Kleine Anfrage der Abg. Hofmeyer, Decker, Frankenberger und Gremmels (SPD) vom 23.02.2017 betreffend neurologische Versorgung in Stadt und Landkreis Kassel und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: Presseberichten zufolge ist die neurologische Versorgung von Patientinnen und Patienten in Stadt und Landkreis Kassel gefährdet. Patienten haben Schwierigkeiten, in zumutbarer Zeit einen Termin zu bekommen, und neue Patienten finden keinen Neurologen mehr. "Schon heute bestehen ohne Zweifel Engpässe in der neurologischen Versorgung", zitiert die örtliche Presse (HNA, 9. Februar 2017) aus einem Schreiben des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) an den hessischen Sozialminister Stefan Grüttner. Hintergrund sei u.a. die viel schlechtere Vergütung in Hessen für diese Arztgruppe im Vergleich zu anderen Bundesländern . Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben die vertragsärztliche Versorgung in dem nach § 73 Abs. 2 SGB V bezeichneten Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht (§ 75 Abs. 1 SGB V). Der Sicherstellungsauftrag nach Abs. 1 umfasst auch die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung (§ 75 Abs. 1a SGB V). Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Versorgungslage mit Fachärztinnen und Fachärzten für Neurologie in Stadt und Landkreis Kassel? Zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere auch für die vertragsärztliche Versorgung mit Fachärztinnen und Fachärzten für Neurologie, haben die KVen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen nach Maßgabe der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erlassenen Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 SGB V auf Landesebene einen Bedarfsplan zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung aufzustellen (vgl. § 99 Abs. 1 SGB V). Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen entscheidet auf der Basis der geltenden Bedarfsplanungs -Richtlinie des G-BA über Unter- und Überversorgung im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung in Hessen. Hierbei können die Ermessensspielräume, die die Bedarfsplanungs -Richtlinie dem Landesausschuss lässt, entsprechend genutzt werden. Der Zulassungsausschuss muss auf der Grundlage der vom Landesausschuss getroffenen Feststellungen zu Unterund Überversorgung die Zulassungsanträge entscheiden, aber trotz festgestellter Überversorgung bestehen Zulassungsmöglichkeiten zur Deckung eines lokalen Versorgungsbedarfs. Der aufgestellte oder angepasste Bedarfsplan ist dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) vorzulegen. Das HMSI kann den Bedarfsplan innerhalb einer Frist von zwei Monaten beanstanden. Eine Möglichkeit zur Beanstandung dieses Bedarfsplanes ist aber nur gegeben , sofern dieser nicht dem Gesetz oder sonstigem maßgebenden Rechts entspricht. Um die Versorgungslage mit Fachärztinnen und Fachärzten für Neurologie in Stadt und Landkreis Kassel zu erheben, hat die Landesregierung die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KV Hessen) um Stellungnahme gebeten. In ihrer Antwort vom 14. März 2017 führt die KV Hessen aus, dass die Neurologen gemäß der Bedarfsplanungs-Richtlinie der Arztgruppe der Nervenärzte zugeordnet seien. Hierzu würden ebenfalls die Fachgruppen der Nervenärzte, Psychiater sowie Psychiatrie und Psychotherapie gehören. Hinsichtlich der nervenärztlichen Versorgung kann seitens der KV Hessen zunächst festgestellt werden, dass die Planungsbereiche Landkreis Kassel und Kassel-Stadt innerhalb der Arztgruppe der Nervenärzte gesperrt sind. Nach Angaben der Eingegangen am 4. April 2017 · Ausgegeben am 7. April 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4580 04. 04. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4580 KV Hessen vom 14. März 2017 würde nach den aktuellen Beschlüssen des Landesausschusses vom 24. November 2016 (Arztstand: 1. Oktober 2016) mit 120,65 % (LK Kassel) bzw. 133,37 % (Kassel-Stadt) eine nervenärztliche Überversorgung bestehen. In der Anlage 1 sind die Versorgungsaufträge der Nervenärzte gemäß Bedarfsplanungs- Richtlinie zum Stand 1. Februar 2017 auf Basis der Erhebung der KV Hessen aufgeführt. Für die Stadt Kassel sei die Aufteilung zwischen Neurologen und Psychiatern nahezu ausgeglichen. Im Landkreis Kassel würde die psychiatrische Versorgung überwiegen. Ferner seien in Kassel vier Fachärzte für Neurologie und ein Facharzt für Nervenheilkunde zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Der Ermächtigungsinhalt zweier Ermächtigungen würde die Diagnostik und Therapie von extrapyramidalen Bewegungsstörungen enthalten, während eine weitere Ermächtigung die Durchführung besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bei Patienten mit Morbus Parkinson, Tremorpatienten und Dystonie-Patienten, bei denen ein Tiefenhirnstimulationssystem implantiert wird oder wurde, sowie die Indikation zur Tiefenhirnstimulation , beinhalten würde. Die letztgenannte Ermächtigung würde an der Fachklinik Kassel bestehen und würde speziell für die Behandlung von Patienten mit Morbus Parkinson genutzt . Die beiden verbleibenden Ermächtigungen seien vornehmlich auf die Durchführung neurologischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden des EBM-Kapitels 16 (neurologische und neurochirurgische Gebührenordnungspositionen) eingeschränkt, wobei eine dieser Ermächtigungen zusätzlich die Durchführung der Botulinum-Toxin-Therapie erfassen würde. Im Landkreis Kassel seien nach Angaben der KV Hessen vom 14. März 2017 an den Standorten Hofgeismar, Bad Karlshafen und Wahlsburg drei Fachärzte für Neurologie, wovon zwei Ärzte ebenfalls die Fachgebietsbezeichnung Facharzt für Psychiatrie führen, zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Die in Bad Karlshafen erteilte Ermächtigung sei beschränkt auf die Durchführung der Botulinum-Toxin-Therapie, während die beiden anderen Ermächtigungen im Wesentlichen die Durchführung neurologischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden des EBM-Kapitels 16 (neurologische und neurochirurgische Gebührenordnungspositionen ) beinhalten würden. Um Rückschlüsse ziehen zu können, wie sich die Versorgungslage tatsächlich trotz ausgewiesener Überversorgung laut Landesausschuss darstellt, werden nach Auskunft der KV Hessen vom 14. März 2017 gängigerweise die Fallzahlen der Ärzte mit dem hessischen Durchschnitt verglichen. In den Anlagen 2 und 3 werden daher nach Angaben der KV Hessen vom 14. März 2017 die Fallzahlen der Nervenärzte für den Landkreis sowie die Stadt Kassel abgebildet. Zu beachten sei, dass lediglich die Fallzahlen der Ärzte, die der Honorargruppe der Nervenärzte (Nervenärzte, Neurologen und Psychiater) zugeordnet wurden, in der Tabelle dargestellt werden. Durch relativ niedrige Fallzahlen einzelner Ärzte im Landkreis Kassel seien in diesem Planungsbereich insgesamt noch freie Kapazitäten bei den Nervenärzten festzustellen. Zwei der drei Nervenärzte, die der Honorargruppe der Neurologen bzw. Nervenärzte zugehörig sind, würden demgegenüber überdurchschnittliche Fallzahlen aufweisen. Ein Versorgungsmangel würde sich nach Angaben der KV Hessen vom 14. März 2017 anhand der Auswertung der Daten jedenfalls nicht erkennen lassen. In der Stadt Kassel würden nach Angaben der KV Hessen vom 14. März 2017 die niedergelassenen Nervenärzte im Schnitt knapp 5 Prozentpunkte mehr Fälle im Quartal abrechnen. Insgesamt bliebe die Auslastung der Nervenärzte im Schnitt jedoch auch hier unterhalb des hessischen Durchschnitts. Würde man nach Auffassung der KV Hessen vom 14. März 2017 ausschließlich die Ärzte in der Stadt Kassel, die der Honorargruppe der Neurologen zugeordnet wurden, betrachten, so könne ein leicht überdurchschnittliches Abrechnungsvolumen von 109,2 % festgestellt werden. Entsprechend den Ausführungen der KV Hessen vom 14. März 2017 hält die Hessische Landesregierung die fachärztliche Versorgung im Bereich der Neurologen in Stadt und Landkreis Kassel aktuell für nicht gefährdet. Sofern sich die Prognose zukünftig anders darstellen sollte, wird die Hessische Landesregierung im Rahmen ihrer Mitwirkungs- und Beanstandungsrechte bei der Bedarfsplanung darauf hinwirken, dass die vertragsärztliche Versorgung in Stadt und Landkreis Kassel sichergestellt ist. Frage 2. Wie stellt sich die Versorgungslage dar, wenn nicht die Arztgruppe "Nervenärzte" herangezogen wird, sondern wenn getrennt nach Neurologie bzw. Psychiatrie/Psychotherapie beurteilt wird? Zu dieser Fragestellung führt die KV Hessen in ihrer Antwort vom 14. März 2017 aus, dass gemäß der Bedarfsplanungs-Richtlinie des G-BA für jede dort definierte Arztgruppe bestimmte Verhältniszahlen gelten würden. Diese Verhältniszahlen besagen, auf wie viele Einwohner ein Arzt kommen sollte. Bei einer Aufteilung der Arztgruppe der Nervenärzte nach Neurologie bzw. Psychiatrie/Psychotherapie müsste nach Angaben der KV Hessen vom 14. März 2017 die Verhältniszahl entsprechend angepasst und gesondert für die jeweilige Fachgruppe ermittelt werden. Ein Ergebnis auf der Grundlage einer Verhältniszahl, das keinen Bezug zur relevanten Fachgruppe hat, wäre nach Ansicht der KV Hessen im Ergebnis unbrauchbar. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4580 3 Frage 3. Ist es zutreffend, dass Neurologen in Hessen deutlich weniger pro Patient und Quartal abrechnen können als beispielsweise vergleichbare Praxen in Niedersachsen? Worauf ist dieser Unterschied zurückzuführen und welche Möglichkeiten gibt es, dem entgegenzuwirken ? In Beantwortung dieser Frage sei nach Angaben der KV Hessen vom 14. März 2017 zunächst festzustellen, dass für die Abrechnung aller niedergelassenen Neurologen der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) gelte. Für die nach EBM abrechenbare Leistung ergibt sich durch den Orientierungspunktwert eine bundeseinheitliche Bewertung einer jeden Leistung in Euro. Der KV Hessen sei es in den letzten Honorarverhandlungen gelungen, mit den Krankenkassen eine regionale Erhöhung des Orientierungspunktwertes um + 1,1 % zu erreichen. Damit sei in Hessen eine Leistung 1,1 % höher bewertet als in anderen Bundesländern. Allerdings gebe es nach Auffassung der KV Hessen auch weitere Unterschiede: Die Vergütung der Leistungen des EBM könne aufgrund der unterschiedlichen Honorarverträge und Honorarverteilungsregelungen der jeweiligen KV regional unterschiedlich sein. Die Honorarverteilung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) basiere möglicherweise regional auf unterschiedlichen Basisjahren. Nach den regionalen Honorarverträgen können auch unterschiedliche Leistungen einer Budgetgrenze (z.B. Regelleistungsvolumen) unterliegen oder werden z.B. extrabudgetär ohne Begrenzung vergütet. Zudem gebe es in Hessen die regionale Besonderheit der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) - die Altersvorsorge der hessischen Ärzte. Ohne Kenntnis und Berücksichtigung der Honorarverträge und Honorarverteilungsregelungen anderer KVen, bzw. konkret der genannten KV Niedersachsen, sei nach Auffassung der KV Hessen ein belastbarer und korrekter Vergleich der Honorare nicht möglich. Frage 4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die Versorgungslage in Stadt und Landkreis Kassel in Bezug auf die neurologischen Fachpraxen zu verbessern, und wer könnte welchen Beitrag zu dieser verbesserten Versorgung leisten? Nach § 75 Abs. 1 SGB V hat die KV Hessen die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen. Wie bereits in der Antwort zu Frage 1 ausführlich dargestellt, ist entsprechend den Vorgaben nach § 99 SGB V ein Bedarfsplan zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung aufzustellen und jeweils der Entwicklung anzupassen. Dabei entscheidet der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen auf der Basis der geltenden Bedarfsplanungs-Richtlinie des G-BA über Unter- und Überversorgung im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung in Hessen. Der Zulassungsausschuss muss auf der Grundlage der vom Landesausschuss getroffenen Feststellungen zu Unterund Überversorgung die Zulassungsanträge entscheiden, aber trotz festgestellter Überversorgung bestehen Zulassungsmöglichkeiten zur Deckung eines lokalen Versorgungsbedarfs. Den Ausführungen der KV Hessen vom 14. März 2017 zufolge habe sich die KV Hessen im vergangenen Jahr gegenüber dem Zulassungsausschuss erfolgreich für die Erteilung einer zusätzlichen neurologischen Ermächtigung eingesetzt. Zudem habe der Landesauschuss der Ärzte und Krankenkassen in Hessen in seiner Sitzung im November 2016 einen Appell an den Zulassungsausschuss verabschiedet, im Falle eines Antrags auf Sonderbedarfszulassung oder Ermächtigung einen solchen positiv zu beschließen. Ebenso sollen im Fall der Nachbesetzung von nervenärztlichen Sitzen Bewerber, die die Facharztbezeichnung Neurologie führen, bei der Auswahl bevorzugt werden. Die KV Hessen würde diese Maßnahmen unterstützen. Daneben habe die Vertreterversammlung der KV Hessen mit der Sicherstellungsrichtlinie zur Verwendung der Finanzmittel nach § 105 Abs. 1a SGB V am 3. Dezember 2016 auch für Fachärzte zahlreiche Fördermöglichkeiten verabschiedet, die für eine Niederlassung in Hessen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen sollen. So würde einem Weiterbildungsarzt für jeden Monat ambulanter Weiterbildungszeit ein Guthaben von 1.000 € für den Fall der späteren Niederlassung "angespart". Die ambulante Weiterbildung im Fachgebiet Neurologie würde ebenso gefördert werden. Letztlich würde auch die Praxishospitation in einer vertragsärztlichen Praxis für Assistenz - und Fachärzte, die bisher nicht vertragsärztlich tätig waren, für die Dauer von drei Monaten mit 5.400 € gefördert, um das Kennenlernen einer ambulanten Tätigkeit zu ermöglichen. Details zur Förderung können dem Internetangebot der KV Hessen unter www.kvhessen.de/foerderung entnommen werden. Die Landesregierung sieht in den Maßnahmen der KV Hessen geeignete Möglichkeiten, die Versorgungslage in Stadt und Landkreis Kassel in Bezug auf die neurologischen Fachpraxen weiter zu verbessern. Sofern sich die Versorgungslage dennoch verschlechtern sollte, wird die Hessische Landesregierung im Rahmen ihrer Mitwirkungs- und Beanstandungsrechte bei der Bedarfsplanung darauf hinwirken, dass die vertragsärztliche Versorgung in Stadt und Landkreis Kassel sichergestellt wird. Wiesbaden, 21. März 2017 Stefan Grüttner Anlagen Anlage 1 zur KLA 19/4580 A nl ag e 2 zu r K LA 1 9/ 45 80 A nl ag e 3 zu r K LA 1 9/ 45 80