Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer (SPD) vom 16.01.2017 betreffend Modellprojekt zur Ausbildung zur Fachpraktikerin bzw. zum Fachpraktiker Hauswirtschaft mit einer Zusatzqualifikation Altenpflegehilfe und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Die Pflege ist wie kaum ein anderer Sektor durch einen großen Fachkräftebedarf gekennzeichnet. Insbesondere der Altenpflege fehlt es an Nachwuchs. Mit einem Modellprojekt sollen junge Menschen mit einer Behinderung oder anderweitigen Einschränkungen sowohl für die Altenpflege als auch für die Hauswirtschaft ausgebildet werden. Das Berufsbildungswerk Südhessen (bbw), die Bundesagentur für Arbeit (BA) und das Hessische Ministerium für Soziales und Integration setzen seit August 2016 federführend das Konzept um. Im Anschluss kann eine Ausbildung zum Vollberuf Altenpflege bzw. Hauswirtschaft absolviert werden. Ein Beirat mit Mitgliedern aus Politik und Wirtschaft sowie Fachleuten aus der Pflegebranche und der Forschung begleitet die Entwicklung und Umsetzung des Modellprojekts. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Die Erschließung neuer Zielgruppen für die Ausbildung in den Altenpflegeberufen ist Teil des Gesamtkonzepts Fachkräftesicherung Hessen der Hessischen Landesregierung. Die entwickelte Modellausbildung setzt darüber hinaus an einer bestehenden bundesrechtlichen Problemstellung an: Junge Menschen mit Behinderungen oder Lernbeeinträchtigungen können bei einer dualen, nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelten Ausbildung von den Agenturen für Arbeit durch Fördermaßnahmen im Bereich der beruflichen Rehabilitation zusätzlich unterstützt werden. Diese Unterstützung kann nach bisheriger Rechtslage nicht für Auszubildende gewährt werden, wenn sie eine berufsfachschulische Ausbildung außerhalb des BBiG - und eine solche ist die landesrechtlich geregelte Altenpflegehilfeausbildung - absolvieren. Mit dem Modell einer integrierten Ausbildung von Hauswirtschaft (duale Ausbildung nach BBiG) und Altenpflegehilfe (berufsfachschulische Ausbildung außerhalb des BBiG) wird es in Abstimmung mit der Bundesagentur für Arbeit in Hessen erstmals möglich, auch Auszubildenden für den Bereich der Altenpflegehilfe in vollem Umfang die Fördermöglichkeiten zur beruflichen Teilhabe nach SGB III zur Verfügung zu stellen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Personen haben im August 2016 die Ausbildung zur Fachpraktikerin bzw. zum Fachpraktiker Hauswirtschaft mit einer Zusatzqualifikation Altenpflegehilfe begonnen, wie viele davon haben die Ausbildung mit welcher Begründung bereits abgebrochen (bitte nach Geschlecht, Alter und Förderbedarf aufgeschlüsselt)? Die Pilotklasse hat mit vier Teilnehmerinnen und Teilnehmern (drei weiblich, einer männlich) am 8. August 2016 die Ausbildung aufgenommen. Die Auszubildenden sind zwischen 18 und 22 Jahre alt. Bei allen besteht eine Erstdiagnose für eine bestehende Lernbehinderung sowie aufgrund von Erkrankungen für eine Entwicklungsverzögerung. Bisher hat niemand die Ausbildung abgebrochen (Stand 30. Januar 2017). Bei allen ausgewählten Auszubildenden ist durch Gutachten bestätigt, dass sie trotz ihrer Lernbehinderungen gesundheitlich für die Berufsausübung als Altenpflegehelferin/Altenpflegehelfer geeignet sind. Alle ausgewählten Auszubildenden haben einschlägige Vorerfahrungen im Berufsfeld der Pflege . Drei Personen hatten vorher bereits versucht, eine einjährige Ausbildung im Alten- bzw. Krankenpflegebereich zu absolvieren und sind mangels zusätzlicher Förderung an den Anforderungen gescheitert. Zwei Personen haben anschließend als ungelernte Hilfskräfte in der ambu- Eingegangen am 22. Februar 2017 · Bearbeitet am 23. Februar 2017 · Ausgegeben am 28. Februar 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4404 22. 02. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4404 lanten und stationären Pflege gearbeitet. Eine Person hat ein mehrjähriges Tages-Praktikum in einer Einrichtung der stationären Altenpflege absolviert. Frage 2. Wie und mit welcher Zielsetzung beteiligt sich das Hessische Ministerium für Soziales und Integration an der Umsetzung des Modellprojekts? Mit dem Projekt ist sowohl die Erschließung neuer Zielgruppen als auch das Ziel verbunden, Erkenntnisse zur inhaltlichen Weiterentwicklung der Altenpflegehilfeausbildung zu gewinnen. Zudem soll aufgezeigt werden, dass Förderschülerinnen und Förderschüler eine berufsfachschulische Ausbildung in der Pflege erfolgreich absolvieren können, wenn ihnen die gleichen Förder - und Unterstützungsmöglichkeiten durch die Agenturen für Arbeit ermöglicht werden wie Förderschülerinnen und Förderschülern, die eine duale Ausbildung absolvieren. Durch die angestrebte Doppelqualifizierung sollen sich die Chancen am Arbeitsmarkt für die Absolventinnen und Absolventen verbessern. Durch die staatlich anerkannten Berufsabschlüsse wird sichergestellt, dass die Personen mit den Absolventinnen und Absolventen der “Regelausbildungen “ gleichgestellt sind. Die Hessische Landesregierung fördert die Modellausbildung im Rahmen der Erstattung der Schulgelder für die Ausbildung in den Altenpflegeberufen nach dem Hessischen Altenpflegegesetz in Verbindung mit der Altenpflegeverordnung. Die kooperierende Altenpflegeschule des vdab Ortenberg erhält für jedes Ausbildungsjahr in der Altenpflegehilfe die gesetzlich geregelte Jahrespauschale, um eine kleine Gruppengröße und eine intensive Praxisbegleitung sicherzustellen . Für den Bereich der Hauswirtschaft stellt das Hessische Kultusministerium die entsprechende Lehrerversorgung an der beteiligten beruflichen Schule auf dem Gelände des Berufsbildungswerks Südhessen sicher. Darüber hinaus arbeiten das Hessische Ministerium für Soziales und Integration und das Hessische Kultusministerium im Projekt-Beirat mit, der das Konzept der Modellausbildung maßgeblich entwickelt hat. Weitere Mitglieder im Beirat sind die Bundesagentur für Arbeit, das Regierungspräsidium Darmstadt, die Altenpflegeschule des vdab Ortenberg, das Berufsbildungswerk Südhessen, die AWO Hessen Süd, die staatliche Berufsschule Karben sowie die J. P. Morgan Chase Foundation. Weitere Beteiligte an der Modellausbildung sind die Industrie- und Handelskammer Friedberg (verantwortlich für den hauswirtschaftlichen Bereich der Ausbildung) und das zuständige Staatliche Schulamt. Frage 3. Welche Inhalte umfassen die Ausbildungsmodule (bitte nach den beteiligten Trägern aufschlüsseln sowie mit der Erläuterung, wie diese auf die Bedürfnisse der Auszubildenden angepasst sind)? Das Curriculum führt den Rahmenlehrplan für die dreijährige Ausbildung zur/zum Fachpraktikerin /Fachpraktiker Hauswirtschaft mit dem Rahmenlehrplan für die einjährige Ausbildung zur/zum Altenpflegehelferin/Altenpflegehelfer zusammen. Das Curriculum wurde unter Einbeziehung der IHK und des Regierungspräsidiums Darmstadt als prüfende Stellen entwickelt und von diesen genehmigt. Die den beiden Ausbildungen zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen werden eingehalten (z.B. Zulassungsvoraussetzung Hauptschulabschluss bei der Altenpflegehilfeausbildung ). In dem gemeinsamen Curriculum werden die Inhalte beider Ausbildungen vollständig abgebildet. Dabei werden die Inhalte der Ausbildung zur/zum Altenpflegehelferin /Altenpflegehelfer auf drei Ausbildungsjahre verteilt, um eine langsame Heranführung mit stetigen Wiederholungen zu gewährleisten. Möglich ist diese Zusammenführung aufgrund der vielfältigen Überschneidungen der Ausbildungsinhalte sowie durch eine zielgruppenspezifische Schwerpunktsetzung. Somit ist trotz der doppelqualifizierenden Ausbildung ein rehabilitationsspezifischer Aufbau der Ausbildung gegeben . Dabei werden erprobte didaktische und rehabilitationsspezifische Methoden angewendet, z.B. langsames Heranführung an ein neues Themengebiet, stetige Wiederholungen mit zielgruppenspezifischer Vertiefung, wenig Frontalunterricht und eine aktive Mitarbeit der Auszubildenden . Die individuelle Förderung durch Stütz- und Förderunterricht sowie eine intensive Betreuung durch das Rehabilitationsteam des Berufsbildungswerks Südhessen ist gewährleistet. Die theoretische und fachpraktische Ausbildung übernehmen in enger Absprache vier Kooperationspartner : Das Berufsbildungswerk Südhessen, die Altenpflegeschule des vdab Ortenberg, die Berufsschule Karben und Einrichtungen der stationären Altenpflege verschiedener Träger wie die AWO Hessen Süd und die Agaplesion Markus Diakonie. Die Vermittlung der Ausbildungsinhalte erfolgt in enger Absprache durch alle Kooperationspartner . Die Ausbildungsjahre sind in Themenblöcke unterteilt. Beide beteiligten beruflichen Schulen übernehmen die theoretische Ausbildung: So erfolgt die Grundlagenvermittlung meist Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4404 3 durch die Berufsschule und die zielgruppenspezifischen Inhalte (Altenpflegehilfe) durch die Altenpflegeschule . Themen ohne Überschneidungen werden jeweils durch die zuständige Schule vermittelt (z.B. Textilpflege durch Berufsschule, Arzneimittellehre durch Altenpflegeschule). Frage 4. Welche Tätigkeiten werden in den Praxisphasen von den Auszubildenden ausgeübt (Bitte mit Erläuterung , wie diese auf die Bedürfnisse der Auszubildenden angepasst sind)? Das Berufsbildungswerk Südhessen übernimmt die praktische hauswirtschaftliche Ausbildung; eine praxisnahe Vertiefung dieser Inhalte erfolgt in Einrichtungen der stationären Altenpflege. Die Einrichtungen der stationären Altenpflege übernehmen die praktische Ausbildung im Bereich Altenpflegehilfe gemäß der gesetzlichen Vorgaben des Hessischen Altenpflegegesetzes, wobei eine enge Begleitung durch das bbw Südhessen und eine intensivierte Praxisbegleitung durch die Altenpflegeschule erfolgt. Zusätzlich wurde die praktische Lernzeit für den Bereich der Altenpflegehilfe im Vergleich zur Regelausbildung auf zwei Jahre verlängert sowie die Beschulungsintervalle geändert (statt mehrwöchiger Schul- bzw. Praxisblöcke in der Regelausbildung wöchentlich zwei Schultage und drei Praxistage). Auch bei der Umsetzung der praktischen Ausbildung werden alle erprobten rehabilitationsspezifischen Betreuungsleistungen angewendet (individuelle Betreuung, engmaschige Begleitung, schnelles Krisenmanagement, regelmäßige Feedback-Gespräche, angepasstes Lerntempo, individuelle Stütz- und Förderangebote). Frage 5. Welche Kompetenzen weisen die Auszubildenden nach erfolgreicher Absolvierung des Ausbildungsgangs auf und in welchen Bereichen der Pflege (ambulant/stationär) können sie eingesetzt werden? Die Absolventinnen und Absolventen verfügen bei erfolgreichem Abschluss über zwei staatlich anerkannte Ausbildungsabschlüsse: Fachpraktikerin/Fachpraktiker Hauswirtschaft (Duale Ausbildung nach Berufsbildungsgesetz, Prüfung vor der IHK, bundesweit anerkannter Ausbildungsabschluss), Staatlich anerkannte/r Altenpflegehelferin/Altenpflegehelfer (Ausbildung nach dem Hessischem Altenpflegegesetz, staatliche Prüfung, landesrechtlich geregelter und gemäß den Eckpunkten der Länder zu den landesrechtlich geregelten Assistenzberufen bundesweit anerkannter Ausbildungsabschluss ). Die Absolventinnen und Absolventen können wie jede/r andere geprüfte und staatlich anerkannte Altenpflegehelferin/Altenpfleger bzw. Fachpraktikerin/Fachpraktiker Hauswirtschaft eingesetzt werden. Die Einsatzgebiete sind sowohl im hauswirtschaftlichen Bereich als auch in der Pflege vielfältig. Aufgrund der zusätzlichen Kompetenzen in der Hauswirtschaft besteht eine hohe Aussicht, dass die Absolventinnen und Absolventen in der stationären und der ambulanten Altenpflege eingesetzt oder in alternativen Wohnformen wie z.B. integrierten Wohnprojekten oder ambulant betreuten Senioren-Wohngemeinschaften tätig werden können. Frage 6. Gibt es im Anschluss an den Ausbildungsgang gesonderte Voraussetzungen zur Aufnahme der Ausbildung zum Vollberuf Altenpflege bzw. Hauswirtschaft)? Wenn ja, welche? Es gibt keine gesonderte Voraussetzungen zur Aufnahme der Ausbildung zum Vollberuf Altenpflege bzw. Hauswirtschaft. Da zwei staatlich anerkannte Berufsabschlüsse erworben werden, gelten jeweils die einschlägigen Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes bzw. des Altenpflegegesetzes. Die Ausbildung Fachpraktikerin/Fachpraktiker kann gem. der §§ 7 bis 9 Berufsbildungsgesetz auf Antrag bei der zuständigen IHK im Umfang der fachlichen Gleichwertigkeit auf die Ausbildung Hauswirtschafterin/Hauswirtschafter angerechnet werden. Für Hauptschüler führt die erfolgreiche Ausbildung zur/zum staatlich anerkannten Altenpflegehelferin /Altenpflegehelfer gem. § 7 Abs. 1 Nr. 2 Altenpflegegesetz zur Zulassung zur Ausbildung zur/zum staatlich anerkannten Altenpflegerin/Altenpfleger und darüber hinaus, je nach Abschlussnote , zu einer Verkürzung der dreijährigen Ausbildung zur/zum staatlich anerkannten Altenpflegerin /Altenpfleger im Umfang von bis zu einem Jahr. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4404 Frage 7. Mit welchen (wissenschaftlichen) Maßnahmen begleitet der in der Vorbemerkung genannte Beirat die Entwicklung und Umsetzung des Modellprojekts? Das Modellprojekt wird durch die Justus-Liebig-Universität Gießen, Lehrstuhl Wirtschaftslehre des Privathaushaltes und Familienwissenschaft, Frau Prof. Dr.sc. Uta M.-G. wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Frage 8. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form liegen voraussichtlich erste (wissenschaftliche) Ergebnisse vor bzw. wann werden diese veröffentlicht? Erste Ergebnisse werden voraussichtlich Mitte 2018 vorliegen. Der Abschlussbericht soll im Herbst 2019 veröffentlicht werden. Frage 9. Welche weiteren Maßnahmen plant oder setzt das Hessische Ministerium für Soziales und Integration um, um Menschen mit Förderbedarf eine Ausbildung bzw. eine Beschäftigung in der Pflege zu ermöglichen? Wie in der Vorbemerkung dargestellt, ist das Ausbildungsmodell der erste Versuch, die beschriebene rechtssystematische Problematik aufzubrechen und zu erproben, ob es der Zielgruppe junger behinderter oder lernbeeinträchtigter Menschen mit einer entsprechenden zusätzlichen rehabilitationsspezifischen Unterstützung gelingt, eine berufsfachschulische Ausbildung in der Pflege erfolgreich abzuschließen. Die Ergebnisse der Modellausbildung werden in die Evaluation des Hessischen Altenpflegegesetzes einfließen, welches bis zum 31.12.2020 befristet ist. Wiesbaden, 13. Februar 2017 Stefan Grüttner