Kleine Anfrage der Abg. Bauer und der Abg. Caspar, Dietz, Irmer, Klaff-Isselmann, Landau, Meysner, Reul, Stephan, Tipi, Veyhelmann (CDU) vom 31.08.2016 betreffend Lärmschutz an Schienenstrecken und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz , Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Minister für Soziales und Integration wie folgt: Frage 1. Welche Erkenntnisse hat die Hessische Landesregierung über Gesundheitsgefahren durch Bahnlärm ? Die Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen haben im Rahmen einer Literaturstudie eine Auswertung der nationalen und internationalen wissenschaftlichen Literatur zu gesundheitlichen Auswirkungen von Bahnlärm vorgenommen. Die Ergebnisse der Studie wurden im Mai 2015 in einem Fachgespräch mit Expertinnen und Experten aus der Lärmwirkungsforschung diskutiert. Die Studie erlaubt allgemeingültige Aussagen zu den Auswirkungen des Bahnlärms auf die Gesundheit . Bahnlärm beeinträchtigt die Gesundheit der Menschen grundsätzlich in ähnlicher Weise wie andere Verkehrslärmquellen. Bahnverkehr bedingte Erschütterungen sollten bei der Bewertung des gesundheitlichen Risikos zusätzlich berücksichtigt werden. Die im Oktober 2015 veröffentlichten Ergebnisse der NORAH-Studie (Noise-Related Annoyance , Cognition and Health) haben die Erkenntnisse der Literaturstudie bestätigt. Im Fazit liegen hinreichende Kenntnisse aus wissenschaftlich anerkannten Studien zu Bahnlärm vor, um gesundheitsrelevante Auswirkungen durch Bahnlärm zu belegen und Handlungsbedarf abzuleiten. Das Ziel der Weltgesundheitsorganisation für den Schutz vor Lärm, ein durchschnittlicher nächtlicher Geräuschpegel von max. 40 Dezibel (dB), sollte daher zukünftig als Orientierung bei der Festlegung von Grenzwerten und Maßnahmen dienen. Frage 2. Welche Lärmmessungen gibt es an bestehenden Schienenstrecken? Das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) betreibt seit 2010 in Rüdesheim-Assmannshausen und seit 2015 in Lorchhausen je eine Messstation zur Erfassung von Schienenverkehrsgeräuschen. Bei Bedarf werden durch das HLNUG weitere Einzelmessungen in Hessen durchgeführt. Frage 3. Sind diese Messstellen ausreichend? Frage 4. Wenn nein: Welche weiteren Messstellen sollen eingerichtet werden? Aufgrund ihres Sachzusammenhanges werden die Fragen 3 und 4 zusammen beantwortet. Zur Dokumentation der Schienenverkehrsgeräusche im hessischen Teil des Mittelrheintals sind die Messstationen in Assmannshausen und Lorchhausen ausreichend. Aktuell werden Vorbereitungen zur Einrichtung einer weiteren Messstation zur Erfassung von Schienenverkehrsgeräuschen an der Strecke Siegen - Wetzlar - Gießen getroffen, die in den nächsten Jahren ausgebaut Eingegangen am 9. November 2016 · Bearbeitet am 9. November 2016 · Ausgegeben am 11. November 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3722 09. 11. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3722 werden soll. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist der Ausbau der Strecke im Vordringlichen Bedarf aufgeführt. Um den Fortschritt der Umrüstung von Güterwagen auf leise Bremssysteme transparent und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar darzustellen, beabsichtigt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ein deutschlandweites Monitoring durchzuführen. Derzeit wird eine Konzeption für ein solches Monitoringsystem erarbeitet. Ob im Rahmen des Monitorings Messstationen in Hessen aufgebaut werden, ist derzeit noch nicht bekannt. Frage 5. Wo und wie können die Ergebnisse der Messstellen eingesehen werden? Monatlich werden die ausgewerteten Messergebnisse der in der Antwort zu Frage 2 aufgeführten Messstationen auf der Homepage des HLNUG veröffentlicht: (http://www.hlnug.de/themen/laerm/schienenverkehrslaerm/laermmessungen.html). Frage 6. Welche Maßnahmen unternimmt die Hessische Landesregierung zur Reduzierung des Bahnlärms? Die Planung und Umsetzung von Lärmminderungsmaßnahmen ist Aufgabe des Schienennetzbetreibers , d.h. der DB Netz AG. Der Bund muss im Rahmen seiner grundgesetzlichen Verantwortung für die bundeseigenen Eisenbahnstrecken die rechtlichen und materiellen Voraussetzungen hierfür schaffen. Die Landesregierung hat sich angesichts der zunehmenden Belastungen durch Bahnlärm mit einem umfassenden Forderungskatalog an Bund und DB AG gewandt und viele Forderungen im Schulterschluss mit anderen Ländern durch Bundesratsentschließungen untermauert. Für das besonders betroffene Mittelrheintal hat eine Machbarkeitsstudie ergeben, dass aufgrund der spezifischen Bedingungen in diesem Talraum die Zahl der von extremen Lärmbelastungen betroffenen Personen auch nach Abschluss der seitens des Bundes finanzierten Lärmsanierung sehr hoch ist und durch ein ergänzendes Maßnahmenpaket deutlich gemindert werden kann. Der Bund hat für die Umsetzung dieses Maßnahmenpakets eine Finanzierungsbeteiligung des Landes zur Voraussetzung gemacht. Um die dringend gebotene Entlastung der Betroffenen zu ermöglichen hat sich die Landesregierung bereit erklärt, 18% der Investitionskosten zu tragen und hierfür Haushaltsmittel von bis zu 2,0 Mio. € bereitgestellt. Die Umsetzung der Maßnahmen ist in den Jahren 2017 bis 2020 vorgesehen. Frage 7. Welche Forderungen hat Hessen gegenüber dem Bund und der Deutschen Bahn AG zur Verbesserung des Lärmschutzes an Bahnstrecken? Im Jahr 2010 haben sich die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz gemeinsam mit einem als "10- Punkte-Programm" (Anlage) titulierten Forderungskatalog zum Lärmschutz an den Bund und die Deutsche Bahn AG gewandt. Die wesentlichen darin genannten Forderungen, obwohl anfangs auf das Mittelrheintal bezogen, erhebt die Landesregierung für eine netzweite generelle Minderung des Bahnlärms. Sie sind nach wie vor aktuell und leider nur zum Teil umgesetzt. Folgende aktuelleThemen sind hervorzuheben: 1. Forderung der Landesregierung nach einem Verbot des Einsatzes lauter Güterwagen mit Graugussbremsen. 2. Einsatzverbot für laute Güterwagen oder eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Technischen Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) Lärm, mit Inkrafttreten 2020, sonst Erhöhung der Trassenpreiszuschläge für laute Wagen, so dass der Einsatz lauter Wagen unattraktiv und praktisch auf wenige Ausnahmefälle beschränkt wird. 3. Konkreter Zeit- und Stufenplan zur Umsetzung des Ziels einer Halbierung des Schienenlärms - ausgehend vom Niveau 2008 bis 2020. 4. Weitere Absenkung der Lärmsanierungswerte für die Bestandsstrecken. 5. Stärkung des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) durch eine Anordnungsbefugnis bei Gesundheitsgefahren und erheblichen Belästigungen. 6. Forderung, das Lärmsanierungsprogramm an Bestandsstrecken um den Erschütterungsschutz zu erweitern. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3722 3 Frage 8. Welche Möglichkeiten bestehen für ein Verbot – wie etwa in der Schweiz – sogenannter Graugussbremsen ? Nach Auffassung der Landesregierung ist ein Einsatzverbot für Güterwagen mit lauten Graugussbremsen im Rahmen nationaler Gesetzgebung grundsätzlich möglich. Die Landesregierung fordert seit langem vom Bund, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Die Bundesregierung hat die Vorlage des Gesetzentwurfs mit einem Einsatzverbot ab 2020 bis Ende 2016 angekündigt . Ein entsprechendes nationales Gesetz ist gegenüber der EU-Kommission zu notifizieren. Die zuständige EU-Kommissarin Frau Bulc hat sich öffentlich gegen nationale Alleingänge bezüglich der Beschränkung von Fahrzeugeinsätzen ausgesprochen. Da der Notifizierungsprozess vor diesem Hintergrund möglicherweise längere Zeit in Anspruch nehmen wird, ist es umso dringender , den Gesetzentwurf sehr zeitnah vorzulegen, um das angestrebte Zieljahr 2020 für das Einsatzverbot nicht zu gefährden. Frage 9. Gibt es Anreize für den Einsatz leiserer Fahrzeuge zur Minimierung des Eisenbahnlärms? Seit 2013 gibt es im Trassenpreissystem der DB AG eine Lärmkomponente mit Zuschlägen für den Einsatz von Güterwagen ohne lärmarme Bremsen und einem Bonus für umgerüstete lärmarme Wagen. Zusätzlich fördert der Bund die Umrüstung der Güterwagen auf lärmarme Bremsen bis zum Jahr 2020 mit insgesamt bis zu 152 Mio. €. Die Vergünstigungen decken die Mehrkosten des Einsatzes lärmarmer Güterwagen nur zum Teil und sind nach Auffassung der Landesregierung kein ausreichender Anreiz für eine zügige Umrüstung der Güterwagen. Forderungen der Landesregierung nach einer weit höheren lärmabhängigen Differenzierung der Trassenpreise und den Entwurf des Bundesrates für die gesetzliche Regelung einer deutlichen Preisdifferenzierung hat die Bundesregierung nicht aufgegriffen. Frage 10. Welche Möglichkeiten bestehen, mindestens aufkommensneutral lärmabhängige Trassenpreise obligatorisch zu machen? Auf Grundlage der EU-Richtlinie 2012/34, Art. 31 Abs. 5 haben die Schienenwegbetreiber grundsätzlich die Möglichkeit, im Trassenpreissystem eine Lärmkomponente einzuführen. Schienenwegebetreiber können diese obligatorisch festlegen, wie es die DB Netz AG mit dem lärmabhängigen Trassenpreissystem getan hat. Gemäß der hierzu erlassenen EU- Durchführungsverordnung 2012/429 sind Bonuszahlungen nur bis 31.12.2021 zulässig; Maluszahlungen können auch darüber hinaus erhoben werden, wenn ein vergleichbarer Malus auch für den Straßengüterverkehr gilt. Wiesbaden, 28. Oktober 2016 Tarek Al-Wazir Anlagen 10-PUNKTE-PROGRAMM „LEISES RHEINTAL“ der Umwelt- und Verkehrsminister von Rheinland-Pfalz und Hessen Im Mittelrheintal1 bestehen unmittelbar an den Bahnstrecken erhebliche Lärm- und Erschütterungsbelastungen, die die Gesundheit der Anwohner gefährden und die regionale Wirtschaft beeinträchtigen. Das angekündigte Pilotprojekt „ Leiser Rhein“, das Nationale Verkehrslärmschutzpaket II der vorherigen Bundesregierung und die im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung genannten Ziele sind wichtige Schritte zur Einleitung notwendiger Maßnahmen, die aber nicht ausreichen oder für die ein verbindlicher Zeitplan fehlt. Das nachfolgende 10-Punkte Programm zielt darauf ab, durch eine Kombination kurzfristiger, mittelfristiger und langfristiger Maßnahmen den Schienenverkehr im gesamten Mittelrheintal schrittweise menschen- und umweltverträglicher zu gestalten. Die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz erwarten für die Bevölkerung im Mittelrheintal von der Bundesregierung: 1. Das im nationalen Verkehrslärmschutzpaket II formulierte Ziel, den Schienenlärm zu halbieren, d.h. gegenüber heute um 10 dB zu senken, ist durch einen konkreten Zeit- und Stufenplan umzusetzen. Für das hoch belastete Mittelrheintal muss dieses Ziel sicher erreicht werden. Begleitend ist ein Lärmmonitoring mit Dauermessstationen einzurichten. 2. Die Lärmsanierungswerte für die Bestandsstrecken sind deutlich abzusenken. Dies kann durch die Abschaffung des Schienenbonus erreicht werden. Zur Vermeidung von gesundheitsschädlichen Aufwachreaktionen sind die nächtlichen Spitzenpegel deutlich zu reduzieren. In diesem Zusammenhang ist die Lärm mindernde Wirkung von Geschwindigkeitsbeschränkungen zu prüfen. 3. Unter Beteiligung der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen soll zur dauerhaften Begrenzung der Lärmbelastung in einem Modellprojekt ein praxisgerechtes Verfahren für die von der EU-Kommission empfohlene Lärmkontingentierung entwickelt werden. 1 Die Streckenabschnitte Rüdesheim-Wiesbaden und Bingen-Mainz sind hier mit einbezogen. 4. Die im Innovationsprogramm der Bundesregierung für das Mittelrheintal vorgesehenen Maßnahmen müssen zügig installiert, erprobt und nach erfolgreicher Erprobung im gesamten betroffenen Streckenverlauf umgesetzt werden. Das technisch und betrieblich mögliche Potential zur Minderung von Lärm- und Erschütterungen an der Strecke muss ausgeschöpft werden. 5. Das Eisenbahnbundesamt muss als Aufsichtsbehörde durch eine Anordnungsbefugnis bei Gesundheitsgefahren und erheblichen Belästigungen sowie durch eine ausreichende Personal- und Finanzausstattung gestärkt werden. Die notwendigen Maßnahmen zum Lärm- und Erschütterungsschutz (wie z.B. die Beseitigung von Störstellen und die Vermeidung von unnötigem Laufenlassen von Dieselmotoren im Stand) müssen vom EBA durchgesetzt werden. Die Mitwirkung des EBA bei der Lärmaktionsplanung ist sicherzustellen. 6. Das Förderprogramm zur Umrüstung von Güterwagen auf lärmarme Bremssysteme muss jetzt in Kraft gesetzt werden. Wie im Pilotprojekt „Leiser Rhein“ vorgesehen, müssen die umgerüsteten Wagen insbesondere den hoch belasteten Strecken im Mittelrheintal zugute kommen. 7. Für den Einsatz lärmarmer Fahrzeuge müssen ökonomische Anreize durch die möglichst rasche Einführung lärmabhängiger Trassenpreise geschaffen werden. 8. Die jetzt für Neufahrzeuge geltenden Lärmobergrenzen müssen in einem überschaubaren Zeitraum auch für Bestandsfahrzeuge verbindlich werden. Hierzu muss sich die Bundesregierung bei der EU-Kommission für die Anpassung der TSI-Lärm2 einsetzen. 9. Das Lärmsanierungsprogramm an Bestandsstrecken muss um den Erschütterungsschutz erweitert werden. 10. Für die jetzigen und zukünftigen Verkehre zwischen Nordsee und Mittelmeer ist im Bereich des Mittelrheintals eine Entlastungsstrecke für den Güterverkehr notwendig. Der Bedarf ist im Bundesverkehrswegeplan festzustellen. Voruntersuchungen für mögliche Trassenkorridore sind zügig einzuleiten. 2 Technische Spezifikation für die Interoperabilität