten der Unionsliste ist dies anders. Hier sind die Behörden grundsätzlich gehalten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen (Art. 7 Abs. 2 EU-VO). Das vom Bund beabsichtigte Komplementärgesetz will dazu die Befugnisse und Möglichkeiten der zuständigen Behörden konkretisieren. Bei Vorkommen der in der aktuellen Unionsliste nicht genannten Ambrosia auf privaten Flächen sollten daher zunächst nur eine Gefahreneinschätzung und eine informelle Abstimmung über freiwillige Maßnahmen zwischen der Gefahrenabwehrbehörde und dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten als Zustandsstörer erfolgen. Erst wenn sich die von der Ambrosia ausgehende Gefahr so weit verdichtet, dass aufgrund der Expositionssituation eine Gesundheitsgefahr (allergische Reaktion und Asthma auslösend) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht mehr ausgeschlossen werden kann, kann deren Ausbreitung von der Kommune mit den ihr zur Verfügung stehenden, verwaltungsrechtlichen Mitteln verhindert werden. Frage 3. Plant die Landesregierung, eine rechtliche Grundlage für Kommunen zu schaffen, um die Beseitigung invasiver Arten zu erleichtern? Die Umsetzung der EU-VO hat für das Land - auch angesichts der Vorgaben in Art. 13 EU-VO - zunächst Priorität. Die dafür notwendigen rechtlichen Grundlagen, z.B. für Ersatzvornahme und die Erleichterung der Beseitigung invasiver Arten, sollten auf Bundesebene im Rahmen der bestehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes geregelt werden. Ein entsprechender Rohentwurf wurde inzwischen erarbeitet. Nach aktuellem Kenntnisstand ist jedoch noch nicht abzusehen , wann ein Entwurf für ein Komplementärgesetz zur Anpassung des BNatSchG einem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugeführt wird. Gleichwohl müssen die Länder innerhalb der in der EU-VO genannten Fristen handlungsfähig werden. Sollte in den nächsten Monaten erkennbar werden, dass der Bund keine unmittelbar geltende Regelung schafft, müssen die Länder - neben der Bestimmung von Zuständigkeiten - die für einen effektiven Vollzug erforderlichen gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung normie- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3690 3 ren. Zu diesem Regelungsbereich könnten auch Zugriffsrechte und Anordnungsbefugnisse der Behörden sowie Handlungs- oder Duldungspflichten von Grundstückseigentümern und weiteren Nutzungsberechtigten gehören. Bereits jetzt kann nach § 40 Abs. 6 BNatSchG die zuständige Naturschutzbehörde anordnen, dass ungenehmigt ausgebrachte Tiere und Pflanzen oder sich unbeabsichtigt in der freien Natur ausbreitende Pflanzen sowie dorthin entkommene Tiere beseitigt werden, soweit es zur Abwehr einer Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten erforderlich ist. Als belastender Verwaltungsakt ist eine solche Anordnung hinreichend zu begründen. Sie kann grundsätzlich nach dem Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz (HVwVG) auch im Wege der Ersatzvornahme durchgesetzt werden. Frage 4. Wenn ja, welchen Inhalt hätte eine solche Regelung im Hinblick auf die Beseitigung invasiver Arten auf Privatgrundstücken? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. Weitergehende Konkretisierungen sind jetzt nicht möglich. Frage 5. Wer trägt die Kosten für eine Beseitigung bzw. einer möglichen Ersatzvornahme? Dies ist eine Frage des Einzelfalls und der jeweils maßgeblichen Vorschriften. Die Beseitigung einer unmittelbaren, konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann einem Grundstückseigentümer als Zustandsstörer in bestimmten Fällen im Rahmen der Inhaltsbestimmung des Eigentums entschädigungslos aufgegeben werden. Hierfür bedarf es regelmäßig einer gesetzlichen Grundlage (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Handelt es sich um Fälle der allgemeinen Gefahrenabwehr, sind die Regelungen des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) anzuwenden. Nach § 11 HSOG können Kommunen Verwaltungsakte und Allgemeinverfügungen erlassen, die ihrerseits Regelungen zur Kostenpflichtigkeit von Ersatzvornahmen beinhalten. Eine unmittelbare (Gesundheits-)Gefahr im Sinne des HSOG könnte z.B. von Beständen der Herkulesstaude (Riesen-Bärenklau, Heracleum mantegazzianum) innerhalb der Ortslage in unmittelbarer Nähe zu Spielplätzen, Schulen oder Kindertagestätten ausgehen. Ist eine naturschutzrechtliche Anordnung nach § 40 Abs. 6 BNatSchG erfolgt und befolgt der Adressat der Anordnung diese nicht, steht der Naturschutzbehörde grundsätzlich der Weg der Ersatzvornahme nach § 74 HVwVG offen. Frage 6. Welche rechtlichen Voraussetzungen sieht die Landesregierung als notwendig an, um die Kosten für die Ersatzvornahme an den Privateigentümer zu übertragen? Für Maßnahmen im Regelungsbereich des HSOG ist die Ersatzvornahme in § 49 HSOG geregelt . Zu den Fällen des § 40 Abs. 6 BNatSchG ist die Ersatzvornahme in § 74 HVwVG geregelt. Für darüber hinausgehende Regelungen besteht zzt. keine Notwendigkeit. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Wiesbaden, 13. September 2016 Priska Hinz