Kleine Anfrage der Abg. Schott (DIE LINKE) vom 16.12.2016 betreffend Bewertung der Buchenwälder in Hessen und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragestellerin: Die Arbeitsgemeinschaft "Naturschutz" der Landes-Umweltministerien (LANA) hat auf ihrer 81. Sitzung (September 2001 in Pinneberg) die vom AK "Umsetzung der FFH-Richtlinie" vorgelegten "Mindestanforderungen für die Erfassung und Bewertung von Lebensräumen und Arten sowie die Überwachung" beschlossen. Diese Vorgaben beinhalten sowohl ein Bewertungsschema für die Lebensraumtypen als auch für die Arten sowie eine Matrix zur "Berechnung" der Gesamtbewertung (z.B. der Erhaltungszustand eines Buchenwaldbestandes ). [(25.01.2005) https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/030306_lana.pdf(15.12.2016)] Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Zur Ermittlung des Bewertungsergebnisses bzgl. der Habitatstrukturen von Buchenwäldern wird in den meisten Bundesländern das sogenannte Pinnebergschema der LANA angewendet. Worin und warum weicht die hessische Matrix zur Bewertung von diesem Schema ab? Bei der Bewertung der Buchenwälder waren folgende Ausgangsbedingungen zu berücksichtigen: Die Buchenwälder in Hessen nehmen mit einer Fläche von über 250.000 ha einen Großteil der Summe der Flächen aller Lebensraumtypen (LRT) (rund 280.000 ha) ein. In der Forsteinrichtung liegen für diese Flächen bereits umfangreiche Daten vor, die für die Bewertung in naturschutzfachlich ausreichend aussagefähiger Form genutzt werden können. Außerdem wurden besonders hochwertige Buchenwälder (A-Bewertung) in der Hessischen Biotopkartierung erfasst. Auf eine Neu-Kartierung, die noch Daten hätte ergänzen können, in Anbetracht der großen Fläche aber gleichzeitig sehr hohe Kosten verursacht hätte, wurde daher verzichtet. Das dreigliedrige Pinnebergschema der LANA beinhaltet eine Bewertung von Habitatstruktur, Arteninventar und Beeinträchtigungen und wird grundsätzlich auch in Hessen angewendet. Aufgrund der Daten aus der Forsteinrichtung können die Parameter Habitatstruktur und Beeinträchtigungen bewertet werden. Für die Beurteilung des Arteninventars - welche bei den LRT in der Regel anhand der vorkommenden Pflanzenarten erfolgt - liefert die Forsteinrichtung keine Daten zur Krautschicht. Nach fachlicher Einschätzung ist bei den Buchenwäldern davon auszugehen , dass das Pflanzenarteninventar der Krautschicht zumeist einem naturnahen Zustand entspricht , wenn die Habitatstrukturen günstig sind und keine oder nur geringe Beeinträchtigungen vorliegen. Aus den genannten Gründen wurde in Hessen auf eine zusätzliche aufwendige Erfassung der Daten zur Krautschicht in den Buchenwald-Lebensraumtypen 9110 und 9130 verzichtet . Frage 2. Wie ist es fachlich zu begründen, dass in Hessen, anders als bei der Bewertung in den anderen Bundesländern, aus einem Buchenwald, dessen Habitatstrukturen mit "C" (schlecht) bewertet wurde, durch Verrechnung mit einer geringen Störung "A" die Einstufung zum guten Erhaltungszustand "B" möglich wird? Nach Pinnebergschema folgt die Verrechnung der Bewertung der Parameter Habitatstruktur, Arteninventar und Beeinträchtigungen den von der LANA vorgegebenen Regeln: Bei Doppelnennung einer Bewertung setzt diese sich durch (z.B. A + B + B ergibt B) mit Ausnahme von A + A + C, woraus Bewertung B erfolgt. Bei je einer A, B und C-Bewertung erfolgt Gesamtbewertung B. Wie zu Frage 1 ausgeführt, werden in Hessen nur die Parameter Habitatstrukturen und Beeinträchtigungen bewertet. Bei nur zwei Bewertungsparametern lassen sich die Bewertungsregeln des Pinnebergschemas nicht anwenden, so dass Anpassungen erforderlich wa- Eingegangen am 13. Februar 2017 · Bearbeitet am 14. Februar 2017 · Ausgegeben am 17. Februar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4343 10. 02. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4343 ren. Da auch beim Pinnebergschema der LANA nicht nach der Regel "der schlechteste Wert schlägt durch" verrechnet wird, sondern im Wesentlichen eine Mittelwertbildung erfolgt, wurde dies auch in Hessen so umgesetzt. Bei unterschiedlichen Bewertungen, die nur eine Bewertungsstufe auseinander liegen, wird die schlechtere Bewertung übernommen und bei zwei Stufen Unterschied der Mittelwert (A + C = B). Frage 3. Wie groß ist die Fläche von Buchenwäldern in Hessen, deren Erhaltungszustand nach der hessischen Bewertungsmatrix als gut ("B") eingestuft wurde? Zur Beantwortung der Frage wurde auf ermittelte Flächen und Bewertungen im Rahmen der alle sechs Jahre durchzuführenden FFH-Berichtspflicht (Stand: März 2014) zurückgegriffen. Bei einer Gesamtwaldfläche von rund 864.000 ha in Hessen wurden für die beiden großen Buchenwaldlebensraumtypen in FFH-Gebieten folgende Flächen ermittelt: LRT 9110 - 152.632 ha, LRT 9130 - 100.165 ha. Bewertungen hinsichtlich des Erhaltungszustands konnten für den von Hessen-Forst betreuten Wald auf einer Fläche von 137.000 ha LRT 9110 und 90.000 ha LRT 9130 vorgenommen werden: 9110 - Wertstufe A = 5 %, 9110 - Wertstufe B = 79 %, 9110 - Wertstufe C = 16 %. 9130 - Wertstufe A = 4 %, 9130 - Wertstufe B = 86 %, 9130 - Wertstufe C = 10 %. Frage 4. Wie groß wäre die Fläche von Buchenwäldern in Hessen, deren Erhaltungszustand mit gut ("B") bewertet würde, wenn das unter 2. beschriebene Verrechnungsverfahren nach dem Pinnebergschema der LANA vollzogen würde? Falls diese Bewertungsverschiebung nicht nachvollzogen werden kann, bitten wir um eine Abschätzung der Veränderung des Flächenanteils. Wie in der Fragestellung schon vermutet, kann die Bewertungsverschiebung auf Grund fehlender valider Daten nicht nachvollzogen werden. Eine Abschätzung der Veränderung des Flächenanteils wäre deshalb rein spekulativ und kann nicht geleistet werden. Frage 5. Ist die Hessische Landesregierung der Auffassung, dass ein einschichtiger, zehn Jahre alter Jungwald mit weniger als 10 % lebensraumfremden Baumarten, ein Wald in gutem Erhaltungszustand und Lebensraum aller waldtypischen, charakteristischen Arten ist? Antwort bitte mit Begründung. Frage 6. Kann die Hessische Landesregierung Beispiele geben, in denen ein wie unter 5. charakterisierter Jungwald, als Wald mit gutem Erhaltungszustand und Lebensraum aller waldtypischen, charakteristischen Arten eingestuft wurde? Die Fragen 5 und 6 werden zusammen beantwortet: Die Bewertung des Erhaltungszustands von FFH-Lebensraumtypen erfolgt auf der Ebene von FFH-Gebieten. Für jedes FFH-Gebiet gilt das Verschlechterungsverbot. Um einen gesicherten Überblick über ein gesamtes FFH-Gebiet zu bekommen, werden in Hessen alle einzelnen Waldbestände in einem FFH-Gebiet, die die LRT-Eigenschaft besitzen, nach den Kriterien des LANA-Schemas eingestuft. Im Zuge der Forstbetriebsplanung wird mit Hilfe des Moduls "LRT-Planungsprognose" die Auswirkung von geplanten Forstbetriebsmaßnahmen auf den Erhaltungszustand nach Ablauf der Planungsperiode prognostiziert. Bei drohender Verschlechterung wird die Betriebsplanung entsprechend angepasst. Dieses Verfahren ist bundesweit einmalig ; kein anderes Bundesland sichert die Erhaltungszustände der Buchenwälder in dieser Detailschärfe . Zusammengefasst entsteht dadurch eine flächengenaue Übersicht über die Verteilung der Erhaltungszustände im FFH-Gebiet und deren Entwicklung. Waldbestände sind die kleinsten Einheiten der Waldinventur, die den Wald in Hessen in die hierarchischen Kategorien Abteilungen, Unterabteilungen und Bestände einteilt. Die Waldeinteilung dient der Übersichtlichkeit, Orientierung und geregelten Bewirtschaftung. Die Gesamtheit der Buchenwälder eines Gebietes wird in der Regel von Beständen aller Altersklassen gebildet. Junge, mittelalte und alte Buchenbestände bilden den Lebensraum für eine bestimmte, dem jeweiligen Waldentwicklungsstadium angepasste, typische Artenzusammensetzung. In keinem Waldbestand wird man daher alle charakteristischen Arten der Buchenwälder antreffen , da der Wald kein statisches Gebilde, sondern ein dynamisches Ökosystem ist, das sich stets Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4343 3 entwickelt. Die Artenzusammensetzung hängt darüber hinaus noch von vielen weiteren Faktoren , wie Temperatur, Feuchtigkeit, Nährstoffangebot des Bodens, Exposition, Totholzangebot ab. Auch in Buchen-Urwäldern differenziert sich die Artenzusammensetzung mosaikartig, d.h. nicht in jedem Waldentwicklungsstadium sind alle Arten vertreten. Bezogen auf das genannte Beispiel bedeutet das, dass die verschiedenen Bewertungsparameter zu einer Gesamtbewertung nach dem Schema C-B-A zu Gesamtbeurteilung "B" führen können. Auf Grund der sehr großen Fläche, die die Buchenwälder in Hessen einnehmen, ist dies hinnehmbar . In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die skizzierte Vorgehensweise der über den Einzelbestand hinausreichenden Bewertung auch zu schlechteren Einstufungen führen kann .So kann ein einschichtiger Buchenbestand im Alter 160 mit 30 % Beimischung von Nadelholz, der viele Höhlenbäume und gute Strukturen für Fledermäuse aufweist, wiederrum nach der schematischen Bewertung (Struktur "C"), (Beeinträchtigung "C") und pflanzensoziologisch ermitteltem (Artinventar "B") in der Summe C-C-B als schlecht "C" in die Bewertung eingehen, obwohl er Lebensraum vieler waldtypischer, charakteristischer Tierarten ist. Wiesbaden, 1. Februar 2017 Priska Hinz