Kleine Anfrage des Abg. Rock (FDP) vom 04.10.2016 betreffend Windkraft und Ausnahmen vom Tötungsverbot gemäß Bundesnaturschutzgesetz und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Wurden in Hessen im Zusammenhang mit der Genehmigung von Windkraftanlagen von Bauwilligen Anträge auf Ausnahmen vom Tötungsverbot gemäß §44 Bundesnaturschutzgesetz gestellt? Bei den Regierungspräsidien als Genehmigungsbehörden wurden bislang in sieben Fällen Anträge auf Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vom Tötungsverbot gemäß § 44 BNatSchG gestellt. Frage 2. Um welche konkreten Vorhaben handelte es sich dabei? Im Regierungsbezirk Darmstadt wurden bislang fünf Ausnahmegenehmigungen erteilt. Bei vier Windparks wurden artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG wegen eines signifikant erhöhten Kollisionsrisikos für die Art Mäusebussard erteilt. Es handelt sich um die Windparks Buchonia (Sinntal), Greiner Eck (Hirschhorn/Neckarsteinach), Weilrod (Weilrod) und Geisberg (Erbach/Mossautal). Beim Windpark Greiner Eck wurde eine Ausnahme für den Fichtenkreuzschnabel im Zusammenhang mit der Baufeldfreimachung zugelassen. Im Regierungsbezirk Gießen wurden bisher zwei Anträge auf Ausnahmen vom Tötungsverbot gemäß § 44 BNatSchG im Zusammenhang mit der Genehmigung von Windenergieanlagen gestellt . Dies betrifft folgende Vorhaben: Windkraftanlagen Rabenau Geilshausen: Vorsorglicher/überschießender Ausnahmeantrag für den Schwarzstorch (Bescheid nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 6. August 2013), Windkraftanlagen Gladenbach-Rachelshausen: Ausnahmeantrag für den Mäusebussard (laufendes Verfahren). Im Regierungsbezirk Kassel wurden im Zusammenhang mit der Genehmigung von Windkraftanlagen keine Anträge auf Ausnahmen vom Tötungsverbot gemäß § 44 BNatSchG gestellt. Frage 3. Wie haben die Landesbehörden in den Fällen konkret entschieden? Hierzu wird auch auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Im Regierungsbezirk Darmstadt wurden die Ausnahmegenehmigungen erteilt. Im Regierungsbezirk Gießen gibt es noch ein laufendes Verfahren. Frage 4. Unter welchen Umständen würde die Landesregierung eine entsprechende Ausnahmegenehmigung erteilen? Die artenschutzrechtliche Ausnahme wird nicht von der Landesregierung zugelassen, zuständig sind hier die Regierungspräsidien. Eingegangen am 16. November 2016 · Bearbeitet am 17. November 2016 · Ausgegeben am 22. November 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3853 16. 11. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3853 Die zuständigen Behörden können eine artenschutzrechtliche Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG von dem Verbot eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos in den Fällen zulassen, in denen die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Insofern wird auf den Wortlaut des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. Satz 2 BNatSchG verwiesen. Danach können die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden von den Verboten des § 44 BNatSchG im Einzelfall Ausnahmen aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art zulassen. Eine Ausnahme darf nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG weiter gehende Anforderungen enthält. Die artenschutzrechtliche Ausnahme zur Zulassung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos des Mäusebussards durch Windkraftanlagen kann regelmäßig erteilt werden, da hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Hierfür sind folgende Gründe maßgeblich: Der Mäusebussard gilt als kollisionsgefährdet und ist somit in Windkraftverfahren entsprechend zu berücksichtigen, auch wenn er derzeit nicht auf der Liste in Anlage 2 "Kollisionsgefährdete Vogelarten" im Windkraftleitfaden genannt ist. Da der Mäusebussard allerdings häufig ist und nahezu flächendeckend vorkommt, ist sein Vorkommen in der Regel kein Ausschlusskriterium für die Errichtung von Windkraftanlagen. In den Antragsunterlagen sind die Horststandorte bzw. Revierzentren zu ermitteln und es soll eine Einschätzung erfolgen, ob ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko und damit Tötungsrisiko zu befürchten ist. Langwierige, detaillierte Untersuchungen des Flugverhaltens der Tiere im Sinne einer Funktionsraumanalyse sind in der Regel nicht vorzusehen. Wird ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko bejaht, so ist eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG erforderlich. In dem Zusammenhang kann unter Prüfung maßvoller Vermeidungsmaßnahmen zu Gunsten der Art, beispielsweise durch Standortverschiebungen , das Nichtvorhandensein zumutbarer Alternativen in der Regel mit der flächendeckenden Verbreitung der Art und die nicht zu befürchtende Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Population mit der Häufigkeit der Art begründet werden. "Andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art" im Sinne des § 45 Abs. 7 BNatSchG können auf Grund der baurechtlichen Privilegierung der Windenergieanlagen oder der Darstellung einer Vorrangfläche für die Windenergienutzung im Einzelfall vorliegen (s. hierzu z.B. Ruß, S./Sailer,F.: Anwendung der artenschutzrechtlichen Ausnahme auf Windenergievorhaben, Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht Nr. 21 vom 8. April 2016; s.a. Ruß, NuR (2016) 38: 591, sowie Müller -Mitschke: Artenschutzrechtliche Ausnahmen vom Tötungsverbot für windenergieempfindliche Vogelarten bei Windenergieanlagen, NuR (2015) 37: 741:). Anders als bei nicht flächendeckend vorkommenden Vogelarten mit Dichtezentren des Vorkommens in bestimmten Teilen Hessens (wie z.B. Rotmilan) kommt beim Mäusebussard wegen seiner nahezu flächendeckenden Verbreitung neben den bereits erwähnten kleinflächigen Optimierungen keine Alternativenprüfung im engeren artenschutzrechtlichen Sinne in Betracht. Damit drängen sich regelmäßig keine zumutbaren Standortalternativen auf. Bezüglich anderer kollisionsgefährdeter Vogelarten sind regelmäßig artenschutzrechtliche Prüfungen nach Maßgabe des Leitfaden zur Berücksichtigung der Naturschutzbelange bei der Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen (WKA) in Hessen des Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz/des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung aus dem Jahr 2012 durchzuführen. Hierbei sind die örtlichen Besonderheiten zu würdigen. In diesen Fällen ist inzwischen grundsätzlich eine Alternativenprüfung möglich, da in allen Regionen des Landes Untersuchungen bezüglich der maßgeblichen Dichtezentren der Vogelarten erfolgt sind. Diese im Zusammenhang mit den eigenen qualifizierten Untersuchungen der Antragsteller stellen in der Regel eine hinreichende Datengrundlage dar, um außerhalb bekannter Dichtezentren im Einzelfall über die artenschutzrechtlichen Ausnahmen entscheiden zu können. Wiesbaden, 8. November 2016 Priska Hinz