Kleine Anfrage des Abg. Irmer (CDU) vom 11.08.2016 betreffend Doppelfunktion eines Bürgermeisters und Betriebsleiters der Stadtwerke und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Teilt die Landesregierung das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes, Beschluss vom 13.09.2013 und 20.11.2014, wonach die Ausübung einer Doppelfunktion als Bürgermeister und Leiter eines Eigenbetriebes unzulässig ist? Frage 2. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Aufgaben des Betriebsleiters einerseits und die Weisungs- und Aufsichtsbefugnis des Bürgermeisters andererseits, und zwar in Bezug auf den Eigenbetrieb, deutlich zu trennen sind? Frage 3. Wie beurteilt die Landesregierung den Kommentar Schneider aus "Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen", Verlag C.H. Beck, München 2015, Seite 142, wonach die Vereinigung der Funktion von Verwaltungsspitze und Werkleitung, wenn sie schon landesrechtlich nicht ausgeschlossen sein sollte, gleichwohl die Personalunion zur Vermeidung von Interessenskollisionen und Überlastungen verbietet? Die Fragen 1 bis 3 werden im Zusammenhang beantwortet. Die Personalidentität von Bürgermeister und Betriebsleiter ist mit dem Hessischen Eigenbetriebsgesetz nicht vereinbar. Ein Verbot der Doppelfunktion ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut. Aus dem Gesetzeszweck der Kontrollfunktion der Betriebskommission gegenüber der Betriebsleitung ist aber zu folgern, dass eine Personalunion vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt ist. Dies gilt insbesondere, wenn der Bürgermeister nicht nur der Betriebsleitung, sondern auch der Betriebskommission des Eigenbetriebes angehört. Die Betriebskommission hat gemäß § 7 Eigenbetriebsgesetz die Betriebsleitung zu überwachen und kann Maßnahmen der Betriebsleitung widersprechen. Eine sachgerechte Überwachung und Kontrolle kann bei einer Doppelfunktion des Bürgermeisters in Betriebsleitung und Betriebskommission nicht stattfinden. Der Gemeindevorstand hat dafür Sorge zu tragen, dass ein Widerstreit der Interessen von Vornherein unterbleibt bzw. behoben wird. Gleichwohl war die Zulässigkeit einer Doppelfunktion juristisch lange Zeit umstritten. In den Bundesländern sind in Bezug auf diese Doppelfunktionen unterschiedliche Regelungen zu finden . Im Zuge der Evaluierung des Hessischen Eigenbetriebsgesetzes und der Neuinkraftsetzung zum 01.01.2012 wurde erörtert, ob die Gestattung der Personalunion wieder in das Eigenbetriebsgesetz aufgenommen werden sollte. Bis zum März des Jahres 1957 existierte eine entsprechende Regelung im Eigenbetriebsgesetz, ehe sie entfiel. Dabei ist der Gesetzbegründung aus dem Jahr 1957 nicht zu entnehmen, ob mit der Aufhebung der Regelung die Personalunion für die Zukunft bewusst ausgeschlossen werden sollte. Die Rechtslage wurde spätestens im Jahr 2012 klargestellt, nachdem das Hessische Ministerium des Innern und für Sport eine Wiederaufnahme der Regelung abgelehnt hatte. Frage 4. Ist es zutreffend, dass die Kommunalaufsicht des Lahn-Dill-Kreises den Bürgermeister und/oder die Stadt Haiger mehrfach auf die Problematik hingewiesen hat? Frage 5. Welche Konsequenzen hat die Kommunalaufsicht des Lahn-Dill-Kreises aus diesem Umstand gezogen , vermutlich wohlwissend, dass eine Doppelfunktion Bürgermeister/Betriebsleiter zehn Jahre in Haiger ausgeübt wurde? Eingegangen am 17. Oktober 2016 · Bearbeitet am 17. Oktober 2016 · Ausgegeben am 20. Oktober 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3719 17. 10. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3719 Frage 6. Warum hat die Kommunalaufsicht diesen offensichtlich rechtlosen Zustand geduldet? Die Fragen 4 bis 6 werden im Zusammenhang beantwortet. Der Landrat des Lahn-Dill-Kreises berichtet, dass der ehemalige Bürgermeister sich selbst mit Schreiben vom 21.09.2007 an ihn wegen der relevanten Fragestellung gewandt habe. Darauf folgte ein Schriftverkehr zwischen Stadt und Landrat. Schließlich beauftragte die Stadt Haiger den Hessischen Städte- und Gemeindebund (HSGB) mit der Erstellung einer fachlichen Expertise . In der ersten Prüfung durch den HSGB aus dem Jahr 2007 wurde die rechtliche Auffassung des Landrats des Lahn-Dill-Kreises bestätigt. Eine spätere Bewertung des HSGB aus dem Jahr 2009 ergab allerdings ein anderslautendes Ergebnis, wonach die Wahrnehmung beider Ämter nicht explizit im Gesetz auch unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsgeschichte, verboten sei. Die Stadt Haiger erklärte in Folge, dass die Satzung der Stadtwerke Haiger aus dem Jahr 1982 noch der alten Regelung des Eigenbetriebsgesetzes aus 1957 Rechnung trage, wonach sich die Betriebsleitung aus dem Ersten Werksleiter (dem Bürgermeister) und dem technischen Werksleiter zusammensetze. Die weitere Erörterung zwischen Stadt und Landrat zog sich bis ins Jahr 2010. Die Thematik wurde sodann auf Nachfrage des Landrats zwischen der Oberen Kommunalaufsichtsbehörde (Regierungspräsidium Gießen) und der Obersten Kommunalaufsichtsbehörde (Hessischen Ministerium des Innern und für Sport) erörtert. Dabei wurde festgestellt, dass der Bürgermeister kraft Gesetz Vorsitzender der Betriebskommission ist und daher nicht gleichzeitig Betriebsleiter des Eigenbetriebes sein kann. Der Landrat des Lahn-Dill-Kreises forderte daraufhin die Stadt Haiger mit Schreiben vom 08.02.2011 unter Bezugnahme auf die Besprechungsergebnisse auf, Abhilfe binnen sechs Monaten zu schaffen. Im Jahr 2012 wurde schlussendlich die entsprechende Stellenausschreibung als Folge der Weisung vorgenommen und die geänderte Betriebssatzung veröffentlicht. Mit Magistratsbeschluss vom 06.02.2012 wurde das Verfahren zunächst mangels geeigneten Bewerbers aufgehoben und im gleichen Jahr neu ausgeschrieben. Die Stadt Haiger wurde vom Lahn-Dill-Kreis regelmäßig und nachdrücklich um Bericht über den Fortschritt des Stellenbesetzungsverfahrens gebeten. Am 10.06.2013 stellte die Stadt einen Assistenten der Betriebsleitung ein, der nach einjähriger Einarbeitung am 01.07.2014 die Tätigkeit als erster Betriebsleiter übernommen hat. Frage 7. Sind Gremien der Stadt Haiger wann und von wem darüber informiert worden? Die Stadt Haiger teilt mit Schreiben vom 13.9.2016 mit, dass der Magistrat der Stadt in einer Sitzung vom 23.5.2011 vom Bürgermeister darüber informiert wurde, dass der Landrat des Lahn-Dill-Kreises als Kommunalaufsichtsbehörde mit Verfügung vom 10.2.2011 den Bürgermeister auffordere, innerhalb von sechs Monaten die Funktion des Ersten Werkleiters der Stadtwerke aufzugeben. Frage 8. Warum wurde durch die Kommunalaufsicht kein Schadenersatz durch einen sogenannten "Leistungsbescheid " eingefordert? Frage 9. Liegt durch dieses offensichtlich untätige Verhalten der Kommunalaufsicht auch ein Fehlverhalten dieser vor und könnte es sein, dass sich die parteipolitische Übereinstimmung der handelnden Personen entsprechend "positiv" ausgewirkt hat? Die Fragen 8 und 9 werden zusammenfassend beantwortet. Gemäß Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz ist die Stadt Haiger im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverantwortung unmittelbar für die Einhaltung von Recht und Gesetz verantwortlich. Der Staat gewährleistet gemäß Artikel 137 Abs. 1 Satz 1 der Hessischen Landesverfassung den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung. Nach Satz 2 dieses Artikels ist die Aufsicht darauf beschränkt , dass die kommunale Verwaltung im Einklang mit den Gesetzen geführt wird. Die kommunale Aufsichtsbehörde, hier der Landrat des Lahn-Dill-Kreises als Behörde der Landesverwaltung , ist somit erst an zweiter Stelle verantwortlich. Die Aufsicht soll gemäß § 135 Gemeindeordnung sicherstellen, dass die Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen verwaltet werden . Die Aufsicht ist so zu handhaben, dass die Entschlusskraft und die Verantwortungsfreudigkeit der Gemeinden nicht beeinträchtigt werden. Somit sind vorrangig die Verwaltungsorgane der Stadt Haiger, die Stadtverordnetenversammlung und der Magistrat, verpflichtet, die Einhaltung von Recht und Gesetz zu gewährleisten und Schaden von der Gemeinde abzuwehren. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3719 3 Die Geltendmachung eines etwaigen Schadensersatzanspruchs ist ggfs. Sache der Gemeinde und nicht der staatlichen Kommunalaufsicht. Das Land Hessen hat keinen Schaden erlitten, den der Landrat als Behörde der Landesverwaltung (insbesondere) von dem ehemaligen Bürgermeister der Stadt Haiger hätte zurückfordern können. Sofern die Stadt Haiger sich auf einen erlittenen Schaden beruft, ist es Sache der Stadtverordnetenversammlung darüber zu entscheiden, gegen wen und auf welche Weise ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird. Wiesbaden, 7. Oktober 2016 Peter Beuth