Kleine Anfrage der Abg. Gremmels und Dr. Sommer (SPD) vom 15.12.2016 betreffend regelhafte Betreuung Demenzkranker im Akutkrankenhaus und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: Bei der Behandlung von Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus scheinen die Bedürfnisse der Patienten und die Krankenhaus-typischen Abläufe oft nicht miteinander vereinbar zu sein. In der Regel sind Krankenhäuser der Akut- und Notfallversorgung nicht auf die Versorgung der wachsenden Patientengruppe von demenziell Erkrankten vorbereitet. Regelrecht verloren im System sind Demenzkranke ohne engagierte Angehörige . Für die Betroffenen bedeutet die Aufnahme einen Wechsel in eine fremde Umgebung mit fremden Menschen und ungewohnten Tagesstrukturen. Sie verstehen nicht, wo sie sind und was als nächstes passiert. Sie rühren das Essen nicht an, verlassen trotz Bettruhe das Bett, weil sie nach Hause wollen, widersetzen sich Untersuchungen und Behandlungen, weil sie deren Notwendigkeit nicht begreifen. Das hohe Tempo in den pflegerischen Abläufen verstärkt ihre Angst und Unsicherheit zusätzlich. Die durchrationalisierten Abläufe auf den Krankenstationen sind auf die aktive oder zumindest passive Mithilfe der Patienten angewiesen. Wer das nicht leisten kann, bringt die Planung durcheinander. Aggressives Verhalten , Weglauftendenzen, Unruhe oder Pflegeverweigerung sind für das Pflegepersonal eine zusätzliche Belastung und Herausforderung. Da die meisten Formen der Demenz altersabhängige Erkrankungen darstellen, ist im Zuge der demografischen Entwicklung mit einem starken Anstieg der Krankenzahlen und damit auch der Anzahl dieser Krankenhauspatienten zu rechnen. Vor diesem Hintergrund bitten wir die Landesregierung um die Beantwortung folgender Fragen: Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie haben sich die Zahlen der an Demenz erkrankter Patienten in den Akutkrankenhäusern seit 2006 entwickelt? Im Jahr 2009 wurden rund 24.700 Patienten mit der Haupt- oder Nebendiagnose Demenz in hessischen Akutkrankenhäusern behandelt. Die Anzahl der an Demenz erkrankten Patienten stieg im Jahr 2010 auf 26.500 Patienten an. Danach sind rückläufige Fallzahlen bis 2014 festzustellen . Im Jahr 2015 kam es wieder zu einem Anstieg auf rund 24.400 Patienten. Im Zeitraum von 2009 bis 2015 hat sich die Anzahl der Patienten mit Demenz geringfügig um rund 270 bzw. um 1,1 % reduziert. In den meisten Fällen ist die Diagnose Demenz nicht ursächlich für den Krankenhausaufenthalt. Meist ist der stationäre Krankenhausaufenthalt von dementen Personen durch andere Diagnosen bedingt. Die Diagnose Demenz tritt entsprechend häufig als Nebenbzw . Sekundärdiagnose auf. Der Anteil der dementen Patienten, bei denen Demenz als Hauptdiagnose geschlüsselt ist, liegt unter 5 %. Im Jahr 2009 wurden 1.150 Patienten mit der Hauptdiagnose Demenz (F01 - vaskuläre Demenz) stationär in hessischen Krankenhäusern behandelt. Im Jahr 2015 waren dies nur noch 930 Patienten, was einem Rückgang von fast 230 Patienten bzw. 19,7 % entspricht. Hierzu wird auf die Tabelle 1 in der Anlage verwiesen. Frage 2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung über die Aufenthaltsbedingungen und die Pflegesituation dementer Patienten vor, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen des Aufenthalts auf den Krankheitsverlauf und der Berücksichtigung gerontopsychiatrischer Behandlungsmethoden? Hierzu liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Auch deswegen unterstützt die Landesregierung das unter Frage 4. genannte Projekt. Eingegangen am 6. Februar 2017 · Bearbeitet am 6. Februar 2017 · Ausgegeben am 9. Februar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4329 06. 02. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4329 Frage 3. Inwieweit befürwortet die Landesregierung die verpflichtende Berücksichtigung der Gruppe der an Demenz erkrankter Patienten in den Qualitätsberichten der Krankenhäuser und in weiteren Qualitätssicherungsmaßnahmen? Die Inhalte der Qualitätsberichte der Krankenhäuser werden nach § 136b Abs. 1 Nr. 3 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt. Dieser hat nach der am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Neuregelung des § 136b nun die Aufgabe, diese Berichte insgesamt neu zu strukturieren . In einem speziellen Berichtsteil sind besonders patientenrelevante Informationen in übersichtlicher Form und allgemein verständlicher Sprache zusammenzufassen. Dabei könnten auch Informationen darüber einfließen, ob es spezielle Angebote für an Demenz erkrankte Patientinnen und Patienten gibt. Frage 4. Wie fördert die Landesregierung die Kooperation der bestehenden Demenzprojekte/-Angebote in Hessen mit den Akutkrankenhäusern? Frage 5. Sieht die Landesregierung hinsichtlich der Verbesserung der Versorgung und Betreuung von Menschen mit Demenz während eines Krankenhausaufenthalts die Notwendigkeit, Projekt in Auftrag zu geben. Die Fragen 4 und 5 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Die Landesregierung setzt sich generell für die sektorenübergreifende Vernetzung der Akteure des Gesundheitswesens ein. Im Rahmen der speziellen Förderung von regionalen Gesundheitsnetzen wird in den Jahren 2016 bis 2018 folgendes Projekt gefördert: "Netzwerk Demenz Plus Darmstadt/Frankfurt: sektorenübergreifende Hilfe für akut erkrankte Demenzpatienten". Das Projekt wird von den Krankenhäusern Agaplesion Elisabethenstift Darmstadt und Agaplesion Frankfurter Diakoniekliniken gemeinsam durchgeführt. Ziel des Projekts ist es, bis 31.12.2018 den Bedarf und die Bedingungen für die sektorenübergreifende Hilfe für akut erkrankte Demenzpatienten zu erfassen und mit allen Projektbeteiligten ein differenziertes, praktisch umsetzbares Konzept zu entwickeln, das auch Empfehlungen für die Umsetzung in anderen Regionen Hessens beinhaltet. Frage 6. Wie ist der Umgang mit Demenzkranken in den Ausbildungsinhalten des Pflegepersonals verankert ? Die Ausbildung in der stationären Gesundheits- und Krankenpflege ist bundesrechtlich geregelt. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflAPrV) sieht vor, dass im Rahmen der praktischen Ausbildung Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen in der Gesundheits- und Krankenpflege von Menschen aller Altersgruppen in der stationären Versorgung gesammelt werden, u.a. in den Fächern Innere Medizin, Geriatrie und Neurologie . Je nach Versorgungsauftrag des Krankenhauses umfasst dies auch den Erwerb von Kenntnissen im Umgang mit Demenzkranken. Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz - PflBRefG) weist bereits in der Problem- und Zielbeschreibung auf die steigende Zahl demenziell erkrankter Menschen hin. Hinsichtlich der Pflege im Krankenhausbereich sollen daher die spezifischen Belange des wachsenden Anteils älterer und demenziell veränderter Patientinnen und Patienten stärker bei der Ausbildung der Pflegefachkräfte ("generalistische Pflegeausbildung ") berücksichtigt werden. Bei Inkrafttreten des Pflegeberufereformgesetzes ist somit davon auszugehen, dass auch die akutstationäre Pflege demenziell erkrankter Menschen in der Ausbildungs - und Prüfungsverordnung zum Pflegeberufereformgesetz geregelt wird. Frage 7. Sieht die Landesregierung hinsichtlich der notwendigen Weiterbildungs- und Qualifizierungsanforderungen von Krankenhausmitarbeitern aller Berufsgruppen Handlungsbedarf und in wie weit fördert sie diese? Die Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen regelt bereits im Rahmen der Zusatzweiterbildung Geriatrie den Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Demenzerkrankungen. Der Landesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Weiterbildungs- und Qualifizierungsanforderungen nicht ausreichend sind. Bei Inkrafttreten des Pflegeberufereformgesetzes sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zum Pflegeberufereformgesetz wird zu prüfen sein, ob die Hessische Weiterbildungs- und Prüfungsordnung für die Pflege und Entbindungspflege (WPO-Pflege) über die generalistische Pflegeausbildung hinausgehende Weiterbildungs- und Qualifizierungsanforderungen für die akutstationäre Pflege demenziell erkrankter Menschen regeln sollte. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4329 3 Ungeachtet dessen ist zu berücksichtigen, dass u. a. auch in Hessen einzelne Krankenhäuser ein besonderes Augenmerk auf die Behandlung von Demenzkranken gerichtet haben, sog. "demenzsensible Krankenhäuser". Das für die Krankenhausversorgung zuständige Referat des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration wird diese Krankenhäuser zu den Weiterbildungs - und Qualifizierungsanforderungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen. Frage 8. Welche Hilfen zur Tagesstrukturierung mit aktivierenden Angeboten und Ruhephasen gibt es bislang für Demenzkranke in Akutkrankenhäusern? Frage 9. Inwieweit erfolgt die Einbindung der Angehörigen, die die Bedürfnisse der Demenzkranken kennen ? Die Fragen 8 und 9 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Hierzu wurde eine Umfrage in den hessischen Krankenhäusern gestartet, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen. Frage 10. Sieht die Landesregierung die Notwendigkeit, die Regelungen des § 45a SGB XI (Vergütungszuschläge für zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Pflegeeinrichtungen) auch in das SGB V zu übertragen? Es wird davon ausgegangen, dass nicht § 45a SGB XI, sondern § 87b SGB XI ("Vergütungszuschläge für zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Pflegeeinrichtungen") gemeint ist. Für eine vergleichbare Regelung wird keine Notwendigkeit gesehen, da zunächst die beim Herrn Bundesgesundheitsminister Gröhe angesiedelte "Expertenkommission Pflege" bis spätestens Ende 2017 prüfen soll, ob im DRG-System oder u ber ausdifferenzierte Zusatzentgelte ein erhöhter Pflegebedarf von demenzerkrankten, pflegebedürftigen oder behinderten Patientinnen und Patienten und der allgemeine Pflegebedarf in Krankenhäusern sachgerecht abgebildet werden . Abhängig vom Prüfergebnis sollen Vorschläge unterbreitet werden, wie die sachgerechte Abbildung von Pflegebedarf im DRG-System oder über ausdifferenzierte Zusatzentgelte erfolgen kann. Wiesbaden, 28. Januar 2017 Stefan Grüttner Anlagen Anlage: Tabelle1 Anzahl der vollstationären Patienten mit Haupt- oder Nebendiagnose Demenz (F00 bis F03) in hessischen Krankenhäusern in den Jahren 2009 bis 20151 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Veränderung 09-15 absolut in % Anzahl Patienten mit Diagnose Demenz 24.679 26.481 25.351 24.335 23.918 23.756 24.408 -271 -1,1% darunter mit Hauptdiagnose (HD) Demenz (F01)2 1.154 1.143 1.180 1.039 999 949 927 -227 -19,7% Anteil Patienten mit HD Demenz an Patienten insgesamt 4,7% 4,3% 4,7% 4,3% 4,2% 4,0% 3,8% - - Quelle: Daten nach §21 KHEntgG, Auswertung der Hessen Agentur. 1 Aufgrund unzureichender Datenqualität in den Jahren 2006 bis 2008 kann die Auswertung erst ab dem Jahr 2009 vorgenommen werden. 2 Nur der ICD-Code „F01 - Vaskuläre Demenz“ kann als Hauptdiagnose geschlüsselt werden. Alle übrigen der Demenz zugehörigen ICD- Codes sind nur als Neben- oder Sekundärdiagnosen möglich. Anlage zu KA 19/4329