Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 30.11.2016 betreffend herkunftssprachlichen Unterricht und Antwort des Kultusministers Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. In welchen Sprachen wird der herkunftssprachliche Unterricht im laufenden Schuljahr angeboten? Das Angebot umfasst im Schuljahr 2016/2017 folgende Sprachen (in alphabetischer Reihenfolge): - Albanisch - Arabisch - Bosnisch - Griechisch - Italienisch - Kroatisch - Polnisch - Portugiesisch - Serbisch - Spanisch - Türkisch Frage 2. Wie viele Schülerinnen und Schüler besuchen aufgelistet nach Jahrgangsstufe und Schulform den herkunftssprachlichen Unterricht in Türkisch? Im Schuljahr 2015/2016 besuchten 5.652 Schülerinnen und Schüler den herkunftssprachlichen Unterricht in Türkisch in Verantwortung des Landes Hessen, 3.155 Schülerinnen und Schüler den herkunftssprachlichen Unterricht in Verantwortung der Türkei. Neuere Zahlen können noch nicht zur Verfügung gestellt werden, da die Erhebungen für das laufende Schuljahr noch nicht abgeschlossen sind. Der herkunftssprachliche Unterricht wird schulform- und schul- sowie jahrgangsübergreifend an zentralen Standorten erteilt, deswegen können die Schülerinnen und Schüler nicht nach Jahrgangsstufe und Schulform aufgeschlüsselt werden. Generell liegt die Teilnahmequote in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 jedoch vergleichsweise über der in den Jahrgangsstufen der Sek I. Frage 3. Wie viele Lehrkräfte unterrichten die Herkunftssprache Türkisch (aufgelistet nach Lehrkräften im Dienste des Landes Hessen und im Dienste des Herkunftslandes)? Im Schuljahr 2016/2017 erteilen 55 Lehrkräfte in Diensten des Landes Hessen und 45 Lehrkräfte in Diensten der Türkei herkunftssprachlichen Unterricht in Türkisch. Frage 4. Wie wird sichergestellt, dass die Vermittlung der Lehrinhalte gemäß den Grundsätzen des hessischen Schulgesetzes erfolgt und eine inhaltliche Einflussnahme durch die Herkunftsstaaten ausgeschlossen werden kann? Frage 5. Wie wird bei herkunftssprachlichem Unterricht die staatliche Schulaufsicht ausgeübt? Die Fragen 4 und 5 werden zusammen beantwortet, da über die Organe und Instrumentarien der staatlichen Schulaufsicht die Einhaltung der Grundsätze des hessischen Schulgesetzes bei der Vermittlung der Lehrinhalte sichergestellt wird. Eingegangen am 8. Februar 2017 · Ausgegeben am 10. Februar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4238 08. 02. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4238 Die Genehmigung für herkunftssprachlichen Unterricht in Verantwortung eines Herkunftslandes wird auf der Grundlage und unter Beachtung grundlegender gesetzlicher Normen wie dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, der Verfassung des Landes Hessen sowie dem Hessischen Schulgesetz erteilt. Ein Rechtsanspruch seitens der Herkunftsländer auf die Erteilung herkunftssprachlichen Unterrichts besteht nicht. Gemäß § 2 Nr. 7 des Hessischen Schulgesetzes (HSchG) dient der herkunftssprachliche Unterricht der Pflege und Vertiefung der Herkunftssprache in Wort und Schrift, jedoch nicht der religiösen oder politischen Unterweisung. Wörtlich heißt es hier: "Die Schulen sollen die Schülerinnen und Schüler befähigen, in Anerkennung der Wertordnung des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Hessen […] Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen und somit zum friedlichen Zusammenleben verschiedener Kulturen beizutragen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten." Der herkunftssprachliche Unterricht in Verantwortung der Herkunftsländer steht daher auch allen Schülerinnen und Schülern unabhängig von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung offen. Maßnahmen zur Einhaltung dieser Grundsätze setzen bereits bei der Beratung, Fortbildung und Qualifizierung der Lehrkräfte an. So hat das Hessische Kultusministerium zur Unterstützung des herkunftssprachlichen Unterrichts ein "Fachberaterzentrum für Herkunftssprachen, Mehrsprachigkeit und schulische Integration (FBZ)", angesiedelt im Staatlichen Schulamt für die Stadt Frankfurt am Main, mit landesweiter Zuständigkeit eingerichtet, das auch den Lehrkräften aus den Herkunftsländern offensteht. Für diese bietet das FBZ z.B. eigens Einführungsseminare an, um sie u.a. mit den wichtigsten gesetzlichen Regelungen, die im schulischen Bereich zu beachten sind, mit neueren didaktischen und methodischen Ansätzen, aber auch mit der Lebenswirklichkeit von Schülerinnen und Schülern, die vielleicht schon in zweiter, dritter oder vierter Generation in Hessen leben, vertraut zu machen. Auch an anderweitigen Fortbildungsveranstaltungen , die das Fachberaterzentrum regelmäßig organisiert, können die Lehrkräfte aus den Herkunftsländern teilnehmen. Die im FBZ tätigen Fachberater führen mit den entsandten Lehrkräften aus gegebenem Anlass auch persönliche Gespräche. Die Staatlichen Schulämter überprüfen die Umsetzung der im HSchG verankerten Grundsätze auch in Bezug auf den herkunftssprachlichen Unterricht, der nicht in hessischer Verantwortung erteilt wird. Über die genannten Fortbildungen und persönlichen Beratungsgespräche hinaus können, falls erforderlich, weitere Maßnahmen ergriffen werden: Anlassbezogen kann das Hessische Kultusministerium die jeweils zuständige Botschaft bzw. das jeweils zuständige Konsulat bitten, tätig zu werden: zum Beispiel mit der Lehrkraft ein Gespräch zu führen, eine Stellungnahme einzuholen, eine Lehrkraft einer anderen Schule zuzuweisen oder eine Lehrkraft abzuberufen. Außerdem bedarf die Nutzung von Schulräumlichkeiten für den herkunftssprachlichen Unterricht - über die Zustimmung des Hessischen Kultusministeriums hinaus - der Genehmigung durch den jeweiligen Schulträger. Diese Genehmigung kann widerrufen werden. Auch die nach § 129 Nr. 12 des HSchG von den Schulkonferenzen erlassenen Schulordnungen zur Regelung des geordneten Ablaufs des Schulbetriebs sind von den Lehrkräften, die im Auftrag der Herkunftsländer tätig sind, zu beachten. Zur Aufrechterhaltung der Schulordnung kann die Schulleitung den unterrichtenden bzw. Aufsicht führenden Lehrkräften im Rahmen ihres Hausrechts ggf. Weisung erteilen. Darüber hinaus kann das Hessische Kultusministerium unmittelbar in der Form tätig werden, dass es einer bestimmten Lehrkraft das Unterrichten untersagt bzw. veranlasst, dass der Unterricht eingestellt wird. In letzter Konsequenz könnte der Unterricht, der im Auftrag eines Herkunftslandes erteilt wird, auch gänzlich beendet werden. Da die Zusammenarbeit mit den Botschaften bzw. Konsulaten kooperativ ist, waren derartige Schritte bislang nicht erforderlich, vielmehr konnten alle Maßnahmen einvernehmlich umgesetzt werden. Frage 6. Gibt es Unterschiede in der schulaufsichtlichen Begleitung des herkunftssprachlichen Unterrichts, der durch Lehrkräfte im Dienste des Landes Hessen oder durch Lehrkräfte im Dienste bzw. Auftrag des Herkunftslandes erteilt wird? Wenn ja, wie begründen sich diese? Ja, diese gibt es, denn gegenüber Lehrkräften des Landes Hessen können schulaufsichtliche Maßnahmen angeordnet werden, da diese der Fach- wie Dienstaufsicht des Landes Hessen unmittelbar unterstehen. Der in der Verantwortung der Herkunftsländer liegende herkunftssprachliche Unterricht allerdings unterliegt zwar der Genehmigung des Hessischen Kultusministeriums, die Lehrkräfte unterstehen aber nicht unmittelbar der hessischen Fach- bzw. Dienstaufsicht. Daher kann die Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4238 3 hessische Schulaufsicht gegenüber diesen Lehrkräften nicht direkt auf dem Anordnungswege, sondern lediglich unter Hinzuziehung der jeweils zuständigen Botschaft bzw. des jeweils zuständigen Konsulats tätig werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 und 5 verwiesen. Frage 7. Welche schulaufsichtlichen Maßnahmen sind möglich und wurden in den letzten drei Jahren ergriffen (gegliedert nach Unterricht in Verantwortung des Landes Hessen und des Herkunftslandes )? Grundsätzlich richten sich die schulaufsichtlichen Maßnahmen nach den §§ 92 - 98 des HSchG. Bezüglich der Umsetzung wird auf die Antworten zu den Fragen 4 bis 6 verwiesen. Wie sich aus diesen ergibt, sind die Schulaufsichtsbehörden vorausschauend tätig. Weder im Hinblick auf den herkunftssprachlichen Unterricht in Verantwortung des Landes Hessen noch im Hinblick auf den herkunftssprachlichen Unterricht in Verantwortung der Herkunftsländer wurden den Schulaufsichtsbehörden Verstöße gegen grundlegende gesetzliche Normen und Regelungen bekannt, die entsprechende Maßnahmen notwendig gemacht hätten. Frage 8. Hat die Landesregierung Kenntnis über Vorfälle, in denen es im herkunftssprachen Unterricht zu politischer, ideologischer oder religiös motivierter Einflussnahme durch Lehrkräfte, die im Dienste des Landes Hessen oder im Dienst bzw. Auftrag der Herkunftsländer tätig sind, gekommen ist? Erkenntnisse über Vorfälle dieser Art liegen dem Hessischen Kultusministerium nicht vor. Frage 9. In wie vielen Fällen haben die Herkunftsländer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Finanzierung bzw. Umsetzung des Unterrichts auch an Dritte - wie z.B. Eltern- oder Kultusvereine - zu delegieren (vgl. Drucks. 19/3348)? Für die Herkunftssprache Albanisch hat das Konsulat der Republik Kosovo, für die Herkunftssprache Bosnisch das Generalkonsulat von Bosnien und Herzegowina und für die Herkunftssprache Italienisch das italienische Generalkonsulat - alle in Frankfurt am Main ansässig - Trägervereine autorisiert, die diesen Unterricht umsetzen bzw. finanzieren. Der herkunftssprachliche Unterricht in Verantwortung der Herkunftsländer wird z.T. auch über Gebühren bzw. Elternbeiträge finanziert. Dies trifft z.B. für Albanisch, Bosnisch, Portugiesisch und Spanisch zu. Frage 10. Wie wird in diesen Fällen die schulaufsichtliche Begleitung gewährleistet? Der Unterricht wird in der Regel von Lehrkräften erteilt, die in einem Arbeits- bzw. Dienstverhältnis zum Herkunftsland stehen. Soweit seitens der diplomatischen oder konsularischen Vertretung Dritte wie z.B. Vereine mit der Unterrichtung beauftragt worden sind, gelten alle in den Antworten auf die Fragen 4 bis 6 genannten Grundsätze und Regelungen auch für diese Dritten. Die Vereine werden entsprechend unterrichtet. Darüber hinaus müssen sie Unterlagen wie z.B. einen Auszug aus dem Vereinsregister, die Vereinssatzung sowie ggf. eine Gemeinnützigkeitsbescheinigung einreichen. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung soll im Regelfall nur ein Träger pro Herkunftssprache diese Aufgabe für alle Unterrichtsstandorte in Hessen wahrnehmen . Unabhängig von der Frage, ob ein Herkunftsland sich bei der Erteilung herkunftssprachlichen Unterrichts ggf. durch Dritte vertreten lässt, bleibt für das Hessische Kultusministerium die diplomatische bzw. konsularische Vertretung letztverantwortlicher Ansprechpartner. Wiesbaden, 26. Januar 2017 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz