Kleine Anfrage der Abg. Hammann und Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 23.11.2016 betreffend Sachstand der aktuellen Genehmigungen und Ergebnisse von Versuchsvorhaben mit Affen im Ernst-Strüngmann-Institut (ESI) und Antwort des Ministers für Wissenschaft und Kunst Vorbemerkung der Fragestellerinnen: Am Ernst Strüngmann Institut werden seit vielen Jahren Versuche mit Affen durchgeführt. Diese Versuche stehen in der öffentlichen Kritik, insbesondere die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V. sprechen sich gegen solche Versuche aus. Es bestehen Fragen bezüglich konkreter Ergebnisse bei mittlerweile abgeschlossenen Versuchen und der aktuellen Genehmigungssituation für Versuchsvorhaben mit Affen zur Hirnforschung . Vorbemerkung des Ministers für Wissenschaft und Kunst: Das Ernst-Strüngmann-Institut wurde im Jahr 2008 als unabhängiges Hirnforschungsinstitut nach Vorbild eines Max-Planck-Instituts (MPI) und nach den Richtlinien für Exzellenz der Max- Planck-Gesellschaft gegründet. Um die Finanzierung des ESI zu gewährleisten, gründeten die Söhne, die nach ihrem Vater benannte Ernst Strüngmann Foundation (ESF) mit einem Stiftungskapital von 200 Mio Euro. Aus den Kapitalerlösen erfolgt die Grundfinanzierung des ESI. Das ESI beschäftigt sich vornehmlich mit der kognitiven Hirnforschung, die auf Grund der steigenden Zahl neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen und dem hierdurch bestehenden Bedarf an Therapiemöglichkeiten zunehmend an Bedeutung gewinnt (z.B. Parkinson, Schizophrenie , Autismus, Depression). Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wie folgt: Frage 1. Für wie viele Versuchsvorhaben mit welcher jeweiligen Anzahl an Affen und welcher Zielrichtung liegen derzeit Genehmigungen vor und für welchen genauen Zeitraum gelten diese jeweils? Momentan liegen dem Ernst-Strüngmann-Institut sieben Genehmigungen zur Durchführung von Tierversuchen an Primaten nach § 8 Abs.1 Tierschutzgesetz vor. Die Versuchsvorhaben sind nach § 33 Abs. 2 TierSchVersV (Tierschutz- Versuchstierverordnung ) auf fünf Jahre befristet. Die Zielrichtung dieser Versuchsvorhaben liegt in der Erforschung grundlegender Mechanismen neuronaler Verarbeitung. Insbesondere zielen die am ESI durchgeführten Versuche darauf ab, ein genaueres Verständnis der Kommunikation und Interaktion von Neuronen im Gehirn zu erlangen . In den letzten Jahrzehnten hat sich der Blick auf die Organisation des Gehirns grundlegend verändert und es ist zunehmend klar, dass Kenntnis über anatomische Strukturen nicht ausreicht , um die Interpretation von sensorischen Signalen oder die Planung und Ausführung von komplexen motorischen Aktionen zu erklären. Ein wichtiger neuer Ansatz ist es, die dynamische Nutzung der "Kommunikationspfade" im Gehirn zu untersuchen, welche letztendlich zu komplexem Verhalten führt. Diese dynamische Nutzung ist ein fundamentaler Mechanismus, der vermutlich allen kognitiven Vorgängen zuteil ist. Daher sind die aus diesen Experimenten gewonnenen Erkenntnisse von zentraler Bedeutung für unser Verständnis über die grundlegenden Mechanismen der Informationsverarbeitung im Gehirn. Zudem hat die Arbeit am ESI klinische Relevanz: So scheint die effektive Konnektivität und ihre Modulation bei Krankheitsbildern Eingegangen am 6. Januar 2017 · Bearbeitet am 11. Januar 2017 · Ausgegeben am 16. Januar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4126 06. 01. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4126 wie Schizophrenie oder Autismus verändert zu sein. Ein tiefgreifendes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen, wie sie die Grundlagenforschung liefern kann, lässt eine verbesserte Therapie solcher Krankheitsbilder erwarten. Im Folgenden werden die einzelnen aktuellen Versuchsvorhaben mit der genehmigten Anzahl an Affen aufgelistet. Ein Versuchsvorhaben umfasst dabei in manchen Fällen mehrere Experimente zur Beantwortung konkreter wissenschaftlicher Fragen. 1. "Bewusstsein": 8 Rhesusaffen, 2. "Schizophrenie": 2 Rhesusaffen, 3. "Gamma-Mechanismen": 3 Rhesusaffen, 4. "Dynamische Netzwerke": 6 Rhesusaffen, 5. "Dynamische Netzwerke - Ergänzende Untersuchungen": 2 Javaneraffen, 6. "Kausale Kommunikation": 4 Weißbüschelaffen, 7. "Spontanaktivität 2": 2 Rhesusaffen. Frage 2. Welche der genannten genehmigten Versuchsvorhaben werden derzeit durchgeführt und welche Versuche wurden davon bereits in der Vergangenheit, mit welchem Ergebnis, durchgeführt? Frage 3. Welche der genannten Versuchsvorhaben wurden in diesem Jahr abgeschlossen und welche konkreten Ergebnisse gehen aus den einzelnen Versuchen hervor? Die Fragen 2 und 3 werden im Zusammenhang beantwortet. Alle oben genannten Versuchsvorhaben werden derzeit durchgeführt. Die genehmigte Versuchsdauer von fünf Jahren entspricht in etwa der Zeit, die benötigt wird, um die komplexen Experimente, wie sie am ESI bearbeitet werden, durchzuführen. Daran schließt sich nochmal eine längere Phase der Datenanalyse an, die in manchen Fällen wiederum mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann. Eine abschließende Beurteilung der Ergebnisse kann erst am Ende der Projekte getroffen werden. Vorläufige Ergebnisse wurden jedoch bereits auf mehreren Konferenzen vorgestellt. Beispielhaft hier Beiträge zur Konferenz der "Society for Neuroscience" aus 2015 und 2016: A.E. Lazar, D. Nikolic (2015): Stimulus driven decline in neuronal variability, a general phenomenon, not a consequence of efficient encoding; G. Bland, W. Singer (2015): Characteristic temporal scales of V1 horizontal interactions; P. Jendritza, W. Singer (2015): Attentional modulation of V1 population responses to shapes and natural scenes; A. Peter, P.Fries (2016): Gamma-band synchronization in primate visual cortex can increase or decrease with stimulus repetition; R. Kienitz, M.C. Schmid (2016): Theta-rhythmic spiking of visual cortical area V4 neurons arises from receptive field center-surround interactions; S. Van Stijn, S.H. Lee (2016): Neuronal dynamics related to figure-ground modulations in V1 and V4 of the macaque monkey. Frage 4. Über welchen Zeitraum verbleiben die Affen jeweils in einem Versuch und was geschieht konkret mit den Tieren während eines Versuchs? Die Affen verbleiben für gewöhnlich über die gesamte Dauer eines Versuchsvorhabens im Versuch . Ein früheres Ausscheiden kann vorkommen, wenn gesundheitliche Probleme eine Unterbrechung erfordern. Generell sind die Abläufe der einzelnen Versuchsvorhaben recht ähnlich, da sie ja auch auf die Beantwortung einer übergeordneten Fragestellung (siehe Antwort zu Frage 1) abzielen. Im Folgenden werden daher kurz die einzelnen Schritte eines Versuchsvorhabens dargestellt: 1. Training: Die Tiere werden zunächst mittels positiver Verstärkung darauf trainiert, selbstständig aus dem Gruppenraum in die Fangkäfige und von dort in den Trainingsstuhl zu steigen. 2. Bildgebung: Mittels nicht-invasiver Bildgebungsverfahren (Computertomographie und Magnetresonanztomographie ) werden Bilder des Schädels und der Anatomie des Gehirns aufgenommen . Diese Daten werden dazu genutzt, die zur Ableitung notwendigen Implantate genau auf jedes Tier abzustimmen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4126 3 3. Aufgabentraining: Die Tiere werden auf die jeweilige Aufgabe trainiert. Diese besteht meist darin, einen Bildschirm zu betrachten, auf dem verschiedene visuelle Reize dargeboten werden. Je nach Aufgabe muss der Affe z.B. durch Drücken einer Taste eine Farbveränderung auf dem Bildschirm anzeigen. Damit das Tier die Aufgabe lernt, werden der natürliche Spieltrieb und die Neugier der Tiere genutzt. Über eine positive Verstärkung wird die richtige Lösung einer Aufgabe dann belohnt. 4. Implantation: In einer unter sterilen Bedingungen durchgeführten Operation wird ein Kopfhalter implantiert, um eine stabile, kontrollierte Situation zu schaffen, in der die sensitiven neuronalen Ableitungen möglich sind. Ebenso werden in einem zweiten Eingriff unterschiedliche Ableitelektroden implantiert. Die Wahl der Ableitelektrode und das Ableitverfahren hängen von der jeweiligen Fragestellung ab. 5. Ableitung und Analyse: Die während der Lösung der Aufgaben aufgezeichnete Gehirnaktivität wird dann analysiert und mit dem Verhalten des Tieres korreliert. Dadurch kann man z.B. Rückschlüsse ziehen, wie bestimmte Aktivitätsmuster im Gehirn in dieser bestimmten Situation ein entsprechendes Verhalten bedingen. Frage 5. Wie viele Affen werden derzeit insgesamt (auch als Vorratshaltung) im Institut für die jeweiligen Versuchsvorhaben gehalten und wie lange verbleiben sie jeweils im Institut? Derzeit werden am Ernst-Strüngmann-Institut 28 Rhesusaffen, sieben Javaneraffen und sechs Weißbüschelaffen gehalten. Die Tiere verbleiben auch nach Abschluss des Versuchsvorhabens am Institut. Sollte das jeweilige Versuchsvorhaben eine histologische Post-mortem- Untersuchung des Gehirns notwendig machen, werden die Tiere zum Ende des Versuchsvorhabens eingeschläfert. Dies wird dann entsprechend wissenschaftlich und ethisch begründet und bei der Behörde beantragt. Frage 6. Werden regelmäßig Kontrollen hinsichtlich tierschutzrechtlicher Aspekte bei den Affen vorgenommen ? Wenn ja: a) Durch wen und in welchen Abständen werden diese Kontrollen vorgenommen? b) Wo werden die Kontrollergebnisse protokolliert und sind diese für Fachpersonal oder der Öffentlichkeit zugänglich? Regelmäßige tierschutzrechtliche Kontrollen werden durch das Regierungspräsidium Darmstadt durchgeführt. Innerbetrieblich sorgt die fest angestellte Tierschutzbeauftragte für eine regelmäßige Überwachung. Zu Frage 6 a: Seit der Verlagerung der Zuständigkeit auf die Genehmigungsbehörden für Tierversuche im November 2015 erfolgt die Kontrolle durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Darmstadt. Die Kontrollen werden gemäß den Vorgaben des § 16 Abs. 1 Satz 4 Tierschutzgesetz vorgenommen, d.h. es wird pro Jahr mindestens eine amtstierärztliche Vorortinspektion durchgeführt. Im Rahmen der Kontrollen wird neben der Tierhaltung auch überprüft, ob bei der Durchführung von Tierversuchen die einschlägigen tierschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten und die Versuche entsprechend der erteilten Genehmigung und unter Beachtung der jeweiligen Nebenbestimmungen durchgeführt werden. Zusätzlich werden auch die gemäß § 29 TierSchVersV vorgeschriebenen bzw. im Rahmen des Genehmigungsverfahrens angeordneten Aufzeichnungen überprüft. Zu Frage 6 b: Über die Ergebnisse der Kontrollen werden Niederschriften angefertigt. Diese werden den jeweiligen Akten beigefügt. Die Kontrollergebnisse sind behördenintern, nicht jedoch der Öffentlichkeit zugänglich. Frage 7. Wie häufig und wie viele Affen werden für verschiedene Versuchsvorhaben eingesetzt und was geschieht mit den Tieren, wenn sie nicht mehr einsatzfähig oder ungeeignet für die Versuche sind? Die Anzahl an Affen pro Versuchsvorhaben kann der Beantwortung von Frage 1 entnommen werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Frage 8. Wie viele Affen sind am Ernst-Strüngmann-Institut in den letzten 5 Jahren zu Tode gekommen und welche jeweiligen konkreten Todesursachen liegen dafür zugrunde? In den letzten fünf Jahren sind insgesamt acht Affen verstorben. Bei allen Tieren wurde im Landesbetrieb Hessisches Landeslabor bzw. im Deutschen Primatenzentrum eine pathologischanatomische sowie eine pathologisch-histologische Untersuchung durchgeführt. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4126 Bei einem Rhesusaffen kam es zu einem Narkosezwischenfall und der Versuch musste vorzeitig beendet werden. Weiterhin ist ein Weißbüschelaffe nach einem operativen Eingriff im Laufe des Versuchsvorhabens verstorben. Hier kam es postoperativ zu einer Entzündung der oberen Luftwege . Sechs Tiere starben nicht versuchsbedingt: Drei Tiere starben an Infektionen unterschiedlicher Genese, welche nicht therapierbar waren; eines davon wurde in der Klinik für innere Medizin in Gießen eingeschläfert. Ein Rhesusaffe entwickelte eine Stoffwechselerkrankung, die sich als nicht therapierbar herausstellte, und wurde eingeschläfert. Ein Rhesusaffe verstarb an einem akuten Herz-Kreislauf-Versagen. Ein ehemaliges Zuchttier aus der Kolonie der Javaneraffen verstarb aus Altersgründen. Wiesbaden, 22. Dezember 2016 Boris Rhein