Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 07.12.2016 betreffend Schulvermeidung II und Antwort des Kultusministers Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Empfiehlt die Landesregierung den Schulen die Entwicklung eines Aktionsplans oder Frühwarnsystems und welche Eckpunkte sollten darin enthalten sein? Die Schulen haben einen generellen Bildungs- und Erziehungsauftrag gemäß § 2 HSchG. Nicht jede einzelne pädagogisch notwendige Handlung wird seitens der Landesregierung gesondert empfohlen. Da bei Schulvermeidung Problemschwerpunkte und Ursachen von Schule zu Schule variieren können, sollten die Verfahrensweisen möglichst optimal auf die schulischen Rahmenbedingungen abgestimmt sein. Zur Erstellung und Implementierung eines schulspezifischen Konzepts zum Umgang mit Schulvermeidung, das z.B. einen Aktionsplan oder ein Frühwarnsystem enthält, werden den Schulen folgende Eckpunkte empfohlen: 1. Ermittlung des Ist-Standes, 2. Verständigung über schulischen Optimierungsbedarf im Umgang mit Abwesenheiten, 3. Sammeln von Daten zu besonderen schulischen Problemschwerpunkten, 4. Entwicklung positiver Zielperspektiven, 5. Auswahl geeigneter Interventions- und Präventionsstrategien, 6. Erstellung eines Handlungsleitfadens als Baustein im Schulprogramm, 7. Einbeziehung von Eltern und Schülerinnen und Schülern, 8. Festlegung von Evaluationszeiträumen, 9. Einsatz der Exceldatei als Frühwarn- und Unterstützungssystem. Frage 2. Welche Modellprojekte zur Verringerung von Schulvermeidung gab es in den letzten zehn Jahren und gibt es derzeit in Hessen und welche Evaluationsergebnisse konnten vorgestellt und ggf. übertragen werden? Von 2003 bis 2006 wurde vom HMdIS und HKM ein gemeinsames Projekt zum Thema Schulvermeidung im Lahn-Dill-Kreis und der Stadt Wetzlar unter Einbindung des Staatlichen Schulamtes , der örtlichen Polizei und der Kommunalverwaltungen durchgeführt. Im Abschlussbericht des Modellprojekts "Schulvermeider im Lahn-Dill-Kreis" von 2007 wurde Folgendes festgehalten : "Gleich aus welchem Grund die jeweiligen Schülerinnen und Schüler nicht zur Schule gehen , steht es außer Frage, dass zunächst einmal eine solide Erfassung der Fehlzeiten stattfinden muss, um dies überhaupt rechtzeitig feststellen zu können. Die Hintergründe des Fehlens sind dann so vielzählig wie es Schulvermeider gibt. Es gilt auf der Basis von allgemeinen Verbindlichkeiten zu schulinternen Maßnahmen und zur Kooperation mit anderen Institutionen auf den Einzelfall einzugehen und zu erkennen auf welche Art und Weise am besten geholfen werden kann." Im Grundsatz haben diese Aussagen noch heute Gültigkeit, auch wenn die Ursachen für Schulabsentismus mittlerweile eindeutiger identifiziert und damit voneinander abgegrenzt werden können und mehr über die aufrechterhaltenden familiären, sozialen und schulischen Bedingungen bekannt ist. Eingegangen am 24. Januar 2017 · Bearbeitet am 25. Januar 2017 · Ausgegeben am 30. Januar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4289 24. 01. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4289 Darüber hinaus nahm und nimmt Hessen an den Programmen "Schulverweigerung - Die 2. Chance" und "Jugend stärken im Quartier" teil (siehe Fragen 8 und 9). Frage 3. Wie erfolgen die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit den Jugendhilfeträgern, ggf. den Betreuungsanbietern und ggf. Familien- sowie Jugendgerichten? Die Zusammenarbeit erfolgt auf Basis der rechtlichen Vorgaben in § 3 Abs. 10 und § 68 HSchG. Frage 4. Welche Maßnahmen ergreift die hessische Landesregierung, um die Lücke im Sozial- und Schulsystem in Bezug auf rechtzeitige Information, Abstimmung von Handlungsansätzen, Präventionsmaßnahmen und Durchführung von Maßnahmen zu schließen? Die hessische Landesregierung prüft regelmäßig, ob es Optimierungsmöglichkeiten hinsichtlich der notwendigen Rahmenbedingungen im Umgang mit Schulvermeidung gibt. Die geplante Handreichung wird hierzu den Schulen weitere Unterstützung anbieten. Für die Abstimmung von Maßnahmen im Einzelfall sind die einzelnen Kooperationspartner in den Regionen vor Ort zuständig. Frage 5. Bis wann werden die Veröffentlichungen zum Umgang mit Schulabsentismus für die hessischen Schulen fertiggestellt und der Öffentlichkeit vorgestellt, die seitens des Hessischen Kultusministeriums im April 2015 angekündigt wurden? Die geplante Handreichung zum Schulabsentismus wird voraussichtlich im Laufe des Jahres veröffentlicht. Frage 6. Plant die hessische Landesregierung auch eine gezielte Information oder Kampagne für die Eltern ? Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Handreichung zum Schulabsentismus wird der Landeselternbeirat von Hessen beteiligt. Frage 7. Welche Formen der thematischen Zusammenarbeit hinsichtlich Information, Präventionsansätze und Handlungsstrategien bzw. -empfehlungen gibt es diesbezüglich mit den Elternverbänden? Mit den drei hessischen Elternverbänden besteht ein bedarfsbezogener Informationsaustausch. Frage 8. Das Programm "Zweite Chance", das durch den Europäischen Sozialfond finanziert wurde lief 2013 aus und wurde teilweise durch das Programm "Jugend stärken im Quartier" abgelöst. Inwieweit beteiligt sich Hessen an dem Programm, wie wird dieses in der Praxis umgesetzt und wo findet es Anwendung? Für das Programm "Jugend stärken im Quartier" gibt es in Hessen mehrere Standorte, die mit Schulverweigerern individuell nach Methoden des Case Managements und mit niedrigschwelligen Beratungsangeboten arbeiten. Das Programm wird durch das Bundesministerium für Familie , Senioren, Frauen und Jugend und durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und den Europäischen Sozialfonds gefördert (1. Förderrunde 2015- 2018). Die Angebote kommen insbesondere jungen Menschen im Alter von 12 bis 26 Jahren zu Gute, denen eine Perspektive für die Zukunft fehlt und die durch andere Angebote besonders schwer zu erreichen sind (zum Beispiel schulverweigernde Jugendliche oder Abbrecherinnen und Abbrecher von Arbeitsmarktmaßnahmen). Das Programm unterstützt sie bei der (Re-) Integration in Schule, Ausbildung, Arbeit und Gesellschaft. Ziel ist, die Teilnehmenden mit niedrigschwelligen Angeboten zu aktivieren und ihre Kompetenzen und Persönlichkeit zu stärken. Die öffentliche Jugendhilfe steuert und koordiniert die Angebote. Sie arbeitet dabei im Sinne einer "Förderung aus einer Hand" eng mit freien Jugendhilfeträgern, Jobcentern, Agenturen für Arbeit, Schulen, Quartiersmanagement und weiteren Kooperationspartnern zusammen. Frage 9. Welche Ergebnisse hat die Landesregierung hinsichtlich des Erfolgs des Programms "Zweite Chance" und wie wurde eine Verstetigung bzw. Übertragung von erfolgreichen Ansätzen realisiert ? Die wissenschaftliche Evaluation durch ein externes Institut erbrachte folgende Ergebnisse: In 75,6 % aller beendeten Fälle erfolgte der Schulbesuch wieder regelmäßig und selbstständig, wobei ein Teil der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler bereits bei Eintritt ins Case Management die Schule regelmäßig besuchte und sie lediglich passiv verweigert hatte. In 66,7 % der Fälle erscheint auch die Intensität des Schulbesuchs hinreichend dafür, dass der Schulabschluss noch erreicht werden könnte. Die Nachhaltigkeit des schulischen Reintegrationserfolgs Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4289 3 wurde über eine Befragung von Teilnehmenden sechs Monate nach ihrem Austritt aus dem Case Management erhoben. Es zeigten sich nur in Einzelfällen Verschlechterungen beim schulischen Status. Insgesamt weisen die erhobenen Daten darauf hin, dass die schulische Reintegration bis auf wenige Ausnahmen nachhaltig war. Im Landkreis Kassel wird das Programm "Schulverweigerung - Die 2. Chance" bis heute fortgeführt . An anderen Standorten wird das Programm "Jugend stärken im Quartier" als Nachfolgeprojekt umgesetzt (siehe Frage 8). Frage 10. Welche Bildungsangebote stellt die Landesregierung für die betreffenden Kinder und Jugendlichen bereit, die nicht auf direktem Wege wieder in den Schulalltag integriert werden können und mit welchen Kooperationspartnern arbeitet sie ggf. zusammen? Grundsätzlich besteht das Ziel, den Schulbesuch verweigernde Schülerinnen und Schüler möglichst schnell wieder in die Schule zurückzuführen und in den Schul- und Unterrichtsalltag zu integrieren. Hierzu bedarf es einzelfallbezogener Lösungen, in die auch die Schulaufsicht eingebunden ist. Abhängig vom persönlichen Hintergrund einer Schulverweigerung bestehen in gravierenden Fällen z.B. folgende alternative Beschulungsmöglichkeiten: Schule für Kranke, häuslicher Sonderunterricht, Einrichtungen bzw. mitfinanzierte Angebote seitens der Jugendhilfe (z.B. Flex-Fernschule in Marburg) bis hin zur Internatsunterbringung mit heilpädagogischem Ansatz. Wiesbaden,10. Januar 2017 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz