Kleine Anfrage des Abg. Degen (SPD) vom 09.08.2016 betreffend Erkenntnisse des gemeinsam von Bund und Ländern in Auftrag gegebenen Berichts "Bildung in Deutschland 2016" für Hessen und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: Es wird um eine möglichst knappe Beantwortung der jeweiligen Einzelfragen aufgrund der jeweiligen empirischen Erkenntnisse gebeten. Vorbemerkung des Kultusministers: Der Bericht "Bildung in Deutschland 2016" ist veröffentlicht, frei zugänglich und für alle Bürgerinnen und Bürger einsehbar. Im Rahmen der Kleinen Anfrage werden die zu den aufgeworfenen Fragen entsprechenden Abschnitte des Berichts wiedergegeben. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich im Einvernehmen mit dem Hessischen Minister für Finanzen und dem Hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Aussagen werden im Bildungsbericht zur Pluralität schulischer Organisationsformen in Hessen getroffen? Der Bildungsbericht führt hierzu aus: "In Hessen sind … die Schularten mit 3 Bildungsgängen häufiger vertreten als jene ohne Gymnasialbildungsgang . Am vielfältigsten sind die Schulstrukturen in den Ländern, in denen Schularten mit mehreren Bildungsgängen das fortbestehende Angebot an Realschulen (Baden- Württemberg) bzw. Haupt- und Realschulen ergänzen. Insgesamt wurden damit inzwischen in allen Ländern Möglichkeiten geschaffen oder ausgebaut, an einem Schulstandort unterschiedliche Abschlusswege einzuschlagen und den Schülerinnen und Schülern möglichst lange die Entscheidung über ein bestimmtes Zertifikat offenzuhalten." (S.74) Im Übrigen verweise ich auf die Seiten 72 bis 76 des Bildungsberichts. Tabelle D1–4A weist zudem die Anteile von Sekundarschulen mit weiterführenden Bildungsgängen aus. Frage 2. Welchen Zusammenhang stellt die Autorengruppe zwischen dem Abmindern sozialer Disparitäten und der gestiegenen Teilnahme von Jugendlichen mit niedrigem sozioökonomischem Status an integrierten Bildungsgängen fest? Der Bildungsbericht führt hierzu aus: "Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die kombinierte Schularten mit mehr als einem Bildungsgang besuchen, hat sich seit 2006 von 700.000 auf 1,1 Millionen erhöht. Der Großteil wird nicht in getrennten Haupt-, Realschul- oder Gymnasialklassen, sondern in integrierter Form unterrichtet. Vor allem Jugendlichen mit niedrigem sozialem Status stehen dadurch mehr direkte Abschlussoptionen an einer Schulart offen. Die Schulen mit mehreren Bildungsgängen bzw. Gesamtschulen machen zudem am häufigsten Ganztagsschulangebote und weisen höhere Integrationsanteile von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf als andere Schularten ." (S.7) "Im Jahr 2012 besuchten Jugendliche mit einem niedrigen sozioökonomischen Status zumeist den Realschulbildungsgang (30 %) oder eine Schule der integrierten Form (27 %); Jugendliche Eingegangen am 12. Oktober 2016 · Bearbeitet am 13. Oktober 2016 · Ausgegeben am 18. Oktober 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3693 12. 10. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3693 mit hohem sozioökonomischem Status befanden sich überwiegend im Gymnasialbildungsgang (69 %). Die insgesamt gestiegene Teilnahme an integrierten Bildungsgängen geht vor allem auf Jugendliche mit niedrigem sozioökonomischem Status zurück (Abb. D2-6A). Ihnen stehen damit inzwischen mehr Abschlussoptionen offen als noch im Jahr 2000, wenngleich sie trotzdem noch die größten Anteile in Hauptschulklassen aufweisen. Bisher wenig ist darüber bekannt, ob und in welchem Umfang die Verschlankung der Schulstruktur im Sekundarschulbereich I zu einem Rückgang sozialer Disparitäten beim Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung führt." (S.79) "Soziale Disparitäten des Bildungserwerbs sind insgesamt weiterhin stark ausgeprägt. Insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien haben aufgrund der schulstrukturellen Entwicklungen und ihrer besonders starken Beteiligung an integrierten Bildungsgängen mehr Abschlussoptionen als früher. Inwiefern diese Optionen tatsächlich eingelöst werden, lässt sich bislang nicht beantworten." (S. 100) Frage 3. Wird von der Autorengruppe ein Einfluss der Expansion der Gymnasialbeteiligung auf die Leistungsstandards dieser Schulform festgestellt? Der Bildungsbericht führt hierzu aus: "Insgesamt scheint der Trend zu höher qualifizierenden Bildungsgängen - insbesondere die Expansion der Gymnasialbeteiligung - (…) nicht zu einer Entkopplung von Schulnoten und tatsächlichem Kompetenzniveau geführt zu haben. Durch die steigende Schülerzahl an Gymnasien sind dort die Leistungsstandards demnach nicht gesunken. Allerdings zeigt sich auch keine Verbesserung , wie es bei den übrigen Bildungsgängen der Fall ist." (S. 94) Frage 4. Welche Aussagen werden zum Zusammenhang der Segregation von frühkindlichen Einrichtungen und Schulen nach Leistungsniveau einerseits und dem Bildungshintergrund der Eltern andererseits getroffen? Der Bildungsbericht führt hierzu aus: "Die Lern-Umwelten von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden sich bereits vor dem Eintritt in das Schulsystem zum Nachteil der Kinder mit Migrationshintergrund: Sie sind häufiger von Risikolagen betroffen, ihre Eltern haben geringere Bildungsabschlüsse, bei ihnen wird häufiger ein Sprachförderbedarf diagnostiziert, und ihre Wortschatzkompetenzen sind niedriger als die der Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund. Hinzu tritt die bereits eingangs erwähnte Segregation der Schulen nach Leistungsniveau und nach Bildungshintergrund der Eltern: Beides kann sich negativ auf die Entwicklung von Kompetenzen auswirken, und bereits in der Grundschule können rund 3mal so viele Kinder mit Migrationshintergrund ihre Kompetenzen nur in ungünstigen Lern-Umwelten entwickeln: Im Jahr 2011 lernten 16 % der Kinder mit und 5 % der Kinder ohne Migrationshintergrund das Fach Deutsch in Klassen, in denen die Mehrheit der Kinder bei IGLU 2011 nur die Kompetenzstufe I oder II erreichte." Frage 5. Lernen demnach in Hessen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger in nachteiligen Lern-Umwelten? Der Bildungsbericht führt hierzu aus: "Über ein Drittel der Kinder mit nicht-deutscher Familiensprache besucht Kindertageseinrichtungen , in denen die Mehrheit der Kinder zu Hause ebenfalls wenig Deutsch spricht. Vor allem in Ballungszentren wie Berlin, Frankfurt am Main, München, Dortmund und Stuttgart betrifft dies mehr als die Hälfte der Kinder mit nicht deutscher Familiensprache." (S. 10) "Diese Größenordnungen [der Anteile von Kindern, die zu Hause eine andere Sprache als Deutsch sprechen] stellen sich in den Ländern und auf der Ebene der Jugendamtsbezirke sehr unterschiedlich dar (Abb. H1-4). Während Berlin und beispielsweise in verstädterten Regionen in Hessen und Nordrhein-Westfalen über 75 % der 4- und 5-Jährigen mit Migrationshintergrund in der Regel zu Hause kein Deutsch sprechen, weisen vor allem ländliche Gebiete unterdurchschnittliche Anteile auf." (S. 166). Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Frage 6. Lassen sich für Hessen Rückschlüsse aus dem von der Autorengruppe berechneten zusätzlichen Personal- und Finanzierungsbedarf für zugewanderte schutz- und asylsuchende junge Menschen ziehen? Im Rahmen der Haushaltsaufstellung 2016 und 2017 wurde aufgrund des für Hessen geschätzten flüchtlingsbezogenen Lehrerbedarfs bereits Vorsorge getroffen, insbesondere wurden in den beiden Haushaltsjahren 2016/2017 ca. 1.900 Stellen hierfür geschaffen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3693 3 Für die berufliche Integration junger Flüchtlinge wurde im Rahmen des "Hessischen Aktionsplans zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts" zusätzlicher Finanzierungsbedarf berücksichtigt. Folgende Mittel wurden im Haushalt zusätzlich für die Fördermodule des Programms "Wirtschaft integriert" bereitgestellt: 6 Mio. € im Jahr 2016, 4 Mio. € im Jahr 2017 und 1 Mio. € im Jahr 2018. Eine weitere Mittelbereitstellung für die Jahre 2017 ff. in Höhe von 11 Mio. € ist im Haushaltsentwurf 2017 enthalten. Frage 7. Welche Aussagen werden zur Entwicklung der hessischen Inklusionsquote im Bundesländervergleich getroffen? Der Bildungsbericht führt hierzu aus: (Es) "werden (…) immer mehr Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf an sonstigen allgemeinen Schulen inklusiv beschult: In allen Ländern hat sich dieser Anteil in den letzten 2 Jahren weiter erhöht." (S. 81) Der Tabellenteil des Bildungsberichts auf der Internetseite www.bildungsbericht.de enthält Zahlen im Ländervergleich: Land Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf Insgesamt Davon Anteil in sonstigen allgemeinbildenden Schulen Insgesamt (Förderquote ) Davon Förderschule Sonstige allgemeinbildende Schule Förderschule (Förderschulbesuchs - quote) Sonstige allgemeinbildende Schule Anzahl in % 1) in % 2) Schuljahr 2012/13 D 494.744 355.139 139.605 28,2 6,6 4,7 1,9 BW 72.623 52.475 20.148 27,7 7,0 5,0 1,9 BY 73.439 55.242 18.197 24,8 6,2 4,6 1,5 BE 20.768 10.265 10.503 50,6 7,5 3,7 3,8 BB 16.188 9.387 6.801 42,0 8,0 4,7 3,4 HB 3.326 1.228 2.098 63,1 6,1 2,3 3,9 HH 12.020 5.533 6.487 54,0 8,3 3,8 4,5 HE 31.075 24.696 6.379 20,5 5,6 4,5 1,2 MV 12.680 8.655 4.025 31,7 10,1 6,9 3,2 NI 39.028 33.294 5.734 14,7 5,0 4,3 0,7 NW 118.614 90.211 28.403 23,9 6,8 5,2 1,6 RP 19.677 14.777 4.900 24,9 5,1 3,9 1,3 SL 6.504 3.714 2.790 42,9 7,9 4,5 3,4 SN 25.665 18.948 6.717 26,2 8,5 6,3 2,2 ST 15.374 11.663 3.711 24,1 9,4 7,1 2,3 SH 16.443 6.981 9.462 57,5 5,9 2,5 3,4 TH 11.320 8.070 3.250 28,7 7,0 5,0 2,0 Schuljahr 2014/15 D 508.386 334.994 173.392 34,1 7,0 4,6 2,4 BW 74.009 52.492 21.517 29,1 7,3 5,2 2,1 BY 74.077 54.235 19.842 26,8 6,4 4,7 1,7 BE 21.120 8.993 12.127 57,4 7,5 3,2 4,3 BB 16.001 8.767 7.234 45,2 7,7 4,2 3,5 HB 3.470 796 2.674 77,1 6,5 1,5 5,0 HH 12.261 4.957 7.304 59,6 8,3 3,4 5,0 HE 31.215 24.015 7.200 23,1 5,7 4,4 1,3 MV 13.695 8.503 5.192 37,9 10,6 6,6 4,0 NI 42.663 29.257 13.406 31,4 5,7 3,9 1,8 NW 123.440 82.273 41.167 33,3 7,4 4,9 2,5 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3693 RP 20.620 14.614 6.006 29,1 5,6 4,0 1,6 SL 6.516 3.525 2.991 45,9 8,3 4,5 3,8 SN 26.878 18.707 8.171 30,4 8,6 6,0 2,6 ST 15.259 10.619 4.640 30,4 9,2 6,4 2,8 SH 16.212 5.932 10.280 63,4 6,2 2,3 4,0 TH 10.950 7.309 3.641 33,3 6,6 4,4 2,2 1) Anteil an allen Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf. 2) Anteil an allen Schülerinnen und Schülern mit Vollzeitschulpflicht (1. bis 10. Jahrgangsstufe und Förderschulen). Quelle: Sekretariat der KMK (2016), Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2004 bis 2014 Frage 8. Wie ist Hessen im Bundesländervergleich in Bezug auf die Teilnahmequote von Schülerinnen und Schülern in gebundenen Ganztagsschulen einzusortieren? Der Bildungsbericht macht hierzu keine textlichen Ausführungen, enthält im Tabellenteil jedoch entsprechende Zahlen (Seite 262): Tab. D3-1A: Ganztagsschulen* im Primar- und Sekundarbereich I und Schülerinnen und Schüler in öffentlicher und freier Trägerschaft 2014 nach Ländern Land Schulen Schülerinnen und Schüler Davon Gebundener Ganztagsbetrieb Offener Ganztagsbetrieb Anzahl in % Anzahl in % Anzahl in % Anzahl in % D 16.488 59,5 2.717.397 37,7 1.266.124 17,6 1.451.273 20,2 BW 1.455 35,8 216.424 21,4 123.829 12,2 92.595 9,1 BY 2.230 49,3 173.083 15,0 87.302 7,6 85.781 7,4 BE 650 85,6 180.629 64,2 87.552 31,1 93.077 33,1 BB 484 57,9 94.266 47,8 29.490 15,0 64.776 32,9 HB 81 45,5 19.033 35,4 16.512 30,7 2.521 4,7 HH 379 93,3 129.700 88,3 47.087 32,1 82.613 56,2 HE 1) 958 56,8 230.152 45,4 19.085 3,8 211.067 41,6 MV 1) 240 42,3 52.632 42,4 35.553 28,6 17.079 13,8 NI 1) 1.647 59,8 329.702 46,5 116.607 16,4 213.095 30,0 NW 4.143 73,0 738.363 44,0 477.403 28,5 260.960 15,6 RP 1.055 70,1 95.244 26,0 81.127 22,1 14.117 3,8 SL 290 95,1 22.562 28,6 5.432 6,9 17.130 21,7 SN 1.438 97,4 247.242 79,3 89.929 28,9 157.313 50,5 ST 1) 221 28,3 37.264 24,3 13.158 8,6 24.106 15,8 SH 519 60,6 66.520 25,6 13.710 5,3 52.810 20,4 TH 698 77,2 84.581 51,3 22.348 13,5 62.233 37,7 * Ganztagsschulen werden in dieser Darstellung als sogenannte Verwaltungseinheiten erfasst. Schulzentren, an denen mehrere Schularten vorgehalten werden, werden so nur einmal als Ganztagsschule ausgewiesen, um Mehrfachzählungen von Schulstandorten zu vermeiden. 1) Für Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt beziehen sich die Angaben ausschließlich auf Schulen in öffentlicher Trägerschaft , da keine Daten zu Schulen in freier Trägerschaft vorliegen. Für Mecklenburg-Vorpommern beziehen sich die Angaben zu Schulen in freier Trägerschaft auf das Jahr 2013. Quelle: Sekretariat der KMK (2016), Allgemeinbildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern in der Bundesrepublik Frage 9. Wie stellt sich die Besuchsquote von Fortbildungen durch Lehrkräfte im Bundesländervergleich dar? Der Bildungsbericht macht hierzu keine textlichen Ausführungen, jedoch sind im Tabellenteil, der Internetseite www.bildungsbericht.de entsprechende Zahlen zu finden. Es wird auf die Tabelle D4-6web verwiesen. Wiesbaden, 4. Oktober 2016 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz