Kleine Anfrage der Abg. Cárdenas (Die LINKE) vom 16.08.2016 betreffend Vorhaltung freiwilliger Ersthelfer in Flüchtlingsunterkünften für den Notfall und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Die Ersthilfe in kommunalen Flüchtlingsunterkünften ist nicht rund um die Uhr gewährleistet. Am 27. Juli 2016 kam es in der kommunalen Gemeinschaftsunterkunft Künzell/Pilgerzell zum Tod eines Kindes, nachdem keine medizinische Betreuung mehr vor Ort war. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden ist nach dem Landesaufnahmegesetz den hessischen Gebietskörperschaften als Aufgabe übertragen. Gleichwohl besteht der Auftrag an die Hessische Landesregierung die Einhaltung einer menschenwürdigen Unterbringung ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu überwachen. Sowohl im vorliegenden Einzelfall als auch im Regelbetrieb lassen die Erkenntnisse der Landesregierung den Schluss zu, dass die Gebietskörperschaften dieser Aufgabe mit der größtmöglichen Sorgfalt und Sachkompetenz nachkommen . Die außerordentlich durchgeführte Abfrage über die Maßnahmen, die zur Abwehr von Gefahrenlagen für die Bewohner ergriffen werden, hat ein deutliches Bild davon gezeichnet, dass ein rechtskonformes Handeln sichergestellt ist. Da nach dem Landesaufnahmegesetz nicht der Landesregierung aufgegeben ist, einzelne Maßnahmen zur Umsetzung des Unterbringungsauftrags vorzuschreiben, waren die Ergebnisse über getroffene Maßnahmen naturgemäß divergierend . Die nachfolgenden Antworten stellen daher einen Querschnitt dessen dar, was hessenweit im Regelfall vorgehalten wird. Zum Vorfall am 16. August 2016 hat der Landkreis Fulda im Wesentlichen folgende Angaben gemacht: Der Landkreis Fulda betreibe und unterhalte keine eigenständigen Gemeinschaftsunterkünfte sondern bediene sich der gesetzlichen Möglichkeit nach § 3 LAufnG zur Betreibung der Unterkünfte durch Dritte. Die betroffene Unterkunft werde durch den Malteser Hilfsdienst betrieben. Nach Darstellungen der Menschen vor Ort sei der Junge im Alter von 1 ½ Jahren an einem Stück Karotte erstickt. Während des Vorfalls seien unmittelbar die weiteren vier Geschwister im Alter von fünf bis zehn Jahren anwesend gewesen. Die Mutter und der Vater weilten während des Vorfalls in Nachbarräumen. Die Unterkunft sei zum Zeitpunkt des Unglücksfalls seit drei Wochen in Betrieb gewesen. Die übliche Einweisung in die Unterkunft habe im Fall der Familie stattgefunden. In allen Unterkünften würden durch die Betreiber öffentlich zugängliche Notfalltelefone vorgehalten, die rund um die Uhr zur Verfügung stünden. Hierüber könnten Notrufe an die Notfallrufnummern 110/112 abgegeben werden. Das vorhandene Notfalltelefon und eine entsprechende Notrufnummer seien beim Unfallereignis genutzt worden. Leider habe dadurch der Tod des kleinen Jungen nicht verhindert werden können. Für Brandschutzmaßnahmen bzw. Nothelferpläne gebe es Aushänge in verschiedenen Sprachen, u.a. in Deutsch, Englisch, Arabisch , Farsi und Dari. Ebenso liege eine Übersicht der Notrufnummern in diesen Sprachen vor. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Konsequenzen ergeben sich für kommunale Flüchtlingsunterkünfte daraus, dass am 27. Juli 2016 gegen 19 Uhr keine medizinische Betreuung mehr in der Unterkunft Künzell /Pilgerzell vor Ort war, als es zum Tod eines Kindes kam? Die Notfallversorgung ist in den hessischen Gebietskörperschaften durchweg gewährleistet und professionell organisiert. Direkte Konsequenzen ergeben sich aus diesem Unfallereignis nicht. Eingegangen am 27. September 2016 · Bearbeitet am 28. September 2016 · Ausgegeben am 5. Oktober 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3696 27. 09. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3696 Nach dem rettungsdienstlichen Protokoll war der Rettungsdienst nach Absetzen des Notrufs innerhalb der üblichen Hilfsfrist von zehn Minuten (hier neun Minuten) zur Stelle. Frage 2. Welche Regularien - im Hinblick auf eine medizinische Erstversorgung - gibt es für die Zeiten in, denen keine Betreuung in kommunalen Flüchtlingsunterkünften vor Ort ist? Es existieren seitens des Landes keine Regularien, da die Gebietskörperschaften über ausreichende Sachkenntnis und Kompetenz verfügen und das Landesaufnahmegesetz die Umsetzung der Aufgabe grundsätzlich in die Verantwortung der Gebietskörperschaften stellt. Es werden im Regelfall Aushänge in der Muttersprache der Bewohner oder Piktogramme angebracht. Durch Einweisungen beim Ankommen werden die Bewohner auf die jeweiligen Notrufeinrichtungen hingewiesen. Frage 3. Gibt es angeleitete, freiwillige Bewohner als Ersthelfer für den Notfall vor Ort, damit im Ernstfall schnell reagiert werden kann? Es ist sichergestellt, dass im Notfall Hilfe gerufen werden kann. Die Menschen leben in den Gemeinschaftsunterkünften frei und selbstbestimmt. Auch in sonstigen Mehrfamilienhäusern gibt es keine Pflicht zur Ausbildung von Ersthelfern. Frage 4. Gibt es Angebote für Erste-Hilfe-Kurse und/oder einen Nothelferplan (in mehreren Sprachen, damit die Bewohner der Unterkünfte handlungsfähig sind)? Es laufen Überlegungen in den Gebietskörperschaften, auch diese Leistung noch anzubieten. Die Angebote in den Gebietskörperschaften sind hier sehr vielfältig. Beispielsweise genannt sei der Landkreis Waldeck-Frankenberg, der aufgrund der Gefahr des Ertrinkens in öffentlichen Gewässern, Schwimmkurse anbietet. Frage 5. Wird das Angebot den Notwendigkeiten angepasst, z.B. Erste-Hilfe-Kurs statt Nähkurs? Die Gebietskörperschaften sind sich der Gefahren bewusst und haben bereits ihr Angebot angepasst oder wollen dies tun. Frage 6. Weshalb ist bei kommunalen Gemeinschaftsunterkünften keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung gegeben und wie werden die betreuungsfreien Zeiten abgedeckt? Die Unterbringung ist von den Gebietskörperschaften nach dem Landesaufnahmegesetz in menschenwürdiger Weise und ohne gesundheitliche Beeinträchtigung zu gewährleisten. Dies ist aus Sicht der Landesregierung auch durchweg der Fall. Sowohl seitens der Gebietskörperschaften als auch durch ehrenamtliche Unterstützung wird ein weit überobligatorisches Angebot zur Verfügung gestellt. In Folge des freiheitlichen und selbstbestimmten Menschenbildes ist es auch nicht erforderlich, die in den Unterkünften lebenden Menschen in eine "Rund-um-die-Uhr- Betreuung" zu geben. Die Menschen werden ausführlich über die Möglichkeiten und Hilfsmittel informiert und durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gebietskörperschaften sowie durch freiwillige Helferinnen und Helfer engmaschig betreut. Frage 7. Werden die Bewohner in die Handhabung von Notfallnummern mit Handy etc. unterwiesen bzw. Notfallsituationen mit ihnen geübt (Brand- oder medizinische Notfälle)? Ja, es finden im Regelfall Unterweisungen statt. Darüber hinaus werden grundsätzlich wichtige Informationen durch Aushänge, Piktogramme und andere allgemein verständliche Medien zugänglich gemacht. Frage 8. Wird darauf geachtet, dass die Aushänge mit den Notrufnummern in den Herkunftssprachen der Bewohner aushängen, damit sie diese auch lesen und verstehen können? Ja. Frage 9. Sollte nicht das Land Hessen schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Verantwortung dafür tragen, eine entsprechend große Anzahl an Bewohnern als Ersthelfer zu qualifizieren? Mit Einführung des Platzstrukturkonzeptes im März 2016 wurde die 24/7 Notfallversorgung in allen Erstaufnahmeeinrichtungen in Hessen als Standard definiert. Entsprechend des seit August 2016 umgesetzten Ambulanzkonzeptes, das die Rahmenbedingung für die medizinische Versor- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3696 3 gung in hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen festhält, sind an allen Standorten rund um die Uhr mindestens ein Rettungsassistent bzw. Notfallsanitäter und ein Rettungssanitäter vor Ort. Einfache Erkrankungen und Verletzungen können an jedem Standort im sog. "Medical Point" ambulant behandelt werden. Die ärztliche Versorgung wird zusätzlich zum Sanitätsdienst durch Honorarärzte gewährleistet. Je nach Belegungszahl des Standortes werden Sprechstunden im angemessenen Umfang durch weitere medizinische Fachangestellte und Honorarärzte angeboten . Die HEAEen sind nach dem Asylgesetz für die Erstaufnahme von Asylsuchenden, die in ihrem Zuständigkeitsbereich einen Asylantrag stellen wollen, sowie der damit erforderlichen Unterbringung , Betreuung und Versorgung zuständig. Die oben aufgeführten Maßnahmen dienen der Sicherstellung der dabei erforderlichen ärztlichen Versorgung in einer EAE, sowie einer Notfallversorgung . Weiter ist das Informationsmaterial zu erwähnen, das in Absprache mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen im Rahmen des Asylkonvents erarbeitet wurde und derzeit erstellt wird. Mit Hilfe von Flyern in verschiedenen Sprachen werden die Bewohnerinnen und Bewohner der EAEen in Hessen über zu treffende Maßnahmen in einem Notfall informiert. Ebenso berücksichtigt das sich in Umsetzung befindende Konzept zur landeseinheitlichen Vermittlung von "Sprache- und Werten in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Hessen" das Unterrichtsmodul: "Rettungsdienste: Aufgaben von Not- und Rettungsdiensten". Darüber hinaus wird im "Refugee-Guide: Gut in Hessen ankommen" - einer Broschüre, die der Orientierung dient und in vielen Sprachen in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausliegt - unter "In Notfällen" das Verhalten in einer Notsituation thematisiert. Wiesbaden, 20. September 2016 Stefan Grüttner