Kleine Anfrage des Abg. Wolfgang Greilich (FDP) vom 06.09.2016 betreffend Erlass zur Untersagung der Verwendung eines Lehrbuchs und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung der Fragesteller: Mit am 11. Juli 2016 an die Staatlichen Schulämter übermittelten Erlass hat das Hessische Kultusministerium angeordnet, dass weder das durch das Network for Teaching Entrepreneurship (NFTE) an hessische Lehrkräfte ausgegebene Lehrbuch "Von der Idee zum Ziel" noch Auszüge daraus in Schulen verwendet werden dürfen. Das Ministerium schildert ansonsten, dass NFTE das Ziel verfolgt, Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, "Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich der Wirtschaft zu sammeln und zu vertiefen." Im Erlass wird ausgeführt, das Lehrbuch verstoße gegen das Werbeverbot in hessischen Schulen, weil "auf einer Vielzahl von Seiten Logos von nationalen und internationalen Unternehmen abgebildet" seinen und "erfolgreiche Unternehmensgründungen beschrieben und in den Texten z.T. auch die Produkte dieser Unternehmen beschrieben und damit beworben" würden. Vorbemerkung des Kultusministers: Die Thematik war bereits Gegenstand der Anfrage 18/7415 vom 22.06.2013. Des Weiteren wurde in der Ausschussvorlage KPA 19/21 dazu Stellung genommen. Für hessische Schulen besteht ein umfassendes Werbeverbot. Daher ist Werbung für politische, religiöse oder weltanschauliche Interessen ebenso wie kommerzielle Werbung an den Schulen des Landes Hessen grundsätzlich untersagt. Das Werbeverbot geht aus dem Neutralitätsgebot für Schulen hervor, welches im Bildungs- und Erziehungsauftrag in den §§ 2 und 3 Hessisches Schulgesetz (HSchG) sowie in § 86 HSchG (Neutralitätspflicht für Lehrkräfte) verankert ist. Dieses Werbeverbot betrifft den gesamten Schulunterricht einschließlich der Pausen und jede Art von schulischen Veranstaltungen. Unberührt davon können Schulträger im Bereich der äußeren Schulangelegenheiten Regelungen für das Sponsoring mit entsprechenden Kooperationspartnern treffen. Gemäß § 10 Abs. 2 der Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können Schulen, abweichend von dem grundsätzlichen Werbeverbot, im Rahmen des Sponsorings zur Erfüllung ihrer Aufgaben Zuwendungen oder für Erziehung und Unterricht förderliche Gegenstände von Dritten entgegennehmen und in angemessener Weise auf deren Leistungen hinweisen, wenn dies in der Gesamtbetrachtung mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule vereinbar ist, der schulische Nutzen den Werbeaspekt deutlich übersteigt und der Ablauf des geordneten Schulbetriebes nicht beeinträchtigt wird. Dabei muss sich die Gegenleistung der Schule auf einen Hinweis auf die Unterstützung durch den Sponsor (zum Beispiel auf Plakaten, Veranstaltungshinweisen oder in Ausstellungskatalogen) beschränken. Bei einem solchen Hinweis können der Name, die Marke, das Emblem oder das Logo des Sponsors gezeigt werden, dies muss jedoch ohne besondere Hervorhebung erfolgen. Eine über die Nennung der zuwendenden Person oder Einrichtung, der Art und des Umfangs der Zuwendung hinausgehende Produktwerbung ist hingegen unzulässig. Vor diesem Hintergrund wird neben den einschlägigen gesetzlichen Regelungen auch auf den Erlass des Hessischen Kultusministeriums "Verteilen von Schriften, Aushängen und Sammlungen in den Schulen" verwiesen, der für die Schulen bei der Beurteilung der oben dargestellten Sachverhalte eine verlässliche Hilfe darstellt. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Eingegangen am 11. November 2016 · Bearbeitet am 11. November 2016 · Ausgegeben am 16. November 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3755 11. 11. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3755 Frage 1. Wie definiert die Landesregierung unzulässige Werbung i.S.d. Dienstordnung? Frage 2. Im Rahmen der Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses wurde in der öffentlichen Ausschussvorlage KPA 19/21 Werbung wie folgt definiert: "Unter Werbung sind Zuwendungen eines Unternehmens oder unternehmerisch orientierter Privatpersonen für die Verbreitung seiner oder ihrer Werbebotschaften durch die öffentliche Verwaltung zu verstehen, wenn es ausschließlich um die Erreichung eigener Kommunikationsziele- Imagegewinn, Verkaufsförderung, Produktinformation – des Unternehmens oder der Privatperson geht." Warum weicht die Landesregierung im Falle des oben genannten Buches von dieser Definition ab? Die Fragen 1 und 2 werden zusammenfassend beantwortet. Die in der genannten Ausschussvorlage aufgeführte Definition für Werbung ist dem Gemeinsamen Runderlass "Grundsätze für Sponsoring, Werbung, Spenden und mäzenatischen Schenkungen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben" (StAnz. 2016 S. 86) entnommen, der zur Zeit der Beantwortung des Berichtsantrages in der Entwurfsfassung vorlag. Die Frage lautete, wie die Landesregierung u.a. Werbung definiere. Nach Besonderheiten für Schule wurde nicht gefragt. Im schulischen Bereich sind aus den in meiner Vorbemerkung genannten Gründen strengere Maßstäbe anzusetzen. Daher ist in der Schule die Verbreitung von Informationen mittels digitaler oder gedruckter Medien durch zumeist gewinnorientierte Unternehmen grundsätzlich untersagt , da es Teil des Bildungs- und Erziehungsauftrags ist, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, was eine u.a. durch Markennamen und Logos geprägte Einflussnahme ausschließt. Frage 3. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass in einem Lehrbuch, in dem auch das Thema Marketing behandelt wird, auf die Darstellung real existierender Logos verzichtet werden kann, deren Untersuchung dann auch Gegenstand der unterrichtlichen Befassung sein kann? Die Verwendung real existierender Firmenlogos ist nicht zwingend notwendig, um das Thema Marketing zu behandeln. Frage 4. Welches Problem unter dem Gesichtspunkt von Werbung sieht die Landesregierung in der Darstellung von Firmenlogos auf 12 von 236 Seiten eines Lehrbuches? Frage 5. Inwiefern sieht die Landesregierung in der Nennung von Firmennamen im Sachzusammenhang (etwa "Meine Mutter arbeitet bei ALDI.") Werbung? Die Fragen 4 und 5 werden zusammenfassend beantwortet. Im NFTE Schülerbuch "Von der Idee zum Ziel" sind nicht nur eine Vielzahl von Logos, sondern auch Unternehmen und deren Produkte konkret dargestellt. Es ist durchaus als Werbung anzusehen, wenn ein bestimmter Inhalt (Markenname, Unternehmen etc.), der dazu geeignet ist, Schülerinnen und Schüler auch unbewusst zu beeinflussen, im Text eines Lehrbuchs erscheint. Beispielsweise könnte im Unterricht auch das Wort (Lebensmittel -)Discounter verwendet werden, ohne explizit den Firmennamen zu nennen. Frage 6. Warum ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Beschreibung von erfolgreichen Unternehmungsgründungen durch Entwicklung bzw. erfolgreiche Einführung von Produkten grundsätzlich gegen das Werbeverbot verstößt? Frage 7. Bedeutet die Auffassung der Landesregierung demgemäß, dass Unternehmungsgründungen umfassen geschildert werden dürfen, solange sie nicht erfolgreich sind, dass aber die Vermittlung von Wissen über Unternehmungsgründungen verbotene Werbung darstellt, sowie die Gründung erfolgreich am Markt ist? Die Fragen 6 und 7 werden zusammenfassend beantwortet. Das Neutralitätsgebot ist unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des jeweiligen Unternehmens zu sehen. In Schulen darf namentlich weder auf erfolgreiche noch auf erfolglose Unternehmen hingewiesen werden. Es ist aber selbstverständlich zulässig, Unternehmensgründungen ohne Nennung des Namens der Firma oder Darstellung des Logos oder andere Hinweise darzustellen und zu erläutern. Frage 8. Teilt die Landesregierung nicht vielmehr die Einschätzung, dass die Nennung und Beleuchtung entsprechender Beispiele im Schulunterricht zweckdienlich ist, um sich mit wirtschaftlichen Zusammenhängen und den Themen der Selbstständigkeit, Unternehmensführung und -gründung auseinanderzusetzen ? Die unterrichtliche Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Zusammenhängen und Themen im Bereich Selbstständigkeit, Unternehmensführung und -gründung ist wichtig und begrüßenswert. Allerdings ist der Unterricht aus genannten Gründen derart zu gestalten, dass auf die Nennung spezifischer Unternehmen und Markennamen verzichtet wird. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3755 3 Frage 9. Wie sehen nach Auffassung der Landesregierung, Unterrichtsmaterialien aus, die ohne Bezug zu großen wie kleinen, am Markt schon lange etablierten wie frisch gestarteten Unternehmen und ihren Logos sowie ihren Produkten die Möglichkeiten, Risiken und Chancen von Produktentwicklungen , Existenzgründungen und selbstständiger wirtschaftlicher Tätigkeit anhand konkret nachvollziehbarer Beispiele vermitteln und so Schülerinnen und Schüler zu befähigen, selbstständig zu bestimmen, wie sie ihre berufliche und wirtschaftliche Zukunft bestimmen wollen? Die Schulen können im Lehrmittelkatalog Lehrwerke entnehmen, die keine unerlaubte Werbung enthalten. Frage 10. Wie beurteilt die Landesregierung die Empfehlung der Direktoren des Instituts für Gründungsund Innovationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal, die von 2009 bis 2013 im Wesentlichen mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft mit der Evaluation des NFTE Programms und der Lehrmaterialien beauftragt waren, "den Ansatz von NFTE umfangreich und nachhaltig im deutschen Bildungssystem zu implementieren"? Die Empfehlung von Prof. Dr. Lambert T. Koch und Prof. Dr. Ulrich J. Braukmann vom Institut für Gründungs- und Innovationsforschung (IGIF) der Bergischen Universität Wuppertal ist bekannt. Wir teilen die Meinung, dass der grundsätzliche Ansatz von NFTE, Unternehmensgründung darzustellen und zu fördern, richtig ist. Die explizite Nennung von Marken- und Firmennamen bzw. Firmenlogos ist zur Durchführung eines Unterrichts im Sinne des Ansatzes aber weder notwendig noch vertretbar. Bezüglich der Aussagen des IGIF über NFTE ist zu beachten , dass nach unserem Kenntnisstand keine wissenschaftliche Studie vorliegt, welche die Empfehlung des Instituts nachvollziehbar stützen könnte. Wiesbaden, 10. Oktober 2016 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz