Kleine Anfrage des Abg. Schaus (DIE LINKE) vom 10.11.2016 betreffend mögliche Verstrickung des NSU in Straftaten zum Nachteil von Kindern und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Das Auffinden von DNA des verstorbenen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt am Fundort der Leiche von Peggy Knobloch hat einen bisher in weiten Teilen vernachlässigten Aspekt in der Aufklärung des NSU- Komplexes in den Vordergrund gestellt. Es gibt zahlreiche Hinweise auf eine Verbindung des NSU zu Straftaten zum Nachteil von Kindern, teilweise im Bereich der Pädokriminalität. So lief gegen Beate Zschäpe bereits vor ihrem Untertauchen ein Verfahren wegen des Besitzes von kinderpornographischem Material, erneut wurde auf einem 2011 sichergestellten Rechner von Beate Zschäpe kinderpornographisches Material sichergestellt 1. Der Fall des 1993 ermordeten damals 9-jährigen Bernd B. ist bis heute nicht aufgeklärt, sowohl Uwe Böhnhardt als auch der NSU-Unterstützer Enrico T. standen teilweise unter Verdacht2. Ungeklärt ist weiterhin, wem die Kinderkleidung und Spielsachen im ausgebrannten Wohnmobil des NSU gehörten und ob die Aussagen verschiedener Zeugen zutreffen, die Beate Zschäpe in Begleitung von Kindern während der Zeit ihres Untertauchens gesehen haben wollen. Der langjährige Freund des NSU Kerntrios, der V-Mann Tino B. wurde Ende 2014 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und Förderung von Prostitution in 66 Fällen zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt . Es gibt zahlreiche weitere Neonazis aus dem direkten Umfeld des NSU mit Bezug zu Pädokriminalität3. Auch der Aspekt der rituellen Gewalt spielte in der NSU-Betrachtung bisher eine untergeordnete Rolle, obwohl es eine "NS-Black-Metal" - Szene gibt und auch der als "Satansmörder von Sonderhausen" bekannt gewordene Thüringer Neonazi Hendrik M sowohl ein guter Bekannter von Tino B. war als auch von William Pierce, dem Autor der "Turner-Tagebücher", die als "Blaupause des NSU" gelten, zeitweise versteckt wurde4. Die bisherige Beweisaufnahme im NSU-Untersuchungsausschuss hat unter anderem ergeben, dass es auch in Nordhessen enge Verbindungen und Personenidentitäten von gewalttätigen Neonazis in das Milieu der organisierten Kriminalität (bspw. Rockerkriminalität) gibt, in welcher Menschenhandel und Zuhälterei bekanntermaßen eine wichtige Rolle spielen. Dem Fragesteller ist unlängst der Fall einer versuchten Kindesentführung im hessischen Eltville aus dem April 2011 bekannt geworden, bei dem ein Zeuge Uwe Böhnhardt als Tatverdächtiger bei Lichtbildvorlagen identifiziert haben soll (PP Westhessen, VNr. ST/1070786/2011). Diese Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin der Justiz wie folgt: Frage 1. Konnte der Hinweis aus dem Verfahren VNr. ST/1070786/2011 verifiziert werden? Wenn nein, beabsichtigt die Landesregierung nunmehr eine intensive Überprüfung des Falles? Der Fall der versuchten Kindesentführung im hessischen Eltville konnte nicht aufgeklärt werden . Das Verfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft Wiesbaden am 26. Oktober 2011 mangels Täterermittlung eingestellt. Als sich danach Hinweise auf eine mögliche Täterschaft des NSU-Angehörigen Uwe Mundlos ergaben, leitete die Staatsanwaltschaft Wiesbaden die Akten dem Generalbundesanwalt zur Prüfung der Übernahme zu. Dieser beauftragte das Bundeskriminalamt mit der Überprüfung. Ein Tatverdacht gegen Mundlos oder Böhnhardt konnte durch das BKA nicht verifiziert werden, so dass es bei der Einstellung des Verfahrens verblieb. _________________________________ 1 http://www.stuttgarter-nachrichten.de[...] 2 http://www.Merkur.de[…] 3 Näheres dazu unter http://abolition2014.blogspot[...] 4 http://www.morgenweb[...] Eingegangen am 13. März 2017 · Bearbeitet am 13. März 2017 · Ausgegeben am 16. März 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4027 13. 03. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4027 Frage 2. Beabsichtigt die Landesregierung eine generelle Überprüfung unaufgeklärter Fälle von Kindstötung , so wie es in Thüringen derzeit geschieht? Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Feststellung der DNA-Spur des Uwe Böhnhardt am Fundort der Leiche der Peggy in Bayern wurden die Länder über den AK II Innere Sicherheit der IMK über den Sachverhalt informiert. Im Fortgang wurden einheitliche Kriterien für eine systematische Überprüfung ungeklärter ähnlich gelagerter Fälle durch Bund und Länder festgelegt . Die Kriterien umfassen u. a. die Opferauswahl (Kinder bis 14 Jahre), den Tatzeitraum (1990 - 2011), die DNA-Profile, bekannte Tatorte und Fahrtrouten, genutzte Fahrzeuge und Telekommunikationsmittel , Personenbeschreibung, Aliaspersonalien und Asservate mit Bezug zu Kindern . Sofern durch die Länderdienststellen im Rahmen des Abgleiches der Bewertungskriterien mit den eigenen Ermittlungserkenntnissen ein Verdachtsfall erkannt wird, erfolgt eine Meldung des Sachverhaltes an das BKA, um die weiteren Ermittlungsmaßnahmen abzustimmen. Unter Beachtung der Kriterien wurden vom Hessischen Landeskriminalamt (HLKA) vier Fälle identifiziert, in denen eine Überprüfung im Hinblick auf einen NSU-Bezug erfolgte. Bei den Prüffällen handelte es sich um: Vermisstenfall Annika S. (seit 06.09.1996 vermisst aus Kelkheim), Tötungsdelikt z.N. Tristan B. (26.03.1998 ermordet aufgefunden in Frankfurt am Main Liederbach ), Tötungsdelikt z.N. Melanie F. (am 16.06.1999 verschwunden in Wiesbaden, Skelettfund in 2003), Tötungsdelikt z.N. Johanna B. (02.09.1999 ermordet aufgefunden, Friedberg). In keinem der Fälle haben sich Anhaltspunkte bzw. Hinweise ergeben, dass diese im Zusammenhang mit einer Täterschaft oder Teilnahme mit dem NSU-Trio, insbesondere Uwe Böhnhardt , stehen könnten. Unabhängig von der aktuellen Erkenntnislage wurde seitens des HMdIS per Erlass geregelt, dass erfolglos gebliebene Ermittlungsverfahren zu herausragend schweren Straftaten in angemessenen Abständen durch bisher nicht mit dem Fall befasste, erfahrene Ermittler zu überprüfen sind und das HLKA über diese Verfahren die Fachaufsicht ausübt. Ungeklärte Tötungsdelikte fallen regelmäßig unter dieses Verfahren. So wurden die vorgenannten Prüffälle bereits mehrfach neu aufgegriffen. Frage 3. Beabsichtigt die Landesregierung eine Überprüfung unaufgeklärter Entführungen oder Entführungsversuche von Kindern? Es wird auf die Antworten zu Fragen 1 und 2 verwiesen. Frage 4. Gibt es seit 1998 weitere Strafverfahren, in welchen Spuren auf Beate Zschäpe, Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt als Täter hingewiesen haben? Sowohl den hessischen Staatsanwaltschaften als auch dem Hessischen Landeskriminalamt liegen keine Erkenntnisse zu Strafverfahren vor, in welchen Spuren auf die drei vorgenannten Personen als Täter hinweisen. Die DNA-führende Dienststelle ist bei allen drei Personen das BKA. Die DNA-Analyse-Datei (DAD) weist ausdrücklich keine Querverbindungen "NSU" nach Hessen auf. Frage 5. Wenn ja, wie viele solcher Strafverfahren gibt es, um welche Delikte handelt es sich und wie wurde mit diesen Verfahren umgegangen? Es wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Frage 6. Sind den hessischen Sicherheitsbehörden personelle Überschneidungen von Personen aus dem Bereich PMK rechts mit Personen aus dem Bereich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekannt? Eine Recherche aller im "polizeilichen Auskunftssystem" (POLAS) erfassten Vorgänge ergab 37 Beschuldigte mit dem personenbezogenen Hinweis "PMK rechts", die wegen Sexualstraftaten (Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, sexuelle Nötigung, sexuelle Handlungen, Vollzug Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4027 3 des Beischlafs mit einem Kind) zum Nachteil von Kindern bis einschließlich 14 Jahre und sexueller Gewalt beschuldigt waren. Frage 7. Findet ein Informationsaustausch zwischen den zuständigen Fachabteilungen für politisch motivierte Kriminalität rechts einerseits und für organisierte Kriminalität andererseits statt? Auf der Grundlage der Empfehlungen des 2. Bundestagsuntersuchungsausschusses zum "NSU" wurde im Erlass "zur Qualitätssicherung in der kriminalpolizeilichen Arbeit sowie der Aus- und Fortbildung der hessischen Polizei" explizit geregelt, dass "bei Ermittlungen im Bereich der Gewaltkriminalität sorgfältig geprüft wird, ob ein rassistischer oder anderweitiger politisch motivierter Hintergrund vorliegt. Bei Fällen mit unklarer Motivlage wird das örtlich zuständige Fachkommissariat für Staatsschutz und das Hessische Landeskriminalamt beteiligt. Darüber hinaus prüft das Hessische Landeskriminalamt, ob eine Relevanz zur Einbindung des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen bzw. des Gemeinsamen Extremismus und Terrorismus Abwehrzentrums (GETZ/GAR) besteht." Im Übrigen gehört ein intensiver deliktsübergreifender Informationsaustausch zum Standard der kriminalpolizeilichen Arbeit. Auch im Landesamt für Verfassungsschutz Hessen (LfV) findet in Fällen von Überschneidungen eine phänomenübergreifende Bearbeitung statt. Frage 8. Ist die Überprüfung von Banküberfällen in Hessen nach einem möglichen NSU-Bezug - so wie sie in einem Vierphasenplan zu Überprüfung von unaufgeklärten Straftaten mit möglichem NSU- Bezug vor Jahren vorgesehen war - inzwischen abgeschlossen und wenn ja, mit welchem Ergebnis ? Bereits 2011 hat seitens des Hessischen Landeskriminalamtes eine Überprüfung von Waffen-/ Eigentums- und Gewaltdelikten nach Bezügen zum "NSU" stattgefunden. Vorrangig wurden die Tatparameter "ungeklärte Raubüberfälle auf Geldinstitute", "Fluchtmittel Fahrrad" und "ungeklärte Tötungsdelikte" herangezogen. Außer dem Tötungsdelikt zum Nachteil von Halit YOZGAT ergaben sich zwei Raubüberfalle auf Geldinstitute aus dem Jahr 2001 in Birstein und 2005 in Hünfeld, in dem ein Tatzusammenhang möglich erschien. Beide Fälle wurden nach ersten Ermittlungen zur weiteren Prüfung an das BKA BAO Trio abgegeben. Der in der Frage zitierte "Vierphasenplan zu Überprüfung von unaufgeklärten Straftaten mit möglichem NSU-Bezug" bezieht sich vermutlich auf die Konzeption der AG Fallanalyse vom 16.01.12 des "Gemeinsamen Analysezentrums Rechtsextremismus" (GAR). Die Konzeption sieht u. a. vor, dass für die Jahre 1990 bis 2011 die ungeklärten Tötungsdelikte, gemäß §§ 211, 212 StGB, bei denen kein Tatverdächtiger bekannt wurde, untersucht werden. Nach Abschluss der Phase 1a erfolgt derzeit eine bundesweite Evaluation über die Form der weiteren Überprüfungen. Für die weiteren möglichen Phasen 2-5 (ungeklärte Brand-/Sprengstoffdelikte, Raubüberfälle auf Geldinstitute, Waffen-, Sprengstoff- und Vereinigungsdelikte) ist das Ergebnis der andauernden Evaluation abzuwarten und im Fortgang durch die zuständigen Gremien der IMK zu entscheiden . Wiesbaden, 20. Februar 2017 Peter Beuth