Kleine Anfrage der Abg. Schott (DIE LINKE) vom 13.12.2016 betreffend der Suizid/Suizidversuche von Drogenabhängigen in Justizvollzugsanstalten und Antwort der Ministerin der Justiz Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Wie viele Suizid/-versuche gab es in Hessen, aufgeschlüsselt nach Jahren (2013, 2014, 2015, 2016) in den einzelnen Justizvollzugsanstalten? In den Jahren 2013 bis 2015 gab es in den einzelnen Justizvollzugsanstalten folgende Suizide: Jahr Justizvollzugsanstalt 2013 2 x Weiterstadt 1 x Frankfurt am Main III 1 x Kassel I 2014 3 x Frankfurt am Main I 1 x Frankfurt am Main III 1 x Weiterstadt 1 x Limburg 2015 1 x Frankfurt am Main I 1 x Frankfurt am Main III 1 x Fulda Eine gesonderte Erfassung von Suizidversuchen wird nicht vorgenommen, da eine sichere Abgrenzung von Selbstverletzungen und Suizidversuchen oftmals nicht möglich ist. Statistisch erfasst werden die Fälle vorsätzlicher Selbstverletzung in den einzelnen Justizvollzugsanstalten : Justizvollzugsanstalt 2013 2014 2015 Butzbach 2 0 6 Darmstadt 1 0 1 Dieburg 6 5 7 Frankfurt am Main I 31 15 21 Frankfurt am Main III 9 5 28 Frankfurt am Main IV 0 1 2 Fulda 1 0 2 Gießen 6 4 17 Hünfeld 20 6 3 Kassel I 3 2 2 Kassel II 0 0 0 Limburg 1 1 0 Rockenberg 10 2 6 Schwalmstadt 0 1 1 Weiterstadt 7 12 3 Wiesbaden 9 7 23 Gesamt 106 61 122 Eingegangen am 24. Januar 2017 · Bearbeitet am 25. Januar 2017 · Ausgegeben am 30. Januar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4318 24. 01. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4318 Die Auswertung der Daten für das Jahr 2016 liegt noch nicht vor. Frage 2. Bei wie vielen Inhaftierten, die suizidal gefährdet waren oder einen Suizid verübten, lag eine Drogenabhängigkeit vor? In den Jahren 2013 bis 2015 gab es insgesamt 13 Suizide, wobei in vier Fällen eine Drogenproblematik vorlag. Die Zahl der suizidgefährdeten Gefangenen wird statistisch nicht erfasst. Frage 3. Werden alle Gefangenen bei Haftantritt auf Drogenkonsum getestet? In den hessischen Justizvollzugsanstalten wird im Zuge der medizinischen Versorgung von Gefangenen im Rahmen der Zugangsuntersuchung bei Haftbeginn geprüft, ob der bzw. die Gefangene drogenabhängig sein könnte. Entsprechend der Rechtslage können jedoch nur diejenigen Gefangenen bei Haftantritt auf Drogenkonsum getestet werden, bei denen im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für Drogenkonsum festgestellt werden. Solche Anhaltspunkte können sich insbesondere aus den Vollstreckungsunterlagen wie z.B. Haftbefehl oder Urteil, durch das Auffinden entsprechender Gegenstände oder aus dem aktuellen Verhalten bzw. dem äußeren Erscheinungsbild des oder der Gefangenen ergeben. Frage 4. Bei wie vielen Gefangenen wurde zu einem späteren Zeitpunkt - während der Inhaftierung - eine Drogenabhängigkeit festgestellt? Die Einschätzung, ob ein Gefangener drogenabhängig ist oder nur gelegentlich Drogen konsumiert , also keine Drogenabhängigkeit besteht, obliegt dem anstaltsärztlichen Dienst. Zu den Schwierigkeiten bei der Feststellung einer Drogenabhängigkeit wird auf die Antwort zu Frage 6. verwiesen. Eine Statistik über drogenabhängige Gefangene wird nicht geführt. Um gleichwohl Erkenntnisse über die Suchtproblematik von Inhaftierten bzw. Verwahrten zu gewinnen, beteiligt sich Hessen an einer vom Strafvollzugsausschusses der Länder initiierten bundesweiten Datenerhebung zum Themenfeld der stoffgebundenen Suchterkrankungen, deren Ergebnisse allerdings noch nicht vorliegen. Ergänzend wird auch insoweit auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen . Frage 5. Welche besonderen Maßnahmen zum Umgang mit der Drogenabhängigkeit werden bei Haftbeginn ergriffen (z.B. Entzugsprogramme, häufigere Zellkontrollen) oder werden bewusst unterlassen ? Wie bereits in der Antwort zu Frage 3 ausgeführt, wird in den hessischen Justizvollzugsanstalten im Zuge der medizinischen Versorgung von Gefangenen im Rahmen der Zugangsuntersuchung bei Haftbeginn geprüft, ob der bzw. die Gefangene drogenabhängig sein könnte. Befand sich der bzw. die Gefangene vor der Inhaftierung in einem Substitutionsprogramm, wird ärztlicherseits geprüft, ob die Substitution unter Beachtung der Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger vom 19. Februar 2010 fortgeführt werden kann. Sollte dies nicht möglich sein, findet bei Drogenkonsumenten unter medizinischer Aufsicht eine medikamentengestützte Entzugsbehandlung statt. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um einen sogenannten "warmen Entzug" mittels Methadon (langsames Herausdosieren nach einem festgelegten Behandlungsschema). Drogenabhängige Gefangene , die sich bei Haftantritt noch nicht in einem Substitutionsprogramm befanden, können einen Antrag auf Substitution stellen. Nach entsprechender Prüfung unter Beachtung der vorgenannten Richtlinien der Bundesärztekammer erfolgt entweder die Aufnahme in das Substitutionsprogramm oder eine medizinisch begleitete Entzugsbehandlung. Eine weitere Maßnahme im Umgang mit drogenabhängigen Gefangenen ist die Unterstützung durch die externe Drogenberatung in den hessischen Vollzugsanstalten, die über externe Maßnahmenträger gewährleistet wird. Diese Unterstützung reicht von der Haftbegleitung im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit der Suchtproblematik über die Mitwirkung bei der Vollzugsplanung und Fortschreibung in diesen Fällen bis hin zu Vermittlungen in stationäre oder teilstationäre Einrichtungen außerhalb des Justiz- oder Maßregelvollzugs sowie ggf. auch die Vermittlung in ambulante Betreuung/Therapie oder die Vermittlung in Einrichtungen der Selbsthilfe. Neben den medizinischen bzw. therapeutischen Maßnahmen zur Behandlung drogenabhängiger Gefangener werden zur Bekämpfung des Einbringens und Weitergebens von Drogen in den Vollzugsanstalten zahlreiche Maßnahmen getroffen. Beispielsweise werden Urinkontrollen durchgeführt und Drogenspürhunde eingesetzt, die Besuchsräume wurden mit Videoüberwachung und durchsichtigen Tischplatten mit Durchreichsperren ausgestattet, bei den Besuchen dürfen nur noch durchsichtige Getränke in durchsichtigen Bechern konsumiert werden, die Gefangenen werden nach den Besuchen einer besonders Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4318 3 intensiven Kontrolle unterzogen, es gibt keine Nahrungs- und Genussmittelpakete mehr, zur Verhinderung von Überwürfen von außen in die Anstalten wurden Netze und Videokameras installiert und es werden vor jeder Gefangenenbewegung Kontrollen in den Innenbereichen und Höfen durchgeführt. Die Hafträume aller Gefangenen werden in unregelmäßigen Abständen innerhalb von 14 Tagen mindestens einmal kontrolliert. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein Gefangener häufiger kontrolliert werden muss - dies ist beispielsweise bei einem Verdacht auf Drogenkonsum oder gar Drogenhandel der Fall - werden im Einzelfall häufigere Kontrollen angeordnet. Frage 6. Wie hoch schätzt die Landesregierung %ual die Dunkelziffer von Drogenabhängigen in Justizvollzugsanstalten ein? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass bereits die Definition von "Drogenabhängigkeit" mit Schwierigkeiten behaftet ist. Der Abhängigkeitsgrad bei Drogen konsumierenden Personen verläuft von "drogengefährdet" über eine "aktuelle/verfestigte Abhängigkeit" bis hin zur "Drogenerkrankung ". Der Status der Drogenabhängigkeit ist häufig erst für die letzte Zeitspanne des Drogenkonsums definierbar. Die Feststellung der Drogenbelastung von Gefangenen bei Haftantritt ist wiederum beeinflusst durch unterschiedliche Drogenabstinenzzeiten der Betroffenen und zudem bei sog. weichen und harten Drogen unterschiedlich anzunehmen. Der Begriff "Dunkelziffer" bezeichnet üblicherweise einen statistisch nicht erfassten Bereich - hier die Zahl der unerkannt Drogenabhängigen in den Justizvollzugsanstalten. Die Landesregierung beteiligt sich mangels belastbarer Erkenntnisse nicht an Schätzungen bezüglich dieser Dunkelziffer, da eine solche Schätzung bloße Spekulation wäre. Die Landesregierung ist vielmehr der Auffassung, dass nach Möglichkeit fundierte Erkenntnisse über die Suchtproblematik von Inhaftierten bzw. Verwahrten gewonnen werden sollten. Insoweit hat der Strafvollzugsausschusses der Länder in seiner 119. Sitzung vom 7. bis 9. Mai 2014 eine bundesweite Datenerhebung zum 31. März 2016 initiiert. Die Stichtagserhebung bezog sich auf das Themenfeld der stoffgebundenen Suchterkrankungen. Die Bestimmung von Abhängigkeit bzw. des Konsummusters Missbrauch erfolgte unter Anwendung der Diagnosekriterien des internationalen Klassifikationssystems "Internationale Klassifikation psychischer Störungen" der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10). Eine Auswertung der Erhebung liegt noch nicht vor, sie soll unter Federführung der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin erfolgen. Frage 7. Welche Maßnahmen wurden bei den bekannten Suizidtoten vorher ergriffen (nach Jahren und Justizvollzugsanstalten aufgeschlüsselt)? Wie in der Antwort zu Frage 2. bereits ausgeführt, gab es in den Jahren 2013 bis 2015 insgesamt 4 Suizide, bei denen eine Drogenproblematik vorlag. Die Gefangene (1) war vom 27. April 2013 bis zu ihrem Tod am 9. Mai 2013 in der JVA Frankfurt am Main III inhaftiert. Sie war auf der Krankenstation untergebracht und wurde vom anstaltsärztlichen Dienst engmaschig betreut. Insbesondere wurde sie am 3. und 6. Mai 2013 dem psychologischen Dienst und am 8. Mai 2013 zudem einem konsiliarisch für die Anstalt tätigen Facharzt für Psychiatrie vorgestellt. Der Gefangene (2) war seit dem 16. August 2012 in der JVA Kassel I und vom 14. Mai 2013 bis zu seinem Tod am 14. Juni 2013 wegen psychischer Auffälligkeit im Zentralkrankenhaus der JVA Kassel I untergebracht. Dort wurde er vom anstaltsärztlichen Dienst, zu dem auch ein Facharzt für Psychiatrie gehört, engmaschig betreut. Die Gefangene (3) war vom 19. April 2015 bis zu ihrem Tod in der Nacht zum 22. Juli 2015 in der JVA Frankfurt am Main III inhaftiert. Auch sie wurde von dem anstaltsärztlichen Dienst sowie einem konsiliarisch für die Anstalt tätigen Facharzt für Psychiatrie engmaschig betreut. Der Gefangene (4) war vom 21. September 2015 bis zu seinem Tod am 24. September 2015 in der JVA Frankfurt am Main I inhaftiert. Der Gefangene war erst am 10. September 2015 nach Teilverbüßung einer dreijährigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls u.a. aus der JVA Kassel I in eine Drogentherapieeinrichtung entlassen worden. Am 21. September 2015 war er wegen Einbruchdiebstahls festgenommen und in die JVA Frankfurt am Main I verbracht worden. Wegen seiner Drogenproblematik sowie seiner Diabeteserkrankung wurde auch dieser Gefangene vom anstaltsärztlichen Dienst engmaschig betreut. Jeder Todesfall, der sich in einer hessischen Vollzugsanstalt ereignet, wird von der Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungsverfahren untersucht. Auch die oben näher dargestellten vier Fälle wurden von der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft überprüft. In allen vier Fällen erfolgte eine Einstellung des Verfahrens. Nach den Ermittlungen lag jeweils kein Fremdverschul- 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4318 den am Tod der bzw. des Gefangenen vor, insbesondere haben sich auch keine Sorgfaltspflichtverletzungen von Bediensteten im Vollzug ergeben. Frage 8. Wird oder wurde ein Methadonprogramm bei den drogenabhängigen Inhaftierten durchgeführt (nach Jahren und Justizvollzugsanstalten aufgeschlüsselt)? Im hessischen Vollzug besteht für drogenabhängige Gefangene grundsätzlich die Möglichkeit, an einem Substitutionsprogramm gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer teilzunehmen. Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen in der Antwort zu Frage 5. verwiesen. Die Zahl der in den einzelnen hessischen Justizvollzugsanstalten im Substitutionsprogramm befindlichen Gefangenen ist - aufgeschlüsselt nach den Jahren 2013 bis 2015 - den nachstehenden Tabellen zu entnehmen. Zahlen für 2016 stehen noch nicht zur Verfügung. 2013 Justizvollzugsanstalten Fortsetzung der Substitution in 2013 Neubeginn der Substitution in 2013 Gesamt: Butzbach 11 86 97 Darmstadt 87 2 89 Dieburg 98 12 110 Frankfurt I 445 20 465 Frankfurt III 95 0 42 Frankfurt IV 328 13 341 Hünfeld 22 14 36 Kassel I 10 22 32 Weiterstadt 50 0 50 Gesamt: 1.146 169 1315 2014 Justizvollzugsanstalten Fortsetzung der Substitution in 2014 Neubeginn der Substitution in 2014 Gesamt: Butzbach 29 73 102 Darmstadt 108 4 112 Dieburg 87 3 90 Frankfurt I 265 0 265 Frankfurt III 225 0 225 Frankfurt IV 196 0 196 Hünfeld 18 54 72 Kassel I 11 31 42 Schwalmstadt 0 1 1 Weiterstadt 63 0 63 Gesamt: 1.002 166 1.168 2015 Justizvollzugsanstalten Fortsetzung der Substitution in 2015 Neubeginn der Substitution in 2015 Gesamt: Butzbach 40 96 136 Darmstadt 109 10 119 Dieburg 89 8 97 Frankfurt I 186 0 186 Frankfurt III 96 0 96 Frankfurt IV 258 0 258 Hünfeld 22 61 83 Kassel I 8 28 36 Schwalmstadt 1 2 3 Weiterstadt 64 0 64 Gesamt: 873 205 1.078 Wiesbaden, 17. Januar 2017 Eva Kühne-Hörmann