Kleine Anfrage des Abg. Hahn (FDP) vom 13.05.2014 betreffend Abfrage von Kontodaten durch hessische Behörden und Antwort des Ministers der Finanzen Vorbemerkung des Fragestellers: Das Kontoabrufverfahren, über das staatliche Stellen auf die Kontostammdaten von Bankkunden zugreifen, wurde im Jahr 2002 mit der Begründung eingeführt, Finanzströme des Terrorismus aufzudecken. Damit wurde eine zentrale Abrufmöglichkeit für die Daten aller Kontoinhaber in Deutschland eingerichtet, die seit dem 1. April 2005 von Behörden über den ursprünglichen Zweck einer Anti-Terror-Maßnahme hinaus ebenfalls genutzt werden kann, um dem Verdacht von Steuer- und Sozialbetrug nachzugehen (§§ 93 Absätze 7 bis 10, 93b der Abgabenordnung). Durch diese Erweiterung der Befugnisse zum Datenabruf können damit bspw. Finanzämter, Sozialdienststellen, Jobcenter und viele andere Behörden das Abrufverfahren nutzen. Seit der im Jahr 2013 eingeführten Möglichkeit von Abfragen durch Gerichtsvollzieher sind die Kontenabrufersuchen noch einmal deutlich angestiegen: Nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums haben sich die Abfragen auf 141.640 Fälle gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Wie Prüfungen der Aufsichtsbehörden ergeben haben, fehlen jedoch oftmals sogar die notwendigen Begründungen für den konkreten Abruf im Einzelfall und/oder die vorgeschriebenen Benachrichtigungen der Betroffenen unterbleiben. Vorbemerkung des Ministers der Finanzen: Durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl. 2003 I Seite 2931) haben Finanzbehörden und bestimmte andere Behörden seit dem 1. April 2005 die Möglichkeit, Bestandsdaten zu Konto- und Depotverbindungen bei den Kreditinstituten über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) abzurufen. Geregelt ist der automatisierte Abruf von Kontoinformationen in § 93 Abs. 7 bis 10 sowie § 93b Abgabenordnung (AO). Weitere Regelungen enthält der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) in der Fassung vom 02.01.2009. Ein Grund für die Erweiterung der Abrufmöglichkeiten bestand darin, dass durch Steuerhinterziehung und Sozialleistungsmissbrauch dem Staat jährlich Milliardenbeträge entzogen werden, die nicht zur Aufgabenerfüllung des Staates zur Verfügung stehen. Somit liegt es im Interesse aller Bürger, dass jeder die von ihm geschuldeten Steuern auch tatsächlich entrichtet und Sozialleistungen nur an tatsächlich Bedürftige ausgezahlt werden. Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit sollte den Finanzbehörden die Möglichkeit eröffnet werden, einzelfallbezogen, bedarfsgerecht und gezielt über das Bundeszentralamt für Steuern ermitteln zu können, bei welchen Kreditinstituten ein bestimmter Steuerpflichtiger ein Konto oder Depot unterhält. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Überprüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung zu verbessern, die Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung weiter zu erschweren und damit die Steuergerechtigkeit weiter zu erhöhen. Neben der Steuergerechtigkeit soll zudem sichergestellt werden, dass staatliche Leistungen nur an diejenigen ausgezahlt werden, die auch wirklich Anspruch auf diese Leistungen haben. Die eingeräumten Überprüfungsmöglichkeiten durch die verwaltende Behörde sind insoweit durchaus gerechtfertigt. In § 93 Abs. 8 AO findet sich eine Aufzählung außersteuerlicher Zwecke, für die ein Kontenabruf zur Überprüfung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen zulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach (z.B. in seinem Beschluss vom 13. Juni 2007 - 1 BvR 1550/03; 1 BvR 2357/04; 1 BvR 603/05) die Verfassungsmäßigkeit des Kontenabrufverfahrens bestätigt. Durch das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258) haben Gerichtsvollzieher seit dem 1. Januar 2013 gemäß § 802l Zivil- Eingegangen am 9. Juli 2014 · Ausgegeben am 16. Juli 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/414 09 . 07. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/414 prozessordnung aufgrund eines Vollstreckungsauftrags die Möglichkeit, bei Vorliegen der dort geregelten Voraussetzungen das Bundeszentralamt für Steuern zu ersuchen, bei den Kreditinstituten die in § 93b Abs. 1 AO bezeichneten Daten abzurufen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Hessischen Ministerin der Justiz und dem Hessischen Minister für Soziales und Integration wie folgt: Frage 1. Wie viele Kontenabfragen hessischer öffentlicher Stellen gab es im Jahr 2013? In 2013 wurden von hessischen öffentlichen Stellen insgesamt 13.102 Kontenabrufe durchgeführt . Davon entfielen auf Kontenabrufe nach § 93 Abs. 7 AO (steuerliche Zwecke) 7.792 und auf Kontenabrufe nach § 93 Abs. 8 AO (außersteuerliche Zwecke) 5.310. Frage 2. Wie viele Kontenabfragen hessischer öffentlicher Stellen gab es im 1. Quartal 2014? Im 1. Quartal 2014 belief sich die Anzahl der Kontenabrufe auf 4.513. Auf Kontenabrufe nach § 93 Abs. 7 AO entfielen davon 2.232, auf Kontenabrufe nach § 93 Abs. 8 AO 2.281. Frage 3. In wie vielen Fällen aus den Fragen 1 und 2 gab es Strafverfahren oder sonstige repressive Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Betroffene bzw. in wie vielen Fällen hat sich die Kontoabfrage als überflüssig erwiesen? In den hessischen Finanzämtern werden keine statistischen Aufzeichnungen über den Erfolg der Kontenabrufe geführt, sodass keine dezidierte Aussage getroffen werden kann. Auch über die Kontenabrufe durch Gerichtsvollzieher werden keine statistischen Daten erhoben oder geführt. Im Hinblick auf die Kontenabfrage im Bereich der Sozialleistungen ist die Anzahl von Strafverfahren und Kontoabfragen nicht bekannt, da es sich bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII - mit Ausnahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - um die Ausübung kommunaler Selbstverwaltung handelt. Hinzuweisen ist darauf, dass nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (§ 12 UVG) die Bundesregierung dem Bundestag bis zum 31.12.2015 einen Bericht vorlegen muss. Inhaltlich muss der Bericht Aussagen über die Wirkung der Einführung des Kontenabrufs seit dem 1. Juli 2013 und Aussagen über eine mögliche Weiterentwicklung des Abrufs im UVG enthalten. Daten zu den Kontenabfragen der UV-Stellen werden daher erst zu diesem Zeitpunkt vorliegen. Frage 4. Sind der Landesregierung Fälle in Hessen bekannt, in denen ordnungsgemäße Begründungen für den Kontenabruf gefehlt haben, Kontenabrufe ohne konkreten Anlass erfolgt sind, Betroffene auf die Möglichkeit des Kontenabrufs nicht vorab hingewiesen und/oder über dessen Durchführung nicht im Nachhinein benachrichtigt wurden? Falls ja, bitte die Fallzahlen nach Behörden aufgeschlüsselt angeben. Fälle, in denen keine ordnungsgemäße Begründung für den Kontenabruf vorgelegen hat, Kontenabrufe ohne konkreten Anlass erfolgt sind oder Betroffene auf die Möglichkeit des Kontenabrufs nicht vorab hingewiesen bzw. über die Durchführung nicht im Nachhinein benachrichtigt wurden, sind der Landesregierung nicht bekannt. Frage 5. Wie gewährleistet die Landesregierung, dass eine ordnungsgemäße Begründung für den konkre- ten Kontoabruf vorliegt und keine Kontenabrufe ohne konkreten Anlass erfolgen, bzw. die Hinweis - und Benachrichtigungspflichten der öffentlichen Stellen eingehalten werden? Das von der OFD Frankfurt verfügte Verfahren zum Kontenabruf für die hessischen Finanzämter sieht vor, dass die angestellten Ermessensabwägungen für die Durchführung eines Kontenabrufs in einem gesonderten Aktenvermerk zu dokumentieren sind. In diesem Aktenvermerk haben die Bearbeiter detailliert die Erforderlichkeit des Kontenabrufs darzulegen. Außerdem sind Angaben darüber zu machen, ob der/die Betroffene auf die Möglichkeit des Kontenabrufs hingewiesen wurde bzw. aus welchen Gründen von einer Anhörung abgesehen wurde. Soweit ein Kontenabruf in der Vollstreckungsstelle durchgeführt wird, erfolgt ein Hinweis auf die Möglichkeit der Durchführung des Kontenabrufs bereits in der Zahlungserinnerung. Die Erforderlichkeit des Kontenabrufs ist zudem vom Hauptsachgebietsleiter Abgabenordnung durch abschließende Zeichnung des Aktenvermerks sowie die Zeichnung des Kontenabrufersuchens zu bestätigen. Überdies bestehen zum Thema Kontenabruf ausführliche Dienstanweisungen, die das Verfahren und die Voraussetzungen zur Durchführung eines Kontenabrufs beschreiben und auch Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/414 3 die Hinweis- und Benachrichtigungspflichten der Finanzämter darlegen. Neue Bearbeiter, insbesondere im Bereich der Vollstreckung, werden auf zentralen Fortbildungen regelmäßig zum Thema des Kontenabrufs geschult. Im Hinblick auf die Kontenabfrage im Bereich der Sozialleistungen ist die Zulässigkeit einer Kontenabfrage gesetzlich in § 60 Abs. 1 SGB I geregelt. Nur unter diesen Voraussetzungen darf ein Abruf erfolgen und insbesondere die entsprechende Stelle nach Prüfung auch antworten. Sofern konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Angaben des Antragstellers bzw. die von ihm vorgelegten Nachweise nicht vollständig oder nicht wahrheitsgemäß sind, ist gegen das Verlangen, einer Bankauskunft zuzustimmen, grundsätzlich nichts einzuwenden. Dem Betroffenen ist dann zu erläutern, warum in seinem Fall ausnahmsweise eine Bankauskunft notwendig erscheint, ob Alternativen dazu denkbar sind und welche Voraussetzungen und Folgen diese haben . Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat über die Fachaufsicht in den Landesministerien den UV-Stellen ein mit dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) abgestimmtes Erläuterungsschreiben über die Teilnahme und den Ablauf des Kontenabrufverfahrens zur Verfügung gestellt. In dem Erläuterungsschreiben sind die Voraussetzungen und das Vorgehen bei einem Kontenabruf klar geregelt (Subsidiarität des Kontenabrufs, Unzulässigkeit von routinemäßigen oder anlassbezogenen Abrufen, Information des Betroffenen , Dokumentation der Rechtmäßigkeit des Kontenabrufs). Die Verantwortung für die Zulässigkeit des Datenabrufs und der Datenübermittlung trägt die UV-Stelle. Wiesbaden, 26. Juni 2014 Dr. Thomas Schäfer