Kleine Anfrage der Abg. Wissler (DIE LINKE) vom 03.11.2016 betreffend Wirbelschleppen bedeuten Lebensgefahr und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung der Fragestellerin: Die Gefahr, die von Luftverwirbelungen (sog. Wirbelschleppen) im Landeanflug großer Flugzeuge am Frankfurter Flughafen ausgeht, ist noch immer nicht bekannt. In einer Presseerklärung vom 08.04.2013 schrieb der damals für den Flugverkehr zuständige und heute im Aufsichtsrat der Fraport AG sitzende Landtagsabgeordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frank Kaufmann: "Wirbelschleppen bedeuten Lebensgefahr - Grüne: Landesregierung muss Sicherheit gewährleisten (…) DIE GRÜNEN weisen darauf hin, dass nach der Vielzahl der Vorfälle sich niemand mehr ahnungslos zurückziehen und seine Hände in Unschuld waschen könne. "Es muss unverzüglich sichergestellt werden, dass nicht auch noch Personenschäden entstehen, allein die Schockwirkung der bisherigen Unfälle ist schlimm genug ", fordert Kaufmann und fragt, "wer in der Landesregierung übernimmt denn im Fall der Fälle die - dann auch strafrechtliche - Verantwortung? Weitere Untätigkeit wäre zumindest grob fahrlässig". DIE GRÜNEN sehen denn auch durch die bestehende Situation die öffentliche Sicherheit gefährdet, sodass eingegriffen werden muss. "Die als Schutzmaßnahme angekündigte Festklammerung von Dachziegeln wird wohl kaum ausreichen, zumal sie die unmittelbare Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern durch die Luftwirbel nicht beseitigen kann", bewertet Kaufmann die Situation, "das Übel muss vielmehr von seiner Ursache her bekämpft werden; man darf einfach so große Flugzeuge nicht so niedrig über bewohntes Gebiet führen. Deswegen muss die Nutzung der Nordwest-Landebahn entsprechend eingeschränkt werden - wir dürfen nicht solange warten, bis Unfallopfer zu beklagen sind." Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Es ist zutreffend, dass der Abgeordnete Frank Kaufmann in der Pressemitteilung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 08.04.2013 von der Landesregierung vorbeugende Maßnahmen gefordert hat. Anlass hierfür war, dass Anfang 2013 der Fraport AG eine größere Anzahl von Wirbelschleppenschäden gemeldet wurde als im vergleichbaren Zeitraum des vorangegangenen Jahres. Die genauen Ursachen für diese Vorkommnisse wurden vom Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung (HMWVL) unter Beteiligung der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH und des Deutschen Wetterdienst näher überprüft. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse haben gezeigt, dass es keinen zweifelsfreien Beweis dafür gibt, dass die seinerzeit gemeldeten Schadensfälle allesamt tatsächlich auf Wirbelschleppen zurückzuführen sind. Es konnte allerdings auch nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass zumindest ein Teil der gemeldeten Schäden von Wirbelschleppen verursacht wurde. Auf der Grundlage dieser Tatsachen hat das HMWVL am 10.05.2013 - also gut einen Monat nach der o. g. Pressemitteilung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - einen Planergänzungsbeschluss zur Ergänzung der im Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Verkehrsflughafens Frankfurt Main vom 18.12.2007 verfügten Nebenbestimmung zu Wirbelschleppen erlassen. Der Beschluss sieht eine Erweiterung des ursprünglichen Schutzkonzepts gegen Wirbelschleppen vor. Demnach ist die Fraport AG nicht mehr nur zur nachträglichen Regulierung von Schäden verpflichtet , sondern muss nunmehr auch vorbeugend tätig werden. Konkret sieht der Planergänzungsbeschluss vom 10.05.2013 vor, dass Eigentümer von Grundstücken innerhalb eines bestimmten Gebietes verlangen können, dass Dacheindeckungen von Gebäuden auf diesen Grundstücken gegen wirbelschleppenbedingte Windböen gesichert werden. Das maßgebliche Gebiet ist in dem Planergänzungsbeschluss exakt definiert und erstreckt sich insbesondere auf weite Teile von Flörsheim und Raunheim. Mit Planergänzungsbeschluss vom 26.05.2014 hat das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL) das Anspruchsgebiet aus dem Gesichtspunkt größtmöglicher Vorsorge im Interesse der Flughafenanrainer noch einmal deutlich vergrößert . Es umfasst nunmehr den ganzen Kernort von Flörsheim sowie ganz Raunheim. Eingegangen am 14. Dezember 2016 · Bearbeitet am 15. Dezember 2016 · Ausgegeben am 19. Dezember 2016 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/3925 14. 12. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3925 Mit den Planergänzungsbeschlüssen vom 10.05.2013 und 26.05.2014 ist den Bedenken, die von dem Abgeordneten Kaufmann in der Pressemitteilung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 08.04.2013 artikuliert wurden, Rechnung getragen worden. Insoweit hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass "die von Wirbelschleppen ausgehenden Sicherheitsrisiken […] mit den Schutzvorkehrungen", die das Land Hessen "in den Planergänzungsbeschlüssen vom 10. Mai 2013 und vom 26. Mai 2014 angeordnet hat, abwägungsfehlerfrei bewältigt" wurden (vgl. Hess. VGH, Urt. v. 30.04.2015, Az.: 9 C 1507/12.T, Rdnr. 222). Die in der Vorbemerkung enthaltene Annahme, von Wirbelschleppen würde eine Gefahr ausgehen und deren Ausmaß sei "noch immer nicht bekannt", ist daher unzutreffend. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Ist nach Ansicht der Hessischen Landesregierung die "Festklammerung der Dachziegeln" ausreichend , um "die unmittelbare Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern durch die Luftwirbel" zu beseitigen? Frage 2. Hat die Ausweitung des "Wirbelschleppen-Vorsorgegebietes" von 2014 dazu geführt "die unmittelbare Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern durch die Luftwirbel" zu beseitigen? Die Fragen 1 und 2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt, ist auch nach der Überzeugung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs davon auszugehen, dass "die von Wirbelschleppen ausgehenden Sicherheitsrisiken […] mit den Schutzvorkehrungen", die das Land Hessen "in den Planergänzungsbeschlüssen vom 10. Mai 2013 und vom 26. Mai 2014 angeordnet hat, abwägungsfehlerfrei bewältigt" wurden. Es ist demnach keine "unmittelbare Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern durch die Luftwirbel" gegeben. In den Gerichtsverfahren um den Ausbau des Frankfurter Flughafens hat ein Gutachter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ausgeführt , dass weltweit keine direkten oder indirekten Schäden an Personen durch Wirbelschleppen bekannt sind. Frage 3. "Wer in der Landesregierung übernimmt denn im Fall der Fälle die - dann auch strafrechtliche - Verantwortung?" Wie bereits in der Vorbemerkung und der Antwort auf die Fragen 1 und 2 ausgeführt, wurde die Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns bereits gerichtlich festgestellt. Die Frage nach einer strafrechtlichen Relevanz stellt sich daher nicht. Frage 4. Was hat sich seit April 2013 (außer der Regierungsbeteiligung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geändert, dass die Hessische Landesregierung "das Übel" bisher nicht "von seiner Ursache her bekämpft" und die Nutzung der Nordwest-Landebahn für große Flugzeuge nicht eingeschränkt hat? Wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt, hat sich seit April 2013 geändert, dass aus dem Gesichtspunkt größtmöglicher Vorsorge im Interesse der Flughafenanrainer zwei Planergänzungsbeschlüsse erlassen wurden und damit auch nach gerichtlicher Überzeugung nunmehr der gebotene Schutz gewährleistet wird. Frage 5. Wie viele und welche Schäden durch Wirbelschleppen gab es seit Anfang 2013? Antwort bitte unter Angabe des Ortes und der Informationsquelle. a) Welcher dieser Schäden wurde durch die Fraport AG in welchem Umfang reguliert? b) Erkennt die Fraport AG bei den von Ihr regulierten Schäden an, dass sie in einem ursächlichen Zusammenhang mit Wirbelschleppen stehen? Antwort bitte mit Begründung. Seit dem 12. April 2013 werden öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige mit der Untersuchung gemeldeter Schäden beauftragt. Seit diesem Zeitpunkt sind der Fraport AG 35 Fälle von Dachbeschädigungen gemeldet worden, bei denen eine Wirbelschleppe nach Maßgabe des Schadensbildes als Ursache letztlich nicht ausgeschlossen werden konnte. Neben den Sachverständigen führen die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH und der Deutsche Wetterdienst im Auftrag des HMWEVL fachgutachterliche Überprüfungen durch. Auf der Grundlage der so gewonnen Informationen ist bei einigen der 35 Fälle davon auszugehen, dass auch die vorherrschenden Wetterbedingungen zum Ereigniszeitpunkt für das Schadenereignis ursächlich gewesen sein könnten. Die o.g. Schadensfälle lagen in Raunheim, Flörsheim sowie Kelsterbach und alle innerhalb des Vorsorgegebiets, welches mit den o.g. Planergänzungsbeschlüssen vom 10.05.2013 und 26.05.2014 verfügt wurde. Sämtliche o. g. Schäden wurden durch die Fraport AG vollumfänglich reguliert. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/3925 3 Gemäß den Vorgaben der Planfeststellung muss die Fraport AG Schäden bereits dann regulieren , wenn eine Wirbelschleppe als Ursache lediglich nicht ausgeschlossen werden kann. Der Beweis, dass einzig eine Wirbelschleppe als Schadensursache anzunehmen ist, ist aufgrund der in diesen Fällen geltenden Beweislastumkehr nicht erforderlich, so dass eine Anerkennung eines "ursächlichen Zusammenhangs" zur Geltendmachung von Ansprüchen nicht notwendig ist. Frage 6. 2013 kündigt das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung an, zu prüfen und zu entscheiden, ob das Land Hessen Schäden durch Wirbelschleppen eigenständig in einem Kataster erfasst oder die Dokumentation weiterhin der Fraport AG überlässt. (s. Antwort des Ministers für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Florian Rentsch auf die Zusatzfrage von Janine Wissler, Plenarprotokoll 18/138, 25.04.2013). Wurde ein landeseigenes Wirbelschleppenkataster eingerichtet? Antwort bitte mit Begründung. Es ist zutreffend, dass der seinerzeitige Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung , Florian Rentsch, in der Plenarsitzung vom 25.04.2013 auf die Frage der Abgeordneten Janine Wissler, ob sie es richtig verstanden habe, "dass das Ministerium plant, in Zukunft eine von Fraport unabhängige Dokumentation und Aufarbeitung der Wirbelschleppenschäden vorzunehmen ", geantwortet hat: "Frau Abgeordnete, wir haben darüber keine abschließende Entscheidung getroffen, werden sie aber treffen". Nach der ständigen Praxis des HMWEVL werden Schäden, die der Fraport AG gemeldet werden , vom HMWEVL dokumentiert und auf der Grundlage von Gutachten von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für das Dachdeckerhandwerk überprüft. Zudem wird jeder Vorfall, sofern der Schadenszeitpunkt eingrenzbar ist, der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH zur Untersuchung auf einen möglichen Zusammenhang zu Flugbewegungen vorgelegt. Zusätzlich wird der Deutsche Wetterdienst zur Beurteilung der meteorologischen Situation mit der Erstattung meteorologischer Fachgutachten beauftragt. Es findet folglich eine gründliche Aufarbeitung eines jeden Schadensfalles unabhängig von einer Dokumentation oder Bewertung durch die Fraport AG statt. Infolge dieser Aufarbeitung gewinnt das HMWEVL eigenständig ein deutliches Bild von der räumlichen Verteilung der Schadensfälle. Über jede Schadensmeldung und über das Ergebnis einer jeden Überprüfung wird im Hessischen Landtag im Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung eingehend berichtet. Frage 7. In dem Ermittlungsverfahren wegen "vollendeter Körperverletzung" gegen den Vorstandsvorsitzenden der Fraport AG Stefan Schulte 2014, vertraten Rechtsanwälte der Fraport AG die Position , dass nach der Gesetzgebung bei Sach- oder Personenschäden durch Wirbelschleppen die Haftung nicht beim Flughafenbetreiber läge, da die Luftfahrzeuge nicht von Mitarbeitern der Fraport betrieben oder geflogen würden. a) Beschreibt diese Aussage der Fraport-Anwälte nach Auffassung der Landesregierung die Rechtslage zutreffend? b) Wenn Ja: Beabsichtigt die Hessische Landesregierung, Schritte hin zu einer Änderung der Gesetzgebung einzuleiten? Das HMWEVL wurde in dem Ermittlungsverfahren nicht beteiligt, so dass Einzelheiten des Verfahrens nicht bekannt sind und in der Folge auch nicht bewertet werden können. Wiesbaden, 2. Dezember 2016 Tarek Al-Wazir