Kleine Anfrage der Abg. Faulhaber (DIE LINKE) vom 13.12.2016 betreffend Suizid und Suizidversuche in Flüchtlingsunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Viele Geflüchtete sind traumatisiert oder haben damit zu kämpfen, dass sie Familienangehörige oder Freunde in Kriegs- und Krisenregionen zurücklassen mussten. Immer wieder kommt es in Flüchtlingsunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen zu Suiziden beziehungsweise Suizidversuchen. Die Lebensbedingungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften haben sich durch die langen Aufenthaltszeiten verschlechtert. Die psychiatrische und psychologische Versorgung wird als völlig unzureichend kritisiert. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Die Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Unterbringung in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung und nicht auf die in der Zweitunterbringung. Aufgrund der hohen Standortdichte von bis zu 115 Unterkünften zur Erstunterbringung der ankommenden massiven Flüchtlingszugänge im Laufe des Jahres 2015 und der selbstständigen Dokumentation in verschiedensten Systemen der jeweiligen Unterkünfte können retrospektiv keine abschließenden Angaben über die konkrete Anzahl der Fälle bis zum systematischen Aufzeichnungsbeginn in der Datenbank gemacht werden. Zudem sind Angaben über Suizidversuche regelmäßig sporadisch, es bestehen keine Suchsystematiken für die Datenbestände, die eine Auswertung zulassen. Seit August 2016 erfolgt eine systematische Dokumentation der Suizidversuche durch den medizinischen Dienst in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung. Die nachstehend aufgeführten Fälle wurden anhand der zur Verfügung stehenden Auswertungsmöglichkeiten , vornehmlich anhand der Lageberichte, erstellt. Seit 2014 ist dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration kein Suizidversuch bekannt geworden, der in seiner Ausführung erfolgreich war. Es wird darauf hingewiesen, dass das Land eine stetige Verbesserung der Unterbringungs- und Lebensbedingungen der Bewohnerinnen und Bewohner in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung sichergestellt hat und ferner die durchschnittlichen Aufenthaltszeiten verkürzt werden konnten. Die in der Vorbemerkung enthaltenen Aussagen, wonach sich die Lebensbedingungen verschlechtert hätten, werden ausdrücklich zurückgewiesen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Suizide oder Suizidversuche oder Vorfälle, bei denen es sich um Suizidversuche gehandelt haben könnte, von Geflüchteten, die in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünften untergebracht sind oder waren, gab es in Hessen (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren 2014, 2015, 2016 und Unterkünften)? Frage 2. Bitte die in 1. genannten Vorfälle nach Geschlecht, Herkunftsland, Alter und Handlung der betroffenen Personen aufgliedern. Die Fragen 1 und 2 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Eingegangen am 5. Januar 2017 · Bearbeitet am 6. Januar 2017 · Ausgegeben am 11. Januar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4314 05. 01. 2016 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4314 Im Jahr 2014: es sind keine Suizide, keine Suizidversuche und auch keine Vorfälle, die als Suizidversuche von Geflüchteten bewertet werden könnten, bekannt. Im Jahr 2015: es sind keine Suizide bekannt. Dokumentiert sind vier Suizidversuche (Frankfurt- Flughafen, Kirchheim und Neustadt). Die Versuche wurden ausschließlich von Personen männlichen Geschlechts unternommen (Herkunftsländer: Afghanistan, Marokko, Iran und Syrien). Die Personen waren zum Zeitpunkt der Vorfälle 19 Jahre, 24 Jahre und 29 Jahre alt. Eine Person fügte sich selbst Schnittwunden zu und drei Personen versuchten, sich zu strangulieren. Im Jahr 2016: es sind keine Suizide bekannt. Dokumentiert sind 18 Suizidversuche (Büdingen, Flieden, Frankfurt-Neckermann, Großenlüder, Hanau, Hessisch Lichtenau, Marburg, Neustadt, Wiesbaden). Bis auf eine weibliche Person wurden alle Suizidversuche von Personen männlichen Geschlechts unternommen (Herkunftsländer: Äthiopien, Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Kosovo, Pakistan, Syrien). Die Personen waren zum Zeitpunkt der Vorfälle 14 Jahre, 18 Jahre, 19 Jahre, 22 Jahre, 28 Jahre, 39 Jahre und 44 Jahre alt. Die Personen fügten sich selbst Schnittwunden zu, eine Person fügte sich Stichverletzungen zu, eine Person versuchte, sich zu strangulieren, drei Personen sprangen aus dem Fenster, eine Person setzte sich in Brand und eine Person nahm eine größere Menge Tabletten ein. Dokumentiert sind ferner vier mögliche Suizidversuche (Fulda, Gießen-Rödgener Straße und Gießen-Meisenbomweg). Zwei der genannten Personen waren weiblichen Geschlechts und zwei der genannten Personen waren männlichen Geschlechts (Herkunftsländer: Eritrea, Iran, Serbien und Syrien). Die Personen waren zum Zeitpunkt der Vorfälle - soweit dokumentiert - 19 Jahre, 20 Jahre und 38 Jahre alt. Die Personen versuchten, sich selbst Schnittwunden zuzufügen, eine Person verweigerte die Nahrungsaufnahme. Zuletzt sind auch fünf Fälle dokumentiert, bei denen Personen mögliche suizidale Verhaltensweisen zeigten. Jedoch distanzierten diese Personen sich im Nachgang von einer Selbsttötungsabsicht , oder diese wurde im Rahmen einer psychiatrischen Bewertung als Simulation eingeordnet . Frage 3. Welche Maßnahmen wurden vorher getroffen, um die betroffenen Flüchtlinge in solchen Krisen psychologisch zu stabilisieren (bitte aufschlüsseln nach den Jahren 2014, 2015, 2016, Maßnahmen und Unterkünften)? Insofern eine Kontaktaufnahme von Seiten der Flüchtlinge zum medizinischen Bereich der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung aufgrund psychischer, psychovegetativer und/oder psychosomatischer Beschwerdebilder erfolgte, wurden unter Abklärung anamnestischer Marker gemäß Publikationen der Fachgesellschaften diese untersucht und einer fachärztlich psychiatrischen Diagnostik ggf. mit stationärer oder ambulanter Therapie zugeleitet. Gleiches gilt für Personen, die allgemein im medizinischen Dienst vorgestellt werden. Auch im Rahmen der Sozialbetreuung in den Einrichtungen der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung wird in diesen Fällen eine verstärkte aufsuchende Betreuung sichergestellt. Diese beinhaltet insbesondere Besuchskontakte im Krankenhaus, eine engmaschige Zusammenarbeit mit dem Krankenhaussozialdienst , eine verstärkte Anbindung an Freizeitangebote und die Bereitstellung von Beschäftigungsmaterialien sowie der verstärkte Aufbau von Beziehungen und eines sozialen Netzwerks innerhalb der Einrichtung mit Bezugspersonen, an die sich die Flüchtlinge jederzeit wenden können. Wiesbaden, 29. Dezember 2016 Stefan Grüttner