Kleine Anfrage des Abg. Rentsch (FDP) vom 8. September 2016 betreffend Eigen- und Unternehmerbetriebe in hessischen Justizvollzugsanstalten und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung des Fragestellers: Entsprechend dem Resozialisierungsgedanken im Strafvollzug, soll straffälligen Menschen bereits im Strafvollzug eine Chance auf den (Rück-)Weg in einen Beruf geboten werden, um ihr Leben in Zukunft legal bewältigen zu können Viele Unternehmerbetriebe, die in Justizvollzugsanstalten produzieren lassen, können den Gefangenen hier eine breite Palette an Tätigkeiten bieten. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verantwortung (Stichwort: Corporate Social Responsibility) ist es daher wünschenswert, eine möglichst große Zahl an hessischen Unternehmen der freien Wirtschaft für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Auch für die örtliche Wirtschaft entsteht daraus ein Gewinn, da ihnen in den Gefängnissen Produktionsmöglichkeiten in unmittelbarer Firmennähe zur Verfügung steht, die diese ohne großen Aufwand zur Verwirklichung ihres Unternehmenszieles nutzen können. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. In welchen hessischen Justizvollzugsanstalten gibt es Eigenbetriebe bzw. Eigen- sowie externe Unternehmerbetriebe? (Bitte aufgegliedert nach der jeweiligen Justizvollzugsanstalt und nach Eigen- oder externe Unternehmerbetriebe) Eigenbetriebe, d.h. Betriebe, in denen Personal, Räumlichkeiten, Maschinenpark und verwendete Materialien ausschließlich durch die Anstalt zur Verfügung gestellt bzw. beschafft werden, gibt es in folgenden hessischen Justizvollzugsanstalten: JVA Eigenbetrieb Butzbach Schlosserei Schneiderei Schreinerei Wäscherei Darmstadt Schlosserei Druckerei Frankfurt am Main III Wäscherei Schneiderei Kassel I Bäckerei Buchbinderei Schlosserei Schreinerei Wäscherei Rockenberg Bäckerei Schlosserei Eingegangen am 19. Oktober 2016 · Bearbeitet am 19. Oktober 2016 · Ausgegeben am 24. Oktober 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3765 19. 10. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3765 JVA Eigenbetrieb Schwalmstadt Schlosserei Wiesbaden Bäckerei Schlosserei Schreinerei Unternehmerbetriebe, d.h. Betriebe, in denen durch den Vollzug lediglich das Personal, die Räumlichkeiten und eine gewisse Infrastruktur, wie z.B. Luftdruckversorgung sowie Flurfördergeräte zur Verfügung gestellt werden und in denen die für die Produktion erforderlichen Materialien und Werkzeuge durch den jeweiligen externen Auftraggeber gestellt werden, gibt es in allen hessischen Justizvollzugsanstalten mit Ausnahme der Jugendanstalten Rockenberg und Wiesbaden. Frage 2. Welche dieser Eigen- oder externen Unternehmerbetriebe bieten Ausbildungs- bzw. Qualifizierungsangebote für die Gefangenen an? (Bitte aufgegliedert nach Justizvollzugsanstalt, Eigen- oder Unternehmerbetrieb, Branche und welche Ausbildungs- bzw. Qualifizierungsangebote.) Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Gefangene werden überwiegend in eigenständigen Ausbildungsbetrieben durchgeführt. Die Gefangenen werden dort entweder durch Vollzugspersonal oder durch das Personal eines vertraglich verpflichteten Maßnahmeträgers angeleitet . Darüber hinaus wird auch in einigen Eigenbetrieben betriebsintern und fachbezogen ausgebildet (vgl. nachstehende Übersicht). In den Unternehmerbetrieben findet keine Ausbildung oder Qualifizierung statt. JVA Eigenbetrieb Branche Ausbildungsangebot Butzbach Schlosserei Metall Metallbauer Schreinerei Holz Tischler Darmstadt Schlosserei Metall Metallbauer Schweißerzertifizierung Druckerei Druck/Papier Handwerksbuchbinder Industriebuchbinder Mediengestalter Drucker Kassel I Bäckerei Lebensmittel Bäcker Schreinerei Holz Tischler Rockenberg Bäckerei Lebensmittel Bäcker Schlosserei Metall Schweißerzertifizierung Metallbauer Wiesbaden Bäckerei Lebensmittel Bäcker Schlosserei Metall Metallbauer Schweißerzertifizierung Schreinerei Holz Tischler Frage 3. Bedarf es durch die Produktion externer Unternehmerbetriebe in den hessischen Justizvollzugsanstalten erhöhter Personal- und/oder Sicherungsmaßnahmen? Die Produktion in einem Betrieb bedingt die regelmäßige Anlieferung von Rohmaterialien und die Abholung von fertigen Waren. Dieser Lieferverkehr muss eingehend kontrolliert werden. Darüber hinaus muss die Vollzähligkeit aller Gefangenen nach jeder Anlieferung bzw. Abholung überprüft werden. Die Notwendigkeit dieser Kontrollen und Überprüfungen stellt sich in besonderem Maße für die Unternehmerbetriebe, in denen täglich Material angeliefert und fertige Produkte abgeholt werden. Frage 4. Wenn ja, welche Kosten sind hierfür in den letzten 5 Jahren dafür angefallen? Kosten für die in der Antwort zu Frage 3. genannten Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen werden nicht gesondert erfasst und können daher nicht mitgeteilt werden. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3765 3 Frage 5. Welche Produktionsquoten werden in den Unternehmerbetrieben im hessischen Justizvollzug im Verhältnis ihrer Produktionsquote außerhalb der Gefängnisse erzielt? (Bitte aufgegliedert nach Unternehmerbetrieb und Branche.) Der Begriff Produktionsquote beschreibt üblicherweise eine im Rahmen der Erzeugung /Produktion festgesetzte Obergrenze, die von den Produzenten nicht überschritten werden darf. Soweit die Produktivität der Gefangenenarbeitskräfte im Vergleich zu der Produktivität der in der gleichen Branche außerhalb des Vollzugs tätigen Arbeitnehmer angesprochen sein sollte, ist Folgendes zu bedenken: Die Betriebe in den Justizvollzugsanstalten unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf ihre Zielsetzung als auch im Hinblick auf ihre Ausgestaltung grundsätzlich von den Betrieben außerhalb des Vollzugs. Während die Produktion in externen Unternehmen primär auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist, steht im Vordergrund aller vollzuglichen Bemühungen die Erfüllung des gesetzlich vorgeschriebenen Eingliederungsauftrags. Gefangene sollen befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Ziel der Arbeit in den Betrieben ist es daher, Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine regelmäßige Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts nach der Entlassung zu vermitteln, zu fördern oder zu erhalten. Auch die Gegebenheiten in den Betrieben außerhalb und innerhalb des Justizvollzugs weichen grundsätzlich voneinander ab. In der freien Wirtschaft werden Arbeitskräfte nach ihrer beruflichen Qualifikation eingestellt und ein ständiger Wechsel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eher selten. In vielen Bereichen wird im Mehrschichtbetrieb gearbeitet, um Maschinen effizient zu nutzen. All dies trifft auf die Betriebe in den Justizvollzugsanstalten nur eingeschränkt oder gar nicht zu. Die Arbeitskräfte sind hier vielfach beruflich kaum qualifiziert oder waren bereits seit längerer Zeit nicht mehr im gelernten Beruf tätig, so dass sie zunächst angelernt werden müssen. Die Fluktuation innerhalb der Betriebe ist sehr hoch, da Gefangene maximal für die Dauer des Aufenthaltes in einer Anstalt an einem Arbeitsplatz eingesetzt werden können. Darüber hinaus ist die tägliche Arbeitszeit organisationsbedingt auf sieben Stunden limitiert. Die Tagesleistung bzw. Produktivität eines Gefangenen in einem Unternehmerbetrieb ist somit bereits vom Ansatz her selbst in der gleichen Branche nicht vergleichbar mit der eines Arbeitnehmers in der freien Wirtschaft. Entsprechende Vergleichszahlen liegen im Übrigen auch nicht vor. Frage 6. Wie hoch sind die durchschnittlichen Produktionskosten für Eigen- bzw. Unternehmerbetriebe in hessischen Justizvollzugsanstalten? (Bitte unterschieden nach Branche, Eigen- bzw. Unternehmerbetrieb und Justizvollzugsanstalt.) Die Produktionskosten in den verschiedenen Betrieben der Justizvollzugsanstalten werden regelmäßig auftrags- oder produktbezogen ermittelt, wobei eine tatsächliche Vollkostenkalkulation nicht erfolgt. Keine Berücksichtigung finden z.B. Gebäudeabschreibungen, weil die Gebäude nicht nur zweckorientiert für das jeweilige Gewerk, sondern insbesondere auch im Hinblick auf eine sichere Unterbringung der dort tätigen Gefangenen konstruiert, gebaut und instand gehalten werden. Auch die Personalkosten fließen nur anteilig ein, da den Bediensteten nicht nur die fachliche Anleitung und Beaufsichtigung der Gefangenen obliegt, sondern darüber hinaus zahlreiche Sicherungsaufgaben wahrzunehmen sind. Die Produktionskosten in den Eigen- und Unternehmerbetrieben sind somit mit den Produktionskosten von Unternehmen in der freien Wirtschaft nicht vergleichbar. In den Eigenbetrieben werden die einzelnen Aufträge so kalkuliert, dass zumindest alle berücksichtigungsfähigen Kostenanteile wie anteilige Personalkosten, Gefangenenlöhne mit Nebenkosten , Materialien und Abschreibungen für Maschinen gedeckt sind. Durchschnittliche Produktionskosten werden aufgrund der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Aufträge nicht ermittelt und können daher nicht mitgeteilt werden. In den Unternehmerbetrieben entstehen dem Vollzug an berücksichtigungsfähigen Kosten in erster Linie die anteiligen Kosten für das eingesetzte Personal sowie die Entlohnung der Gefangenenarbeitskräfte . Wie bei den Eigenbetrieben werden z.B. die Abschreibungskosten für Gebäude nicht eingerechnet. Alle sonstigen Kosten beeinflussenden Faktoren (z.B. für Materialien und Geräte) werden von den externen Auftraggebern getragen. Aussagen über durchschnittliche Produktionskosten können auch für die Unternehmerbetriebe aus den oben genannten Gründen nicht gemacht werden. Frage 7. Wie hoch ist die durchschnittliche Vergütung der Arbeitsleistung der Gefangenen durch externe Unternehmerbetriebe? (Bitte aufgeschlüsselt nach Branche und Justizvollzugsanstalt.) Die Vergütung der im Bereich der Unternehmerbetriebe eingesetzten Gefangenen erfolgt nicht durch den jeweiligen externen Auftraggeber, sondern durch die Justizvollzugsanstalt. Die Höhe der Vergütung ist verbindlich in der Hessischen Strafvollzugsvergütungsverordnung geregelt. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3765 Gefangene, die Tätigkeiten in Unternehmerbetrieben verrichten, werden je nach Schwierigkeitsgrad der auszuführenden Tätigkeit nach den Lohnstufen I oder II bezahlt. Dies entspricht einem Tagesverdienst von 9,41 € bzw. 11,04 €. Da die Tätigkeiten in den Unternehmerbetrieben im Leistungslohn bezahlt werden, kann sich dieser Tagessatz je nach erbrachter Mehr- oder Minderleistung erhöhen oder verringern. Unabhängig von der Bezahlung der Gefangenen werden mit den externen Auftraggebern für die auszuführenden Tätigkeiten Vergütungen auf Grundlage von bindenden Festsetzungen oder tariflichen Abschlüssen der jeweiligen Branchen vereinbart, wobei gewisse Abschläge z.B. aufgrund sicherheitsbedingter Wartezeiten bei der An- und Ablieferung möglich sind. Frage 8. Um wie viel niedriger liegt diese Vergütung im Justizvollzug im Verhältnis zu einer angemessenen Vergütung der Arbeitsleistung, die von den Unternehmerbetrieben außerhalb der Gefängnisse zu zahlen wäre? Wie bereits in der Antwort zu Frage 7. ausgeführt, zahlen externe Auftraggeber an die Justizvollzugsanstalten eine Vergütung, die mit Abschlägen der Bezahlung außerhalb des Vollzugs entspricht. Frage 9. Wie häufig kommt es in den Eigen- oder externen Unternehmerbetrieben zu einem Arbeitskräftewechsel , z.B. bedingt durch die Herausnahme von Gefangenen aus dem Arbeitsprozess aufgrund von Resozialisierungs- oder Behandlungsmaßnahmen? Sowohl in Eigen- als auch in Unternehmerbetrieben führen kurzzeitige Herausnahmen aus dem Arbeitsprozess zum Zwecke der Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen nicht zu einem Arbeitskräftewechsel . Ein Ersatz am Arbeitsplatz wird erst dann gestellt, wenn ein Gefangener überhaupt nicht am Arbeitsplatz erscheint oder für mehr als einen Tag ausfällt. Unabhängig davon wird versucht, behandlungsbedingte Fehlzeiten am Arbeitsplatz so gering wie möglich zu halten . Entsprechende Fehlzeiten werden nicht gesondert statistisch erfasst und können daher nicht mitgeteilt werden. Frage 10. Was wird konkret seitens der Landesregierung unternommen, um weiteres unternehmerisches Engagement von Unternehmerbetrieben in den Justizvollzugsanstalten zu gewinnen und neue Unternehmerbetriebe zu akquirieren? Die Gewinnung neuer Auftraggeber erfolgt maßgeblich durch die vor Ort in den Unternehmerbetrieben tätigen Vollzugsbediensteten. Diese sprechen vorhandene Kunden auf neue Auftragsmöglichkeiten an und sind darüber hinaus aufgrund der Kenntnis regionaler Gegebenheiten und Veränderungen sowie entsprechender Kontakte immer wieder in der Lage, neue Aufträge für die jeweilige Anstalt zu akquirieren. Darüber hinaus ist im Jahr 2006 eine Zentrale Leitstelle für das Arbeitswesen (ZLA) eingerichtet worden, die z.B. im Rahmen von Brief-Mailingaktionen oder beauftragten Telefonakquisen die Arbeit im Vollzug vorstellt und für ein entsprechendes Engagement externer Auftraggeber im Vollzug wirbt. Seit dem Jahr 2007 präsentiert die ZLA den Bereich Arbeit im Justizvollzug auf dem Hessentag und ist auf verschiedenen Messen mit einem eigenen Stand vertreten. Schließlich präsentiert sich jede hessische Justizvollzugsanstalt mit ihren Arbeitsbetrieben im Internet. Einige Anstalten haben zudem Unternehmertage veranstaltet, zu denen potenzielle externe Auftraggeber über die Unternehmerverbände eingeladen wurden. In diesem Rahmen konnten die Arbeitsmöglichkeiten der Anstalten in der Vergangenheit erfolgreich dargestellt und neue Kontakte geknüpft werden. Wiesbaden, 13. Oktober 2016 Eva Kühne-Hörmann